Hanno Beck
Mit einer einleitenden Bemerkung von Ingo Schwarz
Werra-Rundschau, Jahrgang 1, Nr. 76 (18.9.1948), S. 8. Die Neuveröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Zeitung Werra-Rundschau.
Zu Hanno Becks 90. Geburtstag erschien 2013 in HiN ein früher Aufsatz des Jubilars und eine Würdigung seiner Forschungen über Leben und Werk Alexander von Humboldts.1 Kurz nach Becks Tod erinnerten wir mit dem Aufsatz „Alexander von Humboldt und die Eiszeit“ noch einmal an den Gelehrten.2 Hier wird nun aus Anlass seines 100. Geburtstags Becks erste Publikation über Alexander von Humboldt3, erschienen im Jahr 1948, neu veröffentlicht. Der Verfasser war zu dieser Zeit Student der Geographie, Geschichte und Germanistik an der Philipps-Universität Marburg. Zu seinen ihn nachhaltig prägenden akademischen Lehrern gehörten dort der Geograph Heinrich Schmitthenner (1887–1957) und der Germanist Werner Milch (1903–1950).
Drei Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur erinnerte Beck in seinem Artikel mit Verweis auf Goethe und die Brüder Humboldt an humanistische, international anerkannte und geschätzte Traditionslinien in der deutschen Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Becks Sprache erscheint uns heute ein wenig pathetisch. Mit bildhaften Vergleichen und prägnanten Zitaten wollte er sein Publikum fesseln. Übrigens zeichnete dieser Stil auch manche seiner späteren Arbeiten und seiner zahlreichen Vorträge aus. Ob die Bilder und Vergleiche immer passend gewählt sind, mögen die Leserinnen und Leser selbst entscheiden.
Der als Zeitungsbeitrag verfasste Text belegt, dass Beck mit der Erkundung von Leben und Werk Alexander von Humboldts schon früh ein Forschungsfeld erkannte, das ihn als Geographiehistoriker sein Leben lang beschäftigen sollte. Bemerkenswert ist auch, dass der in Bonn lehrende Forscher seiner Heimatregion an der Werra stets verbunden blieb. Nicht zufällig ließ er deshalb zahlreiche seiner publizistischen Arbeiten in der Werra-Rundschau erscheinen.
Der folgende Text wurde um erläuternde Fußnoten ergänzt und an die neue Rechtschreibung angepasst. Die Zitate aus Humboldts Schriften entsprechen in Bezug auf Orthographie und Interpunktion den Vorlagen.
Berlin, zum 13.9.2023
Ingo Schwarz
Hanno Beck
(geb. am 13. September 1923 in Eschwege, gest. am 20. September 2018 ebenda)
Es gibt nur wenige Bücher, die der Menschheit ganz gehören. Unter diesen Büchern steht der Erzguss des Humboldt’schen Alterswerkes, der „Kosmos“. Hier ist es zum letzten Male einem Menschen gelungen, das Wissen seiner Zeit von der Erde in ein Werk hinein zu bändigen, in einem Stil, der wie der Goethes eine erhabene Ruhe ausströmt.
In diesem Werk hat Humboldt einer Sehenswürdigkeit unserer Heimat ein Denkmal gesetzt: „Aus engen Oeffnungen emporgequollen […] in der blauen Kuppe bei Eschwege […] durchbricht der Basalt bunten Sandstein und Grauwackenschiefer, und breitet sich nach oben zu wie der Hut eines Pilzes in Kuppen aus“.4 Heute können wir in die Kuppe eintreten wie in einen großen hohlen Backenzahn, weil sie als Steinbruch diente, bevor sie unter Naturschutz gestellt wurde. Humboldt, der entdeckte, dass Gesteine sich verformen, wenn sie von glühenden Massen durchschmolzen oder durchbrochen werden (Kontaktmetamorphose), war besonders der so umgestaltete Buntsandstein aufgefallen.
Wilhelm und Alexander von Humboldt gehören zu den etwa 20 großen Brüderpaaren um 1800. Am 14. September 1769 war Alexander in Tegel5 geboren worden, im gleichen Hause, das Goethe während seines einmaligen Aufenthalts 1778 als Gast der Familie Humboldt besuchte.6 Goethe hat Humboldt später neben sich anerkannt wie keinen anderen; mehrere Stellen in seinen Werken sind von Humboldts Größe durchzittert. An den verschiedensten Dingen hat sich Alexander versucht: er konstruierte eine Sicherheitslampe und kümmerte sich als Oberbergrat um die Bildungsverhältnisse der Bergleute.
Im Strahlkern seines Ruhms liegt seine Reise nach Amerika von 1799 bis 1804 mit dem Franzosen Aimé Bonpland. Am bekanntesten von dieser Reise wurde der Nachweis eines natürlichen Kanals zwischen Orinoko und Río Negro, wo sich die Flüsse verspinnen wie Sirupfäden, die man sich aufs Butterbrot träufelt und schlängelt. Viel weniger bekannt ist die menschliche Seite dieser Reise, seine Freundschaft mit Bonpland und den Eingeborenen. Schon 1825 wies Alexander auf die gefährliche Sklavenfrage Nordamerikas hin7, und als sich der Krieg zwischen Nord- und Südstaaten daran entzündet hatte, führten die Nordstaaten eine Stelle aus Humboldts Werken für sich an8, aus der die schlechte Lage der Neger9 hervorleuchtete. In den Jahren nach der Reise wurde Alexander zum Repräsentanten Deutschlands im Ausland, und es gab eine Zeit, wo man nur über ihn Mitglied der Französischen Akademie werden konnte10. Auch in politischen Dingen bewies er eine sichere Hand. Er sagte den Aufstieg Nordamerikas voraus und unterstützte die südamerikanischen Staaten in ihrem Unabhängigkeitsbegehren. Darum hat ihn Amerika, besonders Mexiko und Südamerika, ins Herz geschlossen.
Als Napoleons Stern stieg, begann Humboldt geistig zu regieren und neue Wissenschaften zu schöpfen. Die Welt, die Alexander von Humboldt beherrschte, hat Napoleon nie erobern können. Humboldts Denkmal steht in vielen Hauptstädten der Erde, sein Name steht mehrmals auf der Landkarte und bewohnt eine Herzkammer der Welt. In äußerlich armen Jahrzehnten hat er unserem Volk ein geistiges Ansehen verschafft, auf das wir uns immer berufen können. Nehmen wir getrost etwas von seiner Ruhe und Sicherheit in uns hinein: „Es wäre ein verderbliches, ich möchte beynahe sagen gottloses Vorurtheil, im zunehmenden Wohlstand irgendeiner andern Gegend unsers Planeten den Untergang oder das Verderben des alten Europa erblicken zu wollen.“11
1 Schwarz, Ingo: Hanno Beck zum 90. Geburtstag. In: HiN – Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam – Berlin) XIV, 27 (2013), S. 84–86, DOI: https://doi.org/10.18443/184.
2 Beck, Hanno: Alexander von Humboldt und die Eiszeit (Forschungsunternehmen der Humboldt-Gesellschaft, Nr. 1) (Mit einer Vorbemerkung von Ingo Schwarz). In: HiN – Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam – Berlin) XX, 38 (2019), S. 51–67, DOI: http://dx.doi.org/10.18443/279.
3 Vgl.: Schriftenverzeichnis Prof. Dr. Hanno Beck in: Cosmographia Spiritualis. Festschrift für Hanno Beck [Hrsg. von Wolf-Dieter Grün, Detlef Haberland, Uwe Schwarz]. Bonn 1983, S. 129–191, der hier neu veröffentlichte Artikel erscheint auf S. 138.
4 Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart und Tübingen 1845, S. 270, https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/humboldt_kosmos01_1845?p=289, [zuletzt abgerufen am 22.2.2023].
5 Die Frage, ob Alexander von Humboldt in der Berliner Jägerstraße oder im Schloss Tegel geboren wurde, ist bis heute nicht eindeutig beantwortet. Siehe dazu: Biermann, Kurt-R.: War A. v. Humboldt ein Berliner? In: Spectrum 22 (1991), H. 4, S. 45.
6 Vgl. dazu: Vermischte Schriften von K. A. Varnhagen von Ense. Dritte, vermehrte Auflage. 2. Teil (= Ausgewählte Schriften, 3. Abteilung, Bd. 18). Leipzig 1875, S. 343–344.
7 Im August 1825 schrieb Humboldt an den Kartographen Heinrich Berghaus: „Und selbst den – Bürgern der Vereinigten Staaten stellen Sie böses Prognosticon! Ich glaube, Sie gehen zu weit. Hier hört die Einwanderung doch niemals auf, also neuer Zuschuß in Hülle und Fülle […]. Ein Anderes ist es, wenn, wie Sie sehr richtig bemerken, die Sklaven-Frage dereinst zum Ausbruch kommen sollte; für den Fall theile ich vollkommen Ihre Ansicht über das Precarium des staatlichen Bestandes der nordamerikanischen Union. Ich wünsche diesen Fall nicht zu erleben. Ich halte viel, sehr viel auf die Vereinigten Staaten, weil sie der Hort einer vernünftigen Freiheit sind!“ Briefwechsel Alexander von Humboldt’s mit Heinrich Berghaus aus den Jahren 1825 bis 1858. Bd. 1. Jena 1869, S. 16–17, https://archive.org/details/briefwechselale01berggoog/page/n39/mode/2up, [zuletzt abgerufen am 22.2.2023].
8 Beck spielt hier auf den Protest an, den Humboldt gegen eine englische Übersetzung seines Essay politique sur l’île de Cuba durch John S. Thrasher (1856) in deutschen und amerikanischen Zeitungen publizieren ließ. Thrasher hatte Humboldts Ausführungen über die Sklaverei, die dem Verfasser sehr wichtig waren, aus politischen Gründen weggelassen. Ein Wiederabdruck des Humboldt’schen Protests in: Alexander von Humboldt. Sämtliche Schriften, hrsg. von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich. Band VII: 1850–1859, hrsg. von Joachim Eibach und Thomas Nehrlich. München 2019, S. 389–390.
9 Becks Wortwahl kann als Beleg dafür gelten, dass die rassistische und diskriminierende Konnotation dieses Begriffs zur Entstehungszeit des Artikels nicht im allgemeinen Bewusstsein präsent war.
10 Zum Thema „Humboldt in der Pariser Académie des Sciences“ siehe: Päßler, Ulrich: Ein „Diplomat aus den Wäldern des Orinoko“. Alexander von Humboldt als Mittler zwischen Preußen und Frankreich. Stuttgart 2009, S. 41–74.
11 Humboldt, Alexander von und Bonpland, Aimé: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1802, 1803, 1804. Fünfter Teil. Stuttgart und Tübingen 1826, S. 104, https://books.google.de/books?id=kG4zAQAAIAAJ&pg=PA1&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false, [zuletzt abgerufen am 22.2.2023]. In: Humboldt, Alexander von: Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents. Hg. von Ottmar Ette. Mit Anmerkungen zum Text, einem Nachwort und zahlreichen Abb. sowie einem farbigen Bildteil. Zweiter Band. Frankfurt/M. und Leipzig 1991, S. 1465, lautet die Passage: „Gewiß ist infolge der großen Umwälzungen, denen die menschlichen Gesellschaften unterliegen, das Gesamtvermögen, und damit das gemeinschaftliche Erbgut der Zivilisation, unter die Völker beider Welten ungleich verteilt; aber allgemach stellt sich das Gleichgewicht wieder her, und es ist ein verderbliches, ja ich möchte sagen gottloses Vorurteil zu meinen, es sei ein Unheil für das alte Europa, wenn auf irgendeinem andern Teil unseres Planeten der öffentliche Wohlstand gedeiht.“