Krzysztof Zielnica
Mit einleitenden Worten von Ingo Schwarz
Alexander von Humboldt-Stiftung. Mitteilungen, 5. Jg., Heft 38, Oktober 1980, S. 27–36.
Der polnische Ethnologe, Bibliograph und Alexander-von-Humboldt-Forscher Krzysztof Zielnica wurde in Wijewo, Powiat Leszczyński, geboren. Er studierte allgemeine Ethnologie an der Universität Wrocław und wurde dort 1973 mit einer Arbeit über afrikanische Ethnosoziologie promoviert. Zielnica forschte an der Polnischen Akademie der Wissenschaften und unterrichtete an der Universität Wrocław. Mehrfach (1970/1971 und 1975/1976) erhielt er Forschungsstipendien der Alexander von Humboldt-Stiftung (Bonn). In den Jahren 1980/1981 war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin (Institute for Advanced Study Berlin). Für seine Studien zum Leben und Werk Alexander von Humboldts standen ihm neben polnischen Bibliotheken und Archiven auch die Sammlungen der Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zur Verfügung.
Schwerpunkte seiner Arbeiten über Humboldt waren dessen bergmännische und halurgische Reisen in Polen und Schlesien, Humboldts Aufenthalt in Warschau und sein Eintreten für polnische Verbannte in Russland.
Zielnicas bekannteste Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung sind:
Alexander von Humboldt in der polnischen Literatur. Bibliographie (Alexander von Humboldt w piśmiennictwie polskim). Berlin: Dietrich Reimer 1989.
und
Polonica bei Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-polnischen Wissenschaftsbeziehungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Berlin: Akademie Verlag 2004 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, 23).
Hier ein Verzeichnis weiterer Arbeiten Krzysztof Zielnicas über Alexander von Humboldt:
Alexander von Humboldt und die polnischen Naturforscher in Galizien. In: Wissenschaftskolleg Jahrbuch 1981/82, S. 303–329. https://www.wiko-berlin.de/fileadmin/Jahrbuchberichte/1981/1981_82_Zielnica_Krzysztof_Jahrbuchbericht.pdf (zuletzt aufgerufen: 18.1.2024).
Zur Alexander von Humboldt-Forschung XI: Alexander von Humboldt und die polnischen Künstler. In: Alexander von Humboldt-Stiftung. Mitteilungen, Heft 41, Januar 1983, S. 19–34.
Zur Alexander von Humboldt-Forschung XV: Noch zur Ischim-Episode der russisch-sibirischen Reise Alexander von Humboldts im Jahre 1829. In: Alexander von Humboldt-Stiftung. Mitteilungen, Heft 46, Oktober 1985, S. 29–34.
Der polnische Geologe Tomasz Zan (1796–1855) und seine Begegnung mit Alexander von Humboldt in Orenburg 1829. In: NTM – Schriftenreihe für Geschichte der Naturwissenschaften, Technik und Medizin (Leipzig), Heft 2, 1986, S. 75–81.
Alexander von Humboldts bergmännisch-halurgische Reisen in den schlesischen und polnischen Gebieten vor zweihundert Jahren. In: Zbliżenia (1993), Nr. 3 (6), S. 26–40. – Poln. (gekürzt): Aleksandra Humboldta podróże po Śląsku i Polsce w latach 1792–1794, S. 40–43.
Bergmännisch-halurgische Reisen Alexander von Humboldts in den polnischen Gebieten in den Jahren 1792/93 und 1794. In: Ulrike Leitner, Regina Mikosch, Ingo Schwarz, Christian Suckow (Hrsg.): Studia Fribergensia. Vorträge des Alexander-von-Humboldt-Kolloquiums in Freiberg vom 8. bis 10. November 1991. Berlin: Akademie Verlag 1994 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, 18), S. 353–373.
Karolina Jaenisch-Pavlova, Adam Mickiewicz und Alexander von Humboldt. Ein Beitrag zu den deutsch-russisch-polnischen Literaturbeziehungen des 19. Jahrhunderts. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien, VI, 11 (2005), S. 39–57. DOI: https://doi.org/10.18443/67 (zuletzt aufgerufen: 18.1.2024).
Der im Folgenden neu veröffentlichte Aufsatz war die erste Arbeit Zielnicas über den preußischen Gelehrten. In der Einführung wurde betont, dass es sich dabei um einen „Teil der von ihm vorbereiteten Monographie über Alexander von Humboldt“ handelte. Für die Neuveröffentlichung wurde der Text mit den entsprechenden, später stark erweiterten und überarbeiteten Kapiteln dieser 2004 erschienenen Monographie „Polonica bei Alexander von Humboldt“ verglichen. Trotz der an einigen Stellen nötigen Korrekturen und Ergänzungen sollte der ursprüngliche Charakter der durch zahlreiche wiederentdeckte Quellen gestützten Studie von 1980 bewahrt bleiben. Der Text wurde jedoch an die neue Rechtschreibung angepasst.
Die Neuveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Berlin, Januar 2024
Ingo Schwarz
Krzysztof Zielnica (11. Juli 1936–1. Mai 2012)
Als am 6. Mai 1859 Alexander von Humboldt für immer die Augen schloss, hat sich die gern gelesene Krakauer Tageszeitung „Czas“ (Die Zeit) mit folgenden Worten des Gedenkens von ihm verabschiedet:
„Alexander von Humboldts Tod ist ein Ereignis von europäischer Bedeutung geworden. Diese Bedeutung hat ihm die Öffentlichkeit zugestanden, behauptend, dass Humboldt dem ganzen Europa gehört (…), und in Kürze erreicht uns sicherlich ein Protest von jenseits des Atlantiks, der sich um einen Teil seines Ruhms in Erinnerung bringen möchte, und das ist richtig, weil Humboldt der ganzen Welt gehört.“1
Als man hundert Jahre danach, 1959, den runden Todestag des berühmten Gelehrten in vielen Ländern beging, war Polen keine Ausnahme. Im Vorwort zu einer Auswahl seiner Werke über die südamerikanische Reise schrieb der Herausgeber und Humboldtforscher Professor Bolesław Olszewicz (1893–1972), dass
„Humboldt nicht nur ein genialer – vielleicht der letzte – Polyhistor vom Range Aristoteles’, sondern auch ein edler Mensch, Fürsprecher der Unterdrückten, Verkündiger der Freiheit für alle war.“2
Es ist hier zu bemerken, dass er seine Ansicht über die Gleichheit der „Rassen“ und über das Recht aller Völker, Volksstämme und Individuen auf Freiheit eindeutig in seinem „Kosmos“ geäußert hat:
„Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von | 28 | höheren und niederen Menschenracen. Es giebt bildsamere, höhere gebildete, durch geistige Cultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt; zur Freiheit, welche in roheren Zuständen dem Einzelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politischer Institutionen der Gesammtheit als Berechtigung zukommt.“3
Wenn wir im Folgenden über Alexander von Humboldts Verhalten zu Polen urteilen wollen, muss auch hier sein Verhältnis zur Freiheit in den Vordergrund gestellt werden, weil es für das geteilte und freiheitsberaubte Land und Volk den Hauptwert und den Ausgangspunkt für alle Beurteilungen und Kritik darstellte.
Das traurige Schicksal des durch drei europäische Großmächte geteilten und unterworfenen Landes und Volkes war Gegenstand leidenschaftlichen Interesses und Sympathie bei vielen bekannten Persönlichkeiten Europas, darunter Personen aus der Umgebung von Alexander von Humboldt, wie die wahren Polenfreunde Bettina von Arnim (1785–1859) und Karl August Varnhagen von Ense (1785–1858). Es ist allgemein bekannt, dass das Verhältnis zu Polen in jener Zeit ein Maß der Fortschrittlichkeit der politischen Anschauungen und Gedanken darstellte. Welch lebhaftes Interesse die polnischen Fragen damals in der öffentlichen Meinung Europas erweckten, davon zeugt am besten die Tatsache, dass die Beiworte „Polnisches“ und „Politisches“ zu Synonymen wurden. Für Alexander von Humboldt als Politiker, als persönlichen Freund und täglichen Gast seines Monarchen, zuletzt als Vertreter des preußischen Königshauses, von dem Ende des 18. Jahrhunderts die Anregung kam, Polen aus der Karte Europas zu streichen, war es bestimmt etwas kühn, sich offen für das unterworfene Land auszusprechen. Umso höher schätzen wir ihn wegen seiner polenfreundlichen Äußerungen und Beweise der Sympathie gegenüber unserem Land und Volk, die er oftmals in seinen Briefen an polnische Wissenschaftler, Intellektuelle, Künstler sowie an einfache Bürger und auch im Briefwechsel mit seinen Freunden und Politikern in Deutschland und im Ausland geäußert hat. „Seine an die polnischen Gelehrten geschriebenen Briefe beweisen“, bemerkt ein polnischer Historiker, „dass diesem Manne noch jene Vorurteile, die zwischen uns (Polen) und den Deutschen in den neueren Zeiten einen zu tiefen Abgrund aufgegraben hatten, fremd waren.“4
In seinem Briefe an Archibald MacLean (1772–1860) vom 9. Februar 1793 schreibt Humboldt: „Ich komme zulezt aus Cracau, wo ich das unglükliche Schauspiel eines unterjochten Volks sahe. Ich war in Wieliczka in der Unterwelt, in den Höhlen von Oicow p.“5
Von Warschau aus schrieb er am 2. Juni 1830 an Graf Georg von Cancrin (1774–1845), den russischen Finanzminister: „Der hiesige Aufenthalt hat eine Fülle von Ideen bei mir veranlaßt, über die ich im Stillen lange brüten könnte und die man, aus Besorgniß mißverstanden zu werden, Freunden nur mündlich mittheilt.“6
| 29 | Wie Alfred Dove (1844–1916) bemerkte, nahm Humboldt „bei dieser Gelegenheit die unglücklichen Zustände Polens und die dumpfe Gärung im Volke, die so bald nachher zu gewaltsamen Thaten führte, mit sicherm Scharfblicke wahr.“7
Dieses freundliche Verhalten des großen Liberalen seinem Nachbarlande im Osten gegenüber hat ihm im polnischen Schrifttum einen weithin merklichen Ruhm eingebracht; man nannte ihn „Polenfreund“ oder sogar „polonophil“.
Die erste Seite des 1980 erschienenen Aufsatzes.
Obwohl über den Namenspatron der Alexander von Humboldt-Stiftung bisher schon sehr viel geschrieben worden ist, bildet diese polnische Problematik in seiner Biographie immerfort eine bedeutende und empfindliche Lücke, die Humboldt-Forschern und -Biographen die dankbare Aufgabe vermittelt, die interessierten Leserinnen und Leser mit den bis jetzt unbekannten und nicht ausgewerteten polnischen Quellen bekanntzumachen. Es bietet sich jetzt dafür eine festliche Gelegenheit, steht doch dieses Jahr im Zeichen von Alexander von Humboldt. Fünf Monate vor dem Novemberaufstand (1830/1831), diesem denkwürdigen Ereignis in der Geschichte Polens, kam Alexander von Humboldt am 24. Mai 1830 nach Warschau, als Begleiter des preußischen Kronprinzen, der zur Begrüßung seines Schwagers Nikolaus I. in die polnische Hauptstadt reiste, um der Eröffnung des letzten polnischen Parlaments nach der freisinnigen Verfassung, die Zar Alexander I. den Polen gewährt hatte, beizuwohnen.8
Als Schwerpunkt und Vollendung des Humboldt-Aufenthaltes in Warschau vor 150 Jahren gilt die feierliche Aufnahme als Ehrenmitglied in die Société Royale Philomatique de Varsovie, oder, wie sie im Lande selbst genannt wurde, Warschauer (Königliche) Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften – Polnisch: Warszawskie (Królewskie) Towarzystwo Przyjaciół Nauk – die als Vorgängerin der Polnischen Akademie der Wissenschaften betrachtet werden kann.
Gegründet wurde diese Gesellschaft in der Zeit der preußischen Herrschaft in Warschau (1800). König Friedrich Wilhelm III. hatte ihre Satzung bestätigt und keinen Anstoß genommen an ihrem ausgesprochenen Zweck: „linguam Polonicam pro virili sua parte et fovere et numeris omnibus absolvere … et cum ea rerum patriarum memoriam sartam tectamque conservare“. Jacob Caro sagt: „Es war nicht gerade eine gelehrte Körperschaft, insofern ihr auch solche Mitglieder angehörten, die lediglich Liebe, Empfänglichkeit für Wissenschaft und Kunst betätigt hatten, aber in den Grundzügen doch eine freie Nachbildung der französischen Akademie. (…) Die Gesellschaft erhielt sich über die Zeit des hybriden Herzogtums Warschau und über die nachsonnige Zeit des sogenannten Kongresspolens, und erst mit dem furchtbaren Trümmersturz in der großen Revolution brach auch dieses Gebilde der nationalen Fähigkeiten zusammen“ (1832).9
Bevor wir aber die den Biographen Humboldts bisher unbekannten Einzelheiten und Details dieser Reise beleuchten, muss zunächst bemerkt werden, dass diese Reise ein voller Erfolg wurde, sowohl für Humboldt selbst als auch für die Warschauer (Königliche) Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften, die in den letzten Jahren ihrer durch den Novemberaufstand (1830/1831) unterbrochenen und kurz darauf untersagten Tätigkeit doch nicht umsonst auf den Augenblick gewartet hat, da sich ihr die beiden berühmtesten Deutschen, Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe, anschlossen.
| 30 | Aleksander Kraushar (1843–1931), ein bekannter polnischer Historiker und Verfasser einer umfangreichen Monographie über diese Gesellschaft, meint:
„Humboldts Einfluss auf die Zeitgenossen war enorm, (und zwar) als Beispiel eines der Wissenschaft gewidmeten Lebens und einer Idee der Anknüpfung der Beziehungen zwischen den Menschen und den wissenschaftlichen Gesellschaften aller aufgeklärten Völker. Diesen Einfluss sollte bald die polnische Gelehrtenwelt erfahren, deren Bekanntschaft wegen Humboldt im Jahre 1830 nach Warschau kam.“10
Wie andere wissenschaftliche Gesellschaften, so nahm auch die Société Royale Philomatique von Anfang bis Ende ihrer Existenz von Zeit zu Zeit bekannte Gelehrte, Schriftsteller und Dichter als Ehrenmitglieder in ihre Reihen auf.
Als Julian Ursyn Niemcewicz (1758–1841) 1826 zum Präsidenten dieser gelehrten Körperschaft gewählt wurde, wurden die Ehrenmitgliedschaften zahlreicher als zur Zeit der Präsidentschaft seines Vorgängers Stanisław Staszic (1755–1826, Präsident 1808–1826). Im Jahre 1827 wurde auf Vorschlag der Professoren Adam Kitajewski (1789–1837), Kazimierz Brodziński (1791–1835) und Dominik Krysiński (1785–1853) beschlossen, erstmals eine bedeutende Anzahl von Ausländern zu Ehrenmitgliedern zu berufen. Diesmal handelte es sich nicht darum, sich mit berühmten Namen zu schmücken, sondern um mehr praktische Ziele, und zwar wissenschaftliche und literarische Beziehungen zwischen den polnischen und ausländischen Gelehrten anzuknüpfen und öffentlich diesen Männern der europäischen Wissenschaft zu danken, die ihre Sympathie gegenüber der polnischen Wissenschaft, Literatur und Kunst bezeigten.11 „Es liegt auch in unserem Interesse“, betont Kitajewski am 14. Dezember 1827, „dass die gelehrte Welt im Ausland, wenigstens die wissenschaftlichen Persönlichkeiten in fremden Ländern, davon in Kenntnis gesetzt werden, dass bei uns die Société Royale Philomatique besteht.“12 Von diesem Gedanken geleitet, schlug Kitajewski vor, das Mitgliederverzeichnis der Gesellschaft um 73 Ausländer zu verstärken.13 Im nächsten Jahr wurde ein Ausschuss (Krysiński, Skrodzki, Szubert) für die Entscheidung dieses Vorschlags gewählt, der am 7. Dezember 1828 eine korrigierte Auswahl von 23 weltbekannten Namen, darunter Dominique François Arago, Jöns Jakob Berzelius, Georges Cuvier, John Dalton, Sir Humphry Davy, Joseph Louis Gay-Lussac, Sylvestre de Lacroix, Alexander von Humboldt, Antoine-Laurent de Jussieu und William Hyde Wollaston, als Ehrenmitglieder der Société Royale Philomatique akzeptierte.14 Am 5. Dezember 1829 stellte Kazimierz Brodziński den getrennten Antrag, Johann Wolfgang von Goethe als Ehrenmitglied für die Gesellschaft zu gewinnen, ohne diese Kandidatur zu begründen, weil „ein so bekannter Name keine Empfehlung braucht.“15
In der am 4. Januar 1830 durchgeführten Abstimmung wurden über 20 auf dem Gebiet der europäischen Wissenschaft verdiente Persönlichkeiten als Ehrenmitglieder der Société Royale Philomatique de Varsovie offiziell und feierlich bestätigt.16
Alle ausgezeichneten Männer haben die Ehrung angenommen und mit freundlichen Dankschreiben erwidert. Unter allen aber soll Alexander von Humboldts Brief durch Form und Inhalt sich ausgezeichnet haben. Er wurde von Berlin am 3. März 1829 abgesandt und lautet wie folgt:
„Monsieur le Président,
Il m’a été bien doux de recevoir par Votre organe, Monsieur les témoignages de la haute bienveillance dont l’illustre Société Royale philomatique de Varsovie a daigné honorer mes faibles travaux. Permettez que je Vous offre l’hommage de ma profonde et respectueuse reconnoissance. Il existe des liens parmi les hommes qui survivent aux grandes révolutions qui affligent l’humanité. Votre Société n’a pas cessé depuis trente ans qui n’ont pas été exempt d’orages, de travailler aux progrès de la raison, à l’avancement des lettres qui ont civilisé et consolé le monde.
| 31 | Vous avez ajouté par là à cette gloire nationale fondée sur un noble courage, un patriotisme toujours renaissant et de généreux efforts dans les travaux intellectuels.
J’ai l’honneur d’être avec la haute considération due à l’illustre Président de la Société Royale
Monsieur
Votre très-humble
et très-obéissant
serviteur
Alexandre B[aro]n de Humboldt
à Berlin
ce 3 Mars
Al. de Humboldt né à Berlin
le 14 Sept[embre] 1769, membre des
Académies de Berlin, Paris,
Londres, Pétersbourg etc.“17
Der Aufenthalt Humboldts in Warschau fand in jener Zeit ein starkes Echo, sowohl bei den Wissenschaftlern und Intellektuellen als auch in weiten Kreisen der polnischen Gesellschaft, da nicht nur die wissenschaftlichen Periodica, sondern auch die damalige Tagespresse dieses Ereignis lebhaft behandelten. Die Warschauer Zeitungen hatte die Ankunft Alexander von Humboldts und der übrigen Ehrengäste in Kongresspolen angezeigt. Hier eine Notiz des „Kurjer Warszawski“, No. 138 vom 24. Mai 1830:
„Heute ist die Ankunft S(einer) K(öniglichen) H(oheit) des preußischen Kronprinzen, des ehrwürdigen Bruders unserer gnädigen Frau (Königin) in Warschau zu erwarten. In Begleitung S(einer) K(öniglichen) H(oheit): Fürst (Antoni Henryk) Radziwiłł, Statthalter des Großherzogtums Posen, sowie der Wirkliche Geheimrat Humbold(t), General (Adolf Eduard von) Thile II., Oberst Graf (Karl von der) Gr(o)eben.“
Wie wir aus den Pressemeldungen erfahren, füllte Humboldt seine Zeit in hohem Maße damit aus, sich mit wissenschaftlichen Einrichtungen und mit der Ausstattung der Laboratorien und Forschungsstellen in Polen bekannt zu machen. Der „Kurjer Warszawski“, No. 146 vom 2. Juni 1830 (S. 757) berichtete:
„Dieser gelehrte Mann besucht immerfort alle wissenschaftlichen Anstalten hiesiger Hauptstadt. Er erklärte, er hätte nicht erwartet, so ordentlich eingerichtete und so reiche Kabinette (hier) zu finden. Besondere Freude bereitete ihm die Sternwarte.“
Die „Gazeta Polska“, No. 146 vom 2. Juni 1830 (S. 3) beschreibt den Besuch des preußischen Gelehrten an der Alexandrinischen Universität in der Hauptstadt Polens:
„Als H(err) Humboldt die hiesigen Universitätsanstalten besuchte, übergab ihm Professor (Feliks) Bentkowski ein Verzeichnis derselben und H(err) (Paweł) Jarocki, den H(err) Humboldt in Berlin zum Kongress der Naturforscher kennengelernt hatte, hat ihm Herrn Wierzejski, den Hersteller von naturwissenschaftlichen Präparaten im zoologischen Kabinett, vorgestellt. Als er in Kenntnis gesetzt wurde, dass H(err) (Ferdynand) Chotomski neulich das erste Heft der polnischen Vogelkunde herausgebracht hatte, zeigte H(err) Humboldt Lust, dieses Werk kennenzulernen. Davon benachrichtigt, schenkte der Verfasser das erste Heft Herrn Humboldt, der dieses Werk lobte.“
Die Presse unterstrich, dass der ruhmreiche Naturforscher bei jener Besichtigung überrascht zu sein schien, dass die | 32 | Warschauer Universität schon zu Beginn ihrer Existenz über so gut eingerichtete und geordnete Laboratorien und Arbeitsräume verfügte.18
Wie die vielgelesene „Gazeta Polska“, No. 141 von 28. Mai 1830 berichtete, interessierte sich Humboldt für die Einzelheiten der Natur unseres Landes und wünschte engere wissenschaftliche Kontakte mit den deutschen Naturforschern „zum allgemeinen Nutzen der Kenntnis“.
Gehobene Stimmung, ja vaterländische Begeisterung herrschte zu jener Zeit in der Hauptstadt von Polen, wo auf Anregung der Mitglieder der Warschauer Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften, besonders ihrer Präsidenten Stanisław Staszic und Julian Ursyn Niemcewicz, nach vieljährigen Bemühungen, auf der Hauptstraße von Warschau, vor dem Haupteingang zum Sitz der Gesellschaft, ein Denkmal von Copernicus, ausgeführt von dem berühmten dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen, errichtet und am 11. Mai 1830 enthüllt wurde. Das war das Apogäum in der dreißigjährigen Tätigkeit der Société Royale Philomatique.
In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erfreute sich der Name Alexander von Humboldts unter den polnischen Wissenschaftlern, Intellektuellen sowie in weiten Kreise der Intelligenz und des Bürgertums eines besonders großen Ruhmes. Der Anstieg seiner Popularität folgte aus seinem klaren Standpunkt bezüglich der Abstammung von Copernicus. Anlass zu einer lebhaften Diskussion über die Nationalität des Schöpfers des heliozentrischen Systems gab ein Bruchstück in der Begrüßungsrede Humboldts zur Naturforscherversammlung in Berlin im Jahre 1828, in welcher sich die Bemerkung fand, dass die deutsche Sprache „von dem hohen Alpengebirge Europa’s, bis jenseits der Weichsel, wo, im Lande des Copernicus, die Sternkunde sich wieder zu neuem Glanz erhoben sieht“, ertönt.
Obwohl Humboldt über die Herkunft von Copernicus keine klare Stellung in jener Rede eingenommen hatte, erhob sich über diese Frage eine heiße Diskussion in der polnischen Presse. Jan Olrych Szaniecki (1783–1840), Jurist und Politiker, griff diese Frage mehrmals in den Spalten der „Gazeta Polska“ auf und führte eine scharfe Polemik gegen den deutschen Naturforscher.19
Diese Debatte wurde kurz darauf auf das Gebiet der Wissenschaft und der Société Royale Philomatique verlegt und hatte einen Briefwechsel zwischen der Gesellschaft und Humboldt zur Folge. Aufgrund dieser Korrespondenz soll Humboldt sich für die polnische Abstammung von Copernicus erklärt haben. Eine der maßgebenden Quellen dafür ist die Erklärung von Präsident Julian Ursyn Niemcewicz auf der öffentlichen Sitzung der Gesellschaft am 30. April 1829. Niemcewicz teilte den Anwesenden folgendes mit:
„Unser neugewähltes Mitglied, der berühmte Baron Alexander Humboldt in Berlin, versichert uns im Briefwechsel mit unserer Gesellschaft, dass er Copernicus für keinen anderen Landsmann als nur für einen Polen hält. Solch bedeutendes Zeugnis beruhigt bestimmt die Eifersucht der Nachbarn, die uns sogar diese Ehre wegnehmen wollen. Nicht nur bei uns, sondern auch bei unseren benachbarten Brüdern glüht der Wille, die glänzenden Denkmäler unseres Volkes zu verewigen.“20
Aus den Papieren der Gesellschaft geht hervor, dass das neugewählte Ehrenmitglied sich mit dem Gedanken trug, eine Biographie dieses genialen Astronomen zu schreiben. Aus einem Bericht der wissenschaftlichen Abteilung der Société Royale Philomatique erfahren wir: „Raczyński Atanazy teilte mit, dass unser Kol(lege) Humboldt eine Schrift, die Copernicus den Polen zuerkennt, herausgeben will; es wurde ihm die gewünschte Abhandlung Śniadeckis über Copernicus in französischer und englischer Sprache geschickt.“21
Der Warschauer Aufenthalt Humboldts findet seinen Höhepunkt in der großen Zusammenkunft der Gelehrten, die sämtliche Zeitungen und Wochenschriften unter dem gleichlautenden Titel veröffentlichten:
„Außerordentliche allgemeine Sitzung der Warschauer Königlichen Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften am 3. Juni 1830 aus Anlass der Ankunft von Baron Humboldt.“22
Das Treffen fand im Sitzungssaal der Gesellschaft statt. Nachdem die Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, eröffnete der Präsident Niemcewicz die Versammlung (in französischer Sprache) mit folgenden Worten:
„Meine Herren! Ich habe Sie am heutigen Tage um mich versammelt, auf dass Sie das Vergnügen haben, in Ihrem Kreise einen verehrten Mann zu erblicken, der drei Kontinente unserer Welt bereiste und mit größerem Nutzen als seine Vorgänger den Völkern zu erkennen gab, was verschiedene Zonen des Erdballs am nützlichsten und am großartigsten besitzen, was vor seinem Besuch ihnen nicht bekannt war.
Wir möchten gern, verehrter Baron, vor Dir würdige Dinge erörtern. Besteht doch in den Wissenschaften und Kenntnissen kaum etwas, was Dir noch nicht bekannt wäre oder worüber Du nicht gehört hast, indem Du verschiedene gelehrte Gesellschaften besuchst, die, ebenso wie wir, es als eine Ehre ansahen, Dich im Kreise ihrer Mitglieder zu wissen.
Obwohl unsere Gesetze uns nur erlauben, in der polnischen Zunge den Mund aufzutun, treten wir diesmal von dieser Vorschrift zurück. Ich rufe den Grafen Sierakowski auf, seine Schrift an Hammer(-Purgstall), unser Mitglied in Wien, über Atlanten des XV. Jh. zu verlesen; und dann werde ich den ehrwürdigen Baron bitten, dass er sein nachsichtiges Auge auf unsere Sammlungen, besonders aber auf die neulich in Polen entdeckten Fossilien werfe. Ich rufe auch den Kollegen Sekretär auf, diesen Tag, so ruhmvoll für unsere Gesellschaft, in die Annalen einzuschreiben.“23
Auf Wunsch von Präsident Julian Ursyn Niemcewicz verlas nun Graf Józef Sierakowski (1765–1835) seine Bemerkungen über die von Fra Mauro 1440 in Venedig entworfene geographische Karte, die danach dem portugiesischen König geschenkt | 34 | wurde. Diese berühmte Karte wurde später vom Kloster Murano an die Bibliothek in Wien übertragen. Wegen ihres Alters, ihrer Gestaltung und des über sie Mitgeteilten musste sie auch Humboldts Interesse wecken. Sierakowski übergab bei dieser Gelegenheit Alexander von Humboldt zur Weiterleitung an seinen Bruder Wilhelm, den berühmten Sprachforscher, wahrscheinlich einen Sonderdruck seiner Schrift. Dieses Geschenk nahm Humboldt mit Freude an.24
Vor den im Sitzungssaal versammelten polnischen Gelehrten hielt der hohe Gast eine lange Rede. Niemcewicz erwähnt, dass er anderthalb Stunden sprach, und fügt scherzend hinzu, er habe einen solchen Plauderer („gadatywus“) bisher nicht getroffen.25
Als entschiedener Plutonist sprach der Verfasser des „Kosmos“ vor allem über die erloschenen oder noch aktiven vulkanischen Berge und beschrieb ihre Größe und Gestalt. Weiter skizzierte er die äußere Struktur Asiens, indem er sie mit Amerika verglich. In diesem Zusammenhang hat er einen ausführlichen Bericht über die gerade vollendete russisch-sibirische Reise erstattet.
Mit erstaunlicher Genauigkeit zählte er alle wichtigen von ihm besuchten Gegenden und Stätten auf, berichtete über die asiatischen Berge, über die Lage der vulkanischen Gebirge in Mittelasien, verglich sie mit den Vulkanen im Hinterland Amerikas und wies nach, dass sie doch eine unterirdische Verbindung mit dem Meer haben. Obwohl sie in großer Entfernung vom Meer oder von den riesigen Seen liegen, seien schon ihre jetzigen oder früheren Ausbrüche Beweise dafür. Humboldt erwähnte weiterhin die von ihm gemachten Korrekturen der bisherigen Ansichten über die Höhe der Berge. Danach schilderte der Sprecher die Lage des Kaspischen Meeres und seiner Umgebung. Er verwies auf den Tiefstand dieses Gewässers im Vergleich zu anderen Seen, denn obwohl sich die Ufer dieses Sees ziemlich deutlich erhöben, befinde sich der Reisende in einer Entfernung von 400 Werst immer noch niedriger als der Wasserspiegel des Atlantischen Ozeans. Mit dieser Lage ließen sich die ständigen Stürme und Gewitter, die die Schifffahrt mit Segelschiffen auf diesem See verhinderten, erklären.
Humboldt beschloss sein Auftreten mit einigen Bemerkungen über den Berg Ararat. Anlass zu diesen Bemerkungen gaben die Belegstücke von diesem Berge, die Kaiser Nikolaus I. dem deutschen Reisenden während seiner Russlandreise 1829 zum Geschenk gemacht hatte und die er der Professorenversammlung auf dem königlichen Schloss in Warschau vorführte.
Als Plutonist äußerte Humboldt schließlich seine Meinung, dass dieser Berg, obwohl sehr hoch, einst ein Vulkan gewesen sei, da sein Gipfel bis zu einer bedeutenden Höhe aus schwarzer Lava bestehe.
Nachdem Humboldt seine Ausführungen beendet hatte, ergriff Dr. Feliks Paweł Jarocki (1790–1865), ein Zoologe, den Humboldt schon 1828 in Berlin kennengelernt hatte, das Wort. Er stellte auf Deutsch einen Bericht über seine dreimonatige Forschungsreise auf dem Plateau von Podolien und Wolhynien (Ostpolen) vor, wo er tierische Fossilien in der Umgebung der Stadt Krzemieniec (Kremenez) am Fluss Ikwa untersucht hatte. Dem verehrten Naturforscher zeigte er die in den zerspaltenen Kieselschollen gut erhaltenen Prachtexemplare: einen Seeigel, Zähne eines Haifisches, verschieden Arten von Muscheln, Tierpflanzen u.a.
Jarocki weckte Humboldts Interesse mit der Nachricht, dass beim Graben eines Brunnens in Kremenez im Muschelkalksteingebirge ein Elefantenzahn in besonders gutem Zustand entdeckt worden sei, Es soll das erste Mal gewesen sein, dass sich unter einer dicken Schicht von Muschelkalkstein ein Knochen dieses Säugetieres gefunden habe. Jarocki schenkte Humboldt zwei Gesteinsproben aus dem Brunnen, in welchem dieser Fund entdeckt worden war.
Als nächster trat Professor Karol Skrodzki (1784–1832) auf und schenkte dem verehrten Gast eine „Carte climatologique de Varsovie“, die aufgrund der in den Jahren 1803 bis 1828 von An- | 35 | toni Magier (1762–1837) vorgenommenen Wetterbeobachtungen von Albert (Wojciech) Jastrzębowski (1799–1882) bearbeitet worden war. Humboldt freute sich über dieses Geschenk sehr und erklärte, dass die Karte ihm bei seinem neubearbeiteten Werk über die Isothermen nützlich sein werde. Diese Wetterkarte bewahrte Humboldt bei seinen Unterlagen auf.26
In weiterer Folge hielt Walenty Skorochód-Majewski (1764–1835), Archivar und Sprachforscher, der die Brüder Humboldt hochschätzte, eine Ansprache an die Versammelten. Er leiste der Einladung zu dieser Versammlung Folge, weil – wie er ausführte – „Der Name S(einer) H(ochwohlgeboren) von Humboldt, ebenso wie der von Leibniz in Berlin Anfang unseres Jahrhunderts bei allen, die sich mit der Wissenschaft beschäftigen, bekannt und verehrt ist.“ In seiner Rede erinnerte Majewski an die rasche Entwicklung der Sanskrit-Forschung, die in Preußen dank der Forschungen und Publikationen von Wilhelm von Humboldt und Franz Bopp (1791–1867) einen Höhepunkt erreichten. Im weiteren Verlauf seiner Äußerungen gab Majewski Auskunft über seine eigenen Sanskrit-Forschungen und über die Warschauer Druckerei für Sanskrit-Texte. Mit Interesse verfolgte Humboldt diese Worte und erteilte ergänzende Auskünfte über den Forschungsstand der preußischen Sanskritologen, besonders über die Werke seines Bruders Wilhelm und Franz Bopps, dessen „Nalus“ schon zu damaliger Zeit die dritte Ausgabe erreichte.
Zum Schluss wurden dem hohen Gast die Sammlungen der Gesellschaft gezeigt. Dr. Feliks Paweł Jarocki richtete Humboldts Augenmerk auf die beiden vorsintflutlichen Köpfe von bonaza (?), einer Art von Rind, sowie auf Figuren der indisch-mongolischen Gottheiten und auf viele andere Gegenstände, die sein Interesse erregen konnten.
Am Donnerstag, dem 3. Juni 1830, nach der feierlichen Sitzung der Gesellschaft, beschlossen sämtliche in Warschau anwesende Mitglieder der Société Royale Philomatique sowie die Professoren der dortigen Universität, ein Mittagessen für den weltberühmten Gast zu geben.
Der Empfang wurde im seit dem 1. April 1830 von W. Gruszczyński in Pacht genommenen „Hotel Angielski“ („Hôtel d’Angleterre“) in der Ulica Wierzbowa No. 613, einer der Hauptstraßen im Zentrum des damaligen Warschau, veranstaltet.27 Diesem feierlichen Empfang soll angeblich ein unangenehmer Missklang vorausgegangen sein, wodurch der Verlauf der Feier gestört wurde. Angesichts glaubwürdiger Mitteilungen von Zeitgenossen ist an der Wahrheit dieser Begebenheit kaum zu zweifeln. Andrzej Edward Koźmian (1804–1864), ein Teilnehmer an dieser Feier und damit Augenzeuge berichtet in seinen „Memoiren aus dem neunzehnten Jahrhundert“:
„Um den Aufenthalt des von der Wissenschaft gerühmten Mannes zu ehren, beschloss die Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften, ihn zu einer Sondersitzung zu laden, die sich zu seiner Ehre versammeln sollte. (…) Alle haben sich vor 12 (Uhr) eingefunden, denn Humboldt versprach, zu dieser Zeit zu kommen; sie warteten bis 1 (Uhr), warteten bis 2 (Uhr), der erwartete Gast erschien nicht. Niemcewicz, der nicht gern wartete (…), war ungeduldig und ließ sich vom Zorn hinreißen, fing an, sich auch über den klugen Deutschen – wie er ihn nannte – aufzuregen. Nach fast drei Stunden Wartens schickte man mich mach dem Königsschloss aus, damit ich den gelehrten Gast aufsuchte; zum Glück begegnete ich ihm auf dem Wege, nahm ihn mit und brachte ihn in den Sitzungssaal der Gesellschaft.“28
Es liegt die Vermutung nahe, dass die Teilnahme des weltberühmten deutschen Gelehrten und Reisenden an der feierlichen Sondersitzung der polnischen Wissenschaftsgesellschaft in der Weichselhauptstadt bei den zaristischen Behörden Beunruhigung und Neid auslöste. Besonders wichtige und glaubwürdige Quellen dafür sind die Erwägungen | 36 | in den „Memoiren“ von Julian Ursyn Niemcewicz. Er vertritt die Meinung, Humboldt sei Opfer eines derben Scherzes und eines im Voraus abgekarteten Spieles des Statthalters von Kongresspolen, Großfürst Konstantin (1779–1831), geworden:
„Noch einen Umstand muss ich hier berücksichtigen, als Beweis, dass der barbarische Großfürst Konstantin keinen anderen Genuss kannte, als nur den Menschen Verdruss zu bereiten. Kurz nach der Einweihung des Denkmals von Copernicus und nach dem Eintreffen von Zar (Nikolaus I.) zu (seiner) Krönung kam aus Berlin nach Warschau der berühmte Reisende Humboldt, der vor kurzem von seiner Reise an den Ural, nach Sibirien bis hin zur chinesischen Grenze zurückgekehrt war. Da wir ihn vor einem Jahr zum Mitglied unserer Gesellschaft gewählt hatten, um damit einen hervorragenden Weisen zu ehren, gaben wir für ihn ein großes Essen. Davon wurde der Großfürst Konstantin in Kenntnis gesetzt. Was tut er? Morgens am selben Tag lud er H(errn) Humboldt zu sich zum Diner und behielt ihn von 2 (Uhr) bis 6 Uhr, spottend und ununterbrochen lachend, dass er uns einen Streich gespielt hatte.“29
Trotz dieses unangenehmen Zwischenfalls verlief der Empfang in warmer und heiterer Atmosphäre. Während des Festmahls brachte Niemcewicz einen Toast auf die Gesundheit des „Barons Humboldt“ aus, worauf dieser auf Französisch mit folgenden Worten antwortete:
„Permettez, Messieurs, que je vous offre l’hommage de ma vive et respectueuse reconnaissance pour l’accueil flatteur que vous avez bien voulu me faire dans cette antique ville, où s’élèvent progressivement sous les auspices d’un gouvernement réparateur, sous l’égide d’un Souverain magnanime qui naguère encore avait daigné m’appeler dans Son vaste Empire, tant de nobles et généreuses institutions. Il m’est doux de pouvoir adresser plus particulièrement le tribut de ma reconnaissance à Celui, qui, vétéran de Votre gloire littéraire nationale, en honorant la mémoire du plus illustre des astronomes, a su relever de nobles pensées, ‘celles, qui naissent du cœur’, de tout ce que d’heureuses inspirations en peuvent donner aux formes du langage de charme et de puissance.“30
Am folgenden Tag, dem 4. Juni 1830, verließ Humboldt Warschau und begab sich nach Berlin.
1 Alle Zitate aus polnischen Quellen sind vom Verfasser ins Deutsche übertragen worden. „Czas“, Nr. 110 vom 13. Mai 1859.
2 Aleksander Humboldt. Podróże po Ameryce Podzwrotnikowej. Wybór. Pod redakcja prof. Bolesława Olszewicza.Warszawa 1959, S. X.
3 Alexander von Humboldt. Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. I. Stuttgart u. Tübingen 1845, S. 385.
4 Aleksander Kraushar. Towarzystwo Królewskie Przyjaciół Nauk 1800–1832. Księga III. Czasy Królestwa Kongresowego. Ostatnie lata. 1828–1830. Warszawa – Kraków 1905, S. 138.
5 Die Jugendbriefe Alexander von Humboldts 1787–1799. Hrsg. von Ilse Jahn und Fritz G. Lange. Berlin 1973, S. 233.
6 Im Ural und Altai. Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Georg Graf von Cancrin aus den Jahren 1827–1832. Leipzig 1869, S. 129.
7 Karl Bruhns (Hrsg.). Alexander von Humboldt. Eine wissenschaftliche Biographie. Bd. II. Leipzig 1872, S. 181.
8 Vgl.: Conrad Müller (Hrsg.). Alexander von Humboldt und das preußische Königshaus. Briefe aus den Jahren 1835–1857. Leipzig 1928, S. 58.
9 Jakob Caro: Zwei Briefe A. v. Humboldts und Goethes. In: Studien für vergleichende Literaturgeschichte (Hrsg. von Max Koch), Bd. I. Heft 4 (Berlin 1887), S. 385.
10 Aleksander Kraushar. Towarzystwo Królewskie Przyjaciół Nauk 1800–1832. Monografia historyczna. Księga III. Warszawa – Kraków 1905, S. 137–138.
11 Aleksander Kraushar. Echa przeszłości. Szkice, wizerunki i wspomnienia historyczne. Warszawa 1917. S. 472.
12 Aleksander Kraushar. Towarzystwo Królewskie Przyjaciół Nauk. Księga III. S. 135.
13 Archiwum Główne Akt Dawnych (weiter AGAD) Warszawa. Sammlung Towarzystwo Przyjaciół Nauk (weiter TPN). Heft 20, Seite 113.
14 AGAD. Sammlung TPN. Heft 20, Seite 110.
15 Aleksander Kraushar. Echa przeszłości. S. 475.
16 AGAD. Sammlung TPN. Heft 20, Seite 156.
17 AGAD. Sammlung TPN. Heft 20, Seite 135–137.
18 „Kurjer Polski“, No. 171 vom 29. Mai 1830, S. 861.
19 „Gazeta Polska“, 1828, No. 287, 288; 1829, No. 6, 38, 124.
20 Zagajenie posiedzenia publicznego. Towarzystwa Królewskiego Warszawskiego Przyjaciół Nauk, dnia 30 kwietnia 1829 r. przez Juliana Ursyna Niemcewicza. Prezesa Towarzystwa. – Roczniki Towarzystwa Królewskiego Warszawskiego Przyjaciół Nauk. Tom XXI. Warszawa 1830. S. 215. Wiederholt in: „Gazeta Polska“, No 118 vom 2. Mai 1829, S. 508.
21 AGAD. Sammlung TPN. Heft 28 b, Seite 22.
22 Siehe u.a. „Gazeta Polska“, No. 161 vom 18. Juni 1830, S. 3–4. „Kurjer Polski“, No. 198 vom 17. Juni 1830, S. 1005–1006. No. 201 vom 1. Juli 1830, S. 1020–1021. „Rozmaitości“ (Lemberg), No. 30 vom 23. Juli 1830, S. 233–236.
23 „Gazeta Polska“, No. 161, S. 3. „Kurjer Polski“, No. 198, S. 1005. „Rozmaitości“, No. 30, S. 233. (Der französische Text war dem Verfasser nicht zugänglich).
24 Ebenda.
25 Julian Ursyn Niemcewicz, Pamiętniki czasów moich. Tekst opracował i wstępem poprzedził Jan Dihm. Warszawa 1957, S. 308.
26 Antoni Magier und Albert Jastrzebowski: „Carte Météorographique de la capitale du Royaume de Pologne“. Staatsbibliothek zu Berlin. Handschriftenabteilung; Nachl. Alexander von Humboldt. Signatur: Nachl. Alexander von Humboldt, gr. Kasten 1, Mappe 8, Nr. 12 [Fußnote von I. Schwarz]. Vgl. auch Henry Stevens: The Humboldt Library. A catalogue of the Library of Alexander von Humboldt. London 1863. Reprint: Leipzig 1967, S. 366, Nr. 4927.
27 Vgl. dazu: „Gazeta Polska“, No. 87 vom 1. April 1830.
28 Andrzej Edward Koźmian, Pamiętniki z dziewiętnastego wieku. Tom II. Poznań 1867, S. 299. http://bc.wbp.lublin.pl/dlibra/docmetadata?id=3054&from=publication (zuletzt geöffnet: 15.1.2024).
29 Julian Ursyn Niemcewicz, Pamiętniki czasów moich. Warszawa 1957, Tom II. S. 308–309. [Ergänzung von I. Schwarz: Pamiętniki czasów moich. Dzieło pośmiertne Juliana Ursyna Niemcewicza. Lipsk (Leipzig) 1868, S. 323. https://polona.pl/item-view/57bcaa15-1e50-4181-a905-21c516c016a3?page=338 (zuletzt geöffnet: 15.1.2024)]
30 Aleksander Kraushar. Towarzystwo Królewskie Przyjaciół Nauk. Księga III. S. 371–372. (Diese Dankesworte beziehen sich auf Jan Śniadecki, Verfasser einer Biographie von Copernicus, für welche sich Humboldt lebhaft interessierte und die ihm, wie erwähnt, nachgeschickt wurde.)