Tobias Kraft
Der vorliegende Text versucht, das in der Humboldt-Forschung weithin bekannte und gut erforschte Thema „Humboldt und die Sklaverei“ biographisch neu einzuordnen und orientiert sich dabei an folgender These: Humboldt durchläuft in den Jahrzehnten nach seiner Reise durch die amerikanischen Tropen (1799–1804) verschiedene Phasen in der Beschäftigung mit dem Thema Sklaverei. Im Laufe dieser Phasen, die keineswegs einer chronologischen Ordnung folgen, sondern zum Teil parallel verlaufen, nimmt Humboldt verschiedene soziale Rollen an, die ihren Ausdruck in spezifischen Haltungen und Handlungen finden. In ihrer Summe zeichnen sie ein für das Verständnis von Humboldts Persönlichkeit typisches Psychogramm: ein selbstbewusster Moralist, ein rigoroser, beinahe kriminalistisch agierender Wissenschaftler, ein politisch zurückhaltender Akteur.
This text seeks to reframe the widely known and well-researched topic of “Humboldt and Slavery” biographically and subscribes to a simple premise: In the decades following his voyage through the American tropics (1799–1804), Humboldt goes through various stages in addressing the topic of slavery. In the course of these stages, which by no means follow a chronological order but run partly parallel, Humboldt assumes different social roles that find expression in specific attitudes and actions. Taken together, they draw a psychogram typical for understanding Humboldt’s personality: a self-confident moralist, a rigorous scientist, a politically reserved activist.
El objetivo de este texto es reclasificar desde un punto de vista biográfico el ampliamente conocido e investigado tema de “Humboldt y la esclavitud” y se guía por la siguiente tesis: Humboldt pasa por varias fases en su interés por el tema de la esclavitud en las décadas posteriores a su viaje por los trópicos americanos (1799–1804). En el transcurso de estas fases, que no siguen en absoluto un orden cronológico sino que transcurren en parte paralelamente, Humboldt asume diferentes roles sociales que se expresan en actitudes y acciones específicas. En conjunto, presentan un psicograma típico para comprender la personalidad de Humboldt: un moralista confiado, un científico riguroso, un actor políticamente reservado.
Die Motivation, mich nach einigen Jahren erneut1 mit diesem Thema zu beschäftigen, geht zurück auf eine Kooperation mit der Stiftung Humboldt Forum und der gemeinsam mit der Regisseurin Mirah Laline begonnenen Veranstaltungsreihe „Das Humboldt-Experiment“.2 In den Diskussionen und Proben für die „Lecture-Performance“, die als szenische Begegnung zwischen (Theater-)Kunst und Wissenschaft konzipiert wurde, zeigten mir die Gespräche „Über das System Sklaverei“ (so der Titel von Teil 2 der Reihe) mit Mirah und ihrem Team eindrücklich, wie einseitig das Nachdenken über ein Thema ausfallen kann, wenn man dem Horizont der eigenen Lektüren und Vorannahmen zu sehr vertraut oder glaubt, einiges, das man für selbstverständlich erachtet, nicht mehr ausführen zu müssen. Dieser Text verdankt viele seiner Überlegungen den Gesprächen und Begegnungen mit Mirah, Uriara Maciel, Txepetite, Thiago Rosa, Kathleen Kunath, Zé de Paiva und Andreina Vieira dos Santos. Er ist zugleich Ausdruck einer Manuskript-Arbeit, die auf ein nicht (ausschließlich) akademisches Publikum abzielt, formuliert daher an einigen Stellen verallgemeinernder, als dies für gewöhnlich in einem wissenschaftshistorischen Aufsatz gewünscht wird.3
Der Begriff der „Humanité“ beschreibt den Anspruch des Menschen an sich selbst als moralisches Wesen. Ein Wort, das in der Tradition westeuropäischer Aufklärung für einen „edlen und erhabenen Enthusiasmus“ steht „[…], um Sklaverei, Aberglauben, Laster und Unglück abzuschaffen“ (Diderot und Jaucourt 1765, 348a).4 So formuliert es im 18. Jahrhundert höchst politisch die Encyclopédie von Diderot und D’Alembert.
Humanité, Menschlichkeit: Ein wichtiges Wort für den preußischen Forschungsreisenden Alexander von Humboldt. Mit diesem Wort endet das 28. Kapitel der Relation historique. Der Bericht zur Reise durch die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents, wie die berühmte Schrift im Deutschen heißt, verfasste Humboldt in den Jahren 1815–1831 auf Französisch. Das 28. Kapitel des Reiseberichts enthält Humboldts wichtigsten Text zur Karibik-Insel Kuba, den „Essai politique sur l’île de Cuba“. In späteren Jahren sollte dieser Text zu einer der bekanntesten Quellen der kubanischen Wissenschafts- und Kulturgeschichte werden. Der Text war Humboldt so wichtig, dass er ihn mit zahlreichen Umstellungen5 im Jahr 1826 in Paris erneut veröffentlichte als eigenständiges Werk in zwei Bänden (Humboldt 1826a, 1826b). In Humboldts Schrift geht es um die politischen, wirtschaftlichen und demographischen Verhältnisse der größten der Antilleninseln. Eine Insel, die im 18. und 19. Jahrhundert bekannt war als Welt-Zentrum der Zuckerproduktion und des globalen Zuckerhandels. Es geht in Humboldts Schrift daher auch und vor allem um das System Sklaverei im transkolonialen Geflecht der Karibik.
Der Absatz, mit dem Humboldt das 28. Kapitel seines Reiseberichts beendet, markiert Humboldts Abschied von Kuba, am Ende seines ersten Aufenthalts 1801. Zum Zeitpunkt der Abreise hatte François-Dominique Toussaint Louverture in Saint Domingue eine neue Verfassung erlassen, doch noch herrschte Krieg mit der Kolonialmacht Frankreich unter Napoleon Bonaparte. Drei Jahre später, als Humboldt erneut Kuba besucht, ist der Krieg auf Saint Domingue vorbei. Die Revolution der versklavten Bevölkerung endet mit der Unabhängigkeitserklärung des neuen Staates Haiti am 1. Januar 1804. Für die Eliten in der kolonialen Welt ist Haiti ein Schreckensbild. Für Humboldt nicht. Das Problem sind die Eliten selbst, die in dem Fanal der erfolgreichen Revolution nicht ihre eigene Verantwortung für einen Wandel und das Potenzial für Frieden in der atlantischen Welt erkennen. Humboldt, der die letzten Sätze seines 28. Kapitels vermutlich 1825 verfasst, verbindet hier beide Perspektiven. Die Zeugenschaft eines europäischen Forschungsreisenden beim vorläufigen Abschied aus der Karibik vermischt sich mit der Distanz des Schriftstellers am Pariser Schreibtisch, zwei Jahrzehnte später. Die Mischung aus Rückblick und Aufbruch im Moment der Abreise sind bei Humboldt nicht bloß der erzählerische Allgemeinplatz einer langjährigen Expedition, sondern motivieren ihn zu sehr spezifischen, wohl platzierten Betrachtungen über die Natur und das Schicksal der Menschen. Zunächst bedient er die Erwartungen seiner Leser mit einem topischen Rückblick auf das kleiner werdende Ufer, der an ähnliche Passagen zur Abreise aus La Coruña im Juni 1799 erinnert: „Ich dachte bei mir selbst, wie wichtig gerade der Augenblik des Absegelns (das Auslaufen aus dem Hafen) sei […] Mein Auge war fest auf die Küste geheftet.“ (ART I, Bl. 2v6, Humboldt 2022, 96). Doch dient der Abschied von der Insel keiner Hommage an Kuba, sondern einer Reflexion über den politischen Zustand der großen Antillen, über die Erfolge der haitianischen Revolution und die unausweichliche Entwicklung hin zu einer Gesellschaft freier Menschen.
Da die Brise in nordöstlicher Richtung immer stärker wehete, […] verloren [wir] nun das mit Palmbäumen bewachsene Gestade, die Hügel, welche die Stadt Trinidad decken, und die hohen Berge der Insel Cuba aus den Augen. Es liegt etwas Feyerliches in dem Anblick eines Landes, das man verläßt, und das sich allmählig unter den Horizont des Meeres niedersenkt. Dieser Eindruck ward umso gewichtiger und ernster in einem Zeitpunct, wo St. Domingue als Mittelpunct großer politischer Stürme die übrigen Inseln in einen jener blutigen Kämpfe zu verwickeln schien, in denen sich dem Menschen die Wildheit und Wuth seines Geschlechtes offenbaren. Diese Drohungen und Besorgnisse sind glücklicherweise nicht in Erfüllung gegangen; der Sturm hat sich, da wo er seinen Ursprung nahm, auch wieder gelegt, und eine freye schwarze Bevölkerung hat, ohne den Frieden der benachbarten Antillen zu stören, einige Fortschritte in Milderung der Sitten so wie in Gründung von guten bürgerlichen Einrichtungen gemacht. […] Sollte die Ruhe, welche man auf den spanischen und britischen Inseln während sechsundzwanzig Jahren seit der ersten Revolution von Haiti genossen hat, noch fernerhin den weißen Menschen eine verderbliche Sicherheit einflößen, welche alle Verbesserungen der Verhältnisse des Sclavenstandes verächtlich von der Hand weiset? […] Drohende Gefahr wird Bewilligungen auswirken, welche die ewigen Grundsätze des Rechts und der Humanität längst heischten. (Humboldt und Bonpland 1829, 277–278)7
Die in der Erstübersetzung etwas holprige Stelle am Ende dieses berühmten Textes ist bisher nicht ausreichend gewürdigt worden.8 Gerechtigkeit und Menschlichkeit bleiben die entscheidenden Leitplanken einer werteorientierten Politik. Aber in der Wirklichkeit der karibischen Kolonialgesellschaften würde nur die Furcht vor neuer Gewalt (durch Sklavenrevolten) Veränderungen auslösen können. „Humanität“ gibt es in Kuba nur als Zugeständnis an die eigene Angst. Zugleich fällt Humboldts wohlwollendes Urteil über das postrevolutionäre Haiti auf. Es war auch in den 1820er Jahren keineswegs selbstverständlich, die Entwicklung der Nachbarinsel zu Kuba so positiv einzuschätzen. Das Statement war eindeutig: Von Haiti geht keine Gefahr für die politische Ordnung im karibischen Raum aus, von den noch existierenden Sklavenhaltergesellschaften aber sehr wohl.
Für Humboldt gab es keine biologischen Hierarchien zwischen verschiedenen Menschengruppen, keine Ordnung der Rassen. Entscheidend für seine Sicht ist das Problem der Klassen in einer kolonialen Gesellschaft, die durch eine Zuschreibung qua Herkunft und Rasse unterscheidet in Herren und Diener.9 Über die Reformfähigkeit der herrschenden Elite machte er sich keine Illusionen. Nicht der Humanismus in den Köpfen bringt gesellschaftlichen Wandel, sondern die „drohende Gefahr“, die Angst also vor den Folgen der Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei (Abolition) sowie der rechtlichen Gleichstellung „des Sclavenstandes“ (Emanzipation). Ob nun aus Angst oder Einsicht: Entscheidend bleibt für Humboldt, das politische Handeln an den „ewigen Grundsätzen des Rechts und der Humanität“ auszurichten. Für ihn ist eine Formel entscheidend, an die er nicht nur als 30-jähriger Tropenreisender oder als sechzigjähriger Reiseschriftsteller glaubt. Er schreibt sie auch an prominenter Stelle nieder in seinem Kosmos, rund fünfzig Jahre nach seiner Anlandung in den amerikanischen Tropen. Das Zitat ist längst in den Kanon der Humboldt-Evergreens übergegangen, hat aber bis heute nichts von seiner Relevanz für das Verständnis von Humboldts Humanismus eingebüßt:
Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen. Es giebt bildsamere, höhere gebildete, durch geistige Cultur veredelte, aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt; zur Freiheit, welche in roheren Zuständen dem Einzelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politischer Institutionen der Gesammtheit als Berechtigung zukommt. (Humboldt 1845, 385)
Damit widerspricht Humboldt jenen Untersuchungen im Europa der 1840er Jahre, in denen eine bereits im 18. Jahrhundert (Lentz 2020, 80–82) durch europäische Medizin und Anthropologie begründete Rassenlehre den Boden bereiten sollte für eine wissenschaftliche Legitimierung rassistischer Klassifikationen, die sich bekanntermaßen in der Folge von Darwins bahnbrechender Studie On the Origin of Species als brutaler Sozialdarwinismus äußern und die weltpolitischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts diskursiv und ideologisch vorbereiten sollte. Zugleich geht die Geschichte eines europäischen Rasse-Denkens zurück bis in die Ursprünge der Aufklärung, etwa zu David Hume, Voltaire oder Immanuel Kant (Eckert 2010, 244–245).10 Humboldts klare Position im Kosmos ist also keineswegs selbstverständlich, sondern Teil einer europäischen Debatte um den absoluten oder relativen Stellenwert des menschlichen Lebens.
Rassismus und Sklaverei sind nicht das gleiche. Die Ursachen für Sklaverei und Sklavenhandel in der atlantischen Welt sind ökonomischer Natur und Folge einer radikalen Ideologie der Extraktion und Ausbeutung von Natur und Mensch zum Vorteil der europäischen und eurokolonialen Wirtschaft.11 Der europäische Merkantilismus betrachtet den afrikanischen Körper als Ressource für Wachstum und globale Handelswege. Es ist ein „Kapitalismus der Körper“ (Zeuske 2013, 452).12 Doch die Selbstverständlichkeit, mit der man die gewaltsame Verschleppung hunderttausender Menschen über Jahrhunderte legitimieren konnte, erklärt sich nicht ohne einen kulturell und politisch tief verankerten Rassismus der eurokolonialen Gesellschaften. Sklaverei gab es lange vor den modernen Ausprägungen rassistischen Denkens. Aber Rassismus und seine Folgen bis heute sind ohne das System des transatlantischen Sklavenhandels und ohne die Sklavereigesellschaften des atlantischen Amerikas nicht zu denken (vgl. Meissner et al. 2008, 13–15, 30–32).
Die Aufklärung folgte der Idee einer idealen, auf Vernunft und vernunftbasierter Politik begründeten Gesellschaftsordnung, in der die Mitglieder dieser Gesellschaften in individueller Freiheit leben können und verbindliche Rechte haben. Diese universale, also für alle Menschen geltende Idee aber war einer zweiten Idee untergeordnet: nämlich der Vorstellung, dass man sich als Gemeinschaft diesen Entwicklungsschritt erst erarbeiten muss, bevor alle Mitglieder einer Gesellschaft dieselben Rechte erhalten. Indem man aber nicht-weiße und insbesondere Menschen afrikanischer Abstammung als naturnahe, also kulturell und geistig kaum entwickelte Menschen abklassifizierte, entzog man ihnen auch das Recht auf eben die Freiheiten, die man doch zugleich mit universaler Geltung einforderte. Louis Salan-Molins folgend, ist es das „Paradox aufklärerischen Denkens, welches einen theoretisch universalistischen Diskurs gepflegt […], diesen in der Praxis jedoch provinzialisiert (auf Frankreich, bestenfalls auf Europa) und seinen Anwendungsbereich auf Menschen weißer Hautfarbe beschränkt“ hat (zitiert nach Eckert 2010, 246). Um es anders zu sagen: Die Inhumanität, die man den Sklavenhändlern, den Sklavenhaltern und Aktionären der europäischen Handelskompanien vorwarf, begründeten diese mit der Kulturlosigkeit und Naturnähe des Afrikaners. Wenn jemand – der Afrikaner – doch kaum oder wenigstens nicht so Mensch sei wie man selbst – der Europäer –, dann könne dieser auch anders behandelt werden, und zwar mit der gleichen Gleichgültigkeit und Verwertungslogik, mit der man Nutztiere behandelt, quält und tötet.
Die von Humboldt beschworene Einheit aller Menschen galt vielen seiner Zeitgenossen nur dann als politisch relevant, wenn sich auch alle Menschen, um die es hier gehen sollte, auf dieselben kulturellen und sozialen Grundlagen einigen konnten. Daher war die Versklavung afrikanischer Menschen für viele Kolonialherren kein Menschheitsverbrechen, sondern Ausdruck einer natürlichen Ordnung, in der Herrenmenschen über das Schicksal von Sklavenmenschen bestimmen dürfen, ja sogar im Sinne einer Naturgesetzlichkeit bestimmen müssen. Die Verachtung für das Lebensrecht des Anderen aber lässt sich nur zu Ende denken, wenn man eben jene „Einheit des Menschengeschlechts“ ablehnt, die Humboldt noch im Kosmos so vehement verteidigen muss.
Humboldt also war ein Humanist. Aber was heißt das für einen Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts? Ein Mensch, der als weißer Europäer aus der preußischen Hauptstadt eine Forschungsreise in die amerikanischen Kolonien des spanischen Weltreichs unternimmt, ausgestattet mit dem Reichtum seines mütterlichen Erbes und der besten Erziehung, die man in Berlin bekommen konnte? Es heißt zunächst: Die Lebenswirklichkeit der Menschen kennenlernen. Während der fünf Jahre seiner Reise durch die amerikanischen Tropen wurde Humboldt Zeuge des Alltags in Sklavenhaltergesellschaften. Besonders seine Tagebücher geben dieser Erfahrung einen Ausdruck.
Während der Reise ist Humboldt nicht bloß ein Naturforscher, der sich für Botanik und Pflanzengeographie, Geologie und Erdgeschichte oder das Vermessungswesen eines kolonialen Territoriums interessiert. Erschüttert muss er feststellen, dass die philosophischen Fundamente einer europäischen Morallehre der Aufklärung in der politischen Realität der amerikanischen Kolonien bedeutungslos geworden sind. Was er sieht, macht ihn wütend und ratlos zugleich.
Tagebuch VIII, Blatt 14v
Guayaquil (Ecuador), 4. Januar–17. Februar 1803
Nirgends muß sich ein Europäer mehr schämen ein solcher zu sein, als auf den Inseln, seien es französische, seien es englische, seien es dänische, seien es spanische. Sich darüber streiten, welche Nation die Schwarzen mit mehr Humanität behandelt, heißt, sich über das Wort Humanität lustig machen und fragen, ob es angenehmer ist, sich den Bauch aufschlitzen zu lassen oder geschunden zu werden, heißt fragen, ob die Spanier mehr Grausamkeiten in Amerika als die Engländer und die Franzosen in Ostindien verübt haben!! (Humboldt 2003a, 66)
Humboldt spürt den Zorn auf die eigene Herkunft als weißer, adliger Europäer und Kind der Französischen Revolution, der als junger zwanzigjähriger Mann in Paris an der Seite Georg Forsters Sand in Karren heranschaffte, um gemeinsam mit anderen citoyens auf dem Champ de Mars am Aufbau des Freiheitstempels mitzuhelfen (so zumindest hat er selber diese Geschichte erzählt).13 Anstatt den Idealen der Aufklärung zu dienen und sich einem gemeinsamen Gedanken an Fortschritt der gesellschaftlichen Zustände durch Wissenschaft, Bildung und wirtschaftliches Wachstum zu verpflichten, hat das europäische Kolonialsystem politisch und moralisch versagt und einen Keil zwischen die Menschen getrieben. Die koloniale Situation, das erkennt Humboldt in den Gesellschaften, die er bereist, schafft keine gesellschaftliche Entwicklung, sondern dauerhafte Abhängigkeit, ökonomische Unterdrückung und tiefe soziale Verwerfungen:
Tagebuch VIII, Blatt 14v
Guayaquil (Ecuador), 4. Januar–17. Februar 1803
die Idee der Kolonie [ist] selbst eine unmoralische Idee […], diese Idee eines Landes, das einem andern zu Abgaben verpflichtet ist, eines Landes, in dem man nur zu einem bestimmten Grad an Wohlstand gelangen soll, in welchem der Gewerbefleiß, die Aufklärung sich nur bis zu einem bestimmten Punkte ausbreiten dürfen. […] Jede Kolonialregierung ist eine Regierung des Mißtrauens. […] Je größer die Kolonien sind, je konsequenter die europäischen Regierungen in ihrer politischen Bosheit sind, um so stärker muß sich die Unmoral der Kolonien vermehren. Man sucht seine Sicherheit in der Uneinigkeit, man trennt die Kasten, man schürt ihren Haß und ihre Streitigkeiten, man beklagt ihren gegenseitigen Haß, man verbietet ihnen, sich durch Heiraten zu verbinden, man fördert die Sklaverei, weil die Regierung eines Tages, wenn alle anderen Mittel versagen, zu dem grausamsten von allen Zuflucht nehmen kann, nämlich die Sklaven gegen ihre Herren zu bewaffnen, diese erwürgen zu lassen, bevor man selbst erwürgt wird, was doch immer das Ende dieser schrecklichen Tragödie sein wird. (Humboldt 2003a, 65)
Humboldts Notizen richten sich im Vorgriff auf seine späteren Publikationen an ein spezifisches Publikum, sein Publikum in den europäischen Metropolen. Hier ist der Schrecken der Sklaverei offenbar nur als ein Gerücht bekannt. Lieber richtete man sich ein in der Idee prosperierender Karibikinseln, deren Produktivität ein Glück für den globalen Zuckerhandel und die europäische Konsumwirtschaft darstellten. Manchmal scheint Humboldt sich im Schreiben selbst überzeugen zu müssen, in einer amerikanischen Realität angekommen zu sein, die kaum zu begreifen ist. Das Tagebuchschreiben wird so zu einem Akt der Zeugenschaft, zunächst vor sich selbst, als Akt der Befreiung von den eigenen naiven Vorstellungen prospierender Kolonien.
Tagebuch V, Blatt 30r
An Bord des Schiffes auf dem Weg nach Kuba, 6. Dezember 1800
Ich glaube, der guten Sache wegen folgendes niederschreiben zu müssen. Alles, was man in Europa von Sklavenbehandlung sagt, ist überaus wahr. Man kann nichts übertreiben, so schändlich ist diese Behandlung. In Europa geht man aufs Land, um stille Freuden zu genießen. Hier hört man Ketten rasseln – und man spricht vom Glück von Jamaica, vom Glanz von Domingo. Wer ist, wer war da glücklich … Alles unnatürliche verschwindet in der Welt, und es ist nicht natürlich, daß ein paar Felsinseln so viel hervorbringen – – – (Humboldt 2003a, 247–248)
Ein Jahrzehnt nach dem Triumph der Französischen Revolution in Paris sieht dieser junge, wissbegierige und weltläufige Mann seinen weißen Zeitgenossen, den Kolonialherren des „nouveau continent“, dabei zu, wie sie scheinheilig die Encyclopédie in der einen Hand halten und mit der anderen ihre Sklaven geißeln. Das Symbol der Hochkultur eines aufgeklärten europäischen Geistes verkommt in den Kolonien zu einem Symbol ohne Bedeutung und ohne Verpflichtung.
Tagebuch VIIa u. b, Bl. 32r–32v
Honda (Kolumbien), 15.–23. Juni 1801
Empörend schien es mir, wie der unmoralische De Rieux (derselbe, den man revolutionärer Gesinnungen wegen Jahrelang eingekerkert, derselbe, der damals von Sklavenfreiheit sprach, und so lange es ihm nützlich war, den Französischen Bürger spielte) die Neger14 der Aegyptiaca [eine ehemals jesuitische Kakaoplantage] kaltblütig auf das Knie vor sich niederfallen ließ. Elendes Menschengesindel, die ihr in Europa die Philosophen spielt (Humboldt 2003a, 258)
Das Europa der Ideen, das Humboldt kennt und an das er glaubt, bleibt für ihn eine überlegene Idee. Der französische Philosoph und Historiker Guillaume-Thomas de Raynal hatte in seiner 1770 erstmals veröffentlichten, rasch in halb Europa zirkulierenden, in mehreren Auflagen erweiterten und stets von der Zensur verfolgten Histoire des deux Indes schon lange vor Humboldt die Gräueltaten der Sklaverei und des transatlantischen Sklavenhandels mit scharfen Worten kritisiert. Raynals Text, eine Streitschrift gegen das europäische Kolonialsystem auf dem amerikanischen Kontinent, galt letztlich dem Ziel, die spanische Herrschaft und die kreolischen Eliten in den Kolonien zu diskreditieren. Doch auch wenn Raynals ambivalentes Werk bis heute in seiner Wirkung umstritten ist, diente die Prominenz und Schärfe seiner Kritik an der spanischen Verwaltung noch amerikanischen Befreiungskämpfern wie Simón de Bolívar oder Mariano Moreno als Inspiration im Kampf gegen die überkommene Ordnung.15
Humboldt selber sollte die Unabhängigkeitskriege in den spanischamerikanischen Kolonien nicht vor Ort erleben, er reist – wie es in der Humboldt-Forschung heißt – durch ein „Lateinamerika am Vorabend der Unabhängigkeit“. In diesem Amerika ist die Raynal-Lektüre nur ein Feigenblatt. Denn wer herrscht, hat nichts abzugeben, aber viel zu verlieren. An seinen Bruder Wilhelm schreibt er am 17. Oktober 1800 aus Cumaná:
[…] man stößt öfters auf Menschen, welche mit schönen philosophischen Redensarten im Munde, doch die ersten Grundsätze der Philosophie durch ihre Handlungen verleugnen, mit dem Raynal in der Hand, ihre Sklaven mißhandeln und mit Enthusiasmus von der wichtigen Angelegenheit der Freyheit redend, die Kinder ihrer Neger einige Monate nach der Geburt verkaufen. (Humboldt 1993, 106)
Die Geschichte der Sklaverei ist auch eine Geschichte ihrer Abschaffung. Abolitionsbewegungen hat es in Europa und den Américas schon im 18. Jahrhundert gegeben. Die Revolution von Saint Domingue als erste und bis heute einzige erfolgreiche, von versklavten Menschen erkämpfte Revolution ist das wichtigste, wenn auch nicht das bekannteste Beispiel für diesen Kampf. In Europa war es ein Kampf der Parlamente. Und doch brauchte selbst Frankreich bis zum Jahr 1848, um die Sklaverei endgültig für illegal zu erklären. Schon in den Jahren nach der Revolution von 1789 gab es zahlreiche Debatten über die Legitimität, das Ende oder die Wiedereinführung der Sklaverei in den französischen Überseekolonien.
Humboldt, der immer gut informiert war über die politische Lage in der Welt, las selbst während seiner Amerika-Reise europäische Zeitungen. Entrüstet notiert er auf dem Weg in den neuspanischen Hafen Acapulco:
Tagebuch VIII, Bl. 28v–29r
An Bord der Fregatte „Orue“ während der Überfahrt nach Acapulco, 4. März 1803
Es gab eine Zeit, in der die Repräsentanten der Nation [Frankreich] so von den Prinzipien der Humanität und der Gerechtigkeit durchdrungen waren, daß die Rede von Bruix mit Empörung und Buhrufen aufgenommen worden wäre. Die Gründe, die der Redner anführt, sind, daß die Sklaverei die Kolonien früher zu [wirtschaftlicher] Blüte gebracht habe, daß man zu dem gleichen Heilmittel zurückgreifen müßte, daß in den von Frankreich entfernten Gebieten (in Westindien) der Unterschied in Klima und Kultur eine große Ungleichheit in den Menschengeschlechten notwendig mache, daß die Sicherheit der auf den Inseln lebenden europäischen Familien die Sklaverei notwendig mache … dieser letzte Grund ist eine rechte Schurkerei zu nennen; das ist die Sprache eines Seeräubers […]. Es gibt nichts Abschreckenderes als zu sehen, wie man durch Sophismen die Dinge verwirrt, die am einfachsten zu verstehen sind. Die Sklaverei ist auf einer Unmoral aufgebaut, die Regierung fürchtet, diejenigen Menschen ihrer ‚heiligsten Rechte‘ zu berauben, deren Hautfarbe nicht schwarz ist, sie erlaubt […] der Mutter das Kind zu nehmen und es 400 Meilen weit weg zu bringen. Eine Regierung hat nicht das Recht, die Unmoralität zu billigen, welche schönen Vernunftgründe man sich auch erlauben mag, um den gesunden Sinn und das, was kostbarer ist am Menschen und sehr selten bei kultivierten Persönlichkeiten, die Reinheit der Gefühle zu verwirren. (Humboldt 2003a, 251–252)
Auf der Reise wird Humboldt zu einem ethnographischen Feldforscher und beobachtet den vom Menschen unterworfenen Menschen, die Opfer und den Alltag der Sklaverei in den Kolonien.
Tagebuch VIII, Bl. 66r
Mexiko-Stadt, nach Juli 1803
Sklaven. Glücklicherweise gibt es fast gar keine in Mexiko und die wenigen, die es gibt, werden menschlich behandelt. Ich habe einen Richter zwei Negerinnen die Freiheit geben sehen, denen eine Dame aus Havanna (im Juli 1803) Wunden mit Scheren, Messern, Nadeln beigebracht hatte … Sie schlug ihnen die Zähne mit einem Schlüssel aus, als sie sich über Zahnschmerzen beklagten. (Humboldt 2003a, 259)
Der Eintrag findet fast wortgleich Eingang in Humboldts veröffentlichtes Werk. In seinem publizierten Reisewerk nahm er für sich in Anspruch, einen Ton der Milde walten lassen zu wollen. Für seine auf die Moral gemünzte Klage gilt dieser Befund sicher nicht. In seinem Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne schließt er die Prozess-Szene mit den Worten:
Die römischen Matronen waren wahrlich nicht erfinderischer in den Handlungen ihrer Rache; denn die Barbarei ist in allen Jahrhunderten dieselbe, wenn die Menschen ihren Leidenschaften den Zügel schiessen lassen können, und die Regierungen eine, den Gesetzen der Natur, und somit dem Wohl der Gesellschaft entgegenlaufende, Ordnung der Dinge dulden. (Humboldt 1809, 190)
Humboldts Einschätzung, in Mexiko gäbe es fast keine Sklaven, mag Widerspruch provozieren. Denn natürlich war die Sklaverei auch im Vizekönigreich wie im ganzen hispanoamerikanischen Festland verbreitet. Doch für Humboldt geht es um die Relationen zwischen jenen Kolonialgesellschaften, in denen die Sklaverei in den Städten und auf dem Land das ganze Leben bestimmt und jenen, in denen das nicht der Fall ist. In seiner fünfbändigen Studie über das Vizekönigreich Neu-Spanien präzisiert er den Gedanken:
Man kann ganz Mexico durchlaufen, ohne ein schwarzes Gesicht zu finden. Nirgends geschieht der Dienst in den Häusern durch Sclaven, und Mexico bildet in dieser Hinsicht einen großen Kontrast mit der Havanah, mit Lima und Caraccas. Nach genauen Erkundigungen, welche von mehreren, bei der Zählung von 1793 angestellten, Personen eingezogen wurden, scheinen in ganz Neu-Spanien nicht 6000 Neger, und höchstens nur 9–10.000 Sclaven zu seyn, von denen die meisten in den Häfen von Acapulco und Vera-Cruz, oder in der heißen Gegend an der Küste (tierras calientes) sind. (Humboldt 1809, 185)16
Natürlich weiß Humboldt, dass die Sklaverei in den hispanoamerikanischen Kolonien schon kurz nach den Eroberungen im frühen 16. Jahrhundert begann. Auf nur wenigen Seiten seines Berichts spannt Humboldt ein Panorama des Schreckens auf: grausame Entradas, bei denen die Missionare auf nächtliche Menschenjagd gingen und indigene Kinder, Frauen und Alte für Jahre zu Missionssklaven machten; oder der Hinweis auf das Testament des spanischen Konquistadoren Hernán Cortez, in dem dieser am Sterbebett reuevoll seinem Sohn verfügt, alle im Krieg von ihm versklavten Menschen frei zu setzen und ihnen die jahrelangen Tribute zurückzuzahlen (Humboldt 1809, 186–189).
Die Breite und Tiefe von Humboldts auf der Reise gewonnenen Eindrücken zur kruden Realität tropischer Sklavenhaltergesellschaften lässt sich an den unterschiedlichsten Stellen in den Amerikanischen Reisetagebüchern nachweisen. Die Bewegungs- und Handlungsfreiheit, die ihm der Passierschein des spanischen Königs erlaubte, öffneten alle gesellschaftlichen Türen, auch die der kolonialen Sklavenhalterfamilien. Hier wurde er Zeuge vom Alltag der Plantagensklaven.
Tagebuch III, Bl. 12r
Im Gebirge von Aragua südlich von Caracas (Venezuela), 8. Februar 1800
Nachts in Hacienda des Don Fernando Key Munnoz […]. Haus ein großes Viereck, worin 80 Neger wohnen, eine Art Caserne, über 12 Feuer im Hof, woran jeder seine Speise selbst bereitet. 4 Neger unverheirathet in einem Zimmer wie Hunde auf der Erde (bloß auf Ochsenfellen) schlafend. Unbegreifliche Lustigkeit des schwarzen Menschen bis tief in die Nacht. (Humboldt 2003a, 259)
Tagebuch III, Bl. 13v
Zuckerplantage von José de Manterola, Tal des Río Tuy (Venezuela), 9.–11.2.1800
[Manterolas] Haus sehr groß auf der Höhe, umher auf engem Raum eine Art Dorf, Lehmhütten der Sklaven, über 120 mit Kindern, meist wohlgenährt. Den verheiratheten giebt man Land, das sie Sonnabend und Sonntag und andere Tage (da sie nicht immer arbeiten) kultiviren. Man ernährt sie dann nicht. Sie halten sich Schweine, etwas Federvieh, das sie verkaufen, und der Herr weiß ihr Schicksal (nach Herrenart in allen Welttheilen) gar reizend zu schildern. Dabei hört man sie täglich perro, perra schimpfen, vor dem Herrn (wenn sie mit ihnen reden) auf beide Knie fallen und andere Schändlichkeiten mehr. Doch straft man (aus Furcht?) minder als man glaubt. Wir sahen 3 Sklaven, die geflohen waren, einbringen. Man schlug keinen. (Humboldt 2003a, 260)
Die minimalen Freiheiten, die Humboldt bei einigen Plantagensklaven beobachtet, interessieren ihn besonders. Wie sieht individuelles wirtschaftliches Handeln unter den Bedingungen der Versklavung aus? Wie weit geht die Freiheit der Sklaven, die für den eigenen Bedarf anbauen durften?
Tagebuch III, Bl. 64v–65r
Cumaná (Venezuela), im Tal von Aragua, Herbst 1800
Tropenboden […] so fruchtbar, daß Negersklaven, denen man jeden ein Stük Land giebt und die nur 2 Tage die Woche (Sonnabend und Sontag) zu arbeiten haben [= nur an diesen Tagen dürfen sie für sich selbst arbeiten], in ihren kleinen Conucos [Gärten] so viel Pisang [Banane], Dioscorea [Yams] und Batatas [Kartoffeln] hervorbringen, daß sie Jahr aus Jahr ein mit Frau und Kindern vollauf zu essen haben. Ipse vidi [Ich habe es selbst gesehen]. Ja gute, verständige Wirthe unter den Negern verkaufen noch Pisang und halten sich einen peón [Arbeiter], der für sie arbeitet und mit dem sie Gewinn theilen; sie kaufen täglich Fleisch, Kleidung usw. (Humboldt 2003a, 261)
Diese Textstellen werfen Fragen auf: Kann es einen guten Alltag in der Unterdrückung geben? Und lesen wir in diesen Zeilen nicht Spuren einer Tropen-Romantik unter Palmen, in der selbst das Schicksal der Unterdrückten irgendwie milder erscheint? Romantisiert Humboldt nicht das Elend, dessen Zeuge er ist?17 Es scheint, als stelle sich Humboldt in seinem Tagebuch diese Frage selbst, denn schon im nächsten Satz betont er, dies alles nicht aufzuzeichnen „um den Zustand der Sklaven als anziehend zu schildern, sondern um Fruchtbarkeit der Erde zu beschreiben.“ (ebda.). Selbst im Tagebuch scheint Humboldt zu ahnen, dass die vermeintliche Milde solcher Alltagsszenen von seinen Gastgebern, den Plantagenbesitzern, als Beispiel dienen konnte, um das eigentliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinter einer Fassade friedlicher Koexistenzen verschwinden zu lassen.
Stellen wie diese sind selten. Es überwiegt der Eindruck, Humboldt habe immer wieder um den richtigen Ausdruck für seine Zeugenschaft gerungen, wohl wissend, dass es für die Mehrzahl der von ihm beobachteten Verbrechen eben keinen Richter geben würde. Die so gewonnenen Passagen sind scharfe Einblicke in die grausame Geschichte der Gewalt des Menschen gegen den Menschen.
Reisetagebuch IV, Bl. 103r
Caicara (Venezuela), während der Orinoco-Reise, 9.–10. Juni 1800
Sklaventirannei. Herr Valderama und sein Schwiegervater in Caicara banden eine Negerin an Pferdeschwanz und schleiften sie tot in der Savanna. Man straft sie mit 4 Jahr presidium [Gefängnis] und 400! Pesos. In Hac[ienda] de D[o]n Felix Farreras schlug Vater in Krankheit einer Negerin ein Bein entzwei. Kinder schlagen den kleinen Negerknaben mit großen Knütteln auf den Kopf. Eltern sehen lachend zu. (Humboldt 2003a, 255)
Reisetagebuch I, Bl. 58r
Cumaná (Venezuela), Herbst 1800
Sklaven.
[…] Don Antonio Maís zu Cariaco ein gar nicht sehr wohlhabender Mann, schlug, geißelte drei seiner Sklaven tot im Jahre [17]99. und dann sagt man der Herr kenne seinen eigenen Vortheil. Man bemäntelte das factum und er blieb ungestraft. Auch hat die Unthat seinem Rufe nicht geschadet. Was schadet hier dem Rufe? Inkonsequenz. […]
Ueberhaupt ist dadurch daß man von Gerichts wegen züchtigt, Sache der Sklaven fast noch schlimmer geworden. Ein Herr führt seinen Sklaven dem Richter zu und giebt ihm Schuld was er will, er habe den Herrn geschimpft, Meuterei gemacht, usw. Der Richter ohne zu untersuchen schlägt, schlägt so lange als der Herr seine Rache kühlen will. Schlägt man ihn so tot, so ist Herr ganz unverantwortlich.
In Cumaná 1800 habe ich einem Sklaven von Gerichtswegen 120 cueros [Schläge mit dem Lederriemen] geben sehen, weil Herr log, er habe gestohlen, man fand ihn unschuldig.
[…] In Cumaná habe ich einen Spanier gekannt, der seine Sklaven die ganze Nacht arbeiten ließ (schliefen nicht 2 Stunden) und Nachts auf Stühle gebunden, schlug er 3 Stunden lang langsam einen Sklaven 150–200 látigos [Peitschenhiebe]! (Humboldt 2022, 349–350)18
Humboldt verliert in den „Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents“ den Enthusiasmus und den Vorausblick des Reisenden nicht. Aber etwas bricht in der Selbstgewissheit dieses stolzen Europäers. Die eigene kulturelle Herkunft reicht nicht mehr als Kompass, sondern entblößt sich in der amerikanischen Fremde als moralischer Abgrund. Der Anspruch, mit dem sich die europäischen Mächte seit der gewaltsamen Landnahme durch Christoph Kolumbus 1492 einen ganzen Kontinent untertan gemacht haben, ist der Ausdruck eines großen politischen Scheiterns. Die europäische „mission civilisatrice“ in den Américas war ein Projekt der Gewalt. Europa war kein Vorbild mehr für einen politisch denkenden, von den Fortschrittsidealen der französischen Aufklärung geprägten Menschen. Humboldt setzte daher einige Hoffnung in die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaften, sowohl in den USA als auch in den hispanoamerikanischen Kolonien. Am 27. Juni schreibt er an Thomas Jefferson in einer Mischung aus Resignation und Zukunftsoptimismus, drei Tage vor seiner Abreise nach Europa:
Ich gehe, weil meine Position es erfordert, aber ich nehme den Trost mit, dass, während Europa ein unmoralisches und melancholisches Schauspiel bietet, die Menschen auf diesem Kontinent mit großen Schritten auf die Vervollkommnung der sozialen Verhältnisse zugehen. Ich hoffe, dass ich mich eines Tages wieder an diesem tröstlichen Anblick erfreuen werde, und ich bin mit Ihnen in der Hoffnung […], dass die Menschheit durch die neue Ordnung der Dinge, die hier herrscht, eine große Verbesserung erwarten kann. (Humboldt 2004, 101)
Hätte Humboldt mehr tun können? Hätte er der Gewalt, deren Zeuge er wurde während der fünf Jahre seiner Reise, an den Küsten Venezuelas, im Vizekönigreich Neu-Spanien, beim Besuch der Kakao- und Zuckerplantagen in Kuba, mehr entgegensetzen können als wütende Notizen in seinem Tagebuch? Aus heutiger Sicht fällt die Antwort leicht. Natürlich hätte er.
Die zahlreichen Tagebucheinträge zeugen von dem Bedürfnis, alles vor Ort zu Papier zu bringen, sich zu sortieren, der Wut und dem Ekel etwas anderes als ein hilfloses Gefühl abzuringen. Humboldts Waffe, seine „machine de guèrre“, war nicht die Intervention vor Ort, sondern das geschriebene Wort, die wissenschaftliche Analyse. Für Humboldt wie für viele seiner wissenschaftlichen und politischen Zeitgenossen ist der Einfluss auf den Diskurs, die Sprache und das Denken der Eliten in Europa wie in den Américas der wichtigste Auftrag an die eigene Arbeit. Der Kampf um die öffentliche Meinung war im kolonialen Amerika längst entbrannt, auch lange vor Humboldt.
Im Europa der Humboldt’schen Epoche gab es nicht eine Erzählung über die Kolonien in Übersee, sondern viele, konkurrierende Vorstellungen und Projektionen. Erstens prägten Werke von Autoren wie Cornelius de Pauw und dem bereits erwähnten Guillaume-Thomas Raynal das Bild einer durch die Natur degradierten Kultur. Der amerikanische Mensch sei in Körper und Geist geschwächt durch ein feuchtes Klima, das jede höhere Kulturentwicklung (der amerikanischen wie der eurokolonialen Völker) verhindert.19 Befeuert durch die Propaganda französischer Kolonialinteressen gab es zweitens die in weiten Teilen der europäischen Intelligenz dominante Erzählung einer besonderen Grausamkeit und Brutalität der spanischen Kolonialzeit und Missionierung seit dem 15. und 16. Jahrhundert. Ausgelöst durch die als Streitschrift ausgesprochen wirkungsmächtige Brevísima relación de la destruición de las Indias des spanischen Dominikanermönches Bartolomé de Las Casas bewirkte dieses in der Mentalitätsgeschichte als „leyenda negra“ bekannte Denkmuster, die spanische Krone politisch und moralisch zu delegitimieren. Auch wenn Las Casas für diese Zwecke nicht vereinnahmt werden sollte, erlaubte diese Legende einer geradezu mittelalterlichen spanischen Herrschaft den konkurrierenden Kolonialmächten eine einfache Gegen-Erzählung. In Abgrenzung zu den spanischen Schlächtern war der vermeintlich höhere Kulturstand der selbstbewussten britischen und niederländischen Kolonialherren Ausdruck einer Ordnung, in der das soziale Leben und der ökonomische Fortschritt besser florierten als in den zerrütteten Gesellschaften Hispanoamerikas.20 Drittens zirkulierten – oft erst im 18. und 19. Jahrhundert – frühkoloniale Historiographien mesoamerikanischer (also indigener oder indigen-kreolischer) Autoren sowie spanische Erzählungen und Reiseberichte aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die ganz im Gegensatz zur „leyenda negra“ das Bild einer „good governance“ zeichnen, einer humaneren politischen Ordnung, als man sie in den französischen oder englischen Kolonien finden konnte (Ette 2020, 248–250).
Humboldts Amerika-Forschung kennt diese Perspektiven und Projektionen.21 Das wird deutlich aus der enormen Breite und Tiefe des Humboldt’schen Lektürehorizonts, wie man sie in allen großen Texten seines amerikanischen Reisewerks finden kann.22 Doch seine Analyse geht einen anderen, eigenen Weg. Sie stellt die Frage nach der Rolle des Menschen in einer gerechten Gesellschaft, nach den Aufgaben des Staatswesens, nach der Ordnung der Macht. Das gilt für seine Kritik an der Verwaltung in den Kolonien genauso wie für die Kritik am christlichen Missionarswesen oder an der Institution Sklaverei. Humboldt widmet sich diesen Themen an den verschiedensten Stellen seines Werkes23, doch insbesondere in seinen beiden politischen Essays, dem Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Epsagne (5 Bde., 1811) und dem Essai politique sur l’île de Cuba (2 Bde., 1826).
Insbesondere mit Blick auf diese Schlüsseltexte können wir mit Jürgen Osterhammel festhalten, dass dieser „Wirklichkeitswissenschaftlicher par excellence“ (Osterhammel 1999, 121) eine Auffassung politischer Wissenschaft vertrat, die sich nicht als Hilfswissenschaft der Staatsapparate, sondern als diskursive Intervention verstand, deren subversive Pointe gerade in einer vermeintlichen Erfüllung der zu erwartenden (und von offizieller Seite erwarteten) Form liegt.
Durch die Titelwahl scheint Humboldt die ‚Essays‘ zunächst in die Tradition der älteren Kameral- und Polizeiwissenschaften zu rücken. ‚Politique‘ bezieht sich hier nämlich nicht auf die institutionelle Maschinerie von Machtausübung und Willensbildung, also auf das ‚politische System‘, sondern auf die materielle Gesamtbefindlichkeit eines Siedlungsraumes. Liest man jedoch die Bände, dann überrascht wieder die Originalität der Humboldtschen Lösungen. Er bietet vorab das, was seine ursprünglichen Auftraggeber erwarteten: eine genaue Statistik (im heutigen Sinne) und wirtschaftsgeographische Beschreibung, verbunden mit Vorschlägen zur besseren Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Das tut er selbstverständlich nicht in der trocken inventarisierenden Manier der älteren Kameralistik, sondern mit der ihm eigentümlichen Beschreibung dynamischer Wirkungszusammenhänge. Rasch läßt er dann jeden im engeren Sinne ‚staatswissenschaftlichen‘ Ausgangspunkt hinter sich. […] Sein analytischer Standort ist nicht derjenige der obrigkeitlichen Finanz- und Ordnungsinteressen, sondern der eines in sich nach Klasse und Rasse ungleich strukturierten Systems der Bedürfnisse. Dessen Funktionsweise sucht er gewissermaßen ‚sozialökonomisch‘ zu ergründen. Seinen Wertungsstandpunkt gibt er ganz unverblümt als den einer kompromisslosen Ablehnung aller Arten von Sklaverei und Unfreiheit zu erkennen […]. (Osterhammel 1999, 121–122)
Am Anfang dieser Überlegungen steht ein Blick auf die Zahlen. In den vielen Jahren der Recherche sammelte Humboldt Statistiken zur Sklaverei für den gesamten karibischen Raum. Erst das Wissen über die Demographie in den Sklavenhaltergesellschaften der sogenannten ‚Neuen Welt‘ erlaubt es, die wahren Dimensionen von Sklaverei und Sklavenhandel zu erkennen. Kaum ein Gelehrter seiner Zeit hatte Zugang zu so vielen Quellen, Kontakt zu so vielen Netzwerken und Abolitionisten in ganz Europa, kannte so gut wie er die politischen Verhältnisse in den Kolonien und verfügte zugleich über ein vergleichbares publizistisches Gewicht. Ein Aufklärer zu sein, politisch sensible Informationen der Öffentlichkeit bekannt zu machen und in eine Synthese zu bringen: das war Humboldts zentrale wissenschaftliche Mission (vgl. Lentz 2020, 195).
Ein zentrales Ergebnis dieser langjährigen Arbeit, an der zahlreiche europäische Abolitionisten mitgearbeitet hatten, erscheint im 27. Kapitel seiner Relation historique.
Ich habe mehrere Jahre lang grosse Sorgfalt darauf verwandt, die Anzahl der Einwohner verschiedener Kasten und Farben auszumitteln, welche durch eine sehr nachtheilige Entwicklung der Kolonial-Industrie in den Antillen vereinbart wurden. Diese Aufgabe berührt das unglückliche Schicksal der africanischen Raçe […] allzunahe, als dass ich mich hätte begnügen können zu sammeln, was in gedruckten Werken und Abhandlungen sich darüber zerstreut findet. Ich habe mittelst eines emsigen Briefwechsels diejenigen achtungswerthen und einsichtigen Männer befragt, die an meinen Forschungen Theil nehmen und sie durch Berichtigung früherer mangelhafter Ergebnisse zu befördern die Gefälligkeit hatten. (Humboldt und Bonpland 1826, 740)24
Die nun folgende Tabelle zur „Bevölkerung der Antillen“ umfasst demographische Daten zu wirklich jeder Insel der Karibik, von Kuba, Jamaica und Haiti bis zu Curaçao und St. Jean mit wenigen Tausend Einwohnern. Schaut man auf die drei Spalten dieser 18 Seiten langen Tabelle, dann geht es nicht allgemein um die Verteilung der Menschen auf den kleinen und großen Antillen, sondern ausschließlich um die Demographie der Sklaverei, um das Verhältnis von versklavter und freier Bevölkerung im Verlauf der letzten dreißig Jahre (Humboldt und Bonpland 1826, 741–758). Die Zahlen erlaubten erstmals, zwischen natürlichem Bevölkerungswachstum und dem Import von Menschen durch den fortgesetzten Sklavenhandel zu unterscheiden. Das Zahlenwerk birgt Sprengstoff: Humboldt misst keine Bevölkerungsverhältnisse. Er vermisst die Wahrscheinlichkeit für neue Revolutionen.
Abbildung 1: Tabelle „Bevölkerung der Antillen“, erste und letzte Seite.
Am kubanischen Zucker bereicherten sich die kreolischen Eliten der Insel genauso wie die Sklavenhändler, die für den ständigen Nachschub an Arbeitskraft sorgten. Beides, Zuckerproduktion und Sklavenhandel, werden zu Humboldts Zeit zu den entscheidenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren in Kuba. Kaufte man im spanisch- oder portugiesischsprachigen Imperium einen versklavten und von einer der vielen afrikanischen Küsten verschleppten Menschen, erhielt man einen Kaufbeleg, „eine papeleta de armazón (wörtlich: Zettel des Sklaventransportes) als Kaufnachweis. […] Entkommen konnten [die Sklaven] aus diesem System nur durch Tod, Flucht, Rebellion oder Freilassungsprotokoll (manumisión).“ (Zeuske 2013, 258) Zwischen 1808 und 1836 wird der Sklavenhandel in allen amerikanischen Territorien offiziell verboten und abgeschafft.25 Doch erst das Verbot des transatlantischen Sklavenhandels leitet die eigentliche Epoche der Massensklaverei in der Karibik und allgemein in den Américas ein, in der Forschung bekannt als „second slavery“ (Zeuske 2013, 28). Wer jetzt seinen Besitz an einem versklavten Menschen festhalten wollte, markierte „die Körper der Verschleppten ohne den Umweg über Papier direkt mit einem neuen, kleineren Eigentums-Brandzeichen (calimbo) an Ellenbogen, Bauchnabel, Arm oder Knien.“ (Zeuske 2013, 259).
Der Fall Kuba zeigt es deutlich: Nie war der Sklavenhandel größer als in den Jahrzehnten nach seiner offiziellen Abschaffung (1820 in Spanisch-Amerika). In den 150 Jahren zwischen 1650–1800 verschleppten europäische und amerikanische Sklavenschiffe 79.000 [79.019] Menschen auf die Karibikinsel. In den fünfzig Jahren danach waren es 615.000 [614.981] Menschen. In den ersten fünfzig Jahren des 19. Jahrhunderts also werden fast achtmal mehr Menschen aus ihrer afrikanischen Heimat gerissen und in die Sklaverei gezwungen als in den hundertfünfzig Jahren zuvor.26
|
Spanien Uruguay |
Portugal Brasilien |
UK |
Niederlande |
U.S.A. |
Frankreich |
Dänemark Baltikum |
Gesamt |
1651–1675 |
434 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
434 |
1701–1725 |
0 |
0 |
1.997 |
0 |
0 |
1.026 |
0 |
3.023 |
1726–1750 |
0 |
0 |
1.187 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1.187 |
1751–1775 |
330 |
0 |
8.434 |
0 |
188 |
1.050 |
0 |
10.002 |
1776–1800 |
3.265 |
716 |
22.512 |
180 |
27.318 |
6.377 |
4.005 |
64.373 |
1801–1825 |
144.701 |
6.399 |
20.426 |
179 |
21.589 |
52.866 |
8.708 |
254.868 |
1826–1850 |
340.502 |
0 |
0 |
304 |
1.410 |
17.897 |
0 |
360.113 |
1851–1875 |
195.989 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
195.989 |
Gesamt |
685.221 |
7.115 |
54.556 |
663 |
50.505 |
79.216 |
12.713 |
889.989 |
Abbildung 2: Statistik zum Sklavenhandel nach Kuba in den Jahren 1651–1875, The Trans-Atlantic Slave Trade Database, http://www.slavevoyages.org/estimates/KDwOrqNw. Die Ländernamen beziehen sich auf die Herkunftsländer und -regionen der Schiffe, mit denen versklavte Menschen nach Kuba verschleppt wurden. Zur Frage der Ländernamen vgl. die methodologischen Erklärungen bei Eltis 2021.
Abbildung 3: Zeitleiste: Anzahl der in Afrika eingeschifften [embarked] und in Kuba entladenen [disembarked] Gefangenen pro Jahr [hervorgehoben 1826], The Trans-Atlantic Slave Trade Database, http://www.slavevoyages.org/estimates/nwXJQ6Ct.
In den vier Jahrhunderten zwischen 1501 und 1866 wurden 889.990 Menschen nach Kuba verschleppt. Die Sklavenschiffe kamen aus Senegambia (Senegal/Gambia), Sierra Leone, der Windward Coast (Liberia/Elfenbeinküste), der Goldküste (Ghana), Benin, Biafra (Nigeria/Kamerun), sowie aus Südostafrika. Über 100.000 dieser Menschen haben die Überfahrt auf den Schiffen der Sklavenhändler in die Karibik nicht überlebt. Jeder achte verstarb noch an Bord. Allein in dem Jahr, in dem Humboldt in Paris seinen Essai politique in zwei Bänden veröffentlicht, werden 16.859 Menschen von Afrikas Küsten nach Kuba verschleppt.
Abbildung 4: Karte des transatlantischen Sklavenhandels von den Küsten Afrikas nach Kuba 1501–1866, The Trans-Atlantic Slave Trade Database, http://www.slavevoyages.org/estimates/6WTUUlYk.
Frustriert hatte Humboldt die Insel am Ende seines zweiten Besuchs 1804 verlassen. Nach einem Jahr in Neu-Spanien und der Hauptstadt Mexiko mit ihren bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen war er enttäuscht von der provinziellen Geisteshaltung der kubanischen Eliten, bei denen sich „alle Gespräche um das große Problem [drehen], wie man an einem Tag mit der geringsten Zahl von Schwarzen die größte Menge Zuckerhüte produzieren kann“ (Humboldt 2003c, 299).
Als er 22 Jahre nach Verlassen der Insel 1826 in Paris den Essai politique sur l’île de Cuba veröffentlicht, legt er nicht nur eine der bedeutendsten landeskundlichen Studien seiner Zeit vor, sondern veröffentlicht das „wichtigste liberale Manifest des 19. Jahrhunderts gegen die Sklaverei“ (Zeuske 2013, 70). Doch Humboldts Position ist ambivalent: er schwankt zwischen moralischer Anklage und realpolitischer Analyse.27 Er sucht die Vermittlung zwischen den Sklavenhaltern und den Abolitionisten. Er fordert ein Ende der Sklaverei als eigentliches Ziel aller politischen Maßnahmen, allerdings im Sinne einer sukzessiven, sozio-ökonomischen Transformation, ein „affranchissement progressif“ (Humboldt 1826b, 401). Diese „abolition graduelle de l’esclavage“ (Humboldt 1826a, 120) habe Simón Bolívar, so Humboldt, als Emanzipation auf Raten erst kürzlich in Kolumbien durchgeführt (wo es allerdings, wie er zugibt, wesentlich weniger Sklaven als auf den Antillen gab). Humboldt glaubt nicht an eine Revolution von unten, sondern nur an einen gesellschaftlichen Wandel durch den Reformwillen der freien Bevölkerung und der kolonialen Verwaltung, also ohne politische Beteiligung der versklavten Bevölkerung selbst, eine „action simultanée des hommes libres“ (Humboldt 1826a, 312–313). Humboldts Modell zeigt paternalistische Züge, denn: Die Sklaven werden, anders als in Haiti, nicht zu Akteuren ihres Schicksals, sondern bleiben in Humboldts Prognose Objekte des Wandels. Der gefährlichen Doppelbödigkeit einer solchen Politik der Mediation ist sich Humboldt durchaus bewusst. Aber das Humane und das Mögliche müssten zusammengehen, „humaine et prudente à la fois“ (Humboldt 1826a, 119; 1826b, 401).
Humboldt über Haiti und die Revolution
Haiti kommt in Humboldts Werk ein besonderes Gewicht zu. Die erfolgreiche Revolution unter der Führung von Toussaint L’Ouverture hatte die politischen Kräfteverhältnisse in der Karibik auf den Kopf gestellt. Noch bevor die Kämpfe um die Unabhängigkeit in den Vizekönigreichen Neu-Spanien, Neu-Granada und Peru ausbrechen sollten, hatten sich in der Karibik die Unterdrückten von ihren Unterdrückern freigekämpft. Die Haitianische Revolution (1791–1804) ist nach der Amerikanischen (1763–177628) und der Französischen Revolution (1789) – auf die sich die Aufständischen direkt bezogen – erst der dritte erfolgreiche Umsturz in der Neuzeit. Und der bis heute am wenigsten bekannte.
Spuren der Revolution
Die Haitianische Revolution hat in Humboldts Schriften Spuren an den unterschiedlichsten Stellen hinterlassen. Als Humboldt am 29. April per Frachtschiff („Concepción“) von Havanna nach Philadelphia aufbricht, begegnet die Reisegesellschaft nach drei Tagen auf hoher See einem haitianischen Segler. Die Mannschaft hält das Boot für ein Korsarenschiff und befürchtet einen Angriff.
Man glaubte, daß es Afrikaner von San Domingo waren, von denen man schon seit einigen Monaten Grausamkeiten auf offenem Meer erdulden mußte. Man lud die Kanone und zeigte viel Mut, als man sah, daß es friedliche Schwarze waren, wahrscheinlich in Schmuggelgeschäften tätig. (ART IX, Bl. 143r, zitiert nach Humboldt 2003b, 396)
Das Beispiel zeigt die angespannte Lage im karibischen Meer im Jahr der Unabhängigkeit Haitis. Humboldts Kommentare zur Revolution selbst bleiben ambivalent. Mal nennt er sie wegen des hohen Blutzolls „eine furchtbare Katastrophe“ (Humboldt und Bonpland 1829, 83), mal sieht er „schauervolle Revolutions-Scenen“ (Humboldt 1809, 9) oder schlicht – durchaus zutreffend – eine „guerre civile“ (Humboldt 1811, 168).29 Mal behandelt er die Revolution als „Befreyung von Haiti“ (Humboldt und Bonpland 1829, 83).
Politisch bedeutete die Haitianische Revolution die Unabhängigkeit von Frankreich und das Ende der Sklavenhaltergesellschaft in einem Land, in dem bis zur Revolution 90% der Einwohner zur versklavten Bevölkerung gehörten. Die französischen oder kreolischen Eliten des Landes, mit ihnen auch die Ingenieure der modernen Plantagenfabriken, kamen in den Kämpfen um oder mussten auf die Nachbarinseln fliehen.
Zur Jahrhundertwende machten die Unruhen auf Saint Domingue den Kaffeeanbau auf dem amerikanischen Festland erst möglich, große Kaffeeplantagen sollten etwa in Caracas und der Umgebung entstehen (vgl. Humboldt 1811, 192–193). Entgegen der Vermutung vieler Zeitgenossen, die dem „régime des noirs“ offenbar wenig zutrauten, erholte sich der haitianische Kaffeeanbau schnell. Nicht so die Plantagenwirtschaft des Zuckerrohrs. Mit einem Schlag war der wichtigste Produzent vom Weltmarkt verschwunden und für Kuba begann ein neues Zeitalter der Ausbeutung von Natur und Mensch. Nie zuvor und nie danach wurden so viele Menschen für die rapide wachsenden Plantagen auf Kuba versklavt und per Schiffen aus Westafrika auf die Insel verschleppt wie in dieser Zeit (siehen oben). Ökonomisch bedeutete die Revolution daher vor allem eine massive Verschiebung der Wirtschaftskraft: Haiti verlor seine Rolle als globaler Zuckerexporteur und Kuba stieg innerhalb weniger Jahre zur wichtigsten Produktionsstandort für Zuckerrohr weltweit auf. Auch in Neu-Spanien, insbesondere in der Region um die Hafenstadt Veracruz entwickelten sich Zuckerrohr- und Baumwollplantagen und bescherten den spanischen Kolonien in den Jahren nach der haitianischen Revolution einen großen wirtschaftlichen Aufschwung (vgl. Humboldt 1811, 168–169).
Nicht nur wird – so Humboldt – der mexikanische Zucker von ‚freien Indianern‘ produziert: Mit dem Ende der ökonomischen Vorherrschaft der Antillen überwinden die kontinentalspanischen Kolonien ihre jahrhundertealte ökonomische Lethargie und beginnen, die wirtschaftliche Chance, die sich durch die haitianische Revolution bietet, zu nutzen (vgl. Humboldt 1811, 176–177). Auf die moralische Überlegenheit folgt bald schon die wirtschaftliche, so könnte man hier schließen. Doch Humboldts Pointe ist eine andere: Nicht die Moral führt zur Humanität, sondern nur die Folgen eines kalten, ökonomischen Vorteils. Die besseren Bedingungen von Boden, Klima und Primärressourcen sowie eine freie Arbeiterschaft werden – so Humboldts allerdings historisch falsche Prognose – die Sklavenplantagen in Kuba gegenüber den Festlandplantagen unwirtschaftlich machen, die Sklaverei und insbesondere der Sklavenhandel also letztlich aufgrund eines mexikanischen Standortvorteils zum Erliegen kommen: „die leidende Menschheit wird dem natürlichen Gang der Dinge verdanken, was sie von der Weisheit der europäischen Regierung zu erwarten gehabt hätte.“ (Humboldt 1812, 110).
In den Passagen, in denen Humboldt die wirtschaftlichen Folgen der Revolution auf die koloniale Landwirtschaft analysiert und die Preisentwicklung auf dem Weltmarkt im Zuge alternativer Ressourcen kommentiert, spricht aus ihm nicht mehr der engagierte Humanist. Hier ist er berechnend, wägt die Vorteile einer effizienteren Zuckerrohrpflanze, die man in letzter Zeit aus Tahiti importiert habe, ab gegen die Anbaueigenschaften der „Caña criolla“.30 Kühl scheint er die Haltung der kreolischen Eliten in Neu-Spanien wiederzugeben, wenn diese sich nun der Vorteile erfreuten, die es habe, in einer Kolonie fast ohne Sklaven zu leben, nicht also in karibischen Verhältnissen, und man so einen strategischen Vorteil gegenüber den slavery states der USA genießen könne. Doch Sklaven, so das von Humboldt gleich im ersten Kapitel seiner fünfbändigen Studie über das Vizekönigreich Neu-Spanien angedeutete Argument, hätte man schon gerne gehabt, nur eben keine revoltierenden.
[E]in Vortheil, welcher den europäischen Colonisten erst seit den schauervollen Revolutions-Scenen auf St. Domingo in seiner ganzen Größe einleuchtet. So gewiß ist es, daß Furcht vor physischen Uebeln mächtiger würkt, als alle moralischen Betrachtungen über das Wohl der Gesellschaft, mächtiger, als die so oft im englischen Parlamente, in der französischen Nationalversammlung und in den Schriften der Philosophen ausgesprochenen Grundsätze der Menschenliebe und Gerechtigkeit! (Humboldt 1809, 9)
Für Gesellschaften wie die kubanische stellte die haitianische Revolution in gänzlich neuer Weise die Frage nach den Möglichkeiten eines friedlichen Auswegs aus der Sklaverei. Dies zumindest ist der eindeutige Tenor von Humboldts Essai politique, sein zentrales Argument. Aus Sicht vieler kreolischer Eliten wäre die Abschaffung der Sklaverei der Anfang vom Ende eines gesamten Wirtschaftssystems gewesen. Ohne die Arbeit der versklavten Menschen war die Plantagenwirtschaft für viele Pflanzer ökonomisch schlicht nicht vorstellbar. Politische Debatten über die Sklaverei als konstitutives Element einer sozialen und ökonomischen Ordnung waren also in erster Linie Gegenstand politischer Verhandlungen, nicht Ausdruck einer moralischen Richtungsentscheidung. Schon die Constitution, bis heute das Referenzwerk für das US-Rechtssystem, enthielt eine Klausel (Artikel I, Abschnitt 9), die es den jeweiligen Staaten der Union freistellte, den Sklavenhandel für mindestens zwanzig Jahre zu erlauben. Ohne diese Klausel, so waren sich die sogenannten Gründerväter sicher, hätten Staaten wie North und South Carolina oder Georgia nicht dem Beitritt zur Union zugestimmt.31
In einem emphatischen Brief an William Thornton verurteilte Humboldt diesen Rationalismus einer Realpolitik, die am Ende das ökonomische Argument und den politischen Kompromiss über die fundamentalsten Fragen der Menschlichkeit stellte. In seinem Brief aus Philadelphia vom 20. Juni 1804 schreibt er:
Je mehr die jüngsten Ereignisse in Santo Domingo die Wahrheit [über die Notwendigkeit, die Sklaverei zu beenden] in Frage gestellt haben, desto mehr scheint es die Pflicht eines jeden moralischen Menschen zu sein, das Problem in sein wahres Licht zu rücken. […] Dieses abscheuliche Gesetz, das die Einfuhr von Schwarzen nach South Carolina erlaubt, ist eine Schande für einen Staat, von dem ich weiß, dass es dort sehr gebildete Köpfe gibt. Wenn man den einzigen Weg geht, den die Menschheit vorschreibt, wird man anfangs zweifellos weniger Baumwolle exportieren. Aber ach, wie ich diese Politik hasse, die das öffentliche Glück einfach nach dem Wert der Exporte bemisst und bewertet! Es ist mit dem Reichtum der Nationen wie mit dem des Einzelnen. Er ist nur das Zubehör unserer Glückseligkeit. Bevor man frei ist, muss man gerecht sein, und ohne Gerechtigkeit gibt es keinen dauerhaften Wohlstand. (Humboldt 1993, 300)
In der scharfen Kritik gegen die Haltung seiner Zeitgenossen spricht Humboldt das Kernproblem des ökonomischen Arguments an. Die Abschaffung der Sklaverei hieß politisch, ökonomische Verluste in Kauf zu nehmen. Genauso wie es um 1800 möglich war, die Verfassung einer jungen Demokratie so anzulegen, dass man die Legalisierung von Sklaverei und Sklavenhandel für ein Mittel der politischen Verhandlungsmasse hielt, so war es legitim, die Frage, ob es moralisch und menschlich sei, einen Sklaven zu besitzen, mit der Frage abzuwägen, wie verlustreich es sein könnte, auf diesen Sklaven und seine Arbeit zu verzichten.
In seiner Replik auf Thornton, der in seinem politischen Manifest Political economy, founded in justice and humanity: in a letter to a friend genau diese Positionen vertritt, lässt Humboldt keinen Zweifel: Keine Freiheit ohne Gerechtigkeit. Mit anderen Worten: Eine Befreiung der versklavten Bevölkerung braucht gerechte Verhältnisse, also eine Landreform und das Recht auf Teilhabe und Besitz. Wer versklavten Menschen ihre Freiheit gibt, muss diesen Menschen ein Recht auf Eigentum erlauben.
Die Streitschriften, Repliken und staatlichen Verordnungen zu Fragen der Abolition sollten noch für Jahrzehnte von genau diesen Debatten geprägt sein. Immer ging es um die sozialen, aber vor allem um die ökonomischen Folgen, die mit der Abolition verbunden waren. Der Entschädigungsstreit betraf dabei nie die eigentlich Betroffenen, also die oft seit vielen Generationen versklavten Menschen selbst, sondern immer nur den monetären Schaden der Sklavenhalter.32
Wer hat den Schaden und wer bezahlt dafür?
Die Frage der Reparation der Schäden von Sklaverei und Sklavenhandel wird bis heute kontrovers diskutiert. In Humboldts Zeiten war die Entscheidung klar. Bezahlen mussten die Sklaven und die abolitionistischen Regierungen, nicht die Sklavenhalter. Das galt selbst für Haiti. Über die Zwangsreparationen, die der französische Staat Haiti nach Erklärung der Unabhängigkeit 1804 auferlegte, wird bis heute kaum gesprochen (über die Armut und Korruption des Landes und sein Status als „failed state“ hingegen sehr). Die ungleichen Verhandlungen über diese Frage liegen genau in jenen Jahren zwischen 1804 und 1825, in denen Humboldt nach der Rückkehr aus den Tropen in Europa – neben vielen anderen Projekten – seinen Essai politique sur l’île de Cuba verfasst.
Frankreich erkannte die Unabhängigkeit Haitis erst an, als sich die Karibikinsel unter ihrem Präsidenten Jean-Pierre Boyer 1825 zu Reparationszahlungen in Höhe von 150 Millionen Goldfrancs bereit erklärte.33 Das entsprach 2% des französischen, aber 300% des haitianischen Nationaleinkommens. Die Lage war aussichtslos: Frankreich war militärisch überlegen, hatte ein Embargo verhängt und über allem hing die Drohung einer erneuten Besetzung der Insel (vgl. Piketty 2022, 86).34
Abbildung 5: 5-Gourdes-Banknote der haitianischen Nationalbank von 1989, gedruckt von der United States Banknote Company. Der damalige Wechselkurs zum Dollar lag bei 5 Gourdes zu 1 U$ (im März 2023 liegt der offizielle Wechselkurs 30-mal höher, vgl. https://www.brh.ht/politique-monetaire/taux-dinteret/). Das Motiv zeigt die Schlacht von Batay Vètyè am Ende des Zweiten Haitianischen Unabhängigkeitskrieges im November 1803. Bildquelle: Desperado2020, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.
Natürlich war diese Summe nicht in fünf Jahren zu begleichen, was die haitianische Regierung dazu zwang, sich zu einem Jahreszins von 5% über französische Privatbanken zu refinanzieren. Die Reparationszahlungen an die ehemaligen Sklavenhalter finanzierten also zugleich über Jahrzehnte das französische Bankensystem. Bis 1915, also 90 Jahre nach Einigung über die Zahlungen und 75 Jahre nach Beginn der Zinsschuld (1840), hatte Haiti jährlich 5% seines Nationaleinkommens in die französischen Reparationszahlungen investieren müssen.35
Bis heute fordert die haitianische Regierung eine Wiedergutmachung dieser für die Entwicklung der Insel desaströsen Reparationszahlungen. In einer pragmatischen Schätzung geht der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Picketty von einer Summe von mindestens 30 Milliarden Euro (das 3-fache des aktuellen haitianischen BIP) aus. Haitianische Forderungen waren in der Vergangenheit (2003: 17 Mill. Euro, 2010: 27,8 Mill. Euro) zu ähnlichen Summen gekommen (Fitte-Duval [2020]).
Die offizielle Abschaffung der Sklaverei in den französischen Überseekolonien im Jahr 1848 führte auch dort keineswegs zu einer tatsächlichen Gleichstellung der ehemals versklavten Bevölkerung. Wer mit Beginn seiner Freilassung nicht umgehend eine Anstellung nachweisen konnte, war als ehemaliger Sklave auf sich selbst angewiesen und verarmte schnell. Auf La Réunion etwa wurden umgehend Gesetze gegen ‚Landstreicherei‘ erlassen: „Die einstigen Sklaven mussten einen langfristigen Arbeitsvertrag vorlegen, sei es als Plantagenarbeiter, sei es als Hausangestellte. Andernfalls wurden sie wegen Landstreicherei verhaftet und in die von den Verordnungen vorgesehenen Disziplinaranstalten eingewiesen.“ (Piketty 2022, 93) Ein Herrschaftsregime (Unfreiheit durch Sklaverei) wurde durch ein anderes (Unfreiheit durch Strafrecht) ersetzt. Bis heute hat es in den französischen Überseegebieten (La Réunion, Martinique, Guadeloupe, Französisch-Guayana) keine wirkliche Landreform gegeben, Besitz und Vermögen liegen weiterhin vornehmlich in den Händen der weißen Oberschichten (Piketty 2022, 94).
Anstelle von Sozialreformen entstanden im 19. Jahrhundert also in ehemaligen Sklavenhaltergesellschaften De-facto-Apartheidregime (etwa in den USA, Französisch-Algerien, Südafrika, Niederländisch-Indonesien) mit diskriminierenden Rechtssystemen (vgl. Piketty 2022, 95, 99–100). Die sozialen Verwerfungen und ökonomischen Exklusionsmechanismen jener Epoche beförderten gesellschaftliche Schattenrealitäten, die wir in unseren postkolonialen Gesellschaften heute als strukturellen Rassismus bezeichnen und deren Auswirkungen fortleben.
Zu Humboldts Zeit entsprach die Vorstellung, man folge nur geltenden Eigentumsrechten, wenn man die ehemaligen ‚Besitzer‘ von Sklaven ökonomisch großzügig für ihren Verlust entschädige, der Auffassung weiter Teile der liberalen Eliten, auch und gerade unter Abolitionisten. Mit ausgefeilten Berechnungen versuchten sie, die Zweifler in den französischen und britischen Parlamenten zu überzeugen.36 Diese Überzeugung vertrat auch Humboldts Korrespondenzpartner William Thornton. In seinem Brief von 1804 hatte Humboldt nach seiner Lektüre von Thorntons Pamphlet gegen die Sklaverei in einem Nebensatz einfließen lassen, dass er nicht wie dieser der Meinung sei, man könne die Abolition mit einer staatlichen Verschuldung unter Beteiligung eines verpflichtenden Lohnausgleichs zu Lasten der ehemals versklavten Bevölkerung lösen.37 Aber wenn Humboldt sich gegen eine Ausgleichszahlung aussprach, wie wollte er dann die kolonialen Eliten von der Idee überzeugen, auf ihren ‚Besitz‘ und ihre Privilegien ohne Kompensation zu verzichten?
Alphonse de Lamartine, Dichter der Romantik, ein Vordenker der französischen Abolitionismus-Bewegung in den 1830er Jahren und erster Chef der provisorischen Regierung nach der Februarrevolution von 1848, trat in großen Reden vor dem französischen Parlament mit einer unmissverständlichen Formel auf, die paradigmatisch für das ganze Dilemma der kolonialen Situation steht:
Die Kolonisten müssen für den Teil ihres rechtmäßigen Eigentums, der ihnen in Gestalt ihrer Sklaven genommen wurde, eine Entschädigung erhalten. Wir werden uns nie vom Gegenteil überzeugen lassen. Nur Revolutionen kennen entschädigungslose Enteignungen. Gesetzgeber nicht: Sie verändern, sie gestalten, aber sie richten niemanden zugrunde. Und sie missachten keine angestammten Rechte, ganz gleich, welchen Ursprungs sie sind. (Lamartine in Piketty 2022, 92)
Das Zitat ist eindeutig: Aus Sicht der herrschenden Eliten – und das schließt die Abolitionisten des 19. Jahrhunderts mit ein – gab es nur zwei Optionen: Eine Abolition unter Beibehaltung der ökonomischen Privilegien der herrschenden Schicht oder eine blutige Revolution.38
Doch wenn Humboldt gegen Kompensationszahlungen war, weil ihm das aus offensichtlichen Gründen sein moralischer Kompass verbieten musste, wie stellte er sich dann eine graduelle Transformation, eine ‚abolition graduelle‘, in den Kolonien vor, ohne erneute Revolutionen nach haitianischem Modell?
Nachdem Humboldt ausführlich und in einer umfassenden Statistik auf den letzten Stand seiner Zahlen zur Demographie Kubas im Jahr 1827 eingeht, macht er seine Vorstellungen einer kubanischen Gesellschaft nach Abolition und Emanzipation deutlich. Seine Prognose für das soziale und sozioökonomische Gefüge einer kubanischen Gesellschaft fällt äußerst optimistisch aus. Es lohnt sich, die Stelle in Gänze wiederzugeben.
Wenn der Sclavenhandel ganz aufhört, so werden die Sclaven nach und nach in die Classe der freyen Menschen übertreten und eine auf neuen Elementen gebildete Gesellschaft wird, ohne die heftigen Erschütterungen bürgerlicher Zwiste zu erleiden, in jene Bahnen übergehen, welche die Natur allen zahlreichen und aufgeklärten Gesellschaften vorgezeichnet hat. Der Anbau des Zuckerrohrs und des Caffeestrauchs wird nicht vernachlässigt werden; aber es wird derselbe eben so wenig die Hauptgrundlage des Bestandes der Nation bleiben, als dieß die Cultur der Cochenille für Mexico, die des Indigo für Guatimala und diejenige vom Cacao für Venezuela ist. Eine Bevölkerung von freyen und einsichtigen Landbauern wird nach und nach an die Stelle einer Sclavenbevölkerung treten, der es an aller Vorsicht und Industrie fehlt. Bereits ist durch die Capitalien, welche der Handel der Havannah seit 25 Jahren dem Landbauern übergeben hat, ein Anfang in Veränderung der Gestaltung des Landes gemacht worden. Dieser Kraft aber, deren Wirksamkeit stets zunehmend ist, gesellt sich eine andere bey, welche von den Fortschritten der Industrie und des Nationalwohlstandes untrennbar ist, die Entwickelung des menschlichen Verstandes. Auf diesen zwey vereinten Mächten beruhen die künftigen Schicksale des Hauptortes der Antillen. (Humboldt und Bonpland 1829, 192–193)
Zusammengefasst: Humboldt setzt auf eine Abkehr von den Monokulturen der Zucker- und Tabakplantagen und plädiert für eine parzellierte Subsistenzwirtschaft. Dass Humboldt ohne einen gewissen Paternalismus nicht auskommt („freye und einsichtige Landbauern“), ist offensichtlich. Auch die Prognose idealer gesellschaftlicher Reformen und die Vorstellung einer tatsächlich vernunftgeleiteten Politik zeugen von einer an Naivität grenzenden Fahrlässigkeit im Urteil. Denn wenig sprach zur Zeit der Niederschrift dieses Textes für eine solche Entwicklung.
In Humboldts Studie zu Kuba gibt es eine zweite Prognose, die in ihrer Ambivalenz bis heute Fragen aufwirft. In den 1820er Jahren, als die kubanische Zuckerrohrindustrie zum wichtigsten Produzenten im Welthandel aufstieg und wesentlich zur Prosperität der Insel beitrug, wuchs die Sorge in der Plantagen-Oligarchie, das Mutterland Spanien könnte unter dem politischen Druck des Vereinigten Königreiches dazu gebracht werden, die Sklaverei ganz abzuschaffen, nachdem die britische Regierung bereits 1820 die (wenn auch nur offizielle und keineswegs faktische) Abschaffung des Sklavenhandels gegenüber seinem Rivalen Spanien hatte durchsetzen können. Wie wir bereits sehen konnten, war es gerade die Zeit nach dem offiziellen Bann des Handels, in der die Sklavenimporte nach Kuba neue Rekordzahlen verzeichneten. Dies hatte in den Jahren zwischen 1820 und 1850 dazu geführt, dass zum ersten Mal die schwarze Bevölkerung die Mehrheit in Kuba stellte (Rawley und Behrendt 2005, 68). Doch selbst diejenigen, welche für die Abolition eintraten, konnten die Frage nicht beantworten, wie man den Übergang von einer Sklaverei- zu einer abolitionistischen Gesellschaft freier Bürger gestalten sollte, ohne, wie das Beispiel Jamaica gezeigt hatte (Zeuske und Zeuske 1998, 236), wirtschaftlich zusammen- und sozial auseinanderzubrechen. Dieselben Diskussionen trennten auch in den USA in den 1840er Jahren die radikalen Abolitionisten von den gemäßigten Reformern, die im Sinne einer Emancipation-Politik vorgeschlagen hatten, mit einer Entschädigung der Großgrundbesitzer die Sklaven staatlich freizukaufen, um sie dann zu freien Menschen zu machen (Johnson 2003, 554f.). Nun war das Verhältnis zwischen freier und unfreier Bevölkerung in Nordamerika trotz dieser Diskussionen ein völlig anderes als im karibischen Archipel. Eine erneute Revolution der versklavten Bevölkerung war bei einem Verhältnis von etwa 80% weißer zu 20% schwarzer Bevölkerung nicht sehr wahrscheinlich. In seinem Essai politique stellte Humboldt diesen Wert aus dem Jahr 1825 jedoch in ein Verhältnis zu den zirkumkaribischen Territorien Brasiliens, Kubas und Jamaicas, sowie zum anglo- und pankaribischen Wirtschaftsraum. In Gesamtzahlen betrachtet waren die Verhältnisse das Gegenteil der US-amerikanischen Proportionen.
Im ganzen Archipel der Antillen bilden die farbigen Menschen (Neger und Mulatten, Freye und Sclaven) eine Masse von 2,360,000 oder 85/100 der ganzen Bevölkerung. Wofern nicht in Bälde die Gesetzgebung der Antillen und der farbigen Menschen Stand und Verhältniß günstige Veränderungen erhalten, wenn man fortfährt zu rathschlagen statt zu handeln, so wird das politische Uebergewicht denjenigen zufallen, welche die Kraft zur Arbeit besitzen, den Willen, sich frey zu machen, und den Muth haben andauernde Entbehrungen zu erdulden. (Humboldt und Bonpland 1829, 82)
Eine solche archipelische Revolution, die allein durch die Bevölkerungsverhältnisse und auch ohne Zutun der haitianischen Regierung zustande kommen könnte, würde – so Humboldts Einschätzung – eine neue Regionalmacht erzeugen, welche dauerhaft das politische Gewicht in der Karibik zugunsten einer afrikanischen, postkolonialen Konföderation verschieben könnte:
Diese blutige Katastrophe wird eintreten als ein nothwendiges Ergebniß der Umstände, und ohne daß die freyen Neger auf Haiti daran irgendwie Theil nehmen oder dem bisher befolgten Vereinzelungssystem entsagen. Wer möchte den Einfluß weissagen, welchen eine africanische Conföderation der freyen Staaten der Antillen, zwischen Colombia, Nordamerica und Guatimala inneliegend, auf die Politik der neuen Welt ausüben würde? (Humboldt und Bonpland 1829, 82)
Die Gefahr einer für die gesamte Region verlustreichen Erhebung war aus Humboldts Sicht umso größer, je deutlicher wurde, dass die weiße Bevölkerung der betroffenen Länder sich unfähig zeigte, auch und gerade nach 1791, grundsätzlich das System der Sklaverei infrage zu stellen. Was in Kuba schließlich in den Unabhängigkeitskriegen ab 1868 in eine militärische Auseinandersetzung zwischen dem abolitionistischen Osten und dem von Plantagenbesitzern geprägten Westen eskalieren sollte, schien den Karibikeliten jener Zeit offenbar noch unvorstellbar. Im Gegenteil: Immer wieder betonte man die besondere Milde, mit der unter spanischer Gesetzgebung die kubanischen Sklaven behandelt wurden. Ein „mito de la bondad de la esclavitud iberoamericana“ (Zeuske 2004, 386), der selbst im 20. Jahrhundert noch bemüht wurde und vor dem auch Humboldt in seinen Ausführungen nicht ganz gefeit war. Deutliche Worte findet er dennoch für die gefährliche Arroganz der weißen, zirkumkaribischen Oligarchie, die sich offenbar in einer trügerischen Sicherheit wähnte.
[A]uf jeder Insel halten die Weißen ihre Macht für unerschütterlich. Jedes gleichzeitige Handeln von Seite der Neger däucht ihnen unmöglich, und jede Aenderung, jeder der dienstbaren Bevölkerung gemachte Einräumung achten sie für Feigheit. Nichts hat Eile: die furchtbare Katastrophe von St. Domingue ist nur eine Folge unverständliger Herrscher gewesen. Solche Täuschungen haften bey der großen Masse der Colonisten auf den Antillen, und stehen nicht minder auch jeder Verbesserung des Zustandes der Schwarzen in Georgien [Georgia] und in den Carolinen [North und South Carolina] entgegen. Die Insel Cuba mag eher als keine andere unter den Antillen dem großen Schiffbruche entgehen. Es zählt diese Insel 455,000 freye Menschen und 260,000 Sclaven; durch Maßnahmen, welche menschenfreundlich und klug zugleich sind, mag sie die allmälige Aufhebung der Sclaverei vorbereiten. (Humboldt und Bonpland 1829, 82–83)
Die ersten beiden Rollen – der Humanist und der Wissenschaftler – sind zugleich Phasen in Humboldts éducation sentimentale, biographische Marker im Umgang mit der Menschheitsfrage Sklaverei. Das abschließende Kapitel dieses ‚Versuchs über Humboldt‘ widmet sich der Frage nach Humboldts tatsächlichem Aktionsradius. Was hat Humboldt zu Lebzeiten erreicht? War er nur ein „Lehnstuhlaktivist“ (Lentz 2020, 179)? Ein Mann also, dem man vorwerfen konnte, aus der bequemen Position des Studierzimmers für große Reformen zu streiten, für diese aber nicht die eigene gesellschaftliche Position zu riskieren?
Vier Ereignisse stechen bei einer Antwort auf diese Fragen heraus:
Jüngste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass sich Humboldt in seinen Pariser Jahren mit berühmten Abolitionisten aus Frankreich und Großbritannien austauschte.39 Als sich der englische Abolitionist William Wilberforce in einem öffentlichen Pamphlet zur Abschaffung des Sklavenhandels an den französischen Außenminister Tayllerand wendet, berät ihn Humboldt ausführlich und vermittelt hinter den Kulissen. Humboldt, der in allen Pariser Salons bekannt und mitunter gefürchtet war40, wird zum cultural broker in der Abolitionismus-Diplomatie (Lentz 2020, 192). Für britische Aktivisten bleibt er bis in die 1820er Jahre hinein ein „wichtiger Informant und Türöffner in die Pariser Gesellschaft“ (Lentz 2020, 193).
Warum aber trat Humboldt dann nicht einer abolitionistischen Gesellschaft bei? Mehrfach versuchte man, den berühmten Forschungsreisenden dazu zu drängen. Das aber hätte aus ihm einen politischen Aktivisten gemacht, aus der öffentlichen Persona des Wissenschaftlers wäre der Politiker Humboldt geworden: angreifbar, Zielscheibe von Polemiken und politischem Streit. Wir dürfen davon ausgehen, dass Humboldt eine solche Rolle schon aus Gründen seiner Persönlichkeit zuwider war. Wichtiger aber ist die Einsicht in die damit verbundene Strategie: Unabhängig von den Interessen einzelner Regierungen oder politischer Gruppen, bestand Humboldt auf der Neutralität seiner Position, wie er schon am 21. Februar 1801 in einem Brief an Karl Ludwig Willdenow schrieb: „Nie, nie hat ein Naturalist mit solcher Freiheit verfahren können. […] Meine Unabhängigkeit ist mir mit jedem Tage über alles theuer. Daher habe ich nie, nie eine Spur von Unterstüzung irgend eines Gouvernements angenommen“ (Humboldt 2016a, 3v–4r). Nur in dieser Unabhängigkeit blieb Humboldt für beide Seiten der Abolitionismus-Debatte glaubhaft und konnte mit seinem Beitrag in beide Richtungen wirken. Ein Humboldt’sches Zahlenwerk, das keiner politischen Seite verdächtig war, musste von den Regierungen und seiner Leserschaft ernst genommen werden. Es diente zugleich den Abolitionisten als wichtige Waffe im öffentlichen Streit. Sarah Lentz fasst diese Strategie bündig zusammen:
[…] der Verweis auf Humboldts Studien hatte, so lange der Ruf des Preußen als wissenschaftliche Autorität uneingeschränkt Bestand hatte, einen viel größeren Wert. So lässt sich dementsprechend nachweisen, dass sich zeitgenössische Abolitionisten wiederholt in ihren Schriften auf Humboldts Aussagen stützten. Humboldt selbst stellte den AbolitionistInnen seine erhobenen Daten – gemäß seines Ideals einer freien Wissenszirkulation – von sich aus zur Verfügung. So versorgte er beispielsweise 1824 die Société de la morale chrétienne mit den entsprechenden Zahlen für eine ihrer sklavereikritischen Veröffentlichungen. (Lentz 2020, 197–198)
Humboldts Dilemma erinnert an heutige Debatten über die Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Urteils zu politisch kontrovers diskutierten Themen. Wie schnell selbst die seriösesten akademischen Einrichtungen und wissenschaftlichen Akteure in Verruf geraten können, wenn Teile der Öffentlichkeit ihnen die Unabhängigkeit absprechen, ist spätestens seit den Debatten um die richtigen politischen Maßnahmen im Zuge der jüngsten globalen Krisen allzu deutlich geworden.
In Paris bleibt Humboldt ein Aktivist hinter den Kulissen. Zurück in seiner Geburtsstadt Berlin ergreift er 1827 das öffentliche Wort und schafft sich sein eigenes Forum, sein eigenes Sprachrohr in die Gesellschaft. In seinen berühmten Kosmos-Vorlesungen, die hunderte von Berlinerinnen und Berlinern in die Singakademie führten und zahlreiche Studenten in die parallel laufenden Universitätsvorlesungen, verteidigt Humboldt das Prinzip der Monogenese und positioniert sich bestimmt und eindeutig gegen anthropologische Spekulationen seiner Zeit wie jene des Göttinger Universitätsprofessors Christoph Meiners. Meiners vertrat die These einer Polygenese, also der Idee einer Abstammung des Menschen in verschiedenen Stämmen. Unterschiede etwa zwischen Europäern und Afrikanern galten so als essentielle Unterscheidungsmerkmale der Art, also Ausdruck verschiedener menschlicher Rassen. Davon ausgehend seien auch qualitative Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Rassen eindeutig zu bestimmen und diese begründeten verschiedene Rechte und Pflichten.
Wie viele weiße Rassisten seiner Zeit war Meiners der Auffassung, Sklaverei und Sklavenhandel gegen schwarze Menschen seien legitime Systeme einer Disziplinierung durch Arbeit und Verschleppung. In der elften Vorlesung vom 21. Februar 1828 über die gemeinsamen Wurzeln der Menschheit wird Humboldt deutlich. Nachdem er zunächst allen Versuchen, Menschen nach unterschiedlichen Rassen einzuteilen, eine Absage erteilt, geht er direkt auf Meiners ein:
Der Irrthum eines, in anderer Hinsicht verdienten Gelehrten, des Herrn Meiners, hat lange dem schändlichen Verkehr des Sclavenhandels zum Vorwand, und zur Entschuldigung dienen müssen. Meiners hat nämlich auf das entschiedenste die Ansicht vertheidigt, daß das Menschengeschlecht augenscheinlich in 2 bestimmt verschiedene Klassen zu trennen sey. Er nimmt an, daß es eine schöne, weiße Menschenrace gebe, der höhern Intelligenz fähig, und eine 2te häßliche, böse, dunkelgefärbte, stumpfsinnige, die er sogar die unvollkomnere nennt, und zu ewiger Sclaverei mit Recht verdammt glaubt. (Humboldt und Kohlrausch 2019, 200)
Meiners’ Grundriß der Geschichte der Menschheit (1785) war zu diesem Zeitpunkt schon über 30 Jahre alt, ihr Autor seit 17 Jahren tot. Sein von rassistischen Essentialisierungen geprägtes Denken war aber offenbar bekannt genug, dass Humboldt sich genötigt sah, direkt auf Meiners Polygenese-Rassismus in seinem Berliner Forum zu reagieren, seine infamen Vorstellungen zurückzuweisen und für ein Ende der Sklaverei einzutreten.41
Nur wenige Jahre vor seinem Tod musste Humboldt sich öffentlich gegen eine Fake-News-Kampagne zur Wehr setzen, mit der man in den USA die Erinnerung an seine berühmte Sklaverei-Kritik im kubanischen Essai politique auslöschen wollte.
Jetzt eben erscheint, sonderbar genug, aus der spanischen Ausgabe und nicht aus dem franzoesischen Original uebersetzt, in New York in der Buchhandlung von Derby und Jackson ein Octavband von 400 Seiten unter dem Titel: The Island of Cuba, by Alexander von Humboldt. With notes and a preliminary Essay by J. Thrasher. […] Ich bin es aber einem inneren, moralischen Gefuehle schuldig, das heute noch eben so lebhaft ist, als im Jahr 1826, eine Klage darüber oeffentlich auszusprechen, daß in einem Werke, welches meinen Namen führt, das ganze 7te Capitel der spanischen Uebersetzung (p. 261–287), mit dem mein Essai politique endigte, eigenmaechtig weggelassen worden ist. Auf diesen Theil meiner Schrift lege ich eine weit groeßere Wichtigkeit als auf die muehevollen Arbeiten astronomischer Ortsbestimmungen, magnetischer Intensitaets-Versuche oder statistischer Angaben. […] Ein beharrlicher Vertheidiger der freiesten Meinungsaeußerung in Rede und Schrift, wuerde ich mir selbst nie eine Klage erlaubt haben, wenn ich auch mit großer Bitterkeit wegen meiner Aeußerungen angegriffen wuerde; aber ich glaube dagegen auch fordern zu duerfen, daß man in den freien Staaten des Continents von Amerika lesen koenne, was in der spanischen Uebersetzung seit dem ersten Jahre des Erscheinens hat cirkulieren duerfen. (Humboldt 1856, 4)42
Thrashers Beweggründe legte dieser in seiner ausführlichen Einleitung zu Humboldts Text unumwunden offen. Kubas geostrategische Bedeutung für die USA war offensichtlich. Debatten um die Annexion Kubas waren in Thrashers Kreisen und in den Debatten der Südstaaten-Politik keine Seltenheit. Im Kleid einer wissenschaftlichen Studie aus der Feder eines der bedeutendsten Wissenschaftler seiner Zeit, war Thrashers Übersetzung vielmehr ein politisches Manifest zur hegemonialen Neuordnung der hispanokaribischen Einflusszone der Vereinigten Staaten von Amerika:
Jeglichen Reformversuch der Sklaverei durch die spanischen Kolonialbehörden lehnte er scharf ab, verwies mahnend auf die Beispiele ‚schwarzer Barbarei‘ auf Haiti und Jamaica und stellte die USA als einzige Macht dar, die Kuba noch vor einem drohenden Rassenkrieg […] retten könne. (Ette 2009, 273–274).
Folgenlos blieb der kleine Ostküsten-Skandal, über den Humboldt durch Thrasher selbst ins Bild gesetzt wurde43, jedoch nicht. Humboldts Protestnote, die in Preußen keine große Beachtung fand, wurde umgehend ins Englische übersetzt und breitete sich in der jungen, aber vitalen Presselandschaft der Vereinigten Staaten aus wie ein Lauffeuer. Das Land befand sich spätestens seit dem Ende des US-mexikanischen Krieges 1848 und der sich daraus verschärfenden Frage nach der Ausdehnung der Sklaverei auf die neu hinzugewonnenen Territorien im Südwesten selbst in einem politisch prekären Moment. Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zwischen dem republikanischen Sklavereigegner John Frémont und dem demokratischen Sklavereibefürworter James Buchanan verschärften sich die innenpolitischen Pole zwischen dem abolitionistischen Norden und der Sklavenhaltergesellschaft des Südens zunehmend.
Humboldts scharfe Zurückweisung von Thrashers Übersetzung fand ein so breites Echo, dass sie im Zuge der bevorstehenden Präsidentschaftswahl die öffentlichen Diskussionen um die ‚slavery states‘ des Südens weiter anheizte. Dieses Momentum machte sich die Republikanische Partei zunutze. Ihr Kandidat Frémont selbst schrieb am 16. August 1856 Humboldt einen Brief und bedankte sich für dessen Unterstützung: „In the history of your life and opinions we find abundant reasons for believing that in the struggle, in which the friends to liberal progress in this country find themselves engaged, we shall have with us the strength of your name.“ (Humboldt 2004, 387).
Im selben Jahr hatte seine Partei bereits einen Brief von Humboldt aus dem Jahr 1850 veröffentlicht, in dem dieser nicht nur Frémonts wissenschaftliche Leistungen auf höchste würdigte, sondern besonders Frémonts Einsatz für die Abolition. Es wurde
als Flugblatt gedruckt und durch die Republikanische Partei in großer Zahl unter Deutschamerikanern verteilt. […] Neuere Untersuchungen des politischen Verhaltens der Deutschamerikaner in den Wahlen von 1856 haben die zeitgenössische Ansicht bestätigt, daß Frémont von ihnen besonders unterstützt wurde. Humboldts unter den Deutschamerikanern weit verbreitete Briefe trugen in großem Maße zu dieser Unterstützung bei. (Humboldt 1984, 24f.)44
Kuba spielte im Präsidentschaftswahlkampf eine zentrale Rolle. James Buchanan, Kandidat der Demokraten und nach dem Sieg gegen Frémont ab 1857 Präsident der Vereinigten Staaten, hatte sich im berüchtigten Ostender Manifest zwei Jahre zuvor eindeutig festgelegt, wie er in Zukunft den Umgang mit der Insel definieren wolle. Das von der abolitionistischen New York Tribune als ‚Manifesto of the Brigands‘ (Manifest der Räuber) geschmähte Dokument war das Ergebnis einer US-Botschafterkonferenz vom Oktober 1854, abgehalten im belgischen Ostende, zur Erörterung der Kubapolitik. Es sah vor, im Sinne einer aggressiv-expansionistischen Südstaatenpolitik die Sklaverei nicht nur zu verteidigen, sondern über die eigenen Kontinentalgrenzen hinaus auf die Karibik auszudehnen (Humboldt 1984, 30, Fn. 3). Buchanan, der das Dokument mitunterzeichnet hatte, rief darin offen zum Kauf der größten der Antilleninseln auf, schreckte im Falle eines zu erwartenden Widerstands durch die spanische Krone aber auch vor militärischen Maßnahmen nicht zurück und kündigte Pläne für eine gewaltsame Übernahme an (Humboldt 1984, 11f.).
Humboldt selbst hatte in einem Brief an die Tribune bereits die Sorge geäußert, bei diesem Manifest handele es sich um nichts anderes als eine Verschwörung gegen die Karibik-Insel (Humboldt 1984, 30, Fn. 3) mit dem eindeutigen Ziel, sich die spanische Kolonie möglichst bald einzuverleiben und so von einer deutlichen Erweiterung der versklavten Arbeiterschaft für den dann neu zu schaffenden, einheitlichen kontinentalkaribischen Wirtschaftsraum profitieren zu können.
Angesichts dieser doppelten Problematik – eine in der Sklavereifrage zutiefst zerrissene US-Gesellschaft und eine politische Führung, die in einem Manifest öffentlich eine Annexion Kubas zur Erweiterung des eigenen Wirtschaftsraums propagierte – war Humboldts Kritik nicht nur eine Sorge um das Schicksal der davon betroffenen Sklaven und um die politische Zukunft Kubas, sondern stets eingebettet in ein Bewusstsein für die Bedeutung, welche die wirtschaftlich wichtigste, bevölkerungsreichste und größte der Antilleninseln für die soziale und politische Stabilität der gesamten Region spielte. Sollte Kuba den USA zufallen, drohte eine unabsehbare Fortsetzung der Sklaverei innerhalb einer wirtschaftlich aufstrebenden, neuen Regionalmacht, die damit auch sicherstellen konnte, den britischen Einfluss in den Antillen weiter zurückzudrängen. Blieb die Insel weiterhin in spanischem Besitz, war an eine Lösung des Problems ebenso wenig zu denken, zumindest nicht auf friedlichem Wege. Das hatte sich 30 Jahre nach Erscheinen des Essai politique – und entgegen Humboldts ursprünglichen Prognosen – leider allzu deutlich herausgestellt.
Die letzte Episode in der Analyse von Humboldts Rolle als Akteur einer abolitionistischen Politik handelt weniger von dem preußischen Humanisten selbst als von einem Brasilianer, dessen Lebensweg in keinem Berliner Schulbuch über Stadtgeschichte fehlen dürfte: Friedrich Wilhelm Marcellino aus Rio de Janeiro.45 Marcellino wird 1852 in Brasilien als Haussklave an den Dresdner Arzt Dr. Ritter verkauft. 1854 kommen Ritter und Marcellino nach Berlin, hier verweigert der junge Mann seinen Dienst und mietet sich in einer eigenen Wohnung ein. Er sucht die Hilfe bei einem Berliner Zeitungsverleger, der Marcellino umgehend zu seinem eigenen Diener erklärt und versucht, ihn unter den Schutz der preußischen Gesindeordnung zu stellen. Doch die Maßnahme erlaubt Marcellino noch nicht die ersehnte Freiheit. Mit Hilfe des Berliner Verlegers strengt der Brasilianer einen Diffamationsprozess gegen seinen ehemaligen Herrn an. Nun war Ritter gezwungen, zu belegen, dass Marcellino tatsächlich sein Sklave war. Da der Dresdner Mediziner zunächst keine überzeugenden Nachweise erbringen kann, setzt das Stadtgericht Marcellino frei. Später wird das Urteil in der Revision wieder einkassiert, aber keine preußische Behörde sah sich imstande oder war bereit, Marcellino rückwirkend erneut zu versklaven. Man kann sich diese Situation gar nicht absurd genug vorstellen: Hier war ein junger Mann aus Brasilien, der auf der Reise über den Atlantik offenbar beschlossen hatte, in Europa für seine Freiheit zu kämpfen. Und ein Berliner Rechtssystem, das angesichts seiner intelligenten und mutigen Haltung schlicht überfordert war, die alten Verhältnisse über Zwangsmaßnahmen wiederherzustellen. Marcellinos Freiheit war nicht mehr umkehrbar und Ritter musste Preußen ohne seinen ehemaligen Haussklaven wieder verlassen. Der „Diffamationsprozeß zwischen einem bisherigen Sclaven und seinem Herrn, vor Preußischen Gerichten verhandelt“, wie es in den Zeitungen hieß, sollte noch Jahre später die internationale Presse und juristische Literatur beschäftigen.
Trotzdem hatte Marcellinos einzigartiger Fall nichts daran geändert, dass Sklaverei in Preußen weiterhin nach altem Recht zumindest geduldet wurde. An dieser Stelle kommt Humboldt ins Spiel. 1856 beruft Friedrich Wilhelm IV. eine Kommission zur Klärung der Frage, auch auf Drängen des alten Abolitionisten aus den Tropenwäldern. Auch wenn die meisten Abgeordneten der preußischen Kammer den Fall eher symbolisch behandelten, war die Ausgangslage klar: Da die preußische Diplomatie den Sklavenhandel für illegal erklärt hatte und man sich weiterhin an das internationale Völkerrecht halten wollte, konnte man Sklaverei auf eigenem Boden nicht für legal erklären. Vor allem wollten die preußischen Politiker sich nicht mit Sklavenhaltergesellschaften auf dem amerikanischen oder afrikanischen Kontinent gemein machen. Am 11. November 1856 verabschiedete man schließlich das neue Gesetz mit folgendem Wortlaut: „Sklaven werden von dem Augenblicke an, wo sie Preußisches Gebiet betreten, frei. Das Eigenthumsrecht des Herrn ist von diesem Zeitpunkte ab erloschen.“ (zitiert nach Lentz 2020, 283). Das preußische Gesetz garantierte nicht nur die unmittelbare Freiheit von Sklaven auf preußischem Boden, sondern untersagte auch jeden Rechtsanspruch auf Entschädigung für die so ‚geschädigten‘ Sklavenhalter.
Humboldt schien auf seinen Anteil an diesem Erlass sehr stolz gewesen zu sein. Am 29. Dezember 1856 schreibt Humboldt seinem Freund, dem Altphilologen August Böckh einen enthusiastischen Brief: „[I]ch habe zu Stande gebracht, was mir am meisten am Herzen lag, das von mir so lang geforderte Negergesetz: jeder Schwarze wird frei werden, sobald er preußischen Boden berührt“ (Humboldt und Böckh 2011, 225).
Der weitere Weg von Marcellino in Berlin bleibt außergewöhnlich. Noch zu Zeiten der Gerichtsprozesse organisiert er sich finanzielle Unterstützung in abolitionistischen Kreisen des Berliner Bürgertums. Erfolgreich bittet er beim preußischen König um eine Finanzierung seiner Ausbildung, schließt eine Tischlerlehre ab, wird Kellner in der Kroll-Oper, ein berühmtes Berliner Varieté-Theater der Zeit, spricht nach einiger Zeit hervorragend Deutsch und heiratet 1861 unter großem öffentlichen Interesse im Berliner Dom eine „junge hübsche Berlinerin“, wie es in der Lokalpresse heißt. Später bittet er den König, seinen Rufnamen zu seinem Nachnamen und sich mit Vornamen Friedrich Wilhelm, so wie der Monarch, nennen zu dürfen.
Marcellino wird auch politisch aktiv: Nachdem er sich in den 1860er Jahren eine bürgerliche Existenz als Dolmetscher aufgebaut hatte, setzte er sich 1862 für zwei afrikanische Bedienstete ein, die zusammen mit einem osmanischen Pferdehändler nach Kreuzberg gekommen waren, um wertvolle Araberhengste an den Hof zu verkaufen. Mittlerweile hatte sich Marcellino gut in der lokalen schwarzen Community vernetzt. War diese auch sehr klein – wohl kaum mehr als ein paar Dutzend Individuen –, so sorgte Marcellino doch dafür, dass sich um ihn herum eine Gruppe von Berlinerinnen und Berlinern organisierte, die für die Freiheitsrechte der afrikanischen Pferdeknechte einstanden und sie gegen die schlechte Behandlung des Händlers zu verteidigen versuchten.
Die politische Landschaft zum Ende von Humboldts Leben war ernüchternd. Weder war die Sklaverei abgeschafft, etwa in den USA, Kuba oder in Brasilien46, noch hatte sich in seiner preußischen Heimat nach 1848 eine demokratische Verfassung im Sinne einer konstitutionellen Monarchie durchsetzen können.47
Wie die Überlegungen dieser Studie aufzeigen konnten, beschäftigt Humboldt das Jahrhundertthema Sklaverei seit den Anfängen seiner Reise durch die amerikanischen Tropen bis zu seinem Lebensende. Während seiner Amerika-Reise erlebt er Sklaverei in situ, auf den Plantagen, auf öffentlichen Plätzen, durch Erzählungen, die an ihn herangetragen werden. Die Einsicht in das vollständige moralische Versagen der kolonialkreolischen Eliten führt bei Humboldt zu einer fundamentalen Entfremdung mit den kulturellen und politischen Maximen seiner europäischen Herkunftsgesellschaft. Am Pariser Schreibtisch kühlt dieser Furor etwas ab und übersetzt sich in die früh gewonnene Erkenntnis, dass Haiti kein Einzelfall bleiben könnte und die hispanoamerikanischen Gesellschaften am Rande weiterer Katastrophen navigierten. Dies galt nach dem Ende der Unabhängigkeitskriege auf dem amerikanischen Festland vor allem für den zirkumkaribischen Raum rund um Kuba (Konförderation freier antillanischer Staaten) und die renitenten Kräfte der dortigen Gesellschaft. Die Forschung hat herausgestellt, dass man den ganzen Essai politique sur l’île de Cuba auch als Versuch lesen kann, diese kubanischen Eliten – vornehmlich die Pflanzerkaste rund um Francisco Arango y Parreño – direkt anzusprechen (Zeuske 2009). Dies ist offensichtlich nicht gelungen, auch Humboldts allzu optimistische Prognosen über kreolischen Reformwillen, eine vernunftgeleitete Politik und einen friedlichen Ausgang aus der Sklaverei in Freiheit und Gerechtigkeit erwiesen sich als politisch unrealistisch. Auch wenn er nie einen ‚politischen Versuch über die Vereinigten Staaten von Amerika‘ verfasst hat, fühlte sich Humboldt zeit seines Lebens der politischen und sozialen Entwicklung der USA aufs Tiefste verbunden, haderte auch hier mit den Abgründen einer Gesellschaftsordnung, die zwar demokratisch organisiert war, aber zu seinen Lebzeiten keine Lösung der ‚Sklavenfrage‘ finden konnte. Dass Humboldt infolge des Thrasher-Skandals sogar – wenn auch ohne Erfolg – mit seiner abolitionistischen Haltung Einfluss auf den US-amerikanischen Wahlkampf nehmen konnte, belegt, dass man Humboldts Rolle als öffentliche Figur kaum überschätzen kann. Das gilt – trotz aller Einschränkungen eines Mannes, der bis zu seinem Lebensende aufs Engste mit dem preußischen Hof verbunden war – auch und gerade in politischen Fragen. Die Bedeutung, die ihm in den abolitionistischen Debatten in England und Frankreich in den 1810er und 1820er Jahren zukommt, macht deutlich, welche Rolle Humboldt hätte einnehmen können, wenn er sich als öffentliche Person strategisch anders positioniert hätte. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob ihm nach einem solchen Schritt noch alle Türen in Paris und Berlin offen gestanden hätten. Dieses Risiko wollte Humboldt keineswegs eingehen.
Der Pragmatiker Humboldt ist ein global agierender Autor. Eine Berühmtheit, die sich publizistisch, nicht aktivistisch zu Wort meldet. Ein Königsflüsterer, der den preußischen Herrscher zu Reformen drängt, wenn er die Chance sieht, damit erfolgreich zu sein. In dieser Ambivalenz kommt Humboldt eine international herausragende Rolle zu, die trotz aller Einschränkungen der Wirksamkeit seiner ‚politischen Versuche‘ bis heute ein Beispiel für Humanität in den Wissenschaften darstellt.
Humboldt, Alexander von ([1799–1800]): [Tagebücher der Amerikanischen Reise] I. Voyage d’Espagne aux Canaries et à Cumana. Obs. astron. de Juin à Oct. 1799. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB – PK), Nachl. Alexander von Humboldt (Tagebücher) I. Quart-Format, Ledereinband.
Humboldt, Alexander von ([1799–1800]): [Tagebücher der Amerikanischen Reise] III. Voyage de Cumana à Caracas, Calabozo et Fernando de Apure de Nov. 1799 à Mars 1799 [sic]. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB – PK), Nachl. Alexander von Humboldt (Tagebücher) III. Quart-Format, Ledereinband.
Humboldt, Alexander von ([1800]): [Tagebücher der Amerikanischen Reise] IV. Journal de la navigation sur l’Apure, l’Orenoque, le Cassiquiare et le Rio Négro (Voy. par les Llanos de Caracas Fernando de Apure) Statistique de Cumanas Pta Araya. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB – PK), Nachl. Alexander von Humboldt (Tagebücher) IV. Quart-Format, Ledereinband.
Humboldt, Alexander von ([1797, 1799–1800]): [Tagebücher der Amerikanischen Reise] V. Reise von Cumana nach der Havana (Altes vor der Reise Dresden, Wien, Salzburg). Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB – PK), Nachl. Alexander von Humboldt (Tagebücher) V. Quart-Format, Ledereinband.
Humboldt, Alexander von ([1801–1802]): [Tagebücher der Amerikanischen Reise] VII a u. b. Rio de la Magdalena – Bogota – Quindiù – Popayan – Quito (Antisana, Pichincha) Pasto Volcan, p 190; Tolima p 164. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB – PK), Nachl. Alexander von Humboldt (Tagebücher) VII a/b. Folio-Format, Ledereinband.
Humboldt, Alexander von ([1802–1804]): [Tagebücher der Amerikanischen Reise] VIII. Voyage de Lima à Guayaquil p 9; Voyage de Guayaquil à Acapulco p 34; Observations astronomiques du Mexique p 300–315; Chronologie de mes voyages; Les 2 Volcans de la Puebla p 153; Voyage d’Acapulco à Mexico p 103; Pachuca, Real del Monte p 133–148 179–182. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB – PK), Nachl. Alexander von Humboldt (Tagebücher) VIII. Folio-Format, Ledereinband.
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1 Vgl. Kraft 2011a und 2011b sowie Kap. 8 in Kraft 2014.
2 Für Informationen zu der hier erwähnten Veranstaltung vgl. https://www.humboldtforum.org/de/programm/termin/diskurs/ueber-das-system-sklaverei-41688. Ein Interview zur Reihe erschien in Vogel 2022.
3 Ich danke auch den anonymen Gutachtern, die mir geholfen haben, diesen Text an entscheidenden Stellen präziser und verständlicher zu machen.
4 Im frz. Original: „HUMANITÉ, s.f. (Morale.) c’est un sentiment de bienveillance pour tous les hommes, qui ne s’enflamme guere que dans une ame grande & sensible. Ce noble & sublime enthousiasme se tourmente des peines des autres & du besoin de les soulager; il voudroit parcourir l’univers pour abolir l’esclavage, la superstition, le vice, & le malheur.“
5 Hierzu ausführlich Fiedler und Leitner 2000, 77–81, 118–121, 130 und Kraft 2012.
6 Zitate aus den Tagebüchern werden hier wie im Folgenden nach der Folio-Zählung der Quelle zitiert sowie ergänzend auch in vorhandenen Editionen. Das Kürzel ART steht für „Amerikanische Reisetagebücher“ und wird im Quellenverzeichnis für alle in diesem Text verwendeten Tagebücher bibliographisch aufgelöst.
7 Zitate aus dem Essai politique sur l’île de Cuba werden aus Gründen der Verständlichkeit hier und im Folgenden nach der siebenbändigen Erstausgabe der Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents (1815–1832) zitiert. Sie enthält die bis heute einzige vollständige deutsche Übersetzung von Humboldts kubanischer, zunächst als Bestandteil der Reise publizierten Studie.
8 Gemeint ist wohl: „Die Furcht vor der Gefahr wird Zugeständnisse erzwingen, welche die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit gebieten.“ (im frz. Org. „La crainte du danger arrachera des concessions que réclament les principes éternels de la justice et de l’humanité.“ (Humboldt 1825[–1831], 483).
9 Im französischen Original spricht Humboldt vom „état de la classe servile“ (Humboldt 1825[–1831], 483).
10 Gerade zur Frage ob man Kant als Rassisten bezeichnen könnte und unter welchen Prämissen diese Diskussion mit Blick auf sein philosophisches Werk sinnvoll zu führen ist, gab es in jüngster Zeit und im Vorgriff auf Kants 300. Geburtstag im Jahr 2024 eine mehrteilige, von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften moderierte Debatte. Vgl. hierzu https://www.bbaw.de/mediathek/archiv-2020/kant-ein-rassist-interdisziplinaere-diskussionsreihe.
11 Die fundamentale Rolle von Sklaverei und der Ökonomie der Sklavenhaltergesellschaften für die Herausbildung moderner kapitalistischer Gesellschaften im 19. Jahrhundert hat insbesondere in den US-amerikanischen Debatten der letzten Jahre im Zuge eines „new history of capitalism (NHC)“ umfangreiche Forschungsergebnisse produziert und wird weiterhin kontrovers diskutiert. Vgl. hierzu beispielhaft Burnard und Riello 2020.
12 Diese Formulierung nicht nur eine eindrückliche Metapher, sondern vielmehr eine terminologische Reaktion auf das Verhältnis von Kapitalismus und Sklaverei aus der Perspektive globaler Wirtschaftsgeschichte (s. die vorherige Fußnote). Vgl. dazu Conermann und Zeuske 2021.
13 Humboldt an Friedrich Heinrich Jacobi, 3. Januar 1791 (Humboldt 1973, 118).
14 Wenn hier oder im Folgenden von „Neger“ die Rede ist, dann ausschließlich im Kontext der Reproduktion historischer Quellen, bzw. als Quellenzitat. Die Frage, ob dem Begriff zum Zeitpunkt seiner historischen Verwendung bereits eine diskriminierende oder rassistische Wertung zugeschrieben werden kann, soll damit weder affirmiert noch entkräftet werden. Sie ist, so scheint mir, immer nur durch den jeweiligen Kontext zu klären und kann nicht pauschal durch die Präsenz eines Wortes beantwortet werden. Mir ist bewusst, dass man diese Haltung kritisieren und schon die unmarkierte Wiedergabe durch die Geschichte belasteter Sprache als Reproduktion historischer Diskriminierungen, und damit als Verletzung und Übergriff wahrnehmen kann. Diese Wirkung ist in keiner Weise beabsichtigt. Vgl. zum Umgang mit dieser Frage beispielhaft bzw. alternativ Lentz 2020, 15 oder das Vorwort bei Meissner et al. 2008.
15 Vgl. hierzu Ette 1998; Lynch 2006, 37; Mackinlay 2010. Zur Bedeutung von Raynals Werk im Kontext einer französischen Perspektivierung der Weltgeschichte und in Differenz zu Humboldts Reisewerk vgl. das dritte Kapitel in Ette 2001 sowie im Kontext der sogenannten „Berliner Debatte“ Ette 2015.
16 In der Provinz Venezuela, so führt Humboldt weiter aus, gäbe es im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, vierundzwanzig Mal mehr Sklaven als in Neu-Spanien, in Jamaica seien es 250mal mehr.
17 Ich stelle diese Frage analog zu den Überlegungen aus Binyavanga Wainainas polemischem, erstmals 2005 veröffentlichten Essay über die (Un-)Möglichkeit eines Schreibens über „Afrika“ (Wainaina 2019), auch enthalten in seiner posthumen Aufsatzsammlung unter dem gleichen Titel (Wainaina 2023).
18 Bewusst wurde in den Tagebuch-Belegen zur Auseinandersetzung mit dem Thema Sklaverei auf das 2016 erstmals edierte Tagebuch von Humboldts zweiter kubanischen Reise Isle de Cube. Antilles en général verzichtet (Humboldt 2016b). Ausführliche Studien zur Bedeutung dieses wichtigen Manuskripts im Kontext der Sklavereigeschichte im 19. Jahrhundert hat Michael Zeuske vorgelegt (etwa Zeuske 2016 und Zeuske (im Druck)). Ihm ist es auch zu verdanken, dass das Manuskript in einer spanischen Erstübersetzung vorliegt (Humboldt 2021a).
19 Vgl. zu dieser Debatte Gerbi 2010.
20 Eine kommentierte deutsche Ausgabe von Las Casas’ epochalem Text ist Casas 2006. Einen konzisen Überblick über aktuelle Tendenzen in der „leyenda negra“-Forschung bietet López de Abiada, José Manuel 2020.
21 Auch wenn man hier einschränken muss, dass der Begriff der „leyenda negra“ erst im frühen 20. Jahrhundert durch das Werk von Julián Juderías eingeführt wurde.
22 Damit meine ich insbesondere den Reisebericht Relation historique, die im Sinne einer modularen Anthologie lesbare Natur- und Kulturstudie Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique, die beiden anthropogeographischen Werke Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagen und Essai politique sur l’île de Cuba sowie seine mentalitäts- und wissensgeschichtlich motivierte Untersuchung Examen critique über die Epoche der iberischen ‚conquistadores‘ in der Zeitenwende vom 15. zum 16. Jahrhundert.
23 Dies gilt sogar für seinen wichtigsten pflanzengeographischen Text, vgl. Kraft 2016.
24 Im Anschluss an diese Passage nennt Humboldt verschiedene Namen und Quellen, die ihm bei der Zusammenstellung der Zahlen geholfen haben. Die Liste liest sich wie ein Who is Who der vor allem britischen Abolitionisten-Szene (etwa William Wilberforce, Zachary Macaulay und Thomas Harrison). Gut informierten zeitgenössischen Lesern muss das aufgefallen sein. Alle hier genannten Namen werden auch in Humboldts kubanischem Tagebuchfragment von 1804 genannt. Vgl. hierzu die Einträge im Personenregister der edition humboldt digital unter https://edition-humboldt.de/H0006388, https://edition-humboldt.de/H0013827 und https://edition-humboldt.de/H0011673.
25 Genauer 1808 in USA, 1815 in Suriname und den niederländischen Kolonien, 1818 in den französischen Gebieten, 1820 in Spanisch-Amerika, 1831 in Brasilien und 1836 in Portugal und seinen afrikanischen Kolonien, vgl. Zeuske 2013, 258.
26 Andere Quellen kommen in dieser nur schwer genau zu bestimmenden Frage für Kuba auf andere Zahlen: zwischen 780.000–1.000.000 versklavte Menschen allein im 19. Jh. bzw. 1.300.000 Menschen für den Zeitraum 1525–1873 (Zeuske 2013, 459).
27 Die folgenden Punkte orientieren sich weitgehend an der konzisen Argumentation in Lubrich 2005, 124.
28 Das Ende der Revolution wird unterschiedlich bewertet, da es nach der Unabhängigkeitserklärung vom 15. Mai 1776 noch jahrelange kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Britischen Königreich gab, die erst 1783 im Frieden von Paris besiegelt werden konnten. Die Verfassung der USA wird 1787 verabschiedet, 1789 wird George Washington zum ersten Präsidenten gewählt. Vom Beginn der Revolution infolge der britischen Landreformen in den nordamerikanischen Kolonien im Jahr 1763 bis zu George Washington vergeht also mehr als ein Vierteljahrhundert. Ähnlich lange sollte die Konsolidierung der neuen Machtverhältnisse fast überall in den ehemaligen Kolonien des amerikanischen Kontinents im 19. Jahrhundert dauern.
29 Eine prägnante Übersicht über die wichtigsten Revolutionsereignisse auf St. Domingue in den 13 Jahren des Kriegs bietet Meissner et al. 2008, 156–159.
30 Vgl. Humboldt 1819[–1821], 43, die Stelle findet sich in fast identischem Wortlaut selbst noch in den Fußnoten zu Humboldts Aufsatz „Über die Steppen und Wüsten“ in den Ansichten der Natur (zitiert nach Humboldt 1986, 41).
31 Vgl. zur „Section 9: Powers Denied Congress“ den Originaltext unter https://constitutioncenter.org/the-constitution/articles/article-i#article-section-9 sowie die sogenannten „Three Sides“ der Debatte, in der die Frage zur Beibehaltung von Sklaverei und Sklavenhandel als Kompromiss aus Prinzipientreue (principle), ökonomischem Vorteil (interest) und politischer Zweckdienlichkeit (politics) behandelt wurde (Lloyd o.J. [2022]).
32 Im Januar 1865 wurde den befreiten Sklaven in den USA ein Maultier und 40 Morgen Land versprochen, also Eigentum und Produktionsmittel zum Start in ein ökonomisch eigenständiges Leben. Zu der dafür benötigten Landreform aber kam es nie, ein angekündigtes Reparationsgesetz trat nie in Kraft (vgl. Piketty 2022, 96).
33 Man kann die französische Zwangsmaßnahme einer Reparation für französische Plantagenbesitzer (zumeist Adlige) auch als Teil einer größeren Kampagne der Restauration betrachten. Im selben Jahr (1825) erließ die Regierung des Comte de Villèle ein Gesetz zur Entschädigung der infolge der französischen Revolution enteigneten Adelsfamilien, ein als ‚Emigrantenmilliarde‘ berüchtigter Erlass, der den französischen Staat 15% des Nationaleinkommens kostete (vgl. Piketty 2022, 112). Einen vergleichbaren Weg ging nach 1834 (Verbot der Sklaverei in allen britischen Territorien) auch die Regierung des Vereinigten Königreiches (Burnard und Riello 2020, 232).
34 Vgl. auch die Angaben zu Haiti auf der interaktiven Karte „Indemnités et réparations de l’esclavage dans le monde“ des Centre International de recherches sur les esclavages et post-esclavages (CIRESC) unter https://esclavages.cnrs.fr/cartographie/.
35 Im 20. Jahrhundert verkauften die französischen Banken die Restschuld an die USA, die Haiti für zwanzig Jahre bis 1934 besetzt hielten. Erst in den 1950er Jahren war alles bezahlt (vgl. Piketty 2022, 87).
36 Zu den Zahlen und der Geschichte der Entschädigungszahlungen in den französischen und britischen Kolonien Amerikas gibt es mittlerweile umfangreiche Forschung und ausführliche Datenbanken wie Legacies of British Slave-Ownership (https://www.ucl.ac.uk/lbs/) und Esclavages et indemnités (https://esclavage-indemnites.fr/), vgl. Piketty 2022, 91.
37 „Je ne suis pas de Votre opinion sur la dette publique, mais cela c’est qu’une question accessoire et nous convenons dans le fait même.“ (Humboldt 1993, 300).
38 In Abgrenzung zur typischen Haltung der Zeit hatten berühmte Stimmen wie der französische Aufklärer Condorcet oder Thomas Paine, einer der Gründerväter der USA, Ende des 18. Jahrhunderts für eine Entschädigung der Sklaven (und nicht der Sklavenhalter) plädiert, „etwa in Gestalt einer von den einstigen Herren gezahlten Leibrente oder eines Stücks Land […]. Diese Vorschläge entsprachen freilich ganz und gar nicht der Auffassung der herrschenden Eliten, die sich nur der absoluten Unantastbarkeit des Rechts auf Eigentum verpflichtet fühlten und keine Sekunde daran dachten, diese Büchse der Pandora zu öffnen.“ (Piketty 2022, 92–93).
39 Dazu gehörten einige der wichtigsten Gegner der Sklaverei in Europa, u.a. Thomas Clarkson, Henri Grégoire, Marie-Joseph Motier (der Marquis de La Fayette), Samuel Romilly und James Mackintosh (vgl. Lentz 2020, 187–188, 192). Vgl. auch Fußnote 20.
40 Zum Allgemeinplatz der Humboldt-Rezeption gehören die von Karl Vogt zusammengetragenen Anekdoten über Humboldts Pariser Alltag, deren Farbigkeit sicher in den Details etwas übertreibt, insgesamt aber als sehr zutreffend gelten darf (Vogt 1870, 23–24).
41 Direkt auf das hier behandelte Thema ging Meiners in einem Aufsatz des von ihm mitherausgegebenen Göttingischen historischen Magazin unter dem Titel „Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhangende Befreyung, oder Einschränkung der Schwarzen“ ein (Meiners 1790). Der zutiefst reaktionäre Text, der sich explizit gegen einen koloniale Verbrechen sühnenden Humanismus und „das Geschrey der hitzigen Freyheits-Freunde“ (Meiners 1790, 387) in Stellung bringt, ist ein in seiner Menschenverachtung – übrigens gleichermaßen gegen Afrikaner und versklavte Menschen wie gegen Juden – bemerkenswertes und erschütterndes Beispiel für die Schärfe der abolitionistischen Debatten im deutschsprachigen Raum.
42 Humboldts Behauptung, die spanische Übersetzung habe frei zirkulieren können, war leider falsch. Auf Kuba wurde der Vertrieb des Ensayo político sobre la Isla de Cuba von 1827 unmittelbar nach der Auslieferung in die Buchhandlungen Havannas unterbunden. Vgl. hierzu die erstmals vollständig edierten Dokumente „Carta de consulta al Ayuntamiento de La Habana [1827]“ (hg. von Grisel Terrón), „Acta del Ayuntamiento de La Habana del 29 de noviembre de 1827“ (hg. von Antonio Rojas Castro), „Acta del Ayuntamiento de La Habana del 11 de enero de 1828“ (hg. von Violeta López) und „Expediente sobre la obra ensayo político de la Isla de Cuba y que se nieguen las licencias a la gente de color para escuelas“ (hg. von Bryan Echarri) in Kraft 2021–2023.
43 Thrashers Begleitbrief wurde zusammen mit den hier erwähnten Dokumenten erstmals veröffentlicht in Humboldt 2004.
44 Die Berner Edition von Humboldts unselbständigen Schriften zeigt in ihrer digitalen Edition vorbildlich das gesamte Spektrum der Veröffentlichungsgeschichte dieses Textes, vgl. Humboldt 2021b.
45 Die folgenden Ausführungen fassen in weiten Teilen die Argumentation aus dem Kapitel 2.2 der hervorragenden Studie von Sarah Lentz zusammen (Lentz 2020, 277–292).
46 Erst 1848 wird die Sklaverei in den französischen Kolonien durch das Décret d’abolition de l’esclavage endgültig abgeschafft. Bis 1851 gibt es eine De-facto-Sklaverei afrikanischer Menschen in Peru, in deren Folge chinesische Arbeitskräfte zu Zwangsarbeit unter Sklaverei-ähnlichen Verhältnissen gezwungen werden. Eine Praxis, die erst infolge des Pazifik-Krieges von 1880 gegen Chile endet. Indigene Peruaner lebten in einigen Regionen des Landes in faktischer Leibeigenschaft, das noch auf den encomienda-Strukturen der spanischen Kolonialzeit beruhte und erst 1969 durch die Agrarreform unter der Militärdiktatur des Präsidenten Juan Velasco Alvarado abgeschafft wurde. Noch in den 1850er Jahren wird in den US-Südstaaten ernsthaft die Wiederaufnahme des 1807 verbotenen transatlantischen Sklavenhandels diskutiert. Zum Zeitpunkt von Humboldts Tod ist die Sklaverei legal in folgenden Staaten: Niederlande (Abolition 1863, mit einer Übergangszeit bis 1873), USA (1865, infolge des US-Bürgerkriegs), Puerto Rico (1873), Cuba (1886) und Brasilien (1888). Vgl. zu den Zahlen Osterhammel 2009, 203, 994, 1198 und Zeuske 2013, 478.
47 Für eine Zusammenfassung von Humboldts Positionen in der Folge der Ereignisse rund um 1848 vgl. Beck 1961, 194–201.