Ottmar Ette
Dieser Beitrag präsentiert die epistemischen Veränderungen, die von der Entdeckungsreise zur Forschungsreise führten, im Lichte jener Auseinandersetzungen, die als „Berliner Debatte um die Neue Welt“ berühmt wurden. Alexander von Humboldt bemerkte und beschrieb um die Wende zum 19. Jahrhundert eine fundamentale Epochenschwelle, die er im Vorwort zu seinen Vues des Cordillères et Monumens des Peuples Indigènes de l’Amérique als eine „glückliche Revolution“ bezeichnete. Diese Revolution schloss für Humboldt auch die Tatsache mit ein, die Aufklärung nicht als eine rein europäische, sondern als eine transatlantische und weltumspannende philosophische Bewegung zu verstehen.
This article discusses the epistemic changes and transformations that led from the famous Voyages around the world to the explorations not only of the coastlines but of the interiors of continents and islands in the light of what has been called “the Berlin Debate about the New World”. In his Vues des Cordillères et Monumens des Peuples Indigènes de l’Amérique, Alexander von Humboldt detected a fundamental epistemic shift that he coined as “the happy revolution”. For Humboldt, this revolution included the fact that the Enlightenment was not only a European, but a transatlantic and global philosophical movement.
Cet article présente les changements épistémiques qui menèrent des fameux Voyages autour du monde aux voyages d’explorations non plus seulement des régions littorales mais surtout de l’intérieur des pays visités. Afin de mieux comprendre ces transformations fondamentales, il est indispensable de recourir au fameux « Débat Berlinois sur le Nouveau Monde » qui opposait les philosophes Européens aux philosophes de l’hémisphère américain. Dans la préface à ses Vues des Cordillères et Monumens des Peuples Indigènes de l’Amérique, Alexandre de Humboldt detecta, d’une façon brillante, cette transformation épistémologique fondamentale qu’il traita de « révolution heureuse », tout en intégrant les Lumières du Nouveau Monde dans sa conception d’une République des Lettres vraiment internationale.
Die reiseliterarische Schilderung der ersten Annäherung von Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff an die Küsten Brasiliens steht – wie könnte es bei einer ersten Begegnung anders sein? – von Beginn an im Zeichen der tropischen Fülle. So lesen wir im ersten Band seiner erstmals im Jahre 1812 in Frankfurt am Main erschienenen Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 18071 zunächst von einem am 18. Dezember 1803 durchgeführten Versuch, sich der „Insel St. Catharina“2 und damit der brasilianischen Küste zu nähern: „und schon bewillkommten [sic] uns, in einer Entfernung von 60 bis 80 Seemeilen, mehrere Schmetterlinge, die wahrscheinlich durch einen starken Wind dem Lande entrissen waren“3. Doch diese erste Begegnung mit ungeheuer großen und bunten, vielfarbigen Bewohnern der Neuen Welt muss aufgrund eines aufziehenden schweren Sturmes – der gleichsam für die andere, gefährliche Seite der Tropen – also nicht die Fülle, sondern die Falle – steht – zunächst abgebrochen werden, bevor dann am 21. Dezember 1803 die erste Berührung mit Brasilien erfolgt:
Kaum konnte ich, belebt von so manchen schönen Bildern meiner Einbildungskraft, die wiederkehrende Sonne erwarten, um die nahe paradiesische Gegend zu besuchen. Meine Ideen waren, ich gestehe es, groß und gespannt, demungeachtet übertraf nun, je mehr ich mich dem Lande näherte, die Wirklichkeit meine Erwartung.
Die an Farben, Größe, Bau und Verschiedenheit mannichfaltigen Blüthen, hauchten in die Atmosphäre eine Mischung von Wohlgeruch, die mit jedem Athemzug den Körper stärkte und das Gemüth erheiterte.
Große Schmetterlinge, die ich bisher nur als Seltenheiten in unsern europäischen Cabinetten sah, umflatterten viele, noch nie oder in unseren Gewächshäusern nur als Krüppel gesehene und hier im üppigen Wuchs blühende Prachtpflanzen.– Die goldblitzenden Colibri’s umschwirrten die honigreichen Blumen der Bananenwälder und wiederhallender Gesang noch nie gehörter Vögel ertönte in den wasserreichen Thälern, und entzückte Herz und Ohr. – Dunkele überschattete Wege schlängelten sich von einer friedlichen Hütte zur andern, und übertrafen an Schönheit und Anmuth, an Abwechslung und Einfalt jede noch so gekünstelte Anlage unserer europäischen Gärten. – Alles was ich um mich her sah, setzte mich durch seine Neuheit in Erstaunen und machte einen Eindruck, der sich nur fühlen aber nicht beschreiben läßt. –4
In dieser kurzen, aber ästhetisch wie kulturtheoretisch wohldurchdachten Passage sind all jene Topoi versammelt, die seit der ersten Annäherung des Christoph Columbus an die Inselwelt der Antillen die Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster von Europäern prägen, welche die unterschiedlichsten Phänomene der für sie „neuen“ Welt im Zeichen des Reichtums und der Überfülle erstmals wahrnehmen. In einer Art der Überbietungsstrategie setzt sich der amerikanische locus amoenus an die Stelle des weitaus kargeren europäischen „Originals“, ohne freilich im Geringsten die Darstellungsmodi der abendländischen Antike zu verlassen. Reichtum und Exuberanz prägen alles, was sich den Sinnen des ankommenden Europäers darbietet. Es ist zugleich ein Diskurs der amerikanischen Fülle (und hier nur kurz angedeuteten tropischen Falle), deutlich nach jenem anderen, insbesondere das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts dominierenden europäischen Diskurs angesiedelt, der unter Rückgriff auf Buffon oder de Pauw Amerika im Zeichen der Unterlegenheit und der Schwäche sah.5
Als Teilnehmer der ersten russischen Weltumsegelung, die unter dem Befehl von Adam Johann von Krusenstern durchgeführt wurde, hatte sich Langsdorff – wie er in seinem auf St. Petersburg, den 12. Juni 1811 datierten Vorwort zu seinen Bemerkungen auf einer Reise um die Welt ausführte – „als Arzt und Naturforscher“6 erstmals der amerikanischen Hemisphäre zugewandt. Er partizipierte damit an einer Unternehmung, wie sie charakteristisch war für die zweite Phase beschleunigter Globalisierung: Weltumsegelungen also, wie sie auf französischer Seite Bougainville und „der unsterbliche“7 Lapérouse oder auf britischer Seite James Cook durchgeführt hatten8. Das Russische Reich war auf diesem Gebiet ein Nachzügler; und so verwundert es nicht, dass lange Jahrzehnte die paradigmatischen Weltumsegelungen der Franzosen und Engländer von jener der Russen trennten, die ihrerseits ein ausgeprägtes Interesse insbesondere an der Erforschung der Küsten des Pazifiks und des russischen Amerika besaßen.
Aus dieser Perspektive ist es aufschlussreich zu konstatieren, dass in der Figur von Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff ein grundlegender Paradigmenwechsel aufscheint, der sich noch im Verlauf dieser zweiten, im Zeichen der Führungsmächte England und Frankreich stehenden Beschleunigungsphase der europäischen Globalisierung vollzog: der Wechsel von der Entdeckungsreise (sei es in Form von Seereisen zu bestimmten Küstenstrichen, sei es in Form spektakulärer Weltumsegelungen) zur Forschungsreise, wobei die erstere stets nur die Küstenbereiche berührte, die zweite hingegen auf eine Erforschung gerade auch der Binnenräume der Kontinente abzielte. Noch ein Alexander von Humboldt hatte in den ausgehenden neunziger Jahren darauf gehofft, sich einer weiteren französischen Weltumsegelung unter Kapitän Baudin anzuschließen, bevor er sich – durchaus mit hohem Risiko und auf eigene Kosten – im Juni 1799 zusammen mit Aimé Bonpland auf seine eigene Forschungsreise ins Innere der amerikanischen Tropen begab, nicht ohne noch immer auf Möglichkeiten zu hoffen, sich der französischen Weltumsegelung in den Amerikas anzuschließen.
Zwei Jahrzehnte nach der Krusenstern’schen Weltumsegelung erfüllte die von 1824 bis 1828 durchgeführte Langsdorff’sche Expedition – wiederum in russischem Auftrag – alle Kriterien jener nun vermehrt angestrebten Erforschung des Landesinneren, die nunmehr im Zentrum der europäischen Expansionsbemühungen – seien sie vorwiegend wissenschaftlicher oder politischer beziehungsweise ökonomischer Ausrichtung – stand. Langsdorff selbst hatte die wissenschaftliche Notwendigkeit eines langfristigen Aufenthalts in Brasilien bereits in seinem Reisebericht bezüglich der Insel Santa Catalina festgehalten; in einer Art Vorwegnahme seines späteren Lebens merkte er im Angesicht der Überfülle von Naturphänomenen in einer epistemologisch wie autobiographisch nicht unwichtigen Fußnote an, dass man hier eines Botanikers bedürfe, „der sich nicht Tage und Wochen, sondern Jahre lang hier aufhalten muß“, könne dieser Forscher doch nur so „durch die Entdeckung einer Menge neuer genera und species an Pflanzen belohnt werden“9.
Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff verkörpert als Teilnehmer wie als der spätere Leiter einer Entdeckungs- wie einer Forschungsreise damit einen paradigmatischen Wechsel, der in seinem Falle gerade auch angesichts der Schwierigkeiten, auf die seine Expedition stieß – zahlreiche Dokumente belegen die internen Spannungen zwischen den einzelnen Mitgliedern seiner Expedition10 –, auch das Oszillieren zwischen Fülle und Falle miteinschloss. Denn das, was sich zunächst den Sinnen des europäischen Reisenden als Fülle darbot, konnte sich schon rasch und jederzeit in eine gefährliche Falle verwandeln.11 Dass sich der noch junge Reisemaler Johann Moritz Rugendas seinerseits der Falle, welche für ihn die Langsdorff-Expedition darstellte, zu entziehen vermochte, wirft ein bezeichnendes Licht auf die große Bedeutung, welche dem Zusammenleben, der Konvivenz, für das Überleben und den wissenschaftlichen wie künstlerischen Ertrag jedweder Forschungsreise zukommt.12 Der autoritäre Führungsstil Langsdorffs war offenkundig den wissenschaftlichen Ergebnissen nicht immer zuträglich. Im Umkehrschluss kann man daraus ersehen, wie perfekt das Zusammenleben und die Zusammenarbeit zwischen Humboldt und Bonpland bei ihrer Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents funktionierten.13
Der Paradigmenwechsel von der Entdeckungsreise zur Forschungsreise lässt sich freilich auf einen noch umfassenderen Wandel beziehen, den ein Zeitgenosse Langsdorffs, eben dieser Alexander von Humboldt, mit dem wir uns am Ende unseres Parcours beschäftigen werden, als eine révolution heureuse, als eine glückliche Revolution bezeichnete. Dabei ging es bei dieser Formulierung weder um die industrielle Revolution in England noch um die politische Revolution in Frankreich, weder um die antikoloniale Revolution in den Vereinigten Staaten noch um die gegen Sklaverei und Kolonialismus gerichtete Haitianische Revolution oder gar die lateinamerikanische Unabhängigkeitsrevolution. Es ging vielmehr um eine neue Zirkulation des Wissens, um eine veränderte diskursive Konfiguration, welche die vielfältigen und asymmetrischen Beziehungen zwischen Europa und der außereuropäischen Welt betraf. Um die Langsdorff’sche Expedition vor dem Hintergrund dieser révolution heureuse einschätzen zu können, bedarf es jedoch einer kritischen Rekonstruktion dieser asymmetrischen Wissenszirkulation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Erst daraus wird ersichtlich werden, inwiefern ein Humboldt sich als Erbe und Kritiker der europäischen Aufklärung erwies und welchen spezifischen Platz ein Langsdorff innerhalb der Phasen beschleunigter Globalisierung einnimmt.
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In einer der wohl wichtigsten Anmerkungen zu seinem Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes setzte sich Jean-Jacques Rousseau im Jahre 1755 kritisch mit dem im Europa seiner Zeit erreichten Stand anthropologischer Kenntnisse auseinander. Dabei hob er die unübersehbare, von den meisten der europäischen Philosophen aber sehr wohl übersehene Asymmetrie zwischen dem Wissensstand der aus den verschiedensten europäischen Ländern stammenden Reisenden einerseits und dem Reflexionsstand all jener Philosophen andererseits hervor, die ihre generalisierenden Überlegungen und Theorien zur Diversität des Menschengeschlechts nicht zuletzt auf der Grundlage mehr oder oftmals auch minder ausgedehnter und aufmerksamer Lektüren von Reiseberichten anstellten und entwickelten. Reiseberichte waren bekanntlich im Jahrhundert der Aufklärung eine außerordentlich beliebte Gattung.14
Jean-Jacques Rousseau betonte in diesem Zusammenhang die unabdingbare Notwendigkeit, diese fundamentale Asymmetrie innerhalb der weltweiten Zirkulation des Wissens zu durchbrechen. Diese Asymmetrie verschärfe sich im Übrigen noch durch die mangelnde Vorbereitung der allermeisten europäischen Reisenden. Zugleich aber hielt er auch einen gewissen Mangel hinsichtlich der (wissenschaftlichen) Ausrichtung mancher hommes éclairés fest, die sich dessen ungeachtet vielfältiger Gefahren ausgesetzt und lange, anstrengende Reisen unternommen hätten:
Les Académiciens qui ont parcouru les parties Septentrionales de l’Europe et Méridionales de l’Amérique, avoient plus pour objet de les visiter en Géomètres qu’en Philosophes. Cependant, comme ils étoient à la fois l’un et l’autre, on ne peut pas regarder comme tout à fait inconnues les régions qui ont été vues et décrites par les La Condamine et les Maupertuis.15
Der Verfasser des Discours sur l’inégalité, wie dieser Second Discours auch in abgekürzter Form oft benannt wird, ließ keinerlei Zweifel daran aufkommen: Nicht von den Geometern, sondern von den Philosophen erhoffte sich Rousseau die entscheidenden Verbesserungen des Kenntnisstandes über die außereuropäische Welt. Räumte der Bürger von Genf auch gerne Gehalt und Qualität mancher Reiseberichte ein, die im 18. Jahrhundert veröffentlicht worden waren, so verbarg er doch seine fundamentale Kritik am allgemeinen Niveau anthropologischer beziehungsweise ethnologischer Kenntnisse nicht, wobei er bei aller Bewunderung für das Werk eines Buffon auch den Bereich der Naturgeschichte und insbesondere der von ihren Vertretern genutzten Quellen nicht von dieser Kritik ausnahm. Denn nach der Erwähnung einiger weniger glaubwürdiger Berichte stellte er mit aller wünschenswerten Deutlichkeit die Lücken im europäischen Wissen über die außereuropäische Welt fest:
A ces relations près, nous ne connoissons point les Peuples des Indes Orientales, fréquentées uniquement par des Européens plus curieux de remplir leurs bourses que leurs têtes. [..] toute la terre est couverte de Nations dont nous ne connoissons que les noms, et nous nous mêlons de juger le genre-humain! Supposons un Montesquieu, un Buffon, un Diderot, un Duclos, un d’Alembert, un Condillac, ou des hommes de cette trempe voyageant pour instruire leurs compatriotes, observant et décrivant comme ils savent faire, la Turquie, l’Egipte, la Barbarie, l’Empire de Maroc, la Guinée, les pays des Caffres, l’intérieur de l’Afrique et ses côtes Orientales […]: puis dans l’autre Hémisphére le Méxique, le Perou, le Chili, les Terres Magellaniques, sans oublier les Patagons vrais ou faux […]; supposons que ces nouveaux Hercules, de retour de ces courses mémorables, fissent ensuite à loisir l’Histoire naturelle, Morale et Politique de ce qu’ils auroient vu, nous verrions nous mêmes sortir un monde nouveau de dessous leur plume, et nous apprendrions ainsi à connoître le nôtre.16
Aufgrund ihrer alles beherrschenden persönlichen wie kommerziellen Interessen entgehen die meisten europäischen Reisenden mit ihren so zahlreichen, aber oft auch so ungesicherten und vor allem interessegeleiteten Berichten dem letztlich vernichtenden Urteil Rousseaus nicht. Doch der Verfasser des Diskurses über die Ungleichheit leugnete die grundlegende Bedeutung der Reisen für die Ausweitung der menschlichen Kenntnisse und die umfassende Zirkulation von Wissen im europäisch-außereuropäischen Spannungsfeld keineswegs. Er gestand sich nur offen den grundlegenden Mangel an gesicherten Kenntnissen und Erkenntnissen innerhalb der europäischen Aufklärung ein. Für ihn ging es darum, wohlvorbereitete Reisende, „Philosophen“ (im Sinne des 18. Jahrhunderts) auszusenden, die nicht nur über ein Wissen (savoir), sondern mehr noch über ein savoir faire und ein savoir voir verfügten und in der Lage sein mussten, nach ihrer Rückkehr nach Europa das, was sie gesehen hatten, ebenso an ihre Landsleute wie an ihr Lesepublikum innerhalb einer tendenziell weltumspannenden République des Lettres der Aufklärung weiterzugeben. Denn nur auf diese Weise sei es möglich, neue Grundlagen für ein neues Wissen zu schaffen, das der physischen wie moralischen Diversität aller Menschen auf diesem Planeten entsprach.
Die Vorstellungen Rousseaus sind von größter epistemologischer Tragweite: Savoir faire und savoir voir sollten auf diese Weise für die künftigen Leser des Reisenden in ein savoir faire voir, ein Wissen und eine Technik des Vor-Augen-Führens, umschlagen, das nicht nur die europäische Sichtweise der Neuen Welt modifizieren und den Nouveau-Monde in einen monde nouveau verwandeln, sondern den Blick auch auf die europäischen Länder selbst grundlegend verändern könnte.17 Fremderkenntnis impliziert stets Selbsterkenntnis; und mehr noch: Selbsterkenntnis ist ohne Fremderkenntnis nicht zu haben. Im Übrigen kann nicht übersehen werden, dass innerhalb einer weltweiten – wenn auch zweifellos von Europa beherrschten – Relationalität die Kenntnisse reisender europäischer Philosophen auch für die Bewohner anderer Areas und Weltregionen von Nutzen sein mussten. Rousseaus Argumente sind jener Ethik mit universalisierendem Anspruch verpflichtet, wie sie der (europäischen) République des Lettres zugrunde lag.
In der angeführten Passage erscheinen Sehen und Schreiben in ihrer Verbindung mit dem Reisen als komplementäre Handlungen, die in ihrer Abfolge einen Sinn (bezüglich) der Neuen Welt hervorbringen, den Rousseau dann auch zu glauben bereit wäre: „il faudra les en croire“18. Doch gründet dieser Glaube für Rousseau nicht auf dem Schreiben, der écriture, allein. Nicht die Bewegung des Diskurses, sondern die Bewegung des Reisens, das eine direkte Sicht auf die Dinge gewährt, jene Ortsveränderung also, die ein unmittelbares Sehen des Anderen ermöglicht, verleiht dem Schreiben über das Andere Autorität und damit erst eine Autorschaft im starken Sinne. Die Glaubwürdigkeit dieser Autorschaft ist in diesen Passagen des Second Discours folglich an die Legitimation durch eine Augenzeugenschaft zurückgebunden, die mit Blick auf das Wissen über weit entfernte Länder das eigene Reisen voraussetzt. Im Grunde fordert Rousseau eine Kenntnis durch Augenzeugenschaft und damit eine faktenbasierte Erkenntnis, welche die Voraussetzung jeglichen europäischen Universalismus sein müsse.
Ein Gedanke glimmt hier auf, der für unsere Zeit, für unsere eigenen wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Epistemologien (und „Selbstverständlichkeiten“) von größter Aktualität und Dringlichkeit ist. Denn über lange Zeit – und bis in unsere Gegenwart – hielt sich die Vorstellung, man habe die „allgemeine“, die generalisierende Theorie von den sogenannten Regionalwissenschaften, den Area Studies, als „systematische“ oder systematisierende Wissenschaft klar zu trennen, da letztere nur ein regional begrenztes Wissen – etwa über die Türkei, Nordafrika oder Südamerika, um bei den Beispielen Rousseaus zu bleiben – hervorzubringen in der Lage wären. Nichts aber ist – und auch dies wird die Berliner Debatte um die Neue Welt19 in der historischen Rückschau zeigen – anmaßender und den Gegenständen inadäquater als eine derartige Trennung. Denn die vorgeblich „allgemeine“ Theorie beruht zumeist auf äußerst lückenhaften Kenntnissen, die sich in der Regel auf das Wissen über einen mehr oder minder kleinräumigen und bestenfalls europäischen Ausschnitt beschränken, der ungerührt und unhinterfragt als normgebend gesetzt wird. Um aber eine allgemeine Theorie adäquat fundieren und entwickeln zu können, ist die (vergleichende) Kenntnis verschiedenster Areas unverzichtbar. Denn dann erst kann die Zielvorstellung Rousseaus greifen, unsere Welt in ihrer Gesamtheit wie in ihrer Diversität auf neue Weise zu erfassen: „nous verrions nous mêmes sortir un monde nouveau de dessous leur plume, et nous apprendrions ainsi à connoître le nôtre“20.
Man könnte den ausführlich zitierten Überlegungen Rousseaus eine Passage aus der Feder des von ihm im obigen Zitat erwähnten Diderot an die Seite stellen, die erstmals21 1780 im elften Buch der dritten Ausgabe der Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des européens dans les deux Indes veröffentlicht wurde. In gewissem Sinne handelt es sich um eine Antwort und mehr noch um eine scharfsinnige erkenntnistheoretische Replik fünfundzwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des zweitem Discours des Citoyen de Genève. Denn zu Beginn von Rousseaus Überlegungen findet sich seine Klage darüber, niemals „deux hommes bien unis, riches, l’un en argent, l’autre en génie, tous deux aimant la gloire“ gefunden zu haben, einen Ruhm, für den der eine bereit wäre, „zwanzigtausend Taler“ zu opfern, der andere „zehn Jahre seines Lebens“ zugunsten einer erfolgreichen Reise um die Welt.22 Uns interessiert hier nicht die bemerkenswerte Beziehung zwischen den Zahlenangaben, sondern die Tatsache, dass Diderot die diskursive Struktur dieser Passage wiederaufnahm, um zugleich ihrem kritischen Sinn eine neue Wendung zu geben:
L’homme riche dort; le savant veille; mais il est pauvre. Ses découvertes sont trop indifférentes aux gouvernemens pour qu’il puisse solliciter des secours ou espérer des récompenses. On trouveroit parmi nous plus d’un Aristote; mais où est le monarque qui lui dira: ma puissance est à tes ordres […].23
Ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen des zweiten Discours Rousseaus ist die Verbindung zwischen dem Reichen und dem Genie, zwischen dem Monarchen und dem Gelehrten nicht realistischer geworden. Anders als Rousseau, der am liebsten einen Buffon, aber auch einen Diderot auf eine Weltreise geschickt hätte, war der Ko-Autor von Guillaume-Thomas Raynals Histoire des deux Indes in keiner Weise dazu bereit, sein Arbeitszimmer in Paris zu verlassen und die Welt zu umsegeln. Denn noch waren die Weltumsegelungen die Art und Weise, wie Europa – und allen voran die Führungsmächte England und Frankreich – die zweite Phase beschleunigter Globalisierung anging. Noch hatte sich das Bild der Natur nicht verändert.24 In einer Passage aus seiner Feder führte Denis Diderot hierfür keineswegs persönliche, sondern epistemologische Gründe an:
L’homme contemplatif est sédentaire; & le voyageur est ignorant ou menteur. Celui qui a reçu le génie en partage, dédaigne les détails minucieux de l’expérience; & le faiseur d’expériences est presque toujours sans génie.25
Bei Rousseau basiert das Wissen auf dem Sehen, das sa-voir auf dem voir. Ist die Verbindung zwischen dem mit Geld und dem mit Genie gesegneten Menschen zufälliger Natur, so ist die Einheit zwischen dem Philosophen und dem Reisenden, zwischen philosophe und voyageur für Rousseau bewusst und konzeptionell fundiert: Sie ist Programm des Wissens und der Erkenntnis. Wir finden bei Diderot die Spaltung zwischen dem Mächtigen und dem Gelehrten zwar wieder, doch unternimmt dieser savant keine physischen Reisen, sind seine Bewegungen doch rein geistiger Natur. Diderot weist ihm einen Ort zu, den er nicht verlassen wird: Der Ort des Arbeitens und der Ort des Schreibens unterscheiden sich in einem rein räumlichen Sinne nicht voneinander. Dem homo contemplativus stellt Diderot nicht den homo faber, sondern den Reisenden, eine Art homo migrans, gegenüber, der entweder unter einem Mangel an Wissen (ignorant) oder unter einem Mangel an Wahrheit und Wahrhaftigkeit (menteur) leide und daher für Diderot in einem System hierarchisierter Wissenszirkulation auf eine bestenfalls zweitrangige Bedeutung herabgestuft werden muss. A beau mentir qui vient de loin – und man könnte aus heutiger Sicht fast glauben, dieses Sprichwort sei auch geprägt worden für jene Wissenschaften, die vor wenigen Jahren einmal recht unglücklich von einem deutschen Wissenschaftshistoriker als „Fernwissenschaften“ bezeichnet wurden.
Doch bleiben wir im 18. Jahrhundert und innerhalb der Strukturen einer europäischen Aufklärung, die sich ihrer epistemologischen Grundlagen bewusst zu werden versucht. Nicht umsonst ließ Denis Diderot die Dialogpartner seines Supplément au voyage de Bougainville darüber debattieren, ob der gefeierte französische Entdeckungsreisende bei seiner Weltumsegelung nicht eher ein sesshafter Bewohner auf den Planken seines schwimmenden Hauses („maison flottante“26) gewesen sei, während der Leser von Bougainvilles berühmtem Reisebericht als der eigentliche Weltreisende betrachtet werden müsse, sei er es doch, der – scheinbar unbeweglich auf den Dielen seines fest gebauten Hauses – kraft seiner Lektüre die Welt umrundet habe.27 Man könnte hier mit guten Gründen gewiss nicht von einem Diderot’schen paradoxe sur le comédien, wohl aber vom Paradox über den Reisenden, vom paradoxe sur le voyageur sprechen, welcher in seiner höchsten Form der Leser ist – und wäre er ein Leser des Buches der Welt.28
Ohne an dieser Stelle die Tatsache ausführen zu können, dass die epistemologisch so relevante Scheidung zwischen den Reisenden und den Daheimgebliebenen keineswegs eine Erfindung des 18. Jahrhunderts war, sondern sich seit der ersten Phase beschleunigter Globalisierung durch den gesamten abendländischen Diskurs über die Neue Welt zog und im Übrigen bereits in der Antike hinsichtlich des Zusammenspiels von Auge und Ohr als Quellen der Information über eine unbekannte Welt präsent war,29 sei doch darauf verwiesen, dass jenseits des hier markierten und in der Tat markanten epistemologischen Gegensatzes zwischen Rousseau und Diderot die beiden großen Philosophen der europäischen Aufklärung in einem nicht unwesentlichen Punkt miteinander übereinstimmen. Denn der reisende Philosoph, der philosophe voyageur Rousseaus, wählt ganz wie der sesshafte homo contemplativus Diderots denselben Ort, um sein Werk niederzuschreiben: den europäischen Schreibtisch. Wie man auch immer die Beziehung zwischen dem Monarchen und dem großen Gelehrten im Falle Langsdorffs deuten mag, der „seinem“ Zaren eine ebenso starke wie zugleich auch formelhafte Widmung seines Reiseberichtes zukommen ließ30: Die Krusenstern’sche Weltumsegelung gehorchte noch dem alten Paradigma und damit dem Gebot des europäischen Schreibtisches; für die Langsdorff’sche Expedition aber galt dies nicht länger. Sie schreibt sich unverkennbar in einen Paradigmenwechsel ein, den die erwähnte Fußnote Langsdorffs bereits ankündigt.
Das hermeneutische Bewegungsmuster der Reise beruht für beide europäische philosophes des 18. Jahrhunderts als Verstehensprozess stets auf einem Kreis. Und so ist es auch keineswegs zufällig, dass Rousseau in der oben angeführten Passage von einer Reise um die Welt spricht. Ist der reisende Philosoph erst einmal nach Hause zurückgekehrt und aufgrund seiner Mühen und seines Leidens in einen „neuen Herkules“ verwandelt, wird er sich bald an seinen Schreibtisch setzen und seine Ansichten niederschreiben. Dass die Niederschrift des Textes, die eigentliche Textproduktion, nicht in Übersee, sondern in Europa erfolgt, erscheint beiden Europäern im Jahrhundert der Lumières und der Aufklärung als geradezu natürlich und selbstverständlich. Denn der Ort des Schreibens kann als Ort der Wissensproduktion innerhalb eines zutiefst asymmetrischen Zirkulationssystems von Wissen für beide nur in Europa angesiedelt sein. Das Lesen im Buch der Natur mag oder muss weltweit erfolgen; die Niederschrift dieser Lektüre der Natur aber kann – dies braucht weder ein Rousseau noch ein Diderot zu thematisieren – „natürlich“ nur in den europäischen Zentren des Wissens erfolgen. Soweit zumindest die Position der europäischen Philosophen. Denn die ganze Welt mag ein Reich der Zeichen, ein Empire des signes, sein: Europa aber versteht sich als das Reich des Wissens, als ein Empire du sa/voir.
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Innerhalb der hier von Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot skizzierten Problematik der Beziehung zwischen Reisen und Wissen sowie Reisen und Schreiben situiert sich auch die Berliner Debatte um die Neue Welt, die als ein eminent wichtiger Teil des von Antonello Gerbi in einer längst kanonisch gewordenen Studie so bezeichneten „Disputs um die Neue Welt“31 angesehen werden muss. Einer der beiden wichtigsten Protagonisten dieser nicht nur in Europa, sondern auch in Übersee mit größter Aufmerksamkeit registrierten und kommentierten Berliner Debatte, Antoine-Joseph Pernety, war einst in der Funktion eines Schiffskaplans mit keinem Geringeren als Bougainville zwar nicht um die gesamte Erdkugel, wohl aber in die einst von Amerigo Vespucci so genannte „Neue Welt“ gereist. Diese Tatsache sollte in jenen Auseinandersetzungen, die in der aufstrebenden Hauptstadt des ehrgeizigen Preußenkönigs Friedrich II. – der mit seinem Libretto für die am 6. Januar 1755 erstmals in der Lindenoper aufgeführte Oper Montezuma selbst eine Art sinnlich-machtpolitisches „Vorspiel“ für diese Debatte lieferte32 – ihren Ausgang nahmen, aber rasch auf ein weltweites Echo stießen, eine wichtige Rolle spielen.
Mit einigen der zentralen Fragen aufklärerischer Anthropologie, aber auch mit den hier dargestellten Problemen wahrnehmungstheoretischer Epistemologie beschäftigte sich der früher von der Inquisition in Avignon verfolgte und nach Preußen geflüchtete Benediktiner Antoine-Joseph Pernety bereits in seinem 1769 in französischer Sprache zu Berlin erschienenen Journal historique, in welchem der auf der Titelseite stolz als „Membre de l’Académie Royale des Sciences & Belles-Lettres de Prusse“ und als „Bibliothécaire de Sa Majesté le Roy de Prusse“ Bezeichnete von seiner Reise unter der Leitung von Louis-Antoine de Bougainville zu den tropischen Küsten des heutigen Brasilien, zu den Malwinen-Inseln und an die Südspitze des amerikanischen Kontinents berichtete.33 In seinem Journal betonte Pernety immer wieder die grundsätzliche Andersartigkeit der Neuen Welt; so schilderte er auch auf nicht weniger als zwanzig Seiten die am 10. November 1763 erfolgte Querung des Äquators und damit jene Szenerie, die sich so oder in vergleichbarer Form auf allen französischen wie europäischen Schiffen vollzog, welche die Äquatoriallinie, den Zentralbereich des Tropengürtels, passierten und in eine andere Hemisphäre eintraten. Längst waren die Tropen für die europäischen Seefahrtsnationen zum planetarischen Bewegungs-Raum par excellence geworden, doch stellten sie damit zugleich den Schwellenbereich eines Übergangs dar, den man bei diesem sich auf Südkurs nach Brasilien befindenden Schiff als einen symbolträchtigen Übergang von der östlichen in die westliche Hemisphäre, gleichzeitig aber auch von der nördlichen auf die südliche Halbkugel beschreiben darf. Diesen doppelten Übergang markiert der Reisebericht des Franzosen auf durchaus eindrucksvolle Weise, die an dieser Stelle freilich nicht weiter verfolgt werden kann.34 Sehr einfach wäre es, Pernetys Schilderung der Querung der Linie mit jener reiseliterarischen Darstellung in Verbindung zu bringen, die Langsdorff als Teilnehmer der ersten russischen Expedition, die je die Grenze zwischen Nord- und Südhalbkugel passierte, von einer nicht weniger lustvollen Taufe an Bord von Kapitän Krusensterns Schiffen vorlegte.35 In beiden Fällen stand – wir haben dies im Auftaktteil gesehen – die Überquerung der Linie epistemisch mit der Konstruktion absoluter Alterität in Verbindung.
Die Beschreibung der sogenannten „Äquatorialtaufe“ mit ihrer Konstruktion eines Anderen, einer „Neuen Welt“ als „Anderer Welt“, weist bereits in Pernetys Journal historique voraus auf grundsätzliche Auseinandersetzungen, die im Verlauf der wenige Jahre nach dieser Reise ausgebrochenen Berliner Debatte um die Neue Welt geführt werden sollten. Denn die topische These von der fundamentalen Unterlegenheit der Neuen Welt hatte gerade in der europäischen Aufklärungsliteratur Bilder erzeugt, die in den 1768 und 1769 in Berlin erschienenen Recherches philosophiques sur les Américains36 des Cornelius de Pauw im Zeichen der Degenerationsthese die Stufe einer teilweise geradezu apokalyptischen Bilderwelt erreichten. Für den 1739 in Amsterdam geborenen und 1799 in Xanten verstorbenen Kleriker de Pauw war es schließlich evident, dass sich von den Tropen ausgehend Krankheiten und Epidemien wie Syphilis oder Gelbfieber über den gesamten Erdball ausbreiten würden und das menschliche Leben auf dem Planeten in seinem Fortbestand gefährden mussten. Er hatte begriffen, dass seine Zeit die Zeit eines erheblich intensivierten Austausches war, eine Zeit, in der jener Prozess de longue durée, den wir heute Globalisierung nennen, wieder erheblich an Fahrt aufgenommen hatte und sich von Jahr zu Jahr weiter beschleunigte. Aus seiner Sicht und ganz in der Traditionslinie Buffons war aber die Neue Welt nicht wie später bei Langsdorff die Welt einer Fülle, sondern eines fundamentalen Fehlens an Stärke – und zugleich die Welt einer Falle, für welche die von ihr in seiner Theorie ausgehenden gefährlichen Epidemien stellvertretend standen. Die Neue Welt war in seinen Augen für die Alte Welt zu einer lebensbedrohlichen Gefahr geworden, ja zu einer Gefahr, die das Überleben der Menschheit gefährdete.
Greifen wir der konkreten Abfolge der Ereignisse rund um die Berliner Debatte um die Neue Welt nicht vor. Doch mochte Antoine-Joseph Pernety in seiner Rede vom 7. September 1769 vor jener Berliner Académie des Sciences & Belles-Lettres, deren Mitglied er war, auch eine dezidierte Gegenposition gegen Cornelius de Pauw entwickeln, so zeigte sich gleichwohl, dass in dieser „Berliner Debatte“ über die Neue Welt, die weit über die Grenzen Preußens und Europas hinaus wahrgenommen wurde, die Position de Pauws und damit eine Position obsiegte, in der die „Neue Welt“, die auch geologisch jünger als die Alte und folglich viel später erst aus den Wassern emporgestiegen sei, als Ort einer prinzipiellen, von Anfang an gegebenen Inferiorität schlechthin stigmatisiert wurde. Alterität gegenüber Europa stand für Inferiorität. Diese ebenso radikale wie (in der Tradition Buffons) populäre These stammte wohlgemerkt von einem Autor, der zu keinem Zeitpunkt Europa jemals verlassen oder gar die von ihm dargestellte Hemisphäre Amerikas je betreten hatte. Dies war ganz im Sinne Diderots auch gar nicht notwendig.
Gerade im zweiten Band seiner Recherches philosophiques steigerte sich de Pauw im Kontext der „Berliner Debatte“ zu Äußerungen, in denen die Europäer als Krönung des Menschengeschlechts erschienen und zugleich die Tropen und deren Bewohner völlig inferiorisiert, ja letztere aus dem Menschengeschlecht geradezu ausgeschlossen wurden. So heißt es 1769 bei de Pauw von der Spezies Mensch in scheinbar weltweitem Vergleich:
Le véritable pays où son espèce a toujours réussi & prospéré, est la Zone tempérée septentrionale de notre hémisphère: c’est le siége [sic!] de sa puissance, de sa grandeur, & de sa gloire. En avançant vers le Nord, ses sens s’engourdissent & s’émoussent: plus ses fibres & ses nerfs gagnent de solidité & de force, par l’action du froid qui les resserre; & plus ses organes perdent de leur finesse; la flamme du génie paroît s’éteindre dans des corps trop robustes, où tous les esprits vitaux sont occupés à mouvoir les ressorts de la structure & de l’économie animale. […] Sous l’Equateur son teint se hâle, se noircit; les traits de la physionomie défigurée révoltent par leur rudesse: le feu du climat abrége [sic!] le terme de ses jours, & en augmentant la fougue de ses passions, il rétrécit la sphère de son ame: il cesse de pouvoir se gouverner lui-même, et ne sort pas de l’enfance. En un mot, il devient un Nègre, & ce Nègre devient l’esclave des esclaves.
Si l’on excepte donc les habitants de l’Europe, si l’on excepte quatre à cinq peuples de l’Asie, & quelques petits cantons de l’Afrique, le surplus du genre humain n’est composé que d’individus qui ressemblent moins à des hommes qu’à des animaux sauvages: cependant ils occupent sept à huit fois plus de place sur le globe que toutes les nations policées ensemble, & ne s’expatrient presque jamais. Si l’on n’avoit transporté en Amérique des Africains malgré eux, ils n’y seroient jamais allés: les Hottentos ne voyagent pas plus que les Orangs […].37
Tropikalisierung meint hier unübersehbar Inferiorisierung – und zugleich eine Animalisierung, welche jene Debatte um die Grenze zwischen Mensch und Tier wiederaufnahm, die bereits in der ersten Phase beschleunigter Globalisierung zum Kernbestand der europäischen Diskussionen über den mundus novus gehört hatte. Die nicht-europäische Bevölkerung unseres Planeten wurde fast in toto in die Nähe von Tieren gerückt. Die Buffons Histoire naturelle zuspitzenden und damit wissenschaftlich im Verständnis des 18. Jahrhunderts verankerten und legitimierten Äußerungen des holländischen philosophe, der niemals in Amerika, dafür aber zweimal für einige Monate am preußischen Hof in Berlin und Potsdam weilte, entwerfen einen Gegensatz zwischen den gemäßigten Zonen insbesondere Europas einerseits und den Tropen Afrikas, Asiens und Amerikas andererseits, den als ein Zeugnis des Eurozentrismus zu bezeichnen wohl eher ein Euphemismus wäre. Wie kaum ein anderer europäischer Autor des 18. Jahrhunderts verstand es der Verfasser der Recherches philosophiques sur les Américains, seine philosophischen Untersuchungen zur indigenen Bevölkerung Amerikas ebenso polemisch und propagandistisch wie protorassistisch zuzuspitzen.
Daher baute sein Kontrahent in der Berliner Debatte um die Neue Welt, Antoine-Joseph Pernety, gleich zu Beginn seiner am 7. September 1769 vor der Berliner Akademie vorgetragenen und im Folgejahr veröffentlichten Dissertation sur l’Amérique et les Américains, contre les Recherches philosophiques de Mr. de P***38 eine Frontstellung gegen die Thesen de Pauws auf, deren Strategie wir bereits an ihrem Beginn leicht erkennen können:
Monsieur de P. vient de mettre au jour un Ouvrage sous ce titre, Recherches Philosophiques sur les Américains. Il s’efforce d’y donner l’idée la plus désavantageuse du nouveau Monde & de ses habitants. Le ton affirmatif & décidé avec lequel il propose et résoud ses questions; le ton d’assurance avec lequel il parle du sol & des productions de l’Amérique, de sa température, de la constitution corporelle & spirituelle de ses habitants, de leurs mɶurs & de leurs usages, enfin des animaux; pourroient faire croire qu’il a voyagé dans tous les pays de cette vaste étendue de la terre; qu’il a vêcu [sic!] assez longtemps avec tous les peuples qui l’habitent. On seroit tenté de soupçonner, que, parmi les Voyageurs, qui y ont fait de longs séjours, les uns nous ont conté des fables, ont travesti la vérité par imbécillité, ou l’ont violée par malice.39
Dom Pernety, der – wie bereits dargestellt – im selben Jahr 1769 ebenfalls in Berlin und in französischer Sprache seinen zweibändigen Reisebericht vorlegte, spielte hier von Beginn an die Karte dessen, der als Augenzeuge jene Länder bereiste, die sein Widersacher Cornelius de Pauw ungeachtet des Grundtons größter Selbstsicherheit, mit der er nicht zuletzt auch die Berichte von Reisenden in der Tat einer pauschalen Kritik unterwarf, niemals selbst zu Gesicht bekam. Demgegenüber stellte sich Pernety selbst, der als Akademiemitglied zurecht auf eine positive Aufnahme seiner Überlegungen durch die Berliner Akademie hoffen durfte, in den ihm sicherlich bekannten Zusammenhang jener Forderung nach einem philosophe voyageur, welche Rousseau in seinem Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes erhoben hatte. Daher betonte er bereits auf den ersten Zeilen seiner „Préface“, dass er sich der Welt Amerikas nicht allein als Leser angenähert habe: „J’avois lu & relu quantité de rélations de l’Amérique; j’avois vu de mes propres yeux la plupart des choses, qui y sont rapportées.“40 Und es habe ihn sehr erstaunt, all die Dinge, die er mit eigenen Augen gesehen habe, von de Pauws verworfen oder verkleidet zu sehen: „voir contredites, ou travesties par Mr. de P.“41 Wie bei Rousseau ist auch bei Pernety das eigene Sehen und damit der Gesichtssinn des reisenden Philosophen von entscheidender Bedeutung für eine fundierte Beurteilung: kein savoir ohne ein voir.
Auch an anderen Stellen der Dissertation lässt sich unschwer erkennen, dass die Gedankenwelt Rousseaus in den Argumentationen Pernetys eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. So kehrt Pernety de Pauws Bild von den schwachen, geistig wie körperlich unterlegenen und unmännlichen (da bartlosen) Indianern um in ein genau gegenläufiges Bild, besitze die indigene Bevölkerung doch „une santé ferme, vigoureuse, une vie qui passe ordinairement les bornes de la nôtre“42. Sein „Naturmensch“ ist physisch dem „Menschen der Zivilisation“ überlegen. Dem starken, langlebigen Naturmenschen eignet aber auch ein wacher Geist: „un esprit sain, instruit, éclairé & guidé par une philosophie vraiment naturelle, & non subordonnée comme la nôtre, aux préjugés de l’éducation; une ame noble, courageuse, un cɶur généreux, obligeant: que faut-il donc de plus à Mr. de P. pour être véritablement hommes?“43
Die Überlegenheit des „Naturmenschen“ bezieht sich folglich auch auf das moralische Wesen, auf die Charakterstärke. Die Diskussion des Mensch-Tier-Gegensatzes nutzt Pernety geschickt, um neben der schon früh in seinen Text eingefügten und oft wiederholten Erwähnung amerikanischer Hochkulturen wie der Incas zugleich seine Gegen-These von der Superiorität des homme naturel, also der Urbevölkerung Amerikas, gegen de Pauw in Stellung zu bringen. Die Vertreter einer „philosophie vraiment naturelle“ dürfe man keinesfalls als Wilde, als „sauvages“, bezeichnen, müssten sich doch eher die Europäer ein derartiges Etikett gefallen lassen: „puisqu’en effet nos actions sont contraires à l’humanité, ou du moins à la sagesse qui devroit être le guide des hommes, qui se piquent d’être plus éclairés qu’eux“44. Mokiert sich hier Pernety über die von seinem Gegner in der Berliner Debatte vorgetragene „Belle leçon dictée par les lumieres de la pure raison“45, so beklagt er im gleichen Atemzug das Unglück und die Unruhe eines Teils des Menschengeschlechts, das sich über alle anderen Teile erhaben glaube. Die Gesellschaft derer, die man als „Wilde“ bezeichne, sei hingegen eine Gemeinschaft, die sich auf einem Contrat social, auf einem Gesellschaftsvertrag ganz im Sinne Rousseaus gründe:
J’avoue que nous sommes faits les uns pour les autres, & que de cette dépendance mutuelle résulte tout l’avantage de la société. Mais la premiere intention de cette union, ou Contract Social; a été d’obliger tous les contractants à se prêter des secours mutuels, & non de laisser tout usurper aux uns; de les authoriser même dans leurs usurpations & de laisser manquer de tout aux autres.46
Damit wird deutlich, dass Antoine-Joseph Pernety der vernichtenden Einschätzung der indigenen Bevölkerung durch Cornelius de Pauw nicht nur den starken Naturmenschen und Naturphilosophen auf der individuellen Ebene, sondern auch den Menschen der Gemeinschaft, den Menschen des Contrat social, auf der kollektiven Ebene geradezu idealtypisch – und in jedem Falle idealisierend – gegenüberstellt. Wo es in Europa Gesellschaft gibt, gibt es in Amerika für ihn Gemeinschaft. Man darf hierin sehr wohl eine Schwäche der Argumentationsstrategie Pernetys erkennen, stellt er den negativ eingefärbten Bildern de Pauws doch allzu oft einfach positiv eingefärbte Gegen-Bilder entgegen. Diese gleichsam inverse Darstellung macht seine eigene Argumentation abhängig von jener seines Gegners, da sich Pernety immer wieder darauf beschränkt, die negativen Vorzeichen auf allen Ebenen in positive zu verwandeln. Darunter aber leidet die Eigenständigkeit seiner Beobachtungen wie die Originalität und Beweglichkeit seiner Dissertation, die zeitweise zum reinen Gegen-Diskurs verkommt. Die Schwäche eines solchen von ihm abhängigen anti-discours hat Cornelius de Pauw sehr wohl erkannt und in der Berliner Debatte um die Neue Welt für sich zu nutzen gewusst.
In diesen Fehler eines idealisierenden Gegen-Diskurses verfiel Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff nicht. So zeigte er sich etwa im fünften wie im sechsten Kapitel seines Reiseberichts stets darum bemüht, die gesellschaftlichen Verhältnisse wie auch die Religion, zugleich aber auch die Kunstfertigkeiten und künstlerischen Dimensionen des Lebens der von der Krusenstern’schen Expedition besuchten Bewohner der Marquesas- und der Washington-Inseln so präzise als irgend möglich darzustellen. Gerade der Kunst der Tätowierung wendet er sich im Kontext dieser sozialhierarchischen Bedeutung ausführlich zu.47 Selbst die bei europäischen Reisenden oftmals höchst voreingenommene Reflexion der Anthropophagie wurde von Langsdorff unter der Überschrift „Nahrung“48 so abgehandelt, dass in keinerlei Weise die disqualifizierenden und aus dem Menschengeschlecht exkludierenden Äußerungen de Pauws in den Horizont seiner Betrachtungen rücken. Zugleich enthielt sich Langsdorff jeglichen Versuches, das Zusammenleben der Bewohner der Marquesas zu idealisieren, auch wenn sicherlich eine grundsätzliche Exotisierung aller Lebensverhältnisse durchaus festgestellt werden kann. Es lag Langsdorff fern, den gegenüber allen außereuropäischen Kulturen diffamierenden Diskurs von de Pauw zu übernehmen.
Doch kommen wir an dieser Stelle noch einmal auf Pernety zurück. Seine Argumentationslinie, das genaue Gegenteil dessen zu behaupten, was de Pauw in seinen Recherches philosophiques vorstellte, prägt auch die „Seconde Partie“ der Pernety’schen Akademierede, die sich schon auf den ersten Zeilen von dem abwendet, was man „Herrn de P. zufolge glauben müßte“49. Denn dieser Teil der Erde sei weltweit der beste, das Land sei äußerst fruchtbar, die Bäume überladen mit Früchten, wie er selbst im Garten des Gouverneurs von Montevideo mit eigenen Augen gesehen habe50 – und überhaupt könne man diesen wunderbaren Erdteil am besten mit dem Irdischen Paradies51 und mit den Gärten des Goldenen Zeitalters vergleichen: eine Welt der Wunder und einer Fülle, wie sie einst ein Vergil besungen habe52. Würde man de Pauw folgen, so müsste man die amerikanische Hemisphäre als eine „terre maudite“ begreifen;53 in Wirklichkeit aber habe sich Pernety selbst davon überzeugen können, dass in Amerika „le principe de vie“, folglich das Lebensprinzip und wohl auch die Lebenskraft, wesentlich stärker ausgeprägt seien als in Europa.54 Nichts von dem, was de Pauw in seinen Recherches philosophiques behauptet, bleibt in Pernetys Gegen-Diskurs bestehen. Und nicht umsonst prägt Pernety, der auf seiner Reise unter Kapitän Bougainville auch Brasilien besucht hatte, die Darstellungsweisen des Langsdorff’schen Brasilienberichts vor, die uns diesen Teil des amerikanischen Kontinents wie einen tropikalisierten locus amoenus mit nicht wenigen paradiesartigen Zügen zeigen, besingt Langsdorff doch nicht selten in bewegten Worten diese „paradiesische Gegend“55.
Mit der von Pernety immer wieder vorgetragenen Frage nach den Patagoniern56 im Kontext anderer indigener Gruppen greift das Mitglied der Berliner Akademie eine Problematik auf, die auch Jean-Jacques Rousseau nicht von ungefähr erwähnt hatte („sans oublier les Patagons vrais ou faux“57), um sie zweieinhalb Jahrhunderte nach Pigafettas ersten Berichten von Riesen in Patagonien endlich einer wissenschaftlichen Erforschung und abschließenden Bewertung zuführen zu können. Nicht umsonst hatte Pernety seinem Reisebericht eine Relation sur les Patagons beigefügt, die er publikumswirksam bereits in den Titel seines Journal historique aufnahm. Hatte nicht Pierre Moreau de Maupertuis höchstselbst, der Präsident der Berliner Akademie, zu den riesenhaften Patagoniern verlauten lassen, dass man vernünftigerweise nicht mehr an ihrer Existenz zweifeln könne?58 Es dürfte kaum überraschen, dass er de Pauws Behauptung, bei der Rede von den Menschen mit riesenhaftem Wuchs in Patagonien handele es sich um von europäischen Reisenden erflunkerte Fabelwesen, nicht nur die teilweise Manipulation von Quellen vorwarf,59 sondern in ganz grundsätzlicher Manier entgegentrat:
Je ne conçois pas comment Mr. de P. a entrepris d’anéantir l’existence des Patagons Geánts. En raisonnant suivant sa méthode philosophique, rien n’étoit plus capable que cette d’existence, de prouver à ses yeux, la dégradation & la dégénération de la race humaine en Amérique.60
Doch gerade an dieser Stelle wird deutlich, wie sehr Pernety mit seinem nicht selten sehr mechanisch wirkenden Bemühen, de Pauw in allen Punkten zu widerlegen, über sein Ziel hinausschoss und die Legitimität und Autorität seines eigenen Diskurses beschädigte. Dies dürfte entscheidend zu dem unbestreitbaren Faktum beigetragen haben, dass sich die von Pernety inkriminierte méthode philosophique des Cornelius de Pauw in der Berliner Debatte, also in jener zunächst von Berlin ausgehenden europäischen Phase des Disputs um die Neue Welt, letztlich durchzusetzen vermochte.
* * *
Ganz dem von Buffon übernommenen fundamentalen Argumentationsschema einer Zweiteilung, ja mehr noch einer Gegensätzlichkeit der beiden Hemisphären folgen nicht allein die naturhistorischen, sondern auch die kulturhistorischen Überlegungen der Recherches philosophiques sur les Américains. Sie sind sozusagen auf dem Stand der europäischen Aufklärung, die sich selbst als Maßstab für das gesamte Universum setzte und ihre europäische Universalisierung (und Europäisierung) der Welt auf allen Ebenen vorantrieb. Dabei machte Cornelius de Pauw von Beginn an deutlich, welches für ihn jenes historische Ereignis war, das aus seiner Sicht die Geschichte des Planeten am nachhaltigsten geprägt und gleichsam die naturhistorische Differenz zwischen Alter und Neuer Welt am stärksten hervorgetrieben und in den kulturgeschichtlichen Bereich deterministisch übersetzt hatte:
Il n’y a pas d’evénement plus mémorable parmi les hommes, que la Découverte de l’Amérique. En remontant des temps présents aux temps les plus reculés, il n’y a point d’evénement qu’on puisse comparer à celui là; & c’est sans doute, un spectacle grand & terrible de voir une moitié de ce globe, tellement disgraciée par la nature, que tout y étoit ou dégéneré, ou monstrueux.
Quel Physicien de l’Antiquité eut jamais soupçonné qu’une même Planète avoit deux Hémisphères si différents, dont l’un seroit vaincu, subjugué & comme englouti par l’autre, dès qu’il en seroit connu, après un laps de siécles qui se perdent dans la nuit & l’abyme des temps?
Cette étonnante révolution qui changea la face de la terre & la fortune des Nations, fût absolument momentanée, parce que par une fatalité presqu’incroiable, il n’existoit aucun équilibre entre l’attaque et la défense. Toute la force & toute l’injustice étoient du côté des Européens: les Américains n’avoient que de la foiblesse: ils devoient donc être exterminés & exterminés dans un instant.61
Der nicht umsonst an Jesuitenkollegs in Lüttich und Köln ausgebildete und überdies an der für außereuropäische Fragen bestens ausgestatteten Göttinger Universität eingeschriebene Cornelius oder Corneille de Pauw62 entfaltete in den wie stets bei ihm scharf konturierten Wendungen seines französischsprachigen Werkes eine Gegensätzlichkeit, welche die Opposition von „alter“ und „neuer“ Welt nun auf jene von „Europäern“ und „Amerikanern“ übertrug. Sie sind zwar Bewohner einer Welt, die schroffer zweigeteilt jedoch kaum vorstellbar sein könnte.
Zugleich wird in dieser Argumentations- und Diskursstruktur Kultur in Natur verwandelt. Und mehr noch: Die Welt Amerikas wird in ein Reich der Natur (zurück-)verwandelt, während Europa im Zeichen einer erfolgreich vorrückenden Kultur, Europas Civilisation, steht. Einem Reich der Zeichen steht ein Reich des Wissens, der Deutung dieser Zeichen, gegenüber. Aus dieser (europäischen) Kultur aber wird die Neue Welt folgenreich exkludiert. Wir haben es hier mit jener (gezielten) Konfusion von Biologie und Kultur zu tun, die Claude Lévi-Strauss in seiner Auseinandersetzung mit „Rasse“ und „Geschichte“ so stark betont hatte:
Mais le péché originel de l’anthropologie consiste dans la confusion entre la notion purement biologique de race (à supposer, d’ailleurs, que, même sur ce terrain limité, cette notion puisse prétendre à l’objectivité ce que la génétique moderne conteste) et les productions sociologiques et psychologiques des cultures humaines.63
An spektakulärer Inszenierung und überscharfer, dramatischer Beleuchtung ist de Pauws Argumentationsweise, die sich in ihrem weiteren Verlauf als ein gutes Beispiel für einen Rassismus avant la lettre begreifen ließe,64 kaum zu überbieten. Dabei bilden die Recherches philosophiques sur les Américains ein Werk aus Worten, das sich auf keinen empirisch untersuchten Gegenstand, sondern ausschließlich auf andere Werke und Worte, auf andere Texte und intertextuelle Netzwerke bezieht.
So steht das Werk de Pauws ein für eine Textwissenschaft im schwachen Sinne. Die Methode des Cornelius de Pauw, so ließe sich mithin sagen, war rein textbasiert: Sie ist in diesem Sinne eine spezifisch philologische Methode. Mit guten Gründen könnte man daher die Recherches philosophiques als eine nicht enden wollende Reise durch die Welt der Texte charakterisieren, wobei diese Reise von Beginn an ihren Ort der Ankunft und des Zieles kennt: Europa als Zentrum, als Höhepunkt allen Mensch-Seins. Ohne jegliche empirische Basis und ohne direkte Kenntnis der von ihm beschriebenen, diskutierten und bewerteten Gegenstände konsultierte de Pauw ebenso historische Chroniken wie zeitgenössische Reiseberichte, ebenso ihm zugängliche Bordbücher wie Manuskripte von Handelsreisenden, ebenso historiographische Werke des 16. Jahrhunderts wie philosophische Traktate des 18. Jahrhunderts. Er schuf eine riesige aufklärerische Textmaschine.
In diesen Bewegungen zwischen den Texten entsteht nicht nur eine gewisse Autonomie der von ihm durchquerten Textuniversen, sondern vielleicht mehr noch eine textuell erzeugte Autonomie und Eigen-Logik eines philosophe, der von einer erhöhten philosophischen Beobachterposition aus seine Urteile fällt und im Namen einer universalen Vernunft zu sprechen vorgibt. Es geht um eine Beherrschung der Gegenstände im Sinne einer Beherrschung der Texte. Denn Cornelius de Pauws „Neue Welt“ war eine Welt der Texte, auch wenn diese Welt keine Bibliothek (und schon gar keine „Bibliothek von Babel“) war.
Diese „Neue Welt“ wurde den rhetorischen Verfahren aufklärerischer Kritik ausgesetzt. Dabei schenkte der sich zum damaligen Zeitpunkt in Potsdam und Berlin aufhaltende Holländer in aller Regel europäischen Stimmen weitaus mehr Glauben als Autoren, die – wie etwa Garcilaso de la Vega el Inca – amerikanischer Herkunft waren, französischen Verfassern weit mehr Vertrauen als spanischen usw. Es gab für ihn schematisch klare Hierarchien der Glaubwürdigkeit. Entscheidend für seinen kritischen Umgang mit den ihm zur Verfügung stehenden Texten aber war, dass es für de Pauw darauf ankam, einzelne Textbausteine zu finden, die für seine eigene, völlig unabhängig von empirischen Befunden getroffenen Einschätzungen amerikanischer Gegenstände nützlich und diskursstützend erschienen.
So waren die von ihm hergestellten intertextuellen Relationen stets Beziehungen jener Macht, zitieren oder weglassen, affirmieren oder negieren, verlebendigen oder totschweigen zu können. Lesen und Schreiben, textuelles Inkludieren und Exkludieren sind die grundlegenden Handlungen, die im Mittelpunkt des der europäischen Aufklärung verpflichteten de Pauw’schen Textuniversums stehen. Die Normen für die Beurteilung dessen, was in dieser Welt der Texte als glaubwürdig gilt oder als lügnerisch ausgeschlossen werden muss, können allein von einem aufgeklärten Europa, insbesondere auch von Berlin aus definiert werden. Die Amerikaner sind folglich bei ihm Objekte, nicht aber Subjekte eines niemals auf Wechselseitigkeit beruhenden Diskurses, der ihnen mit Macht das Wort entzieht und zugleich an ihrer Stelle spricht.
De Pauws Bild des (indigenen) Amerikaners hat dabei nichts zu schaffen mit jenem des bon sauvage, des „Edlen Wilden“. Wir haben es vielmehr mit einem (im Sinne von Lévi-Strauss verstandenen) anthropologischen Entwurf zu tun, der diametral all dem entgegensteht, wofür vor de Pauw etwa ein Jean-Jacques Rousseau mit seinem Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes65 oder nach de Pauw ein Bernardin de Saint-Pierre mit Paul et Virginie66 einzustehen versuchten. Werfen wir an dieser Stelle einen kurzen Blick auf eine Zusammenfassung von Charakterzügen, wie sie für „den“ Indianer de Pauws – und die Verwendung des Singulars ist wie auch in anderen Bereichen seiner Recherches aufschlussreich – typisch sind und stereotyp wiederholt werden:
Il n’est proprement ni vertueux, ni méchant: quel motif auroit-il de l’être? La timidité de son ame, la foiblesse de son esprit, la nécessité de se procurer sa subsistance au sein de la disette, l’empire de sa superstition, & les influences du climat l’égarent, & l’égarent très-loin; mais il ne s’en aperçoit pas. Son bonheur est de ne pas penser, de rester dans une inaction parfaite, de dormir beaucoup, de ne se soucier de rien, quand sa faim est apaisée, & de ne se soucier que des moyens de trouver la nourriture, quand l’appétit le tourmente. Il ne construiroit pas de cabane, si le froid & l’inclémence de l’air ne l’y forçoient: il ne sortiroit pas de la cabane, s’il n’en étoit chassé par le besoin: sa raison ne vieillit pas: il reste enfant jusqu’à la mort, ne prévoit rien, ne perfectionne rien, & laisse la nature dégénérer à ses yeux, sous ses mains, sans jamais l’encourager & sans la tirer de son assoupissement. Fonciérement paresseux par naturel, il est vindicatif par foiblesse, & atroce dans sa vengeance, parce qu’il est lui-même insensible: n’ayant rien à perdre que la vie, il regarde tous ses ennemis comme ses meurtriers.67
Der Reduktion der unterschiedlichsten amerikanischen Kulturen auf das statische Bild „des“ Indianers entspricht die Reduzierung dieses Menschen auf eine quasi tierische Existenz, die von keinerlei Entwicklung, keinerlei Dynamik und keinerlei Perfektibilität gekennzeichnet ist. Der Indigene entwickelt sich nicht. Zugleich wird Kultur in Natur umkodiert. Damit wird „der“ Indianer, in einer unüberwindlichen Unmündigkeit gefangen, de facto aus der Geschichte der Menschheit ausgeschlossen, zu der er nichts beizutragen scheint, ja mehr noch: Er wird aus dem Menschengeschlecht ausgebürgert, eine Exklusion, die im zweiten, 1769 ebenfalls in Berlin erschienenen Band – wie wir in einem vorangehenden Zitat bereits gesehen haben – noch radikaler ins Werk gesetzt wird. „Dem“ Indigenen, „dem“ Indianer, „dem“ Amerikaner wird keinerlei menschheitsgeschichtliche Bewegungsmöglichkeit zugesprochen: Im Denken von Cornelius de Pauw bleibt ihm die Zukunft definitiv verschlossen.
Grundsätzliche und weit über den Horizont Pernetys hinausgehende Ein- und Widersprüche gegen Cornelius de Pauws Thesen ließen noch im 18. Jahrhundert nicht lange auf sich warten.68 So veröffentlichte etwa der aus Neuspanien ausgewiesene Jesuit Francisco Javier Clavijero in seinem italienischen Exil 1780 eine umfangreiche Geschichte des alten Mexiko,69 in welcher er eindrucksvoll die Diversität der indigenen Kulturen Amerikas auf dem Gebiet des heutigen Mexiko aufzeigte. Dabei gelang es diesem neuspanischen Autor nicht nur, den Thesen von de Pauw, aber auch von Raynal oder Robertson dadurch entgegenzutreten, dass in breiter Vielfalt amerikanische Quellen einschließlich der Bilderhandschriften und anderer indigener Dokumente miteinbezogen wurden; er trieb vielmehr eine Konstruktion der amerikanischen Vergangenheit voran, die als – im besten Sinne – Findung und Erfindung einer anderen Herkunft auch eine andere Zukunft für seine amerikanische Heimat ermöglichen sollte. Längst war in den Amerikas eine Aufklärung entstanden, die bisweilen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht wahrgenommen wurde und wird.
Dabei kam es in Kenntnis der spezifisch amerikanischen Geschichte und ihrer Kulturen zu einer Umwertung dieser Kulturen und letztlich auch der europäischen Expansion. Die präkolumbischen Kulturen erschienen bei Clavijero nicht länger als vernachlässigbare Randerscheinungen der Menschheitsgeschichte, sondern stellten sich selbstbewusst als amerikanische Antike einer europäischen Antike gegenüber. Dies ging nicht zuletzt auf die Schriften des von de Pauw verleumdeten Garcilaso de la Vega el Inca zurück, der einen solchen Vergleich zwischen den Kulturen der „Alten“ wie der „Neuen Welt“ auf Augenhöhe eingefordert hatte.70
Auf diese Weise wurden die indigenen amerikanischen Kulturen wieder in Bewegung gesetzt und eröffneten neue Perspektiven und Einsichten in eine andere, von Amerika aus zu gestaltende Zukunft. So legte die Berliner Debatte, in die Antoine-Joseph Pernety, „Le Philosophe la Douceur“ alias Zaccaria de Pazzi de Bonneville71, Giovanni Rinaldo Carli, Fray Servando Teresa de Mier y Guerra, Delisle de Sales, Francisco Javier Clavijero, George Washington, Drouin de Bercy und viele andere eingriffen, ein vielstimmiges Zeugnis davon ab, dass die République des Lettres des 18. Jahrhunderts allein von Europa aus längst nicht mehr zu begreifen war. Sehr wahrscheinlich war eben dies das einschneidendste Ergebnis der Berliner Debatte um die Neue Welt.
Zugleich kristallisierte sich heraus, dass die Vernichtung der Erde keine ferne Dystopie mehr war, sondern als historische Möglichkeit konkrete Gestalt angenommen hatte. Der scharfzüngige holländische Kleriker de Pauw, der sich zweimal – zunächst 1767 und 1768 sowie 1775 und 1776 – am Hofe Friedrichs des Großen in Berlin und Potsdam der königlichen Gunst erfreute und von Antonello Gerbi später auch mit Blick auf seine nachfolgenden langen Jahre in Xanten als „abbate prussiano“72 tituliert wurde, erkannte durchaus die zerstörerische und selbstzerstörerische Logik einer Entwicklung, in deren Kontext das, was in Europa vor sich geht, unmittelbare Folgen und Auswirkungen auf die ganze Welt, auf die gesamte Menschheit zeitigen könne. De Pauws Warnung war an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Längst seien die politischen und wirtschaftlichen Interessengegensätze zwischen den Europäern gerade in den Kolonialgebieten so ausgeprägt, dass es nur eines Funkens bedürfe, um die ganze Welt in Brand zu setzen:
[…] une étincelle de discorde, pour quelques arpents de terre au Canada, enflamme et embrase l’Europe; & quand l’Europe est en guerre, tout l’Univers y est: tous les points du globe sont successivement ébranlés comme par une puissance électrique: on a agrandi la scène des massacres et du carnage depuis Canton jusqu’à Archangel; depuis Buénos-Aires jusqu’à Quebec. Le commerce des Européens ayant intimement lié les différentes parties du monde par la même chaîne, elles sont également entraînées dans les révolutions & les vicissitudes de l’attaque & de la défense, sans que l’Asie puisse être neutre, lorsque quelques marchands ont des querelles en Amérique, pour des peaux de Castor, ou du bois de Campèche.73
De Pauws Analyse lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Dieselbe Kette („une même chaîne“) verbindet die Welt und bindet sie als Fessel auf Gedeih und Verderb zusammen. Ein Weltenbrand wird nicht nur denkbar, sondern möglich. Ein Außerhalb des Planeten gibt es nicht. Konflikte im Welthandel, dies hatte sich im 18. Jahrhundert bereits gezeigt, konnten unversehens zu militärischen Konfrontationen eskalieren, die man mit Fug und Recht als Weltkriege bezeichnen darf. Als Denker der Globalität, dessen Werk eine frühe Antwort auf die zweite Phase beschleunigter Globalisierung darstellt, waren de Pauw diese ebenso zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Komponenten globaler Zusammenhänge nicht entgangen.
Die bereits von Jean-Jacques Rousseau beklagten fundamentalen Widersprüche hinsichtlich der Asymmetrien des Wissens und der Macht vermochte Cornelius de Pauw, der niemals die engen Grenzen der ihm vertrauten Region Europas verließ, freilich nicht aufzulösen. Denn ein neuer Diskurs über die Neue Welt konnte erst mit jenem französisch inspirierten philosophe voyageur Alexander von Humboldt74 entstehen, für den die Berliner Debatte um die Neue Welt gleichsam die geistige Voraussetzung dafür bildete, neue weltumspannende Wege des Wissens zu finden und zu erfinden.
Denn es wäre ein Leichtes zu belegen, dass den in der Berliner Debatte vorgetragenen Positionen bereits jene Schriften, die Humboldt wenige Jahre nach der Rückkehr von seiner Reise in die amerikanischen Tropen (1799–1804) veröffentlichte, den wissenschaftlichen Todesstoß versetzten. So notierte der weitgereiste Gelehrte in seiner auf Paris im April 1813 datierten Einleitung in seine Vues des Cordillères et Monumens des Peuples Indigènes de l’Amérique mit großer Klarheit:
L’ardeur avec laquelle on s’étoit livré à des recherches sur l’Amérique, diminua dès le commencement du dix-septième siècle; les colonies espagnoles, qui enferment les seules régions jadis habitées par des peuples civilisés, restèrent fermées aux nations étrangères; et récemment, lorsque l’abbé Clavigero publia en Italie son Histoire ancienne du Mexique, on regarda comme très-douteux des faits attestés par une foule de témoins oculaires souvent ennemis les uns des autres. Des écrivains célèbres, plus frappés des contrastes que de l’harmonie de la nature, s’étoient plu à dépeindre l’Amérique entière comme un pays marécageux, contraire à la multiplication des animaux, et nouvellement habité par des hordes aussi peu civilisées que les habitans de la mer du Sud. Dans les recherches historiques sur les Américains, un scepticisme absolu avoit été substitué à une saine critique. On confondoit les descriptions déclamatoires de Solis et de quelques autres écrivains qui n’avoient pas quitté l’Europe, avec les relations simples et vraies des premiers voyageurs; il paroissoit du devoir d’un philosophe de nier tout ce qui avoit été observé par des missionnaires.
Depuis la fin du dernier siècle, une révolution heureuse s’est opérée dans la manière d’envisager la civilisation des peuples et les causes qui en arrêtent ou favorisent les progrès. Nous avons appris à connoître des nations dont les mɶurs, les institutions et les arts diffèrent presque autant de ceux des Grecs et des Romains, que les formes primitives d’animaux détruits diffèrent de celles des espèces qui sont l’object de l’histoire naturelle descriptive. La société de Calcutta a répandu une vive lumière sur l’histoire des peuples de l’Asie. Les monumens de l’Egypte, décrits de nos jours avec une admirable exactitude, ont été comparés aux monumens des pays les plus éloignés, et mes recherches sur les peuples indigènes de l’Amérique paroissent à une époque où l’on ne regarde pas comme indigne d’attention tout ce qui s’éloigne du style dont les Grecs nous ont laissé d’inimitables modèles.75
Diese Passage markiert einen vorläufigen Schlusspunkt in jener Berliner Debatte, in die auf beiden Seiten des Atlantiks so viele Reisende und so viele Daheimgebliebene eingegriffen hatten. Längst hatte sich eine transatlantische République des Lettres herausgebildet, die von Alexander von Humboldt sehr wohl wahrgenommen, von vielen anderen Philosophen im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts aber geleugnet wurde. Man darf sich heute mit Fug und Recht fragen, wie eine solche bis zum heutigen Tage in Europa anhaltende Debatte, welche die Aufklärung auf Philosophes aus sehr wenigen europäischen Nationen beschränkt, noch zu rechtfertigen ist.76 Für Alexander von Humboldt jedenfalls war es ausgemacht, dass Autoren der amerikanischen Aufklärung – und darunter verstehe ich die gesamte amerikanische Hemisphäre – notwendig in ein Verständnis der Aufklärung miteinbezogen werden mussten. Die Vehemenz, mit der die gesamte Berliner Debatte um die Neue Welt auf beiden Seiten des Atlantiks geführt wurde, belegt die Existenz dieses transatlantischen und tendenziell weltweiten Diskurses.
Ebensowenig wie die Werke Humboldts sind auch die Schriften Langsdorffs ohne diesen epistemologisch fundamentalen Hintergrund der Berliner Debatte nicht zu denken. Mit unverkennbaren Anspielungen auf die Werke de Pauws und Raynals signalisierte Alexander von Humboldt nicht nur die Entstehung eines neuen Diskurses über die Neue Welt, in dessen Geschichte der Name Clavijeros nicht fehlen durfte, sondern machte auch darauf aufmerksam, dass mit Blick auf „Westindien“ wie auf „Ostindien“ neue, empirische Grundlagen der Zirkulation von Wissen über die gesamte außereuropäische Welt entstanden waren. Das Bewusstsein, sein eigenes Werk in einer veritablen Epochenschwelle vorzulegen und zu dieser etwas Substanzielles beizutragen, hätte bei Alexander von Humboldt kaum ausgeprägter sein können. Er markierte damit eine veritable Epochenschwelle.
Die in der angeführten Passage in dichter Folge aufgeführten Aspekte wurden überdies in die heitere Semantik einer „glücklichen Revolution“ (die sich zutiefst von jener „étonnante révolution“ unterscheidet, von der de Pauw zu Beginn seines Werkes sprach77) gerückt. Zug um Zug entkräfteten neue Dokumente in den Archiven und Bibliotheken der Neuen wie der Alten Welt, aber auch die Feldforschungen vieler amerikanischer wie europäischer Gelehrter vor Ort die unhaltbar gewordenen Thesen des niederländischen Philosophen, dessen Name in den Schriften Humboldts kaum mehr genannt zu werden brauchte. Die Berliner Debatte hatte zu einem weltweiten Disput geführt, der in seinem Ergebnis wesentlich zu der von Humboldt beobachteten und belegten wissenschaftlichen Revolution beitrug. Ohne die Erfahrung und das Erleben der zweiten Phase beschleunigter Globalisierung und ihrer Konsequenzen hätte sich diese Wissenschaftsrevolution nicht auf eine so durchschlagende Weise vollzogen.
Eine „glückliche Revolution“ war dieser epistemische Wechsel für Alexander von Humboldt deshalb, weil im Unterschied zu allen anderen von ihm ins Feld geführten Revolutionen einschließlich der US-amerikanischen oder der Haitianischen Revolution wie auch der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsrevolution keinerlei Blut floss und keine langen Kriege geführt wurden. Dennoch hatte nach seinem Dafürhalten eine tiefgreifende Revolution stattgefunden, die zu einer Veränderung des Denkens und unter anderem dazu führte, dass sich die Reisen europäischer Gelehrter nicht länger auf die Erforschung der Küstengebiete der außereuropäischen Welt beschränkten konnten, sondern tief ins Landesinnere vorstoßen mussten.
All dies sollte uns freilich nicht dazu verleiten, die Auswirkungen gerade auch der Thesen des Cornelius de Pauw zu unterschätzen. Denn dem Hauptwerk de Pauws kam zweifellos eine zwar diffuse, aber langanhaltende und nicht selten subkutane Wirkung zu, die sich keinesfalls an der expliziten Bezugnahme auf den Namen des Holländers festmachen lässt. Es wäre daher keinesfalls übertrieben, in Weiterentwicklung der Überlegungen Antonello Gerbis78 von einer diffusen Langzeitwirkung zu sprechen, die sich insbesondere auf die Philosophie, aber auch auf den Spannungsraum von Philologie und Rassismus beziehen ließe. Denn das Inferioritätsdenken de Pauws blieb mit Blick auf die außereuropäische Welt nicht nur in Hegels berühmten Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte noch lange in Europa lebendig.
Mit der Einsicht in das Historisch-Gewordensein der Berliner Debatte verbindet sich heute die Notwendigkeit, dieses historische Gewordensein polylogisch und relational, kritisch und selbstkritisch an den Anforderungen der vor einem knappen Jahrzehnt zu Ende gegangenen vierten Phase beschleunigter Globalisierung zu überprüfen, um die konstruktive, kreative – und nicht die zerstörerische – Macht der Wissenschaften zu nutzen und ein adäquateres Geschichtsbild zu entfalten. Dabei gilt es, in einer ganz grundlegenden Weise Aufklärung als ein weltumspannendes Epochenphänomen zu begreifen, wobei man allen Versuchungen widerstehen sollte, Vertreter der Aufklärung europäischer oder amerikanischer Herkunft schematisch einander entgegenzustellen und unter Missachtung der tatsächlichen Komplexität der Diskussionen, Diskurse und Debatten je nach eingenommenem Blickwinkel positiv oder negativ zu bewerten. Die Aufklärung, der Siècle des Lumières, ist nicht teilbar.
Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff steht mit seiner Expedition von 1824 bis 1828 zweifellos auf der Seite jener „glücklichen Revolution“, die allem Wissen über die sogenannte Neue Welt eine neue empirische Grundlage zu verschaffen suchte. Die gesamte Anlage dieser Expedition zeugt davon, dass die „Reisen um die Welt“, auf denen jeweils nur Küstengebiete besucht wurden, Expeditionen Platz gemacht hatten, die tief ins Landesinnere vorstießen und den Kenntnis- und Erkenntnischarakter der Forschungsreisen fundamental ausweiteten. Die russischen Weltumsegelungen unter Krusenstern oder auch unter Kotzebue, zu welcher Adelbert von Chamisso einen wunderbaren Reisebericht vorlegte,79 waren Nachzügler jener Reisen, die einst James Cook oder Louis-Antoine de Bougainville lange Jahrzehnte zuvor berühmt gemacht hatten.
Auch und gerade in Langsdorffs Schriften ist die berühmte und so lange Zeit prägende Berliner Debatte um die Neue Welt nicht zu einem Ende gekommen. Wir können sein gesamtes Schaffen nicht einfach nach der „glücklichen Revolution“ ansiedeln. Schreibt er sich auch mit seiner nur durch ein glückliches Zusammenspiel von Zufällen zustande gekommenen Teilnahme an der großen russischen Weltumsegelung deutlich auf der Seite der philosophes voyageurs ein und richtet sich seine eigene Expedition auch dezidiert am neuen empirisch fundierten Forschungsparadigma aus, so verdankt gerade seine Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten indigenen Kulturen doch noch viel den Einschätzungen eines de Pauw und dessen Anhängern.
Doch die eingangs zitierte Liebeserklärung, die Langsdorff bereits in seinem frühen Reisebericht an Brasilien richtet, ist freilich weit mehr als die emphatische Äußerung eines Gefühls. Vielmehr schreibt der Forscher, dass er mit der Fortsetzung der russischen Weltumsegelung „das schönste und reichste Land der Erde“80 besucht habe. Und er fügt noch einen Satz hinzu, in dem sich bereits die Konturen eines Lebensprojekts abzuzeichnen scheinen: „Die Rückerinnerung an meinen Aufenthalt in Brasilien wird mir zeitlebens unvergeßlich bleiben!“81
Bernardin de Saint-Pierre, Jacques-Henri: Paul et Virginie. Paris: Editions Garnier Frères 1964.
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Pernety, Antoine-Joseph: Dissertation sur l’Amérique et les Naturels de cette partie du Monde. In: Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, ou Mémoires intéressants pour servir à l’Histoire de l’Espèce humaine par Mr. de P. Nouvelle Edition, augmentée d’une Dissertation critique par Dom Pernety; & de la Défense de l’Auteur des Recherches contre cette Dissertation. 3 Bde. Berlin: Decker 1770, Bd. 3, S. 7f.
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Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes. In (ders.): Œuvres complètes. Bd. III. Edition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond avec, pour ce volume, la collaboration de François Bouchardy, Jean-Daniel Candaux, Robert Derathé, Jean Fabre, Jean Starobinski et Sven Stelling-Michaud. Paris: Gallimard 1975, S. 213.
Zantop, Susanne: Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany 1770–1870. Durham – London: Duke University Press 1997, S. 47.
1 Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807 von G. H. von Langsdorff, Kaiserlich-Russischer Hofrath, Ritter des St. Annen-Ordens zweiter Classe, Mitglied mehrerer Akademien und gelehrten Gesellschaften. Mit acht und zwanzig Kupfern und einem Musikblatt. 2 Bde. Frankfurt am Main: Im Verlag bey Friedrich Eilmans 1812.
2 Ebda., S. 27.
3 Ebda.
4 Ebda., S. 29.
5 Vgl. zu den Diskursen der Tropen Ette, Ottmar: „Tropendiskurse/Diskurstropen. Die Literaturen der Welt und die TransArea Studien.“ In: Hassler, Gerda (Hg.): Akten der Leibniz-Sozietät Berlin (im Druck).
6 Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807 von G. H. von Langsdorff, S. xix.
7 Ebda., S. 26.
8 Zu den vier verschiedenen Phasen beschleunigter Globalisierung vgl. Ette, Ottmar: TransArea. Eine literarische Globalisierungsgeschichte. Berlin – Boston: Walter de Gruyter 2012.
9 Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807 von G. H. von Langsdorff, S. 49.
10 Vgl. hierzu die wichtige Zusammenstellung von Costa, Maria de Fátima/Diener, Pablo (Hg.): Viajando nos Bastidores: Documentos de Viagem da Expediçao Langsdorff. Cuiabá: Ministério da Educaçao e do Desporto 1995.
11 Zur historischen Dimension des Wechselspiels von Fülle und Falle vgl. insbes. Kapitel III in Ette, Ottmar: Konvivenz. Literatur und Leben nach dem Paradies. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2012, S. 102–146.
12 Zu den Dokumenten der Zerrüttung zwischen Langsdorff und Rugendas in Brasilien vgl. Costa, Maria de Fátima/Diener, Pablo: Entorno dos documentos. In (dies., Hg.): Viajando nos Bastidores: Documentos de Viagem da Expediçao Langsdorff, S. 20–25.
13 Zur Humboldt’schen Forschungsreise vgl. Knobloch, Eberhard: Erkundung und Erforschung. Alexander von Humboldts Amerikareise. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz (Potsdam – Berlin) VII, 13 (2006), S. 55–73.
14 Vgl. Ette, Ottmar: ReiseSchreiben. Potsdamer Vorlesungen zur Reiseliteratur. Berlin – Boston: Walter de Gruyter (Reihe Aula, 1) 2020.
15 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes. In (ders.): Œuvres complètes. Bd. III. Edition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond avec, pour ce volume, la collaboration de François Bouchardy, Jean-Daniel Candaux, Robert Derathé, Jean Fabre, Jean Starobinski et Sven Stelling-Michaud. Paris: Gallimard 1975, S. 213.
16 Ebda.
17 Diese Überlegungen habe ich aus einer anderen Perspektive und mit Blick auf die Epistemologie von Auge und Ohr erstmals vorgestellt in Ette, Ottmar: Diderot et Raynal: l’ɶil, l’oreille et le lieu de l’écriture dans l’„Histoire des deux Indes“. In: Lüsebrink, Hans-Jürgen/Strugnell, Anthony (Hg.): L’„Histoire des deux Indes“: réécriture et polygraphie. Oxford: Voltaire Foundation 1996, S. 385–407.
18 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, S. 214.
19 Vgl. hierzu Bernaschina, Vicente/Kraft, Tobias/Kraume, Anne (Hg.): Globalisierung in Zeiten der Aufklärung. Texte und Kontexte zur „Berliner Debatte“ um die Neue Welt (17./18. Jh.). 2 Bde. Frankfurt am Main – Bern – New York: Peter Lang Edition 2015.
20 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, S. 213.
21 Vgl. Duchet, Michèle: Diderot et l’Histoire des Deux Indes ou l’Ecriture Fragmentaire. Paris: Nizet 1978, S. 84.
22 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, S. 213.
23 Raynal, Guillaume-Thomas: Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des européens dans les deux Indes. Tome cinquième. Genève: Chez Jean-Léonard Pellet, Imprimeur de la Ville & de l’Académie 1781, S. 43.
24 Vgl. zum Wandel des Bilds der Natur Knobloch, Eberhard: Alexander von Humboldt et l’image de la nature. In: Savoy, Bénédicte/Blankenstein, David (Hg.): Les frères Humboldt, l’Europe de l’esprit. Paris: Editions de Monza 2014, S. 131–148.
25 Raynal, Guillaume-Thomas: Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des européens dans les deux Indes, S. 43.
26 Diderot, Denis: Supplément au Voyage de Bougainville ou Dialogue entre A et B. In (ders.): Œuvres. Edition établie et annotée par André Billy. Paris: Gallimard 1951, S. 964.
27 Vgl. hierzu Ette, Ottmar: „Le tour de l’univers sur notre parquet“: lecteurs et lectures dans l’„Histoire des deux Indes“. In: Bancarel, Gilles/Goggi, Gianluigi (Hg.): Raynal, de la polémique à l’histoire. Oxford: Voltaire Foundation 2000, S. 255–272.
28 Vgl. Blumenberg, Hans: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986.
29 Vgl. zu diesen Zusammenhängen umfassender das dritte Kapitel in Ette, Ottmar: Literatur in Bewegung. Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2001.
30 Vgl. seine Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807 von G. H. von Langsdorff, Kaiserlich-Russischer Hofrath, Ritter des St. Annen-Ordens zweiter Classe, Mitglied mehrerer Akademien und gelehrten Gesellschaften. Mit acht und zwanzig Kupfern und einem Musikblatt, Bd. 1, S. vf.
31 Vgl. Gerbi, Antonello: La disputa del nuovo mondo. Storia di una polemica: 1750–1900. Nuova edizione a cura di Sandro Gerbi. Con un profilo dell’autore di Piero Treves. Milano – Napoli: Riccardo Ricciardi editore 1983.
32 Vgl. hierzu Ette, Ottmar: Cornelius de Pauw, Friedrich II. und die Neue Welt – Oder: Der Sinn der Macht, die Macht über den Sinn und die Macht der Sinne. In: Jahrbuch 2013 des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz (Mainz) (2014), S. 61–95.
33 Vgl. Pernety, Antoine-Joseph: Journal historique d’un Voyage aux Iles Malouïnes en 1763 & 1764, pour les reconnoître, & y former un établissement; et de deux Voyages au Détroit de Magellan, avec une Relation sur les Patagons. 2 Bde. Berlin: Etienne de Bourdeaux 1769.
34 Vgl. hierzu ausführlicher Ette, Ottmar: Die „Berliner Debatte“ um die Neue Welt. Globalisierung aus der Perspektive der europäischen Aufklärung. In: Bernaschina, Vicente/Kraft, Tobias/Kraume, Anne (Hg.): Globalisierung in Zeiten der Aufklärung. Texte und Kontexte zur „Berliner Debatte“ um die Neue Welt (17./18. Jh.). Teil 1, S. 27–55.
35 Vgl. hierzu Langsdorffs Darstellung in seinen Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807, Bd. 1, S. 22f.
36 Vgl. Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, ou Mémoires intéressants pour servir à l’Histoire de l’Espèce humaine. 2 Bde. Berlin: Chez Georges Jacques Decker, Imp. du Roi 1768–1769.
37 Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, Bd. II, S. 68f.
38 Vgl. hierzu auch Gerbi, Antonello: La Disputa del Nuovo Mondo, S. 120–125.
39 Ich zitiere nach der von Cornelius de Pauw in dem dritten Band seiner 1770 erschienenen dreibändigen Ausgabe der Recherches philosophiques aufgenommenen Fassung; vgl. Pernety, Antoine-Joseph: Dissertation sur l’Amérique et les Naturels de cette partie du Monde. In: Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, ou Mémoires intéressants pour servir à l’Histoire de l’Espèce humaine par Mr. de P. Nouvelle Edition, augmentée d’une Dissertation critique par Dom Pernety; & de la Défense de l’Auteur des Recherches contre cette Dissertation. 3 Bde. Berlin: Decker 1770, Bd. 3, S. 7f.
40 Ebda., S. 4f.
41 Ebda., S. 5.
42 Ebda., S. 114.
43 Ebda., S. 114f.
44 Ebda., S. 115.
45 Ebda.
46 Ebda., S. 115f.
47 Vgl. Langsdorffs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807, S. 99–108.
48 Ebda., S. 99.
49 Vgl. Pernety, Antoine-Jseph: Dissertation sur l’Amérique et les Naturels de cette partie du Monde. In: Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, ou Mémoires intéressants pour servir à l’Histoire de l’Espèce humaine par Mr. de P. Nouvelle Edition, augmentée d’une Dissertation critique par Dom Pernety; & de la Défense de l’Auteur des Recherches contre cette Dissertation, Bd. 3, S. 32.
50 Ebda.
51 Ebda., S. 35.
52 Ebda., S. 36.
53 Ebda., S. 43.
54 Ebda., S. 42.
55 Vgl. hierzu Langsdorffs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807, S. 29.
56 Vgl. Pernety, Antoine-Joseph: Dissertation sur l’Amérique et les Naturels de cette partie du Monde, Bd. 3, S. 49f.: „Si nous remontons du septentrion jusqu’à l’extrémité méridionale du nouveau Continent, tous les peuples que nous rencontrons sur notre route, offrent des hommes bien constitués. Tels sont, si nous en croyons Vincent le Blanc & les autres Voyageurs, les Mexicains, les Brésiliens, les Péruviens, ceux du Paraguai, du Chili & enfin les Patagons.“
57 Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, S. 213.
58 Vgl. hierzu Moureau, François: L’Amérique n’a aucun avenir: les idées „philosophiques“ de Cornelius De Pauw. In: Travaux de Littérature (Genève) 24 (2011), S. 66.
59 Pernety, Antoine-Joseph: Dissertation sur l’Amérique et les Naturels de cette partie du Monde, S. 68.
60 Ebda., S. 51.
61 Ebda., Bd. I, S. a2v f.
62 Vgl. hierzu Church, Henry Ward: Corneille de Pauw, and the controversy over his „Recherches philosophiques sur les Américains“. In: PMLA (New York) LI, 1 (March 1936), S. 180f.; sowie Beyerhaus, Gisbert: Abbé de Pauw und Friedrich der Große, eine Abrechnung mit Voltaire. In: Historische Zeitschrift (München – Berlin) 134 (1926), S. 465–493; sowie Moureau, François: L’Amérique n’a aucun avenir, S. 68.
63 Lévi-Strauss, Claude: Race et histoire. Suivi de L’ɶuvre de Claude Lévi-Strauss par Jean Pouillon. Paris: Denoël 1984, S. 10.
64 Vgl. hierzu Ette, Ottmar: Wörter – Mächte – Stämme. Cornelius de Pauw und der Disput um eine neue Welt. In: Messling, Markus/Ette, Ottmar (Hg.): Wort Macht Stamm. Rassismus und Determinismus in der Philologie (18./19. Jh.). Unter Mitarbeit von Philipp Krämer und Markus A. Lenz. München: Wilhelm Fink Verlag 2013, S. 107–135.
65 Vgl. Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes (1975).
66 Bernardin de Saint-Pierre, Jacques-Henri: Paul et Virginie. Paris: Editions Garnier Frères 1964.
67 Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, Bd. 1, S. 123.
68 Vgl. hierzu ausführlich Ette, Ottmar: Archeologies of Globalization. European Reflections on Two Phases of Accelerated Globalization in Cornelius de Pauw, Georg Forster, Guillaume-Thomas Raynal and Alexander von Humboldt. In: Culture & History Digital Journal (Madrid) I, 1 (June 2012), DOI: http://dx.doi.org/10.3989/chdj.2012.003.
69 Vgl. Clavijero, Francisco Javier: Storia Antica del Messico. 4 Bde. Cesena: Gregorio Biasani 1780.
70 Vgl. zu Garcilaso de la Vega el Inca und dessen Forderung nach einer Umwertung der präkolumbischen Kulturen im Kontext transandiner Literatur- und Kulturbeziehungen Ette, Ottmar: Viellogische Philologie. Die Literaturen der Welt und das Beispiel einer transarealen peruanischen Literatur. Berlin: Verlag Walter Frey – edition tranvía 2013.
71 Vgl. hierzu Zantop, Susanne: Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany 1770–1870. Durham – London: Duke University Press 1997, S. 47.
72 Gerbi, Antonello: La Disputa del Nuovo Mondo. Storia di una Polemica: 1750–1900, S. 117.
73 Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, Bd. 1, S. 90.
74 Vgl. zum Kontext der Lumières wie zur Globalisierung Knobloch, Eberhard: Alexander von Humboldt et les lois de la nature. Le naturaliste allemand et son modèle français. In: Espagne, Michel (Hg.): La sociabilité européenne des frères Humboldt. Paris: Editions Rue d’Ulm 2016, S. 151–162; sowie Ette, Ottmar: Alexander von Humboldt und die Globalisierung. Das Mobile des Wissens. Frankfurt am Main – Leipzig: Insel Verlag 2009.
75 Humboldt, Alexander von: Vues des Cordillères et Monumens des Peuples Indigènes de l’Amérique. Nanterre: Editions Erasme 1989, S. 96, S. IIf.
76 Für eine andere Konzeption der Aufklärung vgl. Ette, Ottmar: Aufklärung zwischen zwei Welten. Potsdamer Vorlesungen zu den Hauptwerken der romanischen Literaturen des 18. Jahrhunderts. Berlin – Boston: Walter de Gruyter (Reihe Aula, 5) 2021.
77 Pauw, Cornelius de: Recherches philosophiques sur les Américains, Bd. 1, S. a2v.
78 Vgl. hierzu Gerbi, Antonello: La Disputa del Nuovo Mondo, S. 118f.
79 Vgl. Chamisso, Adelbert von: Reise um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den Jahren 1815–1818 auf der Brigg Rurik, Kapitän Otto von Kotzebue. In (ders.): Sämtliche Werke. Band II. München: Winkler Verlag 1975.
80 Langsdorffs Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807, S. 67.
81 Ebda.