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Katrin Böhme

Das große Ganze
Christian Gottfried Ehrenberg und die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin

Zusammenfassung

Als langjähriges und aktives Mitglied der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin bestimmte Ehrenberg ihre Aktivitäten und ihr Ansehen maßgeblich mit. Seine Beiträge zu den Sitzungen und Schriften und seine Rolle als Bewohner des gesellschaftseigenen Hauses förderten in der GNF sowohl Fortschritt als auch Beständigkeit. Das Ziel der Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts, also die Entdeckung, Beschreibung und Bewahrung möglichst aller Organismen- und Gesteinsarten, wurde in der GNF bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts tradiert. Ehrenbergs wissenschaftliche Leistungen, insbesondere seine zahlreichen Entdeckungen mit Hilfe des Mikroskops, stehen ganz in dieser Tradition.

Abstract

As a long-time and active member of the Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin (Berlin Society of Friends of Natural Research), Ehrenberg played a major role in determining the society’s activities and shaping its reputation. His contributions to the meetings, his writings, and his role as a resident of the house belonging to the society promoted both progress and permanence of the association. The goal of natural history in the 18th century, that is, the discovery, description, and preservation of as many species of organisms and rocks as possible, was carried forth by the Gesellschaft naturforschender Freunde into the second half of the 19th century. Ehrenberg’s scientific achievements, particularly his numerous discoveries with the aid of the microscope, belong entirely to this tradition.

Résumé

En tant que membre actif et de longue date de la Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin (Société des amis naturalistes de Berlin), Ehrenberg a joué un rôle majeur en déterminant les activités et la réputation de cette société. Ses contributions aux réunions et aux écrits et son statut d’habitant de la maison appartenant à la société ont favorisé à la fois le progrès et la pérennité de l’association. L’objectif de l’histoire naturelle au XVIIIe siècle, c’est-à-dire la découverte, la description et la préservation d’autant d’espèces d’organismes et de roches que possible, a été perpétué par la Gesellschaft Naturforschender Freunde jusqu’à la seconde moitié du XIXe siècle. Les travaux scientifiques d’Ehrenberg, notamment ses nombreuses découvertes à l’aide du microscope, s’inscrivent entièrement dans cette tradition.

1. Zur Einführung: Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin

Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (GNF) wurde 1773 von dem Berliner Arzt und Naturforscher Friedrich Heinrich Wilhelm Martini (1729–1778) mit dem Ziel gegründet, die Naturgeschichte durch das Sammeln von Wissen und Naturalien zu fördern.1 Die in Berlin ansässigen Mitglieder kamen regelmäßig zusammen, um sich über „naturhistorische Gegenstände“ auszutauschen. So wurden während der Zusammenkünfte Vorträge gehalten, eingesandte Briefe und Abhandlungen verlesen, Naturalien betrachtet oder mikroskopiert und Zeichnungen bzw. Abbildungen von Naturgegenständen vorgezeigt. Das gemeinschaftliche Interesse für die Naturkunde generierte ein Freundschaftsideal, das die Mitglieder der GNF in engen menschlichen Kontakt zueinander brachte und wovon die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens archivierten Lebensbeschreibungen sowie eine umfassende Portraitsammlung der Mitglieder zeugen. Das Archiv der GNF wurde im 18. Jahrhundert angelegt und kann als Teil der gesellschaftseigenen Sammlungen betrachtet werden. Eine wesentliche identitätsstiftende Funktion erhielten die Tagebücher der Gesellschaft, die von ihrer Gründung bis ins 20. Jahrhundert geführt worden sind. Heute wird das Archiv der GNF in der Historischen Bild- und Schriftgutsammlung des Museums für Naturkunde in Berlin aufbewahrt.2

Für die Geschichte der GNF ist ein spezifisches Traditionsbewusstsein kennzeichnend, das unter anderem im Forschungsziel der Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts seinen Ursprung hat. Die Wurzeln liegen zum einen in der deistisch geprägten Vorstellung, dass die Beschäftigung mit der Natur und ihren Geschöpfen nicht allein dem Erkenntnisgewinn diene, sondern durch die Entschlüsselung der göttlichen Geheimnisse auch eine Teilhabe an der göttlichen Weisheit ermögliche. Zum anderen beförderte die Vorstellung von Abstufung, Mannigfaltigkeit und Fülle in der Natur, welche die Idee der Kette der Lebewesen auszeichnet, die Suche nach noch unentdeckten Organismen und Phänomenen.

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Abb. 1: Das Siegel der GNF zeigt unter anderem das Gründungsjahr 1773 und ein auf einem Altar liegendes Buch, das hier das „Buch der Natur“ darstellt. (Ausschnitt aus GNF-Urkunde)

 

Die Geheimnisse der Natur zu entschlüsseln, bestand in der GNF vor allem in der Entdeckung und Beschreibung neuer Arten. Insbesondere mit der Verbreitung der binären Nomenklatur Carl von Linnés (1707–1778) und seinen umfassenden und erweiterbaren Klassifikationssystemen wurde die Vermehrung des Wissens über neue Arten aus allen drei zu dieser Zeit angenommenen Naturreichen (Gesteine, Pflanzen, Tiere) zum Hauptgegenstand der Naturgeschichte. Das Sammeln von Wissen ging dabei mit dem Sammeln von Naturalien als Wissensobjekten einher. Für die GNF stand seit ihrer Gründung der Aufbau einer umfassenden und möglichst vollständigen Naturaliensammlung im Zentrum ihrer Aktivitäten. Dazu waren die Beiträge der Mitglieder unerlässlich, wurde jedes eingesandte Naturobjekt und jede Publikation doch als Beitrag zur vollständigen Erkenntnis der Natur gesehen. Die Vorstellung, dass dazu viele Naturforscher und mehrere Generationen notwendig sind, ist mit der GNF faktisch institutionalisiert worden.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verschob sich zwar durch die Gründung der Berliner Universität und die Veränderungen der Forschungspraktiken die Bedeutung der GNF in der Berliner Wissenschaftslandschaft. Mit dem Profil einer Fachgesellschaft für beschreibende Naturkunde hielt sie aber auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der sammlungsbasierten Forschung fest. Auch wenn die Erkenntnis der lebendigen Natur mittlerweile säkularisiert worden war, bestanden ihre Vertreter nach wie vor und unabhängig vom jeweils gültigen Artkonzept auf der Entdeckung und Beschreibung neuer Arten. Dies zeigt sich unter anderem in den Sitzungsberichten der Gesellschaft, die in erster Linie durch den hohen Anteil an Neubeschreibungen und Revisionen taxonomischer Einheiten gekennzeichnet waren.

Die Sammlungen und das Haus der GNF schufen die materielle Grundlage für ihr langes Bestehen, und damit eine Voraussetzung für die Ausbildung des Traditionsbewusstseins. In dem 1788 erworbenen Gebäude Französische Straße 29 fanden die Sitzungen statt, wurden die Bibliothek und die Sammlungen aufbewahrt, und es wohnte ein ordentliches Mitglied darin. Mit dem Mietverhältnis gingen in der Regel wichtige Aufgaben für die Gesellschaft einher. Gleichwohl konnten wesentliche Neuerungen zumeist erst nach dem Tod des Hausbewohners eingeführt werden.

Zum Austausch von Naturalien und Wissen baute die GNF ein weitgefächertes Netz an Kontakten in Berlin sowie darüber hinaus in Europa und Nordamerika auf. Die Mitglieder mussten ihr naturhistorisches Wissen durch Publikationen oder den Besitz einer Naturaliensammlung nachweisen. Während die Zahl der ordentlichen Mitglieder auf 12 begrenzt war und die Stellen kooptativ besetzt wurden, womit dieser Kreis eine gewisse Exklusivität für sich beanspruchen konnte, existierte für die Ehrenmitglieder eine solche Obergrenze nicht. Der ordentlichen Mitgliedschaft ging in der Regel eine Ehrenmitgliedschaft voraus.

2. Ehrenberg als GNF-Mitglied

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es in der GNF noch üblich, neben den regulären Sitzungen im Haus auch sogenannte freundschaftliche Zusammenkünfte mit Bewirtung der Anwesenden in den Wohnungen der ordentlichen Mitglieder abzuhalten. Gerade diese Zusammenkünfte wurden von den ordentlichen Mitgliedern sehr geschätzt, sollten sie doch der freundschaftlichen Verbindung ihrer Mitglieder dienen, die weit über das gemeinsame Interesse an der Naturgeschichte hinaus sich auch auf die Lebensumstände der anderen Mitglieder erstreckte. Zu dieser Zeit wurden die Treffen im privaten Umfeld aber auch für hinzugeladene junge Naturforscher wichtig, die hier in Kontakt mit bedeutenden Berliner Naturforschern kamen.

Ehrenberg wurde bereits wenige Monate nach erfolgreicher Promotion an der Berliner Universität im November 18183 als Gast des Mediziners und Physiologen Karl Asmund Rudolphi (1771–1832) in den Kreis der GNF-Mitglieder eingeführt.4 Rudolphi besaß eine bedeutende und sehr umfangreiche Bibliothek vor allem mit medizinischen und naturhistorischen Werken, deren Benutzung er Ehrenberg während der Arbeiten an dessen Dissertation ermöglichte.5 Heinrich Friedrich Link (1767–1851), seit 1815 ordentlicher Professor für Botanik an der Berliner Universität und seit 1816 ordentliches Mitglied der GNF, hatte Ehrenberg offenbar ebenfalls schon frühzeitig gefördert, indem er ihn in die Botanik und hier insbesondere in die Welt der niederen Pflanzen einführte und begeisterte.6

In Rudolphis Haus traf Ehrenberg nun neben Link auch mit den übrigen ordentlichen Mitgliedern der GNF zusammen, unter ihnen mit dem an der Naturgeschichte interessierten Staatsmann Karl vom Stein zum Altenstein (1770–1840), dem Astronomen Johann Elert Bode (1747–1826), dem Mathematiker Ernst Gottfried Fischer (1754–1831), dem Apotheker und Professor am Collegium medico-chirurgicum Sigismund Friedrich Hermbstädt (1760–1833), dem Professor der Medizin an der Berliner Universität Gottfried Christian Reich (1769–1848), dem Apotheker und preußischen Beamten Johann Christian Karl Schrader (1762–1826) und dem Mineralogen Christian Samuel Weiss (1780–1856). Auch zahlreiche Ehrenmitglieder waren zugegen, wie zum Beispiel der erst 1818 zum Präsidenten der Leopoldina gewählte Christian Gottfried Nees von Esenbeck (1776–1858), der Geologe Leopold von Buch (1774–1853) oder der Naturforscher und Schriftsteller Adelbert von Chamisso (1781–1838).

Bei der Gründung der Berliner Universität hatte die GNF als Kandidatenpool gedient; so wurden zahlreiche Mitglieder 1810 als Professoren an die neue Universität berufen.7 Zu nennen wären hier unter anderem der Entomologe Johann Christoph Friedrich Klug (1775–1856), der Direktor der entomologischen Sammlung des Zoologischen Museums der Universität wurde, und der Botaniker Karl Ludwig Willdenow (1765–1812), der bereits seit 1798 Naturgeschichte am Collegium medico-chirurgicum lehrte und 1810 die erste Professur für Botanik an der Universität erhielt. Umgekehrt wurden Gelehrte wie Rudolphi, Weiss und der Zoologe Martin Hinrich Lichtenstein (1780–1857), die von außerhalb Berlins an die Universität berufen worden waren, bereits in der zweiten Jahreshälfte 1810 als Ehrenmitglieder der GNF geführt. Rudolphi, Weiss und Link beförderte die Gesellschaft im Februar 1816 zu ordentlichen Mitgliedern; Lichtenstein erhielt diese Ehre erst mit der freiwerdenden Stelle von Schrader 1826.8

Von Rudolphi und Klug im Dezember 1819 zu Ehrenmitgliedern vorgeschlagen, wurde Ehrenberg zusammen mit Diederich Franz Leonhard von Schlechtendal9 (1794–1866), Karl Wilhelm Eysenhardt10 (1794–1825) und Friedrich Wilhelm Hemprich11 (1796–1825), die seine Kommilitonen an der Berliner Universität gewesen sein dürften, im März 1820 gewählt.12 Bis auf Schlechtendal, der erst im Mai 1819 promoviert wurde, hatten alle drei ihre Dissertation im Jahr 1818 vorgelegt und damit offenbar die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die GNF erfüllt. Ehrenbergs Dissertation hatte ihm bereits im November 1818 die Mitgliedschaft in der Leopoldina eingebracht. Noch vor seinem ersten Besuch in der GNF stellte Link Ehrenbergs Arbeit in der GNF vor.13 Die Dissertation über die sogenannten Pilzwälder Berlins, die systematische Beschreibung der zahlreichen neuen Arten und die Entdeckung der geschlechtlichen Fortpflanzung der Schimmelpilzgattung Syzygites leistete genau den Beitrag zu einer umfassenden Naturgeschichte, die für die GNF seit ihrer Gründung konstituierend war.14

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Abb. 2: Urkundenbuch mit Auflistung der Mitgliedschaften (Signatur: SBB_IIIA_ Nachlass 198, Ehrenberg, Kasten 3).

 

In der auf die Wahl folgenden Sitzung am 21. März 1820 und dann noch bis zum 23. Mai des Jahres, also offenbar bis kurz vor Antritt der Reise in den Nahen Osten15, war Ehrenberg zusammen mit seinem Reisebegleiter Hemprich als Ehrenmitglied nachweislich in den Sitzungen der GNF anwesend.16 Hemprich starb im Juni 1825 während der zweiten gemeinsamen Forschungsreise am Roten Meer. Während Schlechtendal ab 1819 bis zu einem Ruf als ordentlicher Professor für Botanik an die Universität Halle im Jahre 1833 als Kustos am Herbarium des Botanischen Gartens in Berlin tätig war, erhielt Eysenhardt ab 1823 die Professur für Naturgeschichte und Botanik und das Direktorat des Botanischen Gartens in Königsberg. Offenkundig diente die Aufnahme in die GNF den jungen Wissenschaftlern als vielversprechendes Sprungbrett zur Erlangung einer einträglichen Anstellung.

Für Ehrenberg begann mit der Aufnahme in die GNF eine bis zu seinem Lebensende andauernde Verbindung, die ihn während seiner gesamten akademischen Laufbahn begleitet hat. Dabei bestimmte er, der dann 1831 zum ordentlichen Mitglied gewählt worden war, das Fortbestehen und die Aktivitäten der Gesellschaft maßgeblich mit.

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Abb. 3: GNF-Mitgliedsurkunde für Ehrenberg vom 14. März 1820 (Signatur: SBB_IIIA_ Nachlass 198, Ehrenberg, Kasten 3).

 

Schon während seiner großen Forschungsreise sandte Ehrenberg Briefe an Lichtenstein, der seine Teilnahme an der Expedition gefördert hatte und der diese Briefe dann in den GNF-Sitzungen vorlas.17 Auch nach seiner Rückkehr nahm Ehrenberg bereits im Mai 1826 wieder an einer großen Sitzung aller GNF-Mitglieder teil und trug schon im Juli 1826 über Beduinenstämme vor, verbunden mit der Demonstration von Opium- und Kaffeeproben sowie der Präsentation von Manna.18 Erste naturkundliche Ergebnisse präsentierte er dann in der Dezember-Sitzung mit der Vorstellung afrikanischer Skorpione. Die erst 1829 erschienene Publikation erfolgte auch im Namen seines verstorbenen Reisebegleiters Hemprich.19 Diese beiden ‚Afrika‘-Vorträge wurden durch den im Juli 1827 gehaltenen über „das besonders tönende Geräusch am Berge Sinai“20 ergänzt, worin er seine Beobachtungen zu dem Phänomen der singenden Wüsten beschrieb.

Mit dem nächsten Vortrag im Juni 1828 eröffnete Ehrenberg dann aber schließlich auch das weite Feld der Kleinstlebewesen, das ihn bis zum Ende seines Lebens beschäftigt hat.21 Der genauere Blick durch eine mikroskopische Linse hatte ihm wohl die Verschiedenheit von Rädertierchen und Strudelwürmern offenbart („Struktur der Brachionen und Turbularien“).22 Es ist anzunehmen, dass dieser Vortrag bereits eine erste Auseinandersetzung mit der Frage der Fortpflanzung von Kleinstlebewesen war, für die er in seinen detaillierten mikroskopischen Untersuchungen und der Publikation der Ergebnisse in den Schriften der Berliner Akademie 1831 den Nachweis der geschlechtlichen Fortpflanzung erbrachte.23

Auch nach diesem Auftakt bildete die Präsentation von Ergebnissen seiner mikroskopischen Arbeiten thematisch den roten Faden. So beschäftigte Ehrenberg sich mit dem Leuchten des Meeres und sah dessen Ursache in einzelligen Lebewesen, untersuchte die sogenannte „Sternschnuppenmaterie der Volkssage“ Tremella meteorica, beobachtete Süßwasserpolypen und Quallen, erkannte unter dem Mikroskop die organische Herkunft von Feuerstein und Kreide, sah die Herkunft „natürlicher Watte“/Conferven in Fadenalgen, erklärte die essbaren Erden und entzauberte das sogenannte Blutwunder als ein durch Bakterien verursachtes Phänomen. Sein mikroskopischer Blick drang dabei immer weiter in das, nach eigenen Worten, „geheimnisvolle unermessliche Reich des lebendigen Kleinen“24 vor. Auch nahm er bereits Themen der Protozoologie vorweg. So verwundert es nicht, dass Ehrenberg in dieser Spezialdisziplin inzwischen als einer ihrer ersten Vertreter gewürdigt wird.25

Die Ausführungen Ehrenbergs in der geselligen Runde der GNF-Mitglieder waren dabei zumeist eine Kombination aus Vortrag, Erläuterung anhand von Zeichnungen oder Naturalien und gemeinschaftlichem Mikroskopieren. Dafür legte Ehrenberg nicht nur Präparate, sondern immer wieder auch lebende Organismen unter das Mikroskop. Es wird deutlich, dass er nicht nur eine Präparatesammlung aufbaute, sondern daneben auch lebende Tiere und Einzeller hielt, die er für Anschauungszwecke nutzte und die ihm als Vorlagen für seine detaillierten Zeichnungen gedient haben. Mit Erscheinen seiner großen Infusorienwerke sind auch die Abbildungen aus diesen Publikationen wiederkehrendes Thema der Sitzungen, wie in den Einträgen im Tagebuch der Gesellschaft deutlich wird.

Aus den vielfältigen, von Ehrenberg dargebotenen Anschauungsobjekten möchte ich ein Tier herausgreifen, das seit 1859 einmal jährlich den anwesenden Sitzungsteilnehmern beobachtend und erläuternd zur Schau gestellt worden ist: einen Grottenolm.

Diese pigmentfreien, augenlosen, ihre Außenkiemen bewahrenden Amphibien lebten ursprünglich ausschließlich in Höhlen des adriatischen Raumes. Ehrenberg erhielt offenbar neben Proben des Höhlenschlamms auch ein solches Tier aus der Magdalenengrotte im heutigen Slowenien, um unter anderem die mikroskopischen Lebewesen aus dem Höhlensediment zu untersuchen.26 Die identifizierten 71 Arten von Mikroorganismen wurden laut Tagebuch der GNF als Präparate aufbewahrt, wie auch der Grottenolm selbst als Haustier gehalten wurde. In den Versammlungen legte Ehrenberg seine Beobachtungen zu Nahrungszusammensetzung und -aufnahme, zum Verhältnis von Kiemen- und Lungenatmung sowie zur Lichtwirkung und zu Pigmentveränderungen im Detail dar. Zudem wurden nicht nur Alkoholpräparate von Grottenolmen verwahrt, sondern zu Vergleichszwecken offenbar auch ein Kammmolch gehalten.27 Die konservierten Grottenolme präparierte Ehrenberg, sodass er sie mit seinem Haustier vergleichen und nach der mikroskopischen Untersuchung und Analyse des Darminhalts auch Rückschlüsse auf die natürliche Nahrungszusammensetzung ziehen konnte. Als der Grottenolm im Juli 1873 starb, war dieses Ereignis den GNF-Mitgliedern sogar eine Erwähnung in den Sitzungsberichten wert.28

Die Vorführung lebender Amphibien war vor allem deshalb möglich, weil Ehrenberg mit seiner Familie seit 1856 im Haus der GNF in der Französischen Straße wohnte, und damit in unmittelbarer Nähe zu den Versammlungsräumen. Er bezog die

zur ebenen Erde gelegene Wohnung aus acht Stuben, 1 Entree, Küche, Mädchenstube, einer Remise auf dem Hofe, 2 Bodenzimmern, Bodenraum, Kellergeschoß und Apartements. [Damit verpflichtete er sich, für das] Gesellschaftshaus wie ein Vicenwirth zu sorgen, die darin befindlichen Naturaliensammlungen und die Instrumente der Gesellschaft zu beaufsichtigen und in Betreff der Bibliothek das Amt eines Bibliothekars zu übernehmen.29

Das Privileg, im gesellschaftseigenen Haus wohnen zu dürfen, war bereits seit langem mit zahlreichen, für die GNF und ihre Sammlungen notwendigen Ämtern verbunden. Wie schon seine Vorgänger, so übernahm auch Ehrenberg nicht nur die Wohnräume, sondern erhielt auch die Aufsichtspflicht für das gesamte Gebäude einschließlich der darin befindlichen Sammlungen aus Naturalien, Büchern und Archivalien.

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Abb. 4: Das (kleine) Gebäude Französische Straße 29 um 1910, das sich seit 1905 nicht mehr im Besitz der GNF befand. (Signatur: SBB_IIIC_Kart_Y 44252_Blatt 745)

 

Bevor die Familie Ehrenberg ins Gesellschaftshaus einziehen konnte, waren zum Teil erhebliche bauliche Änderungen und Instandsetzungsmaßnahmen notwendig. Die bereits im Sitzungssaal der Gesellschaft vorhandene Gasbeleuchtung nutzte Ehrenberg offenbar schon als Lichtquelle zum Mikroskopieren. Um diesen Vorzug auch in der Wohnung und in seinem Arbeitszimmer nutzen zu können, setzte er gegenüber den ordentlichen Mitgliedern den Einbau einer Gasbeleuchtung auch in seinen Wohnräumen durch und dürfte so nicht nur zur Verbesserung seiner Arbeitsmöglichkeiten am Mikroskop, sondern in erheblichem Maße auch zur Verbesserung seiner familiären Wohnsituation gesorgt haben.30 Bei aller Verantwortung, die Ehrenberg übernahm, darf angenommen werden, dass der Wohnungswechsel ein Segen für ihn und seine Familie gewesen ist. Wie aus Berliner Adressbüchern hervorgeht, war er zuvor alle vier Jahre in eine neue Wohnung gezogen.31 Zwar war der Mietvertrag mit der GNF auch nur auf ein Jahr befristet, allerdings ermöglichte eine Verlängerungsklausel ein längeres Mietverhältnis32, das dann erst mit seinem Tod im Jahre 1876 zum Ende kam.33

Ehrenbergs Einzug ins gesellschaftseigene Haus zog nicht nur bauliche Veränderungen nach sich. Nach dem Tod von Klug, der zuvor ganze 41 Jahre im Haus gelebt hatte, wurden einige Neuerungen wie zum Beispiel die Revision der Bibliothek angeregt. Auch Ehrenbergs Vorschlag einer Satzungsänderung vor allem hinsichtlich der Naturaliensammlung wurde aufgegriffen und in konkrete Maßnahmen übersetzt.34 Infolgedessen unternahm die Gesellschaft 1858 den Vorstoß, Teile ihrer Sammlung an die Streitsche Stiftung (Gymnasium Zum Grauen Kloster) abzugeben.35

Bereits 1835, also wenige Jahre nach seiner Wahl zum ordentlichen Mitglied, hatte Ehrenberg mit Vorschlägen zu einem veränderten Sitzungsplan eine Neuorientierung der Gesellschaft bewirkt. In der Zeit der Krise der Gesellschaft um 1830, als das Interesse an ihren Aktivitäten seitens der Berliner Mitglieder spürbar nachgelassen hatte und damit die Attraktivität der Sitzungen deutlich schwand, bewirkten seine Reformvorschläge eine deutliche Besserung der Verhältnisse. So gingen von ihm Impulse zu einer klarer strukturierten Sitzungsordnung und Vortragstätigkeit der ordentlichen Mitglieder aus, die zu einer Öffnung der GNF und einer stärkeren Präsenz in der Berliner Öffentlichkeit führten und eine unmittelbare Steigerung der Teilnehmerzahlen zur Folge hatte.

In ähnlicher Weise progressiv wirkten seine 1856 vorgebrachten Vorschläge zur Veräußerung von Sammlungsteilen. Die GNF gab vor allem solche Stücke ab, die als besonders „verderblich“ und aufgrund der mangelnden Pflege durch die Mitglieder dem Zerfall ausgesetzt waren. Einerseits löste sich die GNF damit von dem ursprünglichen Ziel der potentiell unbegrenzten Sammlungserweiterung und verlegte ihren Schwerpunkt fortan noch stärker auf das Wachstum der Bibliotheksbestände. Andererseits wurde damit der Tatsache Rechnung getragen, dass die Berliner Universitätsmuseen mit ihren umfangreichen zoologischen, botanischen und mineralogischen Spezialsammlungen inzwischen an Bedeutung gewonnen hatten. Ehrenbergs Vorschläge markieren damit wesentliche Schritte auf dem Weg der Anpassung der GNF an die Veränderungen der Berliner Wissenschaftslandschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts.

3. Sammeln und Naturforschung

In Vaters Stube Staub zu wischen, war das Vorrecht der ältesten Tochter, da keine fremde Hand den Schreibtisch berühren durfte, wo scheinbare Unordnung für Vater die größte Ordnung bedeutete, die ihm leicht erlaubte, alles Gesuchte schnell zu finden. […] So wurde Vaters Stube für uns ein gewisses Heiligtum und der Wunsch, sie dauernd im Gedächtnis zu behalten, veranlaßte mich, sie in Aquarell aufzunehmen zu Vaters siebzigstem Geburtstage. So ist denn ein getreues Abbild derselben und der Dinge, die ihn dort umgaben, erhalten und erweckt in mir oft schöne Erinnerungen an längst vergangene Zeiten. So steht auf dem in der Mitte der Stube im Halbkreis den Schreibtisch umgebenden Repositorium, das die Kästen mit den mikroskopischen Präparaten trägt, sein erstes hölzernes Mikroskop, mit dem er einst die epochemachenden Entdeckungen der Entstehung der Pilze und Schimmel aus Samen für seine Doktordissertation machte und das jetzt Hermann besitzt. Daneben steht aus Berliner Infusorienerde die kleine Büste der Königin Luise und eine Schale, beides in der Kgl. Porzellan-Manufaktur unter Fricks Leitung gebrannt und jetzt mit der Sammlung an den Staat abgegeben. Das Mikroskop, mit welchem Vater unausgesetzt seine Untersuchungen gemacht, steht auf dem kleinen Tisch am Fenster und ist ebenfalls der Sammlung einverleibt worden. In der Ecke steht die wohlgelungene Statuette Alexander v. Humboldts, die auch Hermann hat.36

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Abb. 5: Arbeitszimmer Ehrenbergs im Haus der GNF, Aquarell von Clara Ehrenberg. (Museum Barockschloss Delitzsch, Ehrenberg-Sammlung)

 

Die im Jahr 1905 gedruckten Kindheitserinnerungen von Ehrenbergs Tochter Clara (1838–1918) enthalten eine detaillierte Beschreibung seines Arbeitszimmers im Haus der GNF. Claras Aufgabe beschränkte sich allerdings nicht aufs „Staubwischen“; vielmehr ging sie ab Mitte der 1860er Jahre ihrem Vater auch beim Zeichnen und Mikroskopieren zur Hand.37 Von ihr stammt das sich heute in Ehrenbergs Geburtsstadt Delitzsch befindliche Aquarell, das den Raum und die in ihm befindlichen Gegenstände detailliert zeigt.

Auf dem Bild sind sowohl die von Ehrenberg verwendeten Mikroskope als auch sein besonderes, rundes Sammlungsregal mit den Schubern zur Aufbewahrung seiner mikroskopischen Präparate zu sehen, die sich heute im Museum für Naturkunde Berlin befinden.38

Die besondere Ordnung seiner Sammlung hat Ehrenberg in der Sitzung der Physikalisch-mathematischen Klasse der Akademie vom 18. Januar 1875 ausführlich geschildert.39 Er benennt insgesamt fünf Teile seiner Sammlung: In der ersten Abteilung befinden sich die mikroskopischen Präparate der schalenführenden Einzeller, die auf Trägerpappen montiert und in insgesamt 50 Kästen aufbewahrt sind. Dieser Teil enthält in geographischer Ordnung eine mikrogeologische Präparatesammlung der „ganze[n] Erdoberfläche von Pol zu Pol“, wobei eine „sehr freie systematische Anordnung“ möglich sei.40 In der zweiten Abteilung hatte Ehrenberg im Unterschied dazu hauptsächlich die schalenlosen einzelligen Formen aufbewahrt, die er in seinem Werk „Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen“ von 1838 beschrieben hat.41 Die Präparate hat er hier systematisch, also nach taxonomischen Einheiten geordnet. Die dritte Abteilung bilden sämtliche Zeichnungen. Er betonte schon 1838, dass er diese Darstellungen nach lebenden Organismen nicht als „Abzeichnungen, sondern [als] Compositionen aus vielen Beobachtungen“42 angefertigt habe. Außerdem thematisiert er hier sein Verweisungssystem, bei dem auf jeder Zeichnung auch der Aufbewahrungsort des dazugehörigen Präparates in seiner Sammlung vermerkt sei. Die Zeichnungen bilden für ihn „das nothwendige Register zu den aufbewahrten Formen“, womit er ihnen eine besondere Funktion zur Erschließung seiner Sammlung zuwies.43 Das Verweisungssystem, das es ihm ermöglichte, eine schnelle Verknüpfung zwischen Objekt und dazugehörigen Zeichnungen herzustellen, hoben auch Rudolf Virchow44 (1821–1902), Ernst Beyrich45 (1815–1896) und Justus Roth46 (1818–1892) am 31. Januar 1875 in ihrem Gutachten, das offenkundig im Vorfeld des Verkaufs der Sammlung an das Museum für Naturkunde angefertigt worden ist, als besonderes Merkmal dieser Kollektion hervor.47

In der vierten Abteilung von Ehrenbergs Sammlung befinden sich die Originalproben, aus denen er die mikroskopischen Präparate herstellte. Ehrenberg bewahrte neben den von ihm selbst gesammelten auch diejenigen Objekte auf, die er von zahlreichen Naturforschern und Reisenden bekommen hatte, inklusive der jeweiligen Begleitschreiben. Er hielt die Aufbewahrung der Originalproben vor allem mit Blick auf zukünftig verbesserte mikroskopische Untersuchungsmethoden für erforderlich. Auch diese Proben ordnete er nach ihrer geographischen Herkunft. Die fünfte Abteilung umfasst das paläontologische Material, das ebenfalls in mikroskopischen Präparaten vorliegt und von Ehrenberg einer chronologischen Ordnung unterworfen wurde, die den damals angenommenen Erdzeitaltern folgt. Zu diesem Sammlungsteil gehören auch besondere Materialproben, wie zum Beispiel essbare Erden, Meteorstäube oder Tiefgrundproben, die er in verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen behandelte.

Ehrenberg legte aber in seinem Akademievortrag von 1875 nicht einfach nur die Ordnung seiner Sammlung dar, sondern brachte auch seine damit verbundenen Erwartungen zur Sprache. Er wolle mit seiner Forschung über mikroskopische Lebensformen erst den „Anfang weit und tiefreichender Entwicklungen für die Zukunft bilden“, in der Hoffnung darauf, dass die Nachvollziehbarkeit seiner Erkenntnisse nur anhand seiner über viele Jahre aufbewahrten Präparate ermöglicht würde, die allein, wie er überzeugt war, „eine nachweisbare Objectivität besitzen“48. Dabei verstand er seine zahlreichen Untersuchungen über die mikroskopischen Lebensformen als Beiträge zu einer „Theorie des organischen Lebens“. Von dieser sei man allerdings noch weit entfernt, da „das Ganze zu überblicken für den Einzelnen noch viel zu wenig vorbereitet sei“49.

Mit der Vision eines „Ganzen [das es] zu überblicken“ gelte, und der Funktionsbestimmung seiner wohlgeordneten Sammlung als Hilfsmittel verkörpert Ehrenberg das tradierte Selbstverständnis der GNF. Vom Gründungsimpetus der vollständigen Beschreibung aller Naturkörper ausgehend, lag das Hauptziel der gesellschaftlichen Aktivitäten auch noch einhundert Jahre nach ihrer Gründung in der Vermehrung des Wissens auf dem Wege der Neubeschreibung von Arten. Ehrenberg lieferte dazu seinen Beitrag, indem er eine Vielzahl von einzelligen Lebewesen entdeckte, präparierte und als neue Arten beschrieb. Hierbei beschränkte er sich nicht auf ein Teilgebiet der Mikroskopie, sondern unternahm den Versuch, ein umfassendes Gesamtbild mikroskopischer Lebensformen zu entwickeln. Wie schon für frühere Generationen von GNF-Mitgliedern war auch für Ehrenberg eine auf Beobachtung fußende Empirie die Grundlage aller Erkenntnisse. Dies schlug sich beispielsweise in seiner Sammlung nieder, in der er sowohl rezente als auch fossile Mikroorganismen aufbewahrte und deren sorgfältig präparierte mikroskopische Objekte die Nachvollziehbarkeit seiner Beobachtungen gewährleisten sollten.

Während sich im Laufe des 19. Jahrhunderts innerhalb der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte Fachsektionen herausbildeten50, bewahrte sich die GNF und mit ihr Ehrenberg eine Auffassung von Naturkunde, die bis auf ihre Anfänge zurückgeführt werden kann. Es ist die Vorstellung von der übergeordneten Einheit einer vielfältigen Natur, deren möglichst umfassende Kenntnis trotz aller disziplinären Aufspaltungen das höchste Gut des Naturforschers zu sein habe.

Diese tradierte Vorstellung von Naturkunde wurde aus Anlass des 100. Stiftungstages der GNF im Juli 1873 von dem Anatomen und ordentlichen GNF-Mitglied Karl Bogislav Reichert (1811–1883) folgendermaßen formuliert:

Die GNF sei eine

Vereinigung von Fachgelehrten und Freunden der Naturkunde nach allen Richtungen hin; eingedenk dessen, dass die Natur, wie sie uns vorliegt, in ihrer großen und herrlichen Mannigfaltigkeit, dennoch ein einheitliches, zusammengehöriges Ganzes darstellt, – voll von Wechselbeziehungen der verschiedensten Art, an jeglichem Ort und zu jeder Zeit. Er [der Verein] hat festgehalten an der Überzeugung, dass der durchgebildete Naturforscher, bei aller Vertiefung in das Einzelne, einen offenen, empfänglichen Sinn für dieses einheitliche Ganze zu pflegen hat, und dass er in dem Grade über die Alltäglichkeit hinaus dem Ideal eines wahren Naturkundigen sich nähert, als er zugleich im Stande ist, über das eigene Special-Studium, über seine eigene Virtuosität hinweg zu dem wunderbaren Ganzen sich zu erheben.51

Für die GNF war zudem ein Freundschaftsideal kennzeichnend, das schon in ihrem Namen zum Ausdruck kommt und die ‚Freunde der Natur‘ auch zu ‚Freunden der Naturfreunde‘ werden lässt. Es äußerte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nun dezidiert in ihrem hohen Anspruch an naturkundlicher Bildung und Professionalität, indem ausschließlich hochrangige Akademiker zu ordentlichen Mitgliedern ernannt wurden. Die GNF leitete diesen Anspruch aus dem Streben nach Erkenntnis der Natur als Ganzes ab. Die Naturkunde diente ihr allerdings nicht mehr der religiösen Erleuchtung, wie es noch in der deistisch geprägten Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts der Fall war. Die „wunderbar grosse, dem Menschen verhüllte, Welt des Lebendigen“52 wurde vor allem als ein Forschungsgegenstand verstanden, den es im Verbund mit Gleichgesinnten umfassend zu untersuchen galt. Die Entschlüsselung der Naturgeheimnisse galt Ehrenberg wie den übrigen GNF-Mitgliedern als einzig wahrer Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis. In Erwartung weiterer Generationen von Naturforschern, die ebenso zielstrebig wie ausdauernd die unterschiedlichsten Naturphänomene mikro- und makroskopisch in den Blick nehmen würden, hielt die GNF an ihrem Ziel fest, mit Hilfe einer empirisch gewonnenen vollständigen Erkenntnis aller Lebewesen ein Gesamtbild der Natur hervorzubringen.

Literatur

Böhme-Kaßler, Katrin (2005): Gemeinschaftsunternehmen Naturforschung: Modifikation und Tradition in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1773–1906. Stuttgart: Steiner. (Pallas Athene; 15), Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2004.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1818): Sylvae Mycologicae Berolinenses: Dissertatio inauguralis. Berolini: Bruschcke.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1829): Erläuterungen über das eigenthümliche Getös am Berge Sinai, vom Dr. C. G. Ehrenberg. In: Verhandlungen der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Berlin: Reimer, S. 398–406.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1831): Über die Entwicklung und Lebensdauer der Infusionsthiere: nebst ferneren Beiträgen zu einer Vergleichung ihrer organischen Systeme; Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 30. Juni 1831. In: Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie d. Wissenschaften zu Berlin, S. 1–154.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1838): Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen: Ein Blick in das tiefere organische Leben der Natur. Leipzig: Voss.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1859): Über die mit dem Proteus anguinus (Hypochthon Laurenti) zusammenlebenden mikroskopischen Thierformen in den Bassins der Magdalenengrotte in Krain. In: Monatsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, S. 758–775.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1873a): Sitzungs-Bericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 21. October 1873. In: Sitzungs-Berichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Berlin: Dümmler, S. 99–107.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1873b): Sitzungs-Bericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin am 21. Januar 1873. In: Sitzungs-Berichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Berlin: Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Berlin: Dümmler, S. 1–18.

Ehrenberg, Christian Gottfried (1875): Die Sicherung der Objectivität der selbstständigen mikroskopischen Lebensformen und ihrer Organisation durch eine zweckmässige Aufbewahrung. In: Monatsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, S. 71–81.

Ehrenberg, Christian Gottfried/Hemprich, Friedrich Wilhelm (1829): Vorläufige Übersicht der in Nord-Afrika und West-Asien einheimischen Scorpione und deren geographische Verbreitung nach den eigenen Beobachtungen von Dr. Hemprich und Dr. Ehrenberg. In: Verhandlungen der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin. Berlin: Reimer, S. 348–362.

Ehrenberg, Clara (1905): Unser Elternhaus: Ein Familienbuch f. meine Geschwister u. deren Kinder u. Enkel. Nach eigenen Erinnerungen von Clara Ehrenberg. Als Ms. gedr. Berlin: M. Schildberger in Komm.

Eysenhardt, Karl Wilhelm (1818): De structura renum Observationes microscopicae. Berolini: Petsch.

Hagner, Michael/Vesper, Elisabeth (1991): Einige Nachrichten über die Bibliothek des Anatomen und Physiologen K. A. Rudolphi. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 16, S. 41–62.

Hemprich, Friedrich Wilhelm (1818): De inflammationis notione. Berolini.

Jahn, Ilse (1991): Die Rolle der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin im interdisziplinären Wissensaustausch des 19. Jahrhundert. In: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (N. F.) 31, S. 3–13.

Jahn, Regine (2007): C. G. Ehrenberg: the man and his contribution to botanical science. In: The Linnean The Societyʼs Biannual Newsletter for Fellows Special Issue 1: Christian Gottfried Ehrenberg: The Man and His Legacy, p. 15–29.

Landsberg, Hannelore (2001): Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876). In: Darwin & Co. Eine Geschichte der Biologie in Portraits, hg. von Ilse Jahn und Michael Schmitt, Bd. 1, S. 260–281.

Mohr, Barbara (2010): Wifes and daughters of early Berlin geoscientists and their work behind the scenes. In: Earth Sciences History. Journal of the History of the Earth Sciences Society 29(1), S. 291–310.

Reichert, Karl Bogislav (1873): Festrede. In: Festschrift zur Feier des hundertjährigen Bestehens der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin; mit Abb. Berlin: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung, S. III–VII.

Schlechtendal, Dietrich Franz Leonard (1819): Animadversiones botanicae in ranunculeas candollii. Berolini: Starck.

Schlegel, Martin (Hg.) (1996): Christian Gottfried Ehrenberg-Festschrift: anläßlich der 14. wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Protozoologie, 9.–11. März 1995 in Delitzsch (Sachsen). Leipzig: Leipziger Univ.-Verlag.

1 Böhme-Kaßler (2005).

2 Signatur: K 004: Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (GNF), Museum für Naturkunde Berlin, Historische Arbeitsstelle, im Folgenden, soweit nicht anders angegeben, alle Archivalien mit diesem Standort.

3 Ehrenberg (1818), Diss. Med. am 5. November 1818.

4 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, Sitzung vom 20. April 1819.

5 Ehrenberg (1818), siehe Danksagung am Schluss der Dissertation, S. 32; Hagner/Vesper (1991). Die Bibliothek Rudolphis wurde 1833 von der Königlichen Bibliothek erworben.

6 Ehrenberg (1818), siehe Danksagung am Schluss der Dissertation, S. 32.

7 Jahn (1991).

8 S. Organisation Nr. 7: Grundverfassung und feierliche Verbindung der Gesellschaft Naturforschender Freunde (1789–1918), S. 11.

9 Schlechtendal (1819), Diss. Med. vom 12. Mai 1819.

10 Eysenhardt (1818), Diss. Med. vom 21. Juli 1818.

11 Hemprich (1818), Diss. Med. vom 8. August 1818.

12 GNF-Mitgliedsurkunde Ehrenbergs, datiert vom 14. März 1820, Staatsbibliothek zu Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlass Nr. 198, Ehrenberg, Kasten 3.

13 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, Sitzung vom 6. April 1819.

14 Ehrenberg (1818).

15 Seine große Afrika-Expedition startete er zusammen mit Hemprich am 6. August 1820 von Triest. Landsberg (2001), S. 265.

16 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF. Zu den Tagebucheintragungen gehörte auch immer die Aufzählung der anwesenden Personen.

17 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, zum Beispiel Sitzung vom 23. Juli 1822.

18 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, Sitzung vom 23. Mai 1826. Bei dem vorgezeigten Manna dürfte es sich um eingetrockneten Honigtau gehandelt haben, den auf der Tamariske lebende Schildläuse ausscheiden.

19 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, Sitzung vom 26. Dezember 1826; Ehrenberg/Hemprich (1829).

20 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, Sitzung vom 17. Juli 1827, Ehrenberg (1829).

21 Tagebuch 8 (1818–1835) der GNF, Sitzung vom 17. Juni 1828.

22 Beide Tiergruppen ähneln sich in ihrer Morphologie, teilweise auch in ihrer parasitischen Lebensweise. Sie gehören nach heutiger Erkenntnis zu verschiedenen Tierstämmen: Nemathelminthes/Rundwürmer mit den Rädertierchen, Platelminthes/Plattwürmer mit den Strudelwürmern.

23 Ehrenberg (1831).

24 Ehrenberg (1838), S. V.

25 Siehe Schlegel (1996).

26 Tagebuch 10 (1856–1870) der GNF (Wissenschaftliche Verhandlungen), Sitzung vom 20. Dezember 1859; Ehrenberg (1859).

27 Ehrenberg (1873b), S. 7–8.

28 Ehrenberg (1873a), S. 104–105.

29 Mietvertrag vom 8. April 1856, § 1–§ 3, Bl. 8, (S. Haus Nr. 35).

30 Tagebuch 1856–1922 (Geschäftssitzungen) der GNF, Sitzung vom 25. März 1856, Beschluss der ordentlichen Mitglieder in der Sitzung am 18. November 1856.

31 Ehrenberg, Clara (1905), S. 118. Außerdem: Berliner Wohnungsanzeiger für Berlin, verschiedene Jahrgänge, online abrufbar unter https://digital.zlb.de/viewer/cms/155/, [letzter Zugriff am 19. April 2021].

32 Mietvertrag vom 8. April 1856, § 4, Bl. 8 (S. Haus Nr. 35).

33 Einem Gesuch der Witwe, noch bis zum 1. Januar 1877 im Haus bleiben zu dürfen, wurde stattgegeben. Sitzung vom 18. Juli 1876 (Tagebuch 1856–1922 (Geschäftssitzungen) der GNF).

34 Tagebuch 1856–1922 (Geschäftssitzungen) der GNF, Sitzungen vom 25. und 31. März 1856.

35 TB der GNF 1858/15. Februar, (TB 1856–1922 (Geschäftssitzungen) der GNF), S. 45–47; Schreiben vom 23. März 1858 von Gurlt (Sekretär) und Reichert (Direktor) unterzeichnet, an das hochlöbliche Direktorium der Streitschen Stiftung (S. Protokolle Nr. 32 1853–1859, Bl. 12–13).

36 Ehrenberg, Clara (1905), S. 182–184.

37 Jahn, Regine (2007); Mohr (2010).

39 Ehrenberg (1875), S. 71–81.

40 Ebd., S. 74 und S. 75.

41 Ebd., S. 76.

42 Ehrenberg (1838), S. XIV.

43 Ehrenberg (1875), S. 76.

44 OM der AdW seit 1873, EM der GNF seit 1859.

45 OM der AdW seit 1853, OM der GNF seit 1858.

46 Prof. für Geologie Universität Berlin, OM der AdW seit 1867, nicht GNF-Mitglied.

47 „Abschrift aus den Akten der Akademie der Wissenschaften, Berlin, den 31. Januar 1875“ (S. Ehrenberg, Bl. 14–17). Das Gutachten empfiehlt bei einer Anzahl von rund 40.000 mikroskopischen Präparaten einen Kaufpreis von 40.000 Mark.

48 Ehrenberg (1875), S. 71.

49 Ebd., S. 72.

50 Siehe hierzu u.a. Beiträge der Schriftenreihe zur Geschichte der Versammlungen deutscher Naturforscher und Ärzte. Dokumentation und Analyse. Im Auftrag der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.

51 Reichert (1873), S. V.

52 Ehrenberg (1838), S. V.

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