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Ulrich Päßler

Die Reise ins Kleinste der Natur
Zeichnungen

Nach den beiden großen Forschungsreisen konzentrierte Ehrenberg seine Arbeit in Berlin auf die systematische Beschreibung von Kleinstlebewesen, die sogenannten Infusorien. 1838 erschien eines seiner Hauptwerke, Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen. Ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur. Ehrenberg untersuchte tausende Proben aus aller Welt und wies Infusorien auf dem Grund der Weltmeere, in atmosphärischem Staub und in Hochgebirgen nach. Ausgehend von diesen Befunden beschäftigte er sich mit dem Anteil einzelliger kieselschaliger Mikroorganismen an der Bildung von Erden und geologischen Formationen. 1854 legte er die Mikrogeologie vor: In 41 Bildtafeln gab er weltweite „geographische Uebersichten über das kleine jetzige erdbildende Leben“. Christian Gottfried Ehrenberg gilt als Mitbegründer der Boden-Mikrobiologie und Mikropaläontologie sowie als Pionier der Kieselalgenforschung und Protozoologie.

Von Charles Darwin erhielt Ehrenberg eine Probe mit Passatstaub. Darwin hatte sie 1832 „auf den morgens betauten Segeln“ der HMS Beagle gesammelt. Mit Hilfe solcher aus aller Welt eingehenden Proben untersuchte Ehrenberg die geographische Verbreitung von Kleinstorganismen durch atmosphärische Strömungen.

Atmosphärischer Staub

Atmosphärischer Staub aus Santiago (Kapverdische Inseln)

Bleistift, Tusche und Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 27,5 × 21,5 cm, Berlin, um 1844

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2175

 

Die Brüder Adolph, Hermann und Robert Schlagintweit unternahmen zwischen 1854 und 1857 eine Forschungsreise durch Indien und Zentralasien. Nach ihrer Rückkehr übergaben sie Ehrenberg in Berlin Gesteins- und Bodenproben aus dem Himalaya. Bärtierchen sind an extreme Umweltbedingungen angepasst – die hier abgebildete Art Milnesium schlagintweitii fand Ehrenberg in einer auf 5.500 Metern Höhe genommenen Probe.

Bärtierchen

Bärtierchen Milnesium schlagintweitii

Bleistift, Tusche und Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 28,5 × 22 cm, Berlin, 1858

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2767

 

Ehrenbergs mikrogeologische Untersuchungen führten ihn auch in die Baugruben der Dorotheen- und Friedrichstadt. In der Akademie der Wissenschaften berichtete er 1841, dass lebende kieselschalige Organismen große Teile des Berliner Untergrundes bildeten. Anschließend musste Ehrenberg in einem öffentlichen Vortrag Befürchtungen widersprechen, die „Tierchen“ könnten die Stadt davontragen.

Infusorien in Berlin

Unterirdisches Lager lebender Infusorien in Berlin

Bleistift, Tusche und Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 27,5 × 21,5 cm, Berlin, 1841

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2230

 

In dieser Zeichnung stellt Ehrenberg beispielhaft die Entwicklung eines Rädertierchens dar: von der Eiablage (Nummer 14 sowie oben Mitte) über die Entwicklung des Eies (Nummern 5 bis 10) bis zum Ausschlüpfen (Nummer 13). Links und rechts bildet Ehrenberg ein erwachsenes Tier von zwei verschiedenen Seiten ab.

Großes Crystallfischchen

„Großes Crystallfischchen“ (Epiphanes senta)

Bleistift, Tusche und Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 28,5 × 22 cm, Berlin, vor 1838

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2629

 

Ehrenberg zeichnete eine Kolonie von „Hufeisenthierchen“, bestehend aus erwachsenen und jungen Tieren sowie Larven und Eiern.

Hufeisenthierchen

„Hufeisenthierchen“ (Lacinularia socialis)

Bleistift, Tusche und Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 28 × 22 cm, Pichelsberg, 1835

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2638

 

Dieses Rädertier verfügt über besonders ausgeprägte Wimpernkränze. Mit ihnen kann es seine Nahrung, Grünalgen, herbeistrudeln, die hier durch kleine Punkte dargestellt sind. „Bei Berlin ist diess niedliche Thierchen zu fast allen Jahreszeiten sehr häufig“, notiert Ehrenberg.

Schmuck-Rädchen

„Schmuck-Rädchen“ (Floscularia ornata)

Bleistift, Tusche und Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 28,5 × 22,5 cm, Berlin, 1832–1835

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2620

 

Auf diesen Rädertieren entdeckte Ehrenberg wiederum Glockentierchen (Vorticella), die sich an der Panzerung festgesetzt hatten. Alexander von Humboldt griff diese Beobachtung im ersten Band seines Kosmos auf: „Die Allbelebtheit der Natur ist so groß, daß kleinere Infusionsthiere parasitisch auf größeren leben, ja daß die ersteren wiederum anderen zum Wohnsitz dienen.“

Wappenthierchen

„Wappenthierchen“ (Brachionus bakeri)

Bleistift, Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 27,5 × 21,5 cm, Berlin, 1832–1836

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2549

 

Ehrenberg erläutert diese Abbildung in seiner Beschreibung von Volvox globator. Die Grünalge führe das Rädertier Notommata parasita „wie in einer Kutsche oder einem Schiffe immer mit sich herum“.

Raubschiffer

„Raubschiffer“ (Notommata parasita) in „grünem Kugelthier“ (Volvox globator)

Bleistift, Wasserfarbe, Originalgröße des Blattes: 28 × 22 cm, Berlin, 1835

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 2694

 

Ehrenbergs Zeichnungen dienten der genauen Dokumentation des Beobachteten und als Vorlage für seine Veröffentlichungen. Die den Illustrationen zugrundeliegenden mikroskopischen Präparate, die Ehrenberg als eigentlichen Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Beweisführung ansah, bewahrte er ebenfalls auf. Objektträger und Zeichnungen sind in der Ehrenberg-Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin erhalten und für die heutige Forschung nutzbar.

Regine Jahn, Wolf-Henning Kusber (Botanischer Garten und Botanisches Museum, Freie Universität Berlin) und ihre Kolleg*innen greifen bei der Erforschung der Kieselalge Cocconeis auf Ehrenbergs Zeichnungen (Abb. 1) und Präparate (Abb. 2) zurück. Er hatte die Gattung 1837 erstmals wissenschaftlich beschrieben. Der Vergleich der Zeichnungen und Präparate Ehrenbergs mit modernen lichtmikroskopischen (Abb. 3) und rasterelektronenmikroskopischen (Abb. 4) Aufnahmen hilft bei der Identifizierung von Cocconeis-Arten.

Kuchen-Schildchen

Abb. 1: „Kuchen-Schildchen“ (Cocconeis placentula) auf der Wurzel einer Wasserlinse (Lemna minor)

Bleistift, Wasserfarbe, vor 1838

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, Zeichenblatt Nr. 301

 

Trockenpräparat Cocconeis placentula

Abb. 2: Von Ehrenberg angefertigtes Trockenpräparat von Cocconeis placentula

Moderne lichtmikroskopische Aufnahme. Der weiße Balken entspricht 50 µm.

MfN, Mikropaläontologiesammlungen, Ehrenberg-Sammlung, EC 544206

 

Cocconeis

Abb. 3: Cocconeis

Lichtmikroskopische Aufnahme einer lebenden Zelle. Der olivgrüne Chloroplast dient der Photosynthese. Der schwarze Balken entspricht 10 µm.

Forschungsgruppe Diatomeen, Botanischer Garten und Botanisches Museum, Freie Universität Berlin

 

Cocconeis placentula

Abb. 4: Cocconeis placentula

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Schale von Cocconeis placentula. Fundort: Berlin.

Forschungsgruppe Diatomeen, Botanischer Garten und Botanisches Museum, Freie Universität Berlin

 

 

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