Ottmar Ette
Der Aufsatz erschließt die Anfänge, Ergebnisse und Erfolge der editionsphilologischen Arbeit im laufenden Projekt des BBAW-Langzeitvorhabens „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ und gibt einen Überblick über die Zukünfte philologischen Arbeitens mit den Methoden der Digital Humanities. Dabei werden auch bibliophile Druckausgaben digitaler Publikationen und die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit der Figur Alexander von Humboldts in den Blick genommen, was durch zahlreiche Vernetzungen zwischen Institutionen international gefördert und durch kontinuierliche Kooperationen insbesondere durch das neu gegründete Humboldt Center for Transdisciplinary Studies (HCTS) in China/Changsha erweitert wird. Diskutiert wird die wissenschaftliche Bedeutung der graphischen und visuellen Dimension des Humboldt’schen Archivs, die durch die digitale Aufbereitung des Materials Forscher:innen weltweit miteinander verbindet und neue Forschungskonzepte eröffnet.
The article opens up the beginnings, results and successes of the philological work on the digital scholarly editions in the current project of the BBAW long-term project “Travelling Humboldt – Science on the Move” and gives an overview of the future of philological methods within the Digital Humanities. It focuses also on bibliophilic print editions of digital publications and the ongoing public relations work of Alexander von Humboldt’s figure, which is promoted internationally through numerous networks between institutions and expanded through ongoing collaborations, especially through the newly founded Humboldt Center for Transdisciplinary Studies (HCTS) in China/Changsha. The article discusses the scientific significance of the graphic and visual dimension of Humboldt’s archive, which connects researchers worldwide through the digital realization of the material and gives rise to new research concepts.
El artículo expone los inicios, resultados y éxitos del trabajo filológico de edición en el proyecto actual de la BBAW “Humboldt Viajero – Ciencia en movimiento“. En ese contexto ofrece una visión general del futuro del trabajo filológico con los métodos de las Humanidades Digitales. También se prestará atención a las ediciones impresas bibliófilas de las publicaciones digitales y a las relaciones públicas de la figura de Alexander von Humboldt, que se promueve internacionalmente a través de numerosas redes entre instituciones y se amplía mediante colaboraciones continuas, especialmente a través del recién fundado Centro Humboldt de Estudios Transdisciplinarios (HCTS) en China/Changsha. Se debatirá la importancia académica de la dimensión gráfica y visual del archivo de Humboldt, que conecta a investigadores de todo el mundo a través del realización digital del material y abre nuevos conceptos de investigación.
Archive sind zu interaktivierende Speicher von Vergangenheiten, die für die Gestaltung von Zukünften gemacht sind.1 Sie dienen dazu, vergangene Zukunft zu erschließen und damit zu skizzieren, was unsere Gegenwart und Zukunft wurde oder – vielleicht häufiger noch – hätte sein können. Wenn der Satz zutrifft, dass ein Land, das seine Geschichte nicht aufarbeitet, dazu verurteilt ist, seine Geschichte immer wieder von neuem zu durchleben – und nicht immer findet dies, um Karl Marxens Ausspruch zu variieren, in der Form der Farce statt, wie der gegenwärtige Krieg in der Ukraine und die damit zusammenhängenden erfolgreichen Propaganda- und Repressionsmaßnahmen in Russland zeigen –, dann sind Archive gleichsam eine Art Lebensversicherung für eine bewusste und reflektierte Gestaltung von Zukunft. Archive sind folglich weit davon entfernt, verschüttete Gräber der Vergangenheit zu sein, welche ebenso für die Arbeit an Erinnerung und Gedächtnis wie auch für manche Grabräuber zur Verfügung stehen: Sie sind vielmehr Einrichtungen, mit deren Hilfe offene Zukünfte aufgefunden und erfunden werden können. Arbeiten im Archiv sind für Gesellschaften lebensnotwendig.
Die wissenschaftliche Erschließung und Zugänglichmachung von Archiven ist daher von hohem gesamtgesellschaftlichem Wert, ohne dass sich die gesamte Gesellschaft immer dieser Bedeutung bewusst wäre. Es geht im Kern um die mögliche Freilegung und Öffentlichmachung verschütteter Traditionen, deren sich eine Gesellschaft nicht bewusst sein muss, die aber Bedeutung für ihr in der Vergangenheit wurzelndes und in die Zukunft gerichtetes Selbstverständnis besitzen. Die Arbeit im Archiv kann uns etwa zeigen, wie ein Denken und ein Schreiben einer Autorin oder eines Autors entstanden sind und was sich hinter der blankpolierten Oberfläche publizierter Schriften verbirgt.
Eine erfolgreiche Archivarbeit kann darüber hinaus deutlich machen, in welchem Maße ein bestimmtes Denken, das früh schon aufkeimte und existierte, über längere Zeiten gesamtgesellschaftlich ausgeblendet oder totgeschwiegen wurde. Dass es sich beim Denken Alexander von Humboldts zumindest im deutschsprachigen Raum lange Zeit um eine verschüttete Tradition handelte2, die freizulegen mehrere Jahrzehnte brauchte und noch immer braucht, ist eine Tatsache3, die es auch in Zeiten einer rapide gewachsenen Notorietät dieses Autors wachzuhalten gilt.
Auf einem ganz anderen Blatt steht freilich, was die Bedeutung künftiger Archive sein wird und wie (und ob!) diese von einer Nachwelt noch erschlossen werden können. Wie im digitalen Zeitalter digitale Archive ausgewertet werden können, ist dabei nur auf den ersten Blick einfach und notwendig eine Erfolgsgeschichte. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Zugang, ist die Lesbarmachung digitaler Archivmaterialien noch mit relativ einfachen Mitteln möglich. Doch wie werden unsere schriftlichen Hinterlassenschaften in hundert oder tausend Jahren lesbar gemacht werden können? Diese Frage ist aus heutiger Sicht sicherlich nicht zu beantworten: Die zukünftige Vergangenheit hat den Schleier von ihrem Antlitz längst noch nicht gelüftet. Denn wir wissen noch nicht, wie und in welcher Form wir einer Nachwelt Zeugnisse hinterlassen werden, welche diese benötigt, um eines nicht allzu fernen Tages das zu beurteilen und vielleicht auch darüber zu urteilen, was in unserer Zeit gedacht und geschrieben, was möglich gewesen und was davon realisiert worden ist, was aufgedeckt und was davon verschwiegen wurde.
Doch wenden wir uns von den zukünftigen Vergangenheiten ab und den vergangenen Zukünften zu. Nachdem nun mehr als ein Drittel der Projektdauer unseres Akademienvorhabens an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zum Thema „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ vergangen ist und das Langzeitvorhaben bereits zum zweiten Male evaluiert wurde, lässt sich bereits mit großer Sicherheit sagen, dass die Arbeit in den verschiedensten Archiven das Bild Alexander von Humboldts auf eine tiefgründige Weise verändern wird und bereits verändert hat. Die Dynamik dieser Prozesse ist heute noch nicht abzusehen, in jedem Falle aber faszinierend.
Wenn wir uns dem preußischen Natur- und Kulturwissenschaftler über die Archive nähern, so werden wir ohne jeden Zweifel von jenem unermesslichen Staunen erfasst, das am Anfang von Georges Didi-Hubermans Schrift Das Archiv brennt4 steht: das Staunen und die Verwunderung angesichts der Tatsache, dass es überhaupt handschriftliche Reisetagebücher, dass es überhaupt schriftliche Nachlässe von der Feder Alexander von Humboldts in so reichem Maße gibt. Denn die Geschichte dieser Manuskripte ist äußerst bewegt und hätte an verschiedensten Orten leicht dazu führen können, ja bisweilen führen müssen, dass sich die Humboldt’schen Archive in Asche oder in Luft hätten auflösen können. Diese Geschichte der Humboldt-Archive gilt es, mit ihren vielen Lücken, ihren vielen Schwundstufen, aber auch ihren mitunter fabelhaften Erhaltungszuständen ganz im Sinne Didi-Hubermans in die Analyse miteinzubeziehen.5 Denn dass manche dicht beschriebene Bögen beim Kentern einer Piroge mit dem Wasser des Orinoco Bekanntschaft machten – was Humboldt später mehrfach anmerkte und in seine Manuskripte eintrug – und dabei nicht untergingen oder im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs nicht verglühten, grenzt im Grunde an ein Wunder.
Alexander von Humboldt hat in seinem langen und reichen Forscherleben unendlich viele Archive in Preußen, in Deutschland, in Spanien und Italien, in den verschiedenen Vizekönigreichen des späteren Lateinamerika, aber auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Russland oder in seinem geliebten Paris besucht, ausgewertet und in seine Untersuchungen einbezogen. Was aber waren die Ziele, die sich umgekehrt unser Vorhaben über Alexander von Humboldt vor nunmehr zehn Jahren, also in der ersten Hälfte des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, selbst gesteckt hatte?
Halten wir zunächst fest, dass dieses Akademienvorhaben im Januar 2015 seine Arbeit aufnahm, die gemäß dem bewilligten Projektantrag einen Zeitraum von insgesamt achtzehn Jahren umfassen sollte. Dies mag auf den ersten Blick als ein üppig bemessener Zeitraum erscheinen: Unser Vorhaben ist sich vor dem Hintergrund gegenwärtiger universitärer Projektlandschaften durchaus seiner privilegierten Stellung bewusst. Doch gilt es zu begreifen: Editionsphilologie ist keine akademische Kurzstrecke. Alle Mitglieder des Teams wissen, wie knapp bemessen die Zeit ist, die gesteckten Ziele umzusetzen, ganz zu schweigen von all jenen Entdeckungen und Überraschungen, die einen im Reich der Archive erwarten und welche in einem Projektantrag über mehr als zwanzig Jahre hinweg nicht annähernd vorhergesehen werden können.
Das an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelte Vorhaben dient ausschließlich der wissenschaftlichen Erforschung, Sicherung und hybrid zu publizierenden Erschließung all jener Manuskripte und schriftlichen Hinterlassenschaften, die in Zusammenhang mit Alexander von Humboldts weitgedehnten Reisen stehen. Es geht im Kern um Reisetagebücher, Dokumente aus dem Nachlass des Reisenden sowie Korrespondenzen, die in einem direkten Zusammenhang mit der weltläufigen und sich keineswegs nur auf die Reise in die amerikanischen Tropen von 1799 bis 1804 oder die russisch-sibirische Forschungsreise von 1829 stehenden Reisetätigkeit des preußischen Gelehrten beschränkt sind. Vielmehr sind alle ausgedehnteren Reisen des preußischen Kultur- und Naturforschers damit gemeint und einbezogen. Humboldts rastlose Forschungstätigkeit war an die ständigen Perspektivenwechsel des Reisens und an ein Denken aus der Bewegung gebunden. Diese Aussage umschließt einen zentralen Punkt, der in allen Ergebnissen dieses Vorhabens zum Ausdruck kommt: Es handelt sich um den eigentlichen Kern unseres editionsphilologischen Langzeitvorhabens.
Im Grunde gibt es ausgehend von dem somit kurz umrissenen Berliner Akademienvorhaben drei Publikationslinien, von denen sich die beiden erstgenannten direkt aus dem Vorhaben ergeben und deren dritte Linie sich unter anderem aus spezifischen Fragestellungen und Ergebnissen des Vorhabens speist. Diese drei Linien seien bereits vorab genannt, auch wenn ich mich im weiteren Fortgang dieser Überlegungen noch mehrfach auf diese Mehrdimensionalität der mit dem Vorhaben verbundenen Publikationstätigkeit beziehen werde. Bei der ersten Linie handelt es sich um die edition humboldt digital, die mit Hilfe einer Editionsphilologie von höchster Intensität die herausgegebenen Schriften in digitaler Form präsentiert und publiziert.6 Das Vorhaben wurde für die ersten Ergebnisse seiner Arbeit auf diesem Gebiet bereits zu einem frühen und ermutigenden Zeitpunkt 2017 mit dem Digital Humanities Award ausgezeichnet.7
Die zweite Linie veröffentlicht unter der Bezeichnung edition humboldt print editionsphilologisch akkurate Lesefassungen dieser Texte in Buchform, die auf einen breiteren, nicht-spezialisierten LeserInnenkreis berechnet sind und bibliophile Elemente enthalten8. Im Vordergrund stehen editionsphilologisch fundierte und kuratierte Lesefassungen von Humboldts Manuskripten. Wenn Leserinnen und Leser auf spannende Besonderheiten in diesen bibliophilen Textgestaltungen stoßen und noch weiter erforschen wollen, wie es beispielsweise zu einer bestimmten Textstelle kam, dann können sie ohne Weiteres und selbstverständlich kostenfrei auf die erste, digitale Linie des Akademienvorhabens zurückgreifen. Dieser zweiten Linie entspricht auch die digitale Publikation der Bände im E-book-Format, welches wiederum an der Veröffentlichung in Print- oder Buchform ausgerichtet und kostengünstiger zu erwerben ist.
Die dritte Linie, die streng genommen kein Bestandteil des beantragten Akademienvorhabens ist, aber mit diesem direkt zusammenhängt, trägt der Tatsache Rechnung, dass es sich bei Alexander von Humboldt im 21. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum um eine öffentliche Figur handelt, an der ein breites Interesse in der Gesellschaft besteht. Es geht in dieser dritten Linie folglich darum, der gesellschaftlichen Bedeutung des preußischen Gelehrten Rechnung zu tragen und Aspekte seines Denkens einer möglichst breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Denn eine Wissenschaft, die ihr Wissen nicht in die Gesellschaft trägt, verkennt ihre gesellschaftliche Bringschuld und trägt am Ende mit die Verantwortung, wenn die Gesellschaft sie um ihre Mittel bringt.
Dieser dritten Linie sind eine zweimal im Jahr erscheinende und von der Universität Potsdam wie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene und in vier Sprachen publizierte Zeitschrift mit dem Titel HiN – Alexander von Humboldt im Netz, des Weiteren eine digitale Plattform im weltweiten Gewebe namens avhumboldt.de sowie schließlich eine für eine breite, an den Schriften und am Denken Alexander von Humboldts ausgerichtete Öffentlichkeit berechnete Reihe von Büchern zugeordnet, welche auf wissenschaftlicher Grundlage eine nicht-spezialisierte, aber am preußischen Gelehrten interessierte Leserschaft mit unterschiedlichen Aspekten seines Denkens und Schreibens vertraut machen sollen. Nicht selten fließen dabei ästhetische Aspekte in die Konzeption der Bände für große Publikumsverlage mit ein, die in eine strikt wissenschaftliche Edition nicht in einer vergleichbaren Form zu integrieren wären9.
All diese verschiedenartigen und medial differenzierten Formen von Veröffentlichungen beruhen letztlich auf der Arbeit im Archiv. Unterschiedlichste Formen und Zustände der Manuskripterhaltung dienen als Grundlage für die vollständige Edition all jener Reisetagebücher, die der preußische Wissenschaftler zu Lebzeiten erstellte und an denen er – wie etwa an seinen Amerikanischen Reisetagebüchern – ein ganzes Leben lang schrieb und die er noch im hohen Alter um Zusätze ergänzte10. Die Arbeit im Archiv beinhaltet die systematische wissenschaftliche Erschließung des handschriftlichen Nachlasses insbesondere in den Bibliotheken und Archiven in Krakau oder Berlin, aber selbstverständlich auch in den Archiven vieler anderer europäischer wie außereuropäischer Länder.
Das Akademienvorhaben bedient sich dabei nicht nur digitaler Verfahren und Editionsprinzipien, sondern gibt – wie schon bei den oben aufgelisteten Publikationslinien erkennbar wurde – dem Digitalen den eindeutigen Vorrang. Nicht nur innerhalb der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften übernimmt das Vorhaben damit eine Pionierrolle und Pilotfunktion für andere editorische Projekte.
Dabei versucht das an der BBAW beheimatete Akademienvorhaben das erworbene Wissen nicht nur mit möglichst vielen Einzelpersonen im In- und Ausland, sondern auch mit internationalen Kooperationspartnern zu teilen. Ein von der Fritz Thyssen-Stiftung, der Gerda Henkel-Stiftung und dem Auswärtigen Amt finanziertes Teilprojekt (auf das ich zu einem späteren Zeitpunkt aus anderer Perspektive nochmals eingehen werde) zielt darauf ab, jungen kubanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen Einstieg in eine digital fundierte Editionsphilologie zu ermöglichen und zugleich historische Dokumente vor einem möglichen Verfall zu retten. Diese Dokumente werden gescannt, editionsphilologisch aufgearbeitet und damit einer internationalen scientific community zur Verfügung gestellt. So wie die Verbindungen zwischen der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz und die Biblioteka Jagiellonska im polnischen Krakau ihre jeweiligen Archive miteinander vernetzt und damit einen ungeheuren Schatz für die Alexander von Humboldt gewidmete internationale Forschung zur Verfügung gestellt haben, so soll es gelingen, weitere Archive für die wissenschaftliche Erforschung zu erschließen und damit öffentlich zugänglich zu machen.
Durch internationale Erweiterungen des Archivs verändert sich das Bild Alexander von Humboldts. Manche Veränderungen der Blickrichtungen sind aus heutiger Perspektive noch nicht absehbar. Ein für die Humboldt-Forschung gänzlich neues und innovatives Forschungsfeld stellen die zahlreichen Beziehungen zwischen Alexander von Humboldt und China dar. Die Gründung des Humboldt Center for Transdisciplinary Studies (HCTS)11 an der Hunan Normal University in Changsha im Jahre 2019 bietet eine wunderbare Plattform für die zielgerichtete Vernetzung der chinesischen wie der internationalen Forschung, wobei das Zentrum ebenso wissenschaftliche Qualifikationsschriften wie Alexander von Humboldt gewidmete Dissertationen betreut.
Innerhalb eines breiteren transdisziplinären Rahmens bietet das HCTS die Möglichkeit, transareale Projekte voranzutreiben, welche auch ganz im Geiste des Namensgebers außerhalb der Humboldt-Studien China, Europa und Lateinamerika miteinander vernetzen. Gerade in politisch zunehmend schwierigem Fahrwasser ist es notwendig, im Bereich der Wissenschaften wie in jenem der Kultur Brücken zu bauen, um historisch gewachsene Verbindungen weiterzuentwickeln und nicht abreißen zu lassen. Dies entspricht im übrigen auch der intendierten Stoßrichtung der bereits erwähnten internationalen Zeitschrift HiN – Alexander von Humboldt im Netz, die sich an eine internationale scientific community wendet, deren Vernetzungen sich in den beiden vergangenen Jahrzehnten als so hilfreich und produktiv erwiesen haben.
So muss dem weit gespannten internationalen Netzwerk Alexander von Humboldts, das etwa an seinem gewaltigen Briefwerk von gewiss über dreißigtausend Briefen zum Ausdruck kommt, ein internationales und transareal ausgerichtetes Netzwerk der Humboldt-Forschung an die Seite gestellt werden, das es erlauben soll, die bestehenden Austausch-, Kooperations- und Erforschungsmöglichkeiten insbesondere über Disziplinengrenzen hinweg auszuweiten und zu intensivieren. Dass hierbei auch weiterhin die Archive der Staatsbibliothek zu Berlin PK und der Biblioteka Jagiellonska in Krakau das eigentliche Herzstück darstellen, auf welches unser Akademienvorhaben zugreift, steht dabei ebenso wenig außer Frage wie die Tatsache, dass selbst diese zunehmend erschlossenen Archive noch eine Vielzahl möglicher Überraschungen bergen.
So wie Alexander von Humboldt mit zahlreichen preußischen, europäischen und außereuropäischen Wissenschaftlern zusammenarbeitete, ist das Akademienvorhaben bemüht, die editionsphilologische Arbeit am Archiv durch die Hinzuziehung internationaler MitherausgeberInnen und MitarbeiterInnen qualitativ zu bereichern und zu intensivieren. Dabei wird die Kooperation mit ExpertInnen für bestimmte Themengebiete gesucht, die ihre Sachkompetenz in Ergänzung der im Vorhaben selbst vorhandenen Spezialisierungen zum beiderseitigen Nutzen zur Verfügung stellen. Während in der Publikationslinie edition humboldt digital eine umfassende editionsphilologische Arbeit geleistet wird, steht in der kuratierten Publikationslinie der edition humboldt print die Kohärenz und Lesbarkeit der entsprechenden Manuskripte und Reisetagebücher im Vordergrund, welche in den Archiven von Berlin, Krakau und vieler anderer Orte aufgefunden und erschlossen wurden und werden. Nicht allein die Reisetagebücher, sondern auch die Korrespondenzen stellen ein stetig wachsendes Feld an Archivbeständen dar, das sich infolge der geleisteten Forschungsarbeit weiterentwickelt. Das Archiv wächst mit jedem aufgefundenen oder bekannt gewordenen Brief von oder an Alexander von Humboldt.
In diesem Zusammenhang gilt es zu betonen, dass die Bände der Reihe edition humboldt print zwar auf den Forschungen und Herausgaben der edition humboldt digital und damit auf demselben elektronischen Datenmaterial beruhen, das für die ehd das Fundament bildet, aber vollumfänglich eigenständig konzipiert und kuratiert, also in Szene gesetzt werden. Der Leitsatz Digital First! bedeutet keineswegs, dass allein eine an der ehd entwickelte Logik vorherrschen würde. Vielmehr verfügt die ehp über eine ausgesprochene Eigenlogik, welche bei jedem Band angepasst und modifiziert werden muss. Man könnte daher sehr wohl die Formulierung wagen, dass die Archive in beiden Reihen auf unterschiedliche Weise zum Sprechen gebracht werden. Vor diesem Hintergrund ist es selbstverständlich nicht nur möglich, sondern zielführend, zwischen beiden Publikationslinien hin- und herzupendeln und auf diese Weise beide Lesarten des Archivs miteinander in einen dialogischen Bezug zu setzen.
Dem Archiv werden damit verschiedene Stimmen gegeben, die sich in einem wechselseitigen Austauschprozess befinden und innerhalb des Gesamtvorhabens orchestriert werden müssen. Mit einer epistemischen Metapher könnte man diese Art der Archivarbeit mit der eines Orchesterchores vergleichen, für den unterschiedliche Aufführungsmöglichkeiten bestehen. Man darf daher ein solches Verfahren mit Fug und Recht als polyphon und polylogisch bezeichnen, insofern die Mehr- und Vielstimmigkeit auch mit dem Rückgriff auf unterschiedliche Logiken von Edition und Publikation in Verbindung gebracht werden kann. Dass bei den Buchpublikationen darüber hinaus die jeweiligen Eigenlogiken und technologischen Möglichkeiten der vorhandenen Verlagsstrukturen eine alles andere als unwichtige Rolle spielen, ist eine wichtige Erkenntnis, die längst in die konkrete Arbeit am Archiv eingeflossen ist.
Es ist daher ebenso gewollt wie fundamentaler Bestandteil des gesamten Akademienvorhabens: Beide Publikationslinien gehorchen jeweils anderen Publikationslogiken, welche dasselbe Datenmaterial des Archivs auf unterschiedliche Weise zum Sprechen bringen oder Stimme verleihen. Dass die oben erwähnte und für ein weiter gespanntes Publikum verfasste Editionsreihe in großen Publikumsverlagen wiederum anderen Logiken gehorcht, sei an dieser Stelle lediglich erwähnt. Denn die Veröffentlichung aller Zeichnungen Alexander von Humboldts in den Manuskripten seiner Amerikanischen Reisetagebücher etwa im bibliophilen, hochpreisigen und für seine herausragenden Kunstbände berühmten Prestel-Verlag12 folgt einer grundlegend anderen Logik als die geplante Veröffentlichung von Schriften, welche Humboldt als Vorläufer eines ökologischen Denkens zeigen, eine Veröffentlichung, die sich im Verlag Philipp Reclam jun. an ein breites und zum Teil junges Publikum wendet13.
Es geht folglich bei den verschiedensten editorischen Bemühungen um bislang wenig bekannte Manuskripte und Texte aus der Feder Alexander von Humboldts darum, die Schätze des Archivs auf unterschiedliche Weise zum Sprechen zu bringen und damit das Archiv als einen zu interaktivierenden Speicher von Vergangenheiten zu nutzen, die es uns erlauben, die vergangenen Zukünfte im Denken des preußischen Gelehrten herauszuarbeiten und so zu einem hochdifferenzierten Verständnis der Entwicklung seiner Konzeptionen beizutragen. Die Arbeit an diesem differenzierten Klangkörper soll sinnlich erfahrbar machen, was in Humboldts Denken angelegt, was von ihm später in Teilen umgesetzt und auch, was sich im Sinne eines unvollendeten Projekts an eine Zukunft wandte, die der mit knapp neunzig Jahren verstorbene Gelehrte nicht mehr erlebte. Im Zentrum der Arbeit im und am Archiv stehen folglich die vergangenen Zukünfte. Dass diese Erschließung der prospektiven Dimension des Archivs eine grundlegende Forschungsleistung darstellt, die bei der Arbeit am Archiv nicht außer Acht gelassen werden kann, wurde in der Forschungsliteratur zum Archiv immer wieder von der spezialisierten Literatur herausgearbeitet14.
Überdies entsprechen den drei skizzierten Publikationslinien unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten, wie sie sich aus den jeweiligen Publikationsmedien bereits ergeben. Die edition humboldt digital ist eine kostenfreie Open Access-Publikation und setzt lediglich den Zugang zum Internet – der, dies sollte man gleichwohl nicht vergessen, nicht überall auf unserem Planeten in vergleichbarer Weise gegeben ist – voraus. Bei der Edition wissenschaftlicher Bände im Wissenschaftsverlag Metzler bzw. Springer Nature wurde nicht nur auf eine bibliophile Ausstattung, sondern auch auf einen im Vergleich moderaten Preis geachtet, wobei die E-Book-Version nochmals deutlich kostengünstiger zu erwerben ist. Da der Verlag bei vielen wissenschaftlichen Einrichtungen und Institutionen entsprechend umfangreiche Literatur-Pakete verkauft, ist für viele Nutzerinnen und Nutzer dieser Einrichtungen der Zugang zu diesem elektronischen Format ebenfalls kostenfrei.
In der dritten Publikationslinie variieren die entsprechenden Preise je nach Kalkulation der Verlage und dem ins Auge gefassten Zielpublikum erheblich, wobei in diesem Sektor zweifellos zumindest kurz- und mittelfristig die bei weitem höchsten Absatzzahlen zu verzeichnen sind. Angesichts der Tatsache, dass auch im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts noch immer das Buch das Leitmedium ist, wenn es um das Erreichen eines breiten nicht-spezialisierten Publikums geht, muss es daher auch für ein Vorhaben, in welchem dem Digitalen der Vorrang eingeräumt wird, von großem Interesse sein, auf eine möglichst diversifizierte Art und Weise den Buchsektor zu bedienen. Der gesellschaftliche impact sollte auch in einem Akademienvorhaben eine Zielvorgabe, ja vielleicht sogar eine Herzensangelegenheit sein.
Dies schmälert in keiner Weise die Vorzüge der digitalen Edition. In der edition humboldt digital werden unterschiedliche Darstellungsmuster verwendet, die eine breite Spanne zwischen der digital verwirklichten Anschauung des handgeschriebenen Manuskripts, eine auf dieser Grundlage erstellte Lesefassung und Darstellungsformen im Vergleich angeboten werden. Visualisierung und Visibilisierung spielen hierbei eine entscheidende Rolle15. Überdies ist die Arbeit am und mit dem Archiv auf dieser Ebene sicherlich am besten wie am eindrucksvollsten nachzuvollziehen. Doch bietet auch das Medium Buch – wie das Beispiel der Bilder-Welten zeigt – sicherlich nicht weniger beeindruckende Vergegenwärtigungschancen, welche den Darstellungsmöglichkeiten der selbstverständlich auf Papier handschriftlich verfassten Manuskripte in der Wiedergabe ebenfalls auf Papier den fundamentalen materiellen Support – anders als eine digitale Repräsentation – nicht entziehen. Auch an dieser Tatsache wird deutlich, dass es darum geht, auf einem polylogischen Wege jeweils unterschiedliche Aspekte der Archivarbeit zur Geltung und einem jeweils ausgewählten Lesepublikum nahe zu bringen. Die Vorstellung, es gebe einen einzigen Weg, eine einzige Art und Weise, ein Archiv zum Sprechen zu bringen, ist abwegig. Auch auf diesem Gebiet liegt das Faszinosum in der Vielfalt.
Für die digitale Darstellung freilich spricht, dass sie erstens beliebig fortgeschrieben und ausgeweitet werden kann, und dass sie zweitens die Möglichkeit bietet, ihre jeweiligen Daten mit anderen Daten und Datenbanken zu vernetzen. So bietet sich der edition humboldt digital nicht nur die für alle Benutzerinnen und Benutzer großartige Chance, die Schriften Humboldts mit der seit langen Jahrzehnten noch in der Forschungsstelle Alexander von Humboldt in der Akademie entwickelten Chronologie zu vernetzen und diese sich immer weiter ausdifferenzierende Chronologie wiederum mit historiographischen Datenbanken zu verlinken, sondern etwa die Namen von Pflanzen, aber auch die Namen von Orten, Gebirgen, Gesteinen oder Tieren mit den entsprechenden Daten aus anderen digitalen Quellen zu verbinden.
Die chronologische Aufbereitung der gewaltigen Korrespondenzen Alexander von Humboldts, welche schon an sich für eine einzelne Forscherin oder einen einzelnen Forscher fast unüberschaubar sind und nach besonderen Aufbereitungs- und Darstellungsweisen verlangen, können mit anderen digital aufbereiteten Korrespondenzen verlinkt werden, um damit Überschneidungen wie wechselseitige Beziehungen ebenso im politischen oder wissenschaftsgeschichtlichen wie im privaten Bereich beziehungsweise im den Freundeskreis umfassenden Umfeld herzustellen. Die Möglichkeiten, die sich auf all diesen Feldern der edition humboldt digital bieten, sind de facto unbegrenzt und unterscheiden diese hochgradig mobile und dynamische Publikationslinie deutlich von der am Medium des Buches ausgerichteten edition humboldt print. Dass man sich in all diesen Datenmengen freilich auch verlieren kann, steht ebenso außer Frage. Daher sind leicht nachvollziehbare Leitsysteme wichtig.
Selbstverständlich ist der Einwand nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei den im Akademienvorhaben „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ veröffentlichten und kuratierten wie relationierten Materialien um Dokumente handelt, die Alexander von Humboldt zu Lebzeiten nicht veröffentlichte. Dies sollte sich jede Forscherin und jeder Forscher, der sich mit diesen Materialien auseinandersetzt, stets vor Augen halten. Denn die Entscheidung des preußischen Gelehrten, bestimmte Materialien nicht oder nicht in einer den Manuskripten ähnlichen oder vergleichbaren Form zu publizieren, verdient nicht nur Respekt, sondern muss in die Deutung gerade der Zusammenhänge zwischen Publikationen und unveröffentlichten Manuskripten integriert werden.
Doch die Vorstellung, dass es eine stabile und feste Grenze, ja gar eine tiefe Kluft zwischen Veröffentlichtem und Nichtveröffentlichtem gebe, führt in die Irre. Denn an einer Vielzahl von Stellen erweist sich, dass Humboldt auf ungezählte Dokumente, darunter auch die gesamten Amerikanischen Reisetagebücher, in starkem Maße zurückgriff, als er etwa den Reisebericht der Relation historique seines Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent oder selbst noch seine eigentliche Summa, seinen Kosmos, verfasste. In umgekehrter Richtung trug er auch viele Daten aus der Arbeit an diesen Werken wiederum in seine Reisemanuskripte beziehungsweise Reisetagebücher ein, so dass von einer tiefen und wechselseitigen Beziehung zwischen den Manuskripten und den Publikationen ausgegangen werden kann. Beide Bereiche, mithin das Veröffentlichte und das Zurückgehaltene, das ausformuliert Publizierte und das vorformuliert Unveröffentlichte stehen damit in einer dynamischen Relation, welche die Arbeit an den Manuskripten zugleich zu einer Arbeit an den gedruckten Büchern des Alexander von Humboldt werden lässt.
Das Archiv des Alexander von Humboldt ist daher nicht von seinen veröffentlichten Schriften zu trennen. Die Ausgestaltungen, aber auch die Lücken im Archiv weisen nicht nur auf die wechselvolle Geschichte der Materialien selbst – etwa wo sich Humboldt ein bestimmtes Schreibpapier besorgte oder wie er auf der Reise jeweils die Zubereitung seiner Tinte an die entsprechenden Reisebedingungen anpasste –, sondern auch auf die unterschiedlichen Zeitebenen, die sich retrospektiv wie prospektiv überlagern und beispielsweise die langsame Entstehung eines Gedankens wie des (heute als ökologisch zu bezeichnenden) Zusammenhanges aller von ihm beschriebenen und analysierten Phänomene vor Augen führen. Nicht alles entstand – wie Humboldts Leitsatz Alles ist Wechselwirkung – in Form eines Geistesblitzes, den wir noch heute in den Manuskripten durch den Wechsel vom Französischen zum Deutschen nachvollziehen können16. Wir können zumeist ebenso die Entwicklung hin zum publizierten Ausdruck einer Vorstellung oder eines epistemisch wichtigen Begriffes verfolgen wie die Ausformulierung von Überlegungen, die Humboldt später nicht – aus welchen Gründen auch immer – in seine publizierten Werke aufnahm.
Auf diese Weise ergeben sich zwischen dem Archiv und den Publikationen Humboldts zahlreiche Wechselbeziehungen, die für eine Deutung der Gedanken- und Schreibwelt dieses weitgereisten Forschers von enormer Bedeutung sind. Wie umfangreich und komplex diese Beziehungen sind, erweist sich bereits am zweiten Band der edition humboldt print, der von Carmen Götz herausgegebene und kuratierte Band 1 der Reihe „Tagebücher der Amerikanischen Reise“, der Ende 2022 im Verlag erschien. Die Tatsache, dass das Archiv mit seinen unzähligen Text-Inseln17 auf polylogische Weise zum Sprechen gebracht werden kann, verändert die Lektüren und Deutungsmuster des Opus Americanum insgesamt wie seiner Relation historique im Besonderen und zeigt, auf welche Weise das Archiv sich zwischen die Zeilen der publizierten Werke zwängt. So wird auf der konkreten Textebene verständlich und unübersehbar, dass dem Archiv nichts Statisches und nichts in der Vergangenheit Festgefrorenes, sondern eine unmittelbar auf die möglichen Zukünfte Einwirkendes eignet. Mit anderen Worten: Bild und Verständnis der Schriften wie des Denkens Alexander von Humboldts verändern sich unablässig. Diese Veränderungen und Dynamiken ins Bewusstsein zu heben und sichtbar zu machen, ist eine der zentralen Aufgaben der Arbeit im Archiv.
All dies schließt nicht zuletzt unterschiedliche Verwendungsweisen des durch die Archivarbeit zu Tage geförderten Materials mit ein. So wäre es noch vor wenigen Jahrzehnten nicht vordringlich gewesen, Untersuchungen und Experimente Humboldts, wie sie in den Reisetagebüchern dokumentiert werden, etwa Fragestellungen der Biodiversität oder historischen Forschungen zur Entwicklung des Klimawandels zuzuführen. Nicht nur die Einbeziehung der von Humboldt erhobenen wichtigen Datensammlungen für die historische Klimafolgenforschung belegt auf eindrucksvolle Weise: Die Gegenwart stellt neue Fragen an eine Vergangenheit, um Herausforderungen der Zukunft besser begegnen zu können.
Die Arbeit im Archiv der Humboldt’schen Schriften ist darauf angelegt, möglichst zahlreiche Aktivitäten innerhalb wie außerhalb der Humboldt-Forschung anzuregen und zu beflügeln. So zählte zu den frühesten Veröffentlichungen des Akademienvorhabens „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ die 2016 vorgenommene digitale Präsentation des von Ulrike Leitner im Archiv der Krakauer Biblioteka Jagiellonska aufgefundenen Tagebuchmanuskripts „Isle de Cube – Antilles en général“. Diese frühe und mit dem Preis für Digital Humanities ausgezeichnete Veröffentlichung bildete die Grundlage und gab den Anstoß für das von Michael Zeuske, einem der Mitherausgeber der digitalen Edition, im Jahre 2021 in einer kubanischen Ausgabe auf Spanisch herausgegebene Diario Habana 180418, eine kleine Veröffentlichung in Buchform, die binnen kurzer Zeit auf Kuba in den Kanon wichtiger Humboldt’scher Texte aufgenommen wurde. Die erfolgreiche Suche im Archiv hat folglich die Sichtweise des preußischen Gelehrten speziell innerhalb der kubanischen Sektion der Humboldt Industry signifikant verändert, insoweit sie die spezifische Schreibweise und das Denken in Archipelen bei Humboldt offenlegte.
Viele weitere Anwendungen und Neuverwertungen von Ergebnissen der Archivforschung ließen sich anführen. Dabei ist charakteristisch, dass sich diese weitaus häufiger an die Publikationen in edition humboldt digital als in edition humboldt print anschließen, was sich sicherlich nicht dem späteren Anlaufen der Buchpublikationen verdankt, sondern aus der offenen Datenstruktur digital erfasster Informationen ergibt. Auch auf dieser Ebene zeigt sich mithin deutlich, dass eine digitale Publikationsstrategie zwar nicht dieselbe Rezeptionsweise erfahren kann, wie dies die wissenschaftlichen Buchpublikationen oder die in Publikumsverlagen veröffentlichten Printeditionen auszulösen vermögen. Doch ist die Nachnutzung dieser Daten weitaus komplexer und nachhaltiger, insofern strukturierte Daten unmittelbar in andere wissenschaftliche wie nicht-wissenschaftliche Veröffentlichungen, Plattformen oder Informationsnetzwerke überführt und eingepflegt werden können. Allein eine polylogische Publikationsstrategie, die auf digitale wie gedruckte Medien gleichzeitig setzt, ist in der Lage, höchst unterschiedliche Wirkungen rezeptionsseitig zu erzielen.
Dabei bedient sich die außerhalb des Akademienvorhabens angesiedelte Nachnutzung keineswegs anderer Prinzipien, als sie bereits im Vorhaben selbst zur Anwendung kommen. Denn die Vernetzbarkeit der Daten, die aus den Archiven entnommen wurden, ist Programm. All dies ergibt Möglichkeiten, wie sie in der Humboldt-Forschung bislang noch niemals gegeben waren, sind doch nun selbst auf den ersten Blick als unwichtig erscheinende Zettel und Manuskriptseiten mit anderen Texten zu verbinden, Tagebuchausrisse zu rekonstruieren oder von Humboldt ehedem eingefügte Klebezettel neu zu verorten oder zu rekonstruieren. Alle Humboldt’schen Texte sind somit durch die Arbeit im und am Archiv in Bewegung gekommen. Dass dies auch den Buchpublikationen der Reihe edition humboldt print zugutekommt, versteht sich von selbst. Auch in diesem Sinne ist der Vorrang der digitalen Publikationsstrategie gegenüber der gedruckten wohlbegründet, insofern er sich einbindet in eine viellogische Publikationsumgebung, welche die verschiedensten Stimmen im Archiv publikationstechnisch zum Klingen bringt.
Zugleich bedeutet die Verfügbarkeit aller digitalisierbaren Ergebnisse des Vorhabens eine enorme Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten der vom Akademienvorhaben ausgewählten und bearbeiteten Archive. Die Zurverfügungstellung und Nachnutzbarmachung aller erschlossenen Daten macht es möglich, dass eine national wie international stetig wachsende Zahl an Forschenden die Archive im Anschluss an das Vorhaben nutzen kann, ohne selbst dauerhaft vor Ort in Krakau, Berlin oder an anderen Orten sein zu müssen.
Angesichts der extremen geographischen Streuung vieler von Humboldt stammender Texte und der Existenz einer Vielzahl von Archiven, die für die Humboldt-Forschung von großem Interesse sind, ist zugleich aber deutlich, dass im Sinne von Georges Didi-Huberman das Archiv stets vor dem Hintergrund der Lücke und des Nicht-Erschlossenen gedacht werden muss. Ebenso das Archiv wie die Lücken im Archiv sind für die Humboldt-Forschung relevant. Mit den Ergebnissen aus der Arbeit im Archiv die schmerzlichen Lücken zu überdecken, die sich bei der Archivarbeit auftun, wäre fahrlässig.
Wenn also die hohe Frequentierung und Nutzung der vom Vorhaben erfassten Daten mit einer zwischen 2017 und 2021 jährlichen Zuwachsrate der Besuche von circa 15 Prozent etwas darüber aussagt, wie erfolgreich das Projekt Forscherinnen und Forscher im In- wie im Ausland Zugänge zu den für Humboldt relevanten Archiven eröffnet und an der eigenen Arbeit beteiligt, so ist es andererseits fraglos so, dass die Lücken und Ausfälle von Archiven weltweit, die nicht oder nicht mehr in die Erforschung und Beforschung miteinbezogen werden können, als umso schmerzhafter empfunden werden muss. Die Arbeit im Archiv markiert die Lücken deutlicher, die sich im Archiv auftun. Oder anders: Waren wir durch den Ankauf etwa der Amerikanischen Reisetagebücher glücklich (und sind es auch heute noch!), über einen solchen Schatz für die Neudeutung des Humboldt’schen Opus Americanum verfügen zu können, so zeigt sich doch in der Gegenwart umso präziser, wo sich innerhalb wie außerhalb der Reise in die amerikanischen Tropen Lücken auftun.
Denn vergessen wir neben den höchst erfreulichen Zahlen, die ein weiterhin wachsendes Interesse an der Bedeutung Alexander von Humboldts signalisieren, nicht, dass wir wohl die Originale der Reisetagebücher Humboldts von seiner Reise in die amerikanischen Tropen besitzen, nicht aber die Originale der Reisetagebücher von der russisch-sibirischen Forschungsreise, von denen wir aus Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik nur über mehr oder minder schlechte Kopien verfügen. Diese Originale sind nachweislich noch vorhanden, stehen für die Forschung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus den unterschiedlichsten Gründen jedoch nicht zur Verfügung. Die Fahndung nach diesen Manuskripten geht weiter.
Aber selbst dort, wo das Archiv komplett zu sein schien, tun sich gleichsam während der Arbeit Lücken auf. Wurden etwa die Amerikanischen Reisetagebücher vor etwa einem Jahrzehnt in ihrer Gesamtheit käuflich erworben, so gibt es immer noch substanzielle Partien, die bislang nicht in den vorhandenen Sammlungen aufgefunden oder identifiziert werden konnten. Auch in diesem Sinne brennt das Archiv, da die Verluste und Lücken, das Fehlen und Verschollensein gleichsam „mit brennender Geduld“ (um eine Formulierung von Antonio Skármeta zu verwenden) auf die Grenzen des Archivs aufmerksam machen. Freilich besteht auch in diesen Fällen immer noch Hoffnung, bezüglich dieser Manuskripte eines Tages doch noch in den Besitz oder zumindest die wissenschaftlichen Nutzungsrechte zu gelangen.
Versuchen wir in der gebotenen Kürze, einige Gegenmaßnahmen gegen das Brennen der Archive zu nennen. In Kuba brennen in der Regel zwar die Archive nicht, doch sind die zahlreichen Archivbestände insbesondere durch Feuchtigkeit und hohe Temperaturen in ihrem Bestand grundlegend gefährdet. Daher zielt das Proyecto Humboldt Digital (ProHD)19 darauf ab, dieser in den Archiven tickenden Zeitbombe durch eine Kooperation zwischen Berlin und La Habana entgegenzuwirken. Finanziert aus Mitteln der Fritz Thyssen-Stiftung, der Gerda Henkel-Stiftung und des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland bemüht sich das Vorhaben, durch einen Wissens- und Infrastrukturtransfer junge kubanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu zu befähigen, die kubanischen Archive zu retten und zugleich für die Forschung zugänglich zu machen. Bis zum Auslaufen des Vorhabens am Ende des Jahres 2023 wird ProHD zum beiderseitigen Nutzen dem Schwinden und Verschwinden der für Humboldt relevanten sowie anderer Archive in Kuba den Versuch einer digitalen Erschließung der Dokumente entgegensetzen. Dabei gibt es Anlass zur Hoffnung auf eine nachhaltige Weiterführung dieser Rettungsmaßnahmen auf jener Insel, die Alexander von Humboldt gleich zweimal, nach der ersten und vor der letzten Phase seiner Reise in die amerikanischen Tropen, besuchte.
Dass es in der Zusammenarbeit mit Kuba insbesondere um den Transfer von digitalen Erschließungsmöglichkeiten und von Know-how im Feld der Digital Humanities geht, liegt angesichts der wirtschaftlichen und technologischen Engpässe auf der Insel sowie der umfassenden Blockade, deren Opfer Kuba noch immer ist, auf der Hand. Im Zentrum des Vorhabens stehen insbesondere Archive des 18. und des 19. Jahrhunderts, die mit den vor Ort vorhandenen konservatorischen Mitteln nicht mehr länger erhalten werden können. Über diese dringlichen Aspekte der Erschließung von Archiven auf Kuba hinaus aber ist es ein fundamentales Ziel des Proyecto Humboldt Digital, diese Zusammenarbeit nachhaltig zu gestalten und die kubanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Stand zu setzen, eigenständig die Sicherung und Erschließung kubanischer Archive fortzuführen und damit ein wichtiges Stück Geschichte des karibischen und lateinamerikanischen Raumes für die Nachwelt zu sichern.
Geht es in Kuba um die Zugänglichmachung (noch) vorhandener Archive, so geht es in China wiederum um die Identifizierung von Archiven und Dokumenten, die für die Humboldt-Forschung (und darüber hinaus) von Interesse sein könnten. Mit der im Jahre 2019 erfolgten Gründung des Humboldt Center for Transdisciplinary Studies (HCTS) an der Hunan Normal University im chinesischen Changsha wurde das erste Humboldt gewidmete Zentrum in Asien geschaffen, dessen Aufgabe es unter anderem ist, neben Vorhaben des inter- und transkulturellen Austauschs jene Materialien und Dokumente zu ermitteln, die für die Humboldt-Forschung von Gewicht sein könnten. Im chinesischen Kontext geht es folglich weniger um die Erhaltung, sondern weit mehr um die Identifizierung von Archiven, mithin um die Schließung von Lücken, welche der Humboldt-Forschung im Verlauf der beiden letzten Jahrhunderte noch nicht einmal als Lücken bewusst gewesen sind.
Denn es kann keinen Zweifel an der Tatsache geben, dass China wie der gesamte zentralasiatische Raum einen prominenten Platz innerhalb der Interessensgebiete und Forschungen Alexander von Humboldts einnehmen. Durch die Unterstützung und Förderung von Promotionsvorhaben und anderer wissenschaftlicher Forschungsarbeiten zu den Beziehungen zwischen Alexander von Humboldt und China soll das Humboldt Center for Transdisciplinary Studies20 in Changsha mittelfristig nicht nur zur Bekanntheit des preußischen Gelehrten im Reich der Mitte beitragen, sondern umgekehrt auch Impulse in die internationale Humboldt-Forschung geben, die lange Zeit über die transarealen Verflechtungen zwischen Amerika und Asien hinweg sah21.
Wenn wir also mit Georges Didi-Huberman davon sprechen können, dass das Archiv brennt, so kann es nicht nur darum gehen, das brennende Archiv zu löschen – mit allen Folgeschäden, die ein solcher Löschvorgang bei dem gesammelten Schrifttum haben könnte –, sondern auch um das Ziel, die vorhandenen Archive auszubauen, entstandene Lücken zu schließen, sie mit anderen Archiven zu vernetzen und Archive hinzuzufügen, die bislang nicht im Fadenkreuz der Forschung standen. Archive sind im Grunde nichts anderes als interaktive und zu interaktivierende Netzwerke. Den mit diesem Horizont verbundenen Aufgaben widmet sich das Akademienvorhaben „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“.
Die intendierte weitergehende Vernetzung der Archive und Bestände findet nicht nur im weltumspannenden beziehungsweise internationalen, sondern auch im regionalen und lokalen Zusammenhang statt. So hat sich das Akademienvorhaben unter dem Titel „Kosmos Berlin“ mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen zusammengeschlossen, zu denen neben dem Humboldt Forum das Museum für Naturkunde, das Ibero-Amerikanische Institut PK, die Staatsbibliothek zu Berlin PK, das Institut für Museumsforschung PK, der Botanische Garten und das Botanische Museum der Freien Universität Berlin, das Ethnologische Museum, das Stadtmuseum Berlin, das Museum Europäischer Kulturen sowie das Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität zu Berlin gehören. Es handelt sich dabei um Institutionen, mit denen das Akademienvorhaben in regem Austausch steht und deren zunehmend digitalisierte Archive mit den Ergebnissen der Humboldt-Forschung im Langzeitvorhaben vernetzt werden.
Durch seine Berechnung auf eine Laufzeit von mindestens achtzehn Jahren ist unser Akademienvorhaben sicherlich ein privilegiertes Projekt. Es gelang in diesem Vorhaben neben vielen anderen Ergebnissen, die beiden in Deutschland vorhandenen und sich lange Zeit eher unabhängig voneinander entwickelnden Forschungstraditionen fruchtbar zusammenzuführen. Vor dem Hintergrund einer bereits in der Deutschen Demokratischen Republik über lange Jahrzehnte durchgeführten Alexander von Humboldt-Forschung und angesichts der Tatsache, dass das Vorhaben „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ die selbstgesteckten Ziele erreichen wird, sollte bereits zum jetzigen Zeitpunkt, ein Jahrzehnt vor dem geplanten Abschluss dieses Humboldt-Projekts, nach Mitteln und Wegen in einer vereinigten Bundesrepublik Deutschland gesucht werden, diese wichtige weltweite Arbeit am Archiv mit Hilfe technologischer Möglichkeiten, die sich im Verlaufe des kommenden Jahrzehnts zweifellos verändert und erweitert haben werden, in einer Form fortzusetzen, welche zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung dieser Arbeit am und im Archiv Alexander von Humboldts beiträgt. Damit das Archiv nicht in Brand gerät, sondern weiterhin als zu interaktivierender Speicher vergangener Zukünfte die Gestaltung des Künftigen sicherstellt.
Didi-Huberman, Georges/Ebeling, Knut: Das Archiv brennt. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2007.
Ette, Ottmar: Von Surrogaten und Extrakten: Eine Geschichte der Übersetzungen und Bearbeitungen des amerikanischen Reisewerks Alexander von Humboldts im deutschen Sprachraum. In: Kohut, Karl/Briesemeister, Dietrich/Siebenmann, Gustav (Hg.): Deutsche in Lateinamerika – Lateinamerika in Deutschland. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag 1996, S. 98–126.
Ette, Ottmar: Amerika in Asien. Alexander von Humboldts „Asie centrale“ und die russisch-sibirische Forschungsreise im transarealen Kontext. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam – Berlin) VIII, 14 (2007), S. 16–39, DOI: https://doi.org/10.18443/89.
Ette, Ottmar: Findung und Erfindung einer Leserschaft. Neuere Editionsprojekte zu Alexander von Humboldt als Grundlage und Herausforderung künftigen Forschens. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam – Berlin) XV, 29 (2014), S. 13–25, DOI: https://doi.org/10.18443/194.
Ette, Ottmar: Bild-Schrift, Schrift-Bild, Hand-Schrift. Zur Kunst der Sichtbarmachung in Alexander von Humboldts „Amerikanischen Reisetagebüchern“. In: Ette, Ottmar/Müller, Gesine (Hg.): Visualisierung, Visibilisierung und Verschriftlichung. Schrift-Bilder und Bild-Schriften im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Berlin: Verlag Walter Frey – edition tranvía (POINTE – Potsdamer inter- und transkulturelle Texte, Bd. 13) 2015, S. 11–64.
Ette, Ottmar/Müller, Gesine (Hg.): Visualisierung, Visibilisierung und Verschriftlichung. Schrift-Bilder und Bild-Schriften im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Berlin: Verlag Walter Frey – edition tranvía 2015.
Ette, Ottmar/Maier, Julia: Alexander von Humboldt: Bilder-Welten. Die Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. München – London – New York: Prestel 2018.
Ette, Ottmar/Maier, Julia: Alexander von Humboldt: The Complete Drawings from the American Travel Diaries. Munich – London – New York: Prestel 2018.
Humboldt, Alexander von: Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico. Teil I: Texte. Aus seinen Reisetagebüchern zusammengestellt und erläutert durch Margot Faak. Mit einer einleitenden Studie von Kurt-R. Biermann. Berlin: Akademie-Verlag 1986.
Humboldt, Alexander von: Das Buch der Begegnungen. Menschen – Kulturen – Geschichten aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. Herausgegeben, aus dem Französischen übersetzt und kommentiert von Ottmar Ette. Mit Originalzeichnungen Humboldts sowie historischen Landkarten und Zeittafeln. München: Manesse Verlag 2018.
Humboldt, Alexander von: Geographie der Pflanzen. Unveröffentlichte Schriften aus dem Nachlass. Herausgegeben von Ulrich Päßler. Mit einem Vorwort von Ottmar Ette. Stuttgart: Metzler – Springer Nature 2020.
Humboldt, Alexander von: Diario Cubano. El diario original de Humboldt, escrito en La Habana 1804. Editado por Michael Zeuske. La Habana: Biblioteca Nacional de Cuba José Martí – Ediciones Bachiller 2021.
1 Mit diesem Artikel verbindet sich der Dank für die geleisteten Arbeiten des gesamten Teams des Akademienvorhabens „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“ aus Anlass der zweiten Begehung und Evaluierung des Projekts im Sommer 2022. Namentlich danke ich ausdrücklich dem Arbeitsstellenleiter Dr. Tobias Kraft sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Dr. Carmen Götz, Dr. Ulrich Päßler, Christian Thomas, Florian Schnee sowie Stefan Dumont vom Team der TELOTA-Initiative der BBAW für die Zusammenstellung wichtiger Materialien sowie Prof. Dr. Eberhard Knobloch für die seit einem Jahrzehnt stets kundigen Anregungen zum Vorhaben sowie seine fruchtbare Arbeit als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats unseres Projekts.
2 Dies zeigt sich nicht zuletzt an den Editionen der von Humboldt zu Lebzeiten publizierten Werke; vgl. hierzu Ette, Ottmar: Findung und Erfindung einer Leserschaft. Neuere Editionsprojekte zu Alexander von Humboldt als Grundlage und Herausforderung künftigen Forschens. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam – Berlin) XV, 29 (2014), S. 13–25, DOI: https://doi.org/10.18443/194.
3 Eine erste Skizze der Rezeptionsgeschichte der Humboldt’schen Veröffentlichungen findet sich in Ette, Ottmar: Von Surrogaten und Extrakten: Eine Geschichte der Übersetzungen und Bearbeitungen des amerikanischen Reisewerks Alexander von Humboldts im deutschen Sprachraum. In: Kohut, Karl/Briesemeister, Dietrich/Siebenmann, Gustav (Hg.): Deutsche in Lateinamerika – Lateinamerika in Deutschland. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag 1996, S. 98–126.
4 Didi-Huberman, Georges/Ebeling, Knut: Das Archiv brennt. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2007.
5 Ich habe dies versucht in meinem noch unter dem Eindruck der Erwerbung der Humboldt’schen Manuskripte der amerikanischen Reisetagebücher für zwölf Millionen Euro stehenden Artikel über dieses Kernstück des von Humboldt zeit seines Lebens gehüteten Manuskriptenschatzes; vgl. hierzu Ette, Ottmar: Bild-Schrift, Schrift-Bild, Hand-Schrift. Zur Kunst der Sichtbarmachung in Alexander von Humboldts „Amerikanischen Reisetagebüchern“. In: Ette, Ottmar/Müller, Gesine (Hg.): Visualisierung, Visibilisierung und Verschriftlichung. Schrift-Bilder und Bild-Schriften im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Berlin: Verlag Walter Frey – edition tranvía (POINTE – Potsdamer inter- und transkulturelle Texte, Bd. 13) 2015, S. 11–64.
6 Die edition humboldt digital erscheint in regelmäßigen Lieferungen (derzeit 1x/Jahr) unter der Adresse https://edition-humboldt.de. Die XML-Rohdaten der Edition werden seit Juni 2022 veröffentlicht unter der Adresse https://github.com/telota/edition-humboldt-digital.
8 Der erste publizierte Band dieser zweiten Linie ist Humboldt, Alexander von: Geographie der Pflanzen. Unveröffentlichte Schriften aus dem Nachlass. Herausgegeben von Ulrich Päßler. Mit einem Vorwort von Ottmar Ette. Stuttgart: Metzler – Springer Nature 2020.
9 Hierzu zählen die Bände Humboldt, Alexander von: Das Buch der Begegnungen. Menschen – Kulturen – Geschichten aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. Herausgegeben, aus dem Französischen übersetzt und kommentiert von Ottmar Ette. Mit Originalzeichnungen Humboldts sowie historischen Landkarten und Zeittafeln. München: Manesse Verlag 2018; sowie die deutsch- und englischsprachigen Bände herausgegeben von Ette, Ottmar/Maier, Julia: Alexander von Humboldt: Bilder-Welten. Die Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. München – London – New York: Prestel 2018 sowie Alexander von Humboldt: The Complete Drawings from the American Travel Diaries. Munich – London – New York: Prestel 2018.
10 Vgl. hierzu die Kommentare zur Manuskriptgeschichte der Amerikanischen Reisetagebücher in den soeben angeführten Band von Humboldt, Alexander von: Das Buch der Begegnungen. Menschen – Kulturen – Geschichten aus den Amerikanischen Reisetagebüchern (2018).
11 Vgl. zur Geschichte und den Zielen dieses Zentrums den Aufsatz von Ren, Haiyan/Ette, Ottmar: Alexander von Humboldt in China. Ein Zentrum für den wissenschaftlich-kulturellen Austausch. In: Lian, Yuru/Krämer, Raimund (Hg.): China und Deutschland in einer turbulenten Welt. 50 Jahre diplomatische Beziehungen. Potsdam: Potsdamer Wissenschaftsverlag WeltTrends 2022, S. 233–239.
12 Vgl. Ette, Ottmar/Maier, Julia: Alexander von Humboldt: Bilder-Welten. Die Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. München – London – New York: Prestel 2018.
13 Vgl. hierzu die geplante kleine Anthologie unter dem Arbeitstitel „Alexander von Humboldt: ökologisches Denken avant la lettre“, die im Verlag Philipp Reclam jun. Ende 2023 erscheinen soll.
14 Vgl. hierzu Didi-Huberman, Georges/Ebeling, Knut: Das Archiv brennt, S. 56f.
15 Vgl. hierzu auch Ette, Ottmar/Müller, Gesine (Hg.): Visualisierung, Visibilisierung und Verschriftlichung. Schrift-Bilder und Bild-Schriften im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Berlin: Verlag Walter Frey – edition tranvía 2015.
16 Dies ans Tageslicht gefördert zu haben, war auch schon das Verdienst einer früheren Edition; vgl. Humboldt, Alexander von: Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico. Teil I: Texte. Aus seinen Reisetagebüchern zusammengestellt und erläutert durch Margot Faak. Mit einer einleitenden Studie von Kurt-R. Biermann. Berlin: Akademie-Verlag 1986, S. 358.
17 Auf die Tatsache, dass Alexander von Humboldt in Text-Inseln gleichsam archipelisch schrieb, habe ich in der gesamten Anlage des Buches der Begegnungen (Manesse 2018) hingewiesen. Auf diesen wichtigen und für die Archivarbeit grundlegenden Aspekt kann ich im vorliegenden Zusammenhang nicht nochmals eingehen.
18 Humboldt, Alexander von: Diario Cubano. El diario original de Humboldt, escrito en La Habana 1804. Editado por Michael Zeuske. La Habana: Biblioteca Nacional de Cuba José Martí – Ediciones Bachiller 2021.
21 Vgl. hingegen Ette, Ottmar: Amerika in Asien. Alexander von Humboldts „Asie centrale“ und die russisch-sibirische Forschungsreise im transarealen Kontext. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien (Potsdam – Berlin) VIII, 14 (2007), S. 16–39, DOI: https://doi.org/10.18443/89.