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Anne Greenwood MacKinney

Die Inszenierung naturforschender Gelehrsamkeit beim Sammeln: Christian Gottfried Ehrenbergs und Wilhelm Hemprichs nordafrikanische Forschungsreise (1820–1825)

Zusammenfassung

Im Jahr 1820 traten zwei Universitätsabsolventen, Christian Gottfried Ehrenberg und Wilhelm Hemprich, eine Forschungsreise nach Nordafrika an, die eine der ersten vom preußischen Staat maßgeblich getragenen Reiseunternehmungen darstellt. Wesentliches Ziel der Reise war das Sammeln von naturkundlichen Exemplaren für die junge Berliner Museumslandschaft. Der Beitrag ordnet die afrikanische Forschungsreise in die wissenschaftliche Laufbahn Ehrenbergs ein, der als einziger Reisender überlebte, sowie in die Geschichte der Berliner Wissenschaftslandschaft im frühen 19. Jahrhundert. Dabei konzentriert sich der Beitrag auf die Medien – insbesondere Sammlungsverzeichnisse und Sammlungsobjekte – die die Reisenden im Feld einsetzen mussten, um ihre Identität als gelehrte Naturforscher gegenüber ihren Förderern zu inszenieren und damit ihre Position in der preußischen Wissenschaft strategisch zu sichern.

Abstract

In 1820, two university graduates, Christian Gottfried Ehrenberg and Wilhelm Hemprich, embarked on a research expedition to North Africa, one of the first travel ventures funded by the Prussian state. The main goal of the trip was to collect natural history specimens for the Berlin museums. The article contextualizes the research voyage within the scientific career of Ehrenberg, the only surviving member of the voyage, and in the history of Berlin’s scientific landscape in the early 19th century. The article focuses on the media – particularly collection inventories and collection objects – that the travelers implemented in the field to fashion their identity as learned naturalists and thus strategically secure their position in Prussian science.

Résumé

En 1820, deux diplômés de lʼuniversité, Christian Gottfried Ehrenberg et Wilhelm Hemprich, se sont lancés dans une expédition de recherche en Afrique du Nord, lʼune des premières expéditions de voyage à bénéficier dʼun soutien important de lʼÉtat prussien. Le but principal du voyage était de collecter des spécimens d’histoire naturelle pour le jeune paysage muséal de Berlin. Le présent article se propose de situer le voyage de recherche en Afrique dans la carrière scientifique dʼEhrenberg, le seul voyageur survivant, ainsi que dans lʼhistoire de lʼinfrastructure scientifique de Berlin au début du XIXe siècle. Dans ce but, lʼarticle se concentre sur les médias – en particulier les inventaires et les objets de collection – que les voyageurs ont dû utiliser sur le terrain pour mettre en scène leur identité de naturalistes cultivés vis-à-vis de leurs mécènes afin d’assurer stratégiquement leur position dans la science prussienne./> 

Auf der Suche nach dem ‚Plätzchen‘ in der Wissenschaft

Im Sommer 1820 brach der junge Universitätsabsolvent Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876) zusammen mit seinem Studienfreund Wilhelm Hemprich (1796–1825) zu einer naturkundlichen Forschungsreise nach Ägypten auf. Ausgerüstet mit diverser Gerätschaft und Kreditbriefen über knapp 3000 Reichstaler der Berliner Akademie der Wissenschaften, hofften die beiden Reisenden darauf, nicht nur reiche Sammlungen der nordafrikanischen Natur für die wissenschaftlichen Anstalten Berlins zu gewinnen.1 Vielmehr strebten sie an, auch ihre eigene wissenschaftliche Zukunft an diesen Anstalten zu sichern. Doch keine sechs Monate nach ihrem Aufbruch waren ihre Reisegelder aufgebraucht und es gab zunächst kein Anzeichen dafür, dass aus Berlin weitere Unterstützung kommen würde. In einem Brief an Martin Hinrich Lichtenstein (1780–1857), Direktor des Berliner Zoologischen Museums und für die Geschäftsführung der afrikanischen Reise zuständiges Akademiemitglied, ließen die beiden Reisenden ihre Verzweiflung spüren. Aber auch ihr strategisches Vorgehen wird in diesem Schreiben bereits deutlich. Hemprich zeigte für einen erst kurz zuvor promovierten Forscher überraschend tiefe Kenntnisse der inneren Abläufe der preußischen Wissenschaftsadministration:

Ihr gütiges Schreiben hat uns in Angst versetzt. Das Ministerium hat keine Titel uns zu unterstützen finden können […], aber ich weiß[,] daß sich allenfalls wohl Titel finden ließen

a. Zur Unterstützung junger Leute die sich belehren wollen, um einst in die Liste der Gelehrten einzugehen. Wenn man uns etwa 1200 Rthl. jährlich unter diesem Titel bewilligte?

b. Zur Vermehrung der Königlichen Museen. Ein Titel der jährlich auch wohl 1200 Rthl. verdient.

c. Ostentations- und Schauausgaben. Wir dürfen dies freilich nur unter uns so nennen, aber unter anderem Nahmen müßte eigentlich dieser Titel in den Inventarien der Expensen eines Hohen Ministeriums existieren; dahin schiebe man wieder 1200 Rthl. jährlich und siehe da, durch drey Titelchen, die mir eben einfallen, ist all unser Bedarf gedeckt.

Ich bin, Gott weiß wie, ins Scherzen gekommen, obgleich mir eigentlich gar nicht lustig zu Muthe ist. […] Ich habe nothfalls den Muth, mich hier oder dort, ubi bene, durch die nie ganz von der Hand gewiesene Medizin nähren zu lassen und der geliebten Zoologie Ade zu sagen; aber was soll Freund Ehrenberg anfangen, wenn im Inventarium des Ministeriums kein Titel für ihn ist? Sollte sich, im Fall man uns bald rückruft, nicht wenigstens für ihn ein Plätzchen, vielleicht als Adjunkt des He. Prof. Klug2, finden können?3

Zu Ehrenbergs und Hemprichs Glück konnte das Ministerium doch letztendlich Gelder beschaffen, um ihre Reise für insgesamt fünf Jahre zu fördern. Ehrenberg, als einziger Überlebender dieser Reise, konnte sogar nach seiner Rückkehr das ersehnte „Plätzchen“ als Forscher mit staatlichem Gehalt und dem Auftrag, die Reiseergebnisse zu veröffentlichen, ergattern (vgl. Laue 1895, S. 140). Bei dieser Sicherung einer Forscherstelle für Ehrenberg spielte nicht zuletzt Alexander von Humboldt (1769–1859) eine Rolle, indem er gemeinsam mit anderen Akademiemitgliedern an den Staat appellierte, die Bearbeitung und Bekanntmachung der Materialien der Forschungsreise zu finanzieren und somit „den Ruhm des Vaterlandes [zu] erhöhen“ (Humboldt 1826, S. 134). Innerhalb eines Jahres wurde Ehrenberg sogar zum außerordentlichen Professor ernannt (vgl. Laue 1895, S. 140). Aber während der Reise selbst war dieser Ausgang alles andere als sicher. Ehrenbergs und Hemprichs Geldsorgen und flehentliche Bitten um Unterstützung waren auch keineswegs untypisch für preußische Reisende in dieser Zeit. Denn trotz allgemeiner Wertschätzung der Wissenschaft im preußischen Staat – erkennbar nicht zuletzt an der Gründung der Berliner Universität 1809/1810 – war eine öffentliche Förderungsinfrastruktur für wissenschaftliches Reisen erst im Entstehen.4 Nach dem totalen Zusammenbruch, den Preußen durch Napoleon 1806 erlitten hatte, investierte das Königreich nämlich in den Folgejahren seine strapazierten Ressourcen in erster Linie in die grundlegende Staatsreform sowie in einen erneuten Krieg gegen Frankreich. Wie warben Forschungsreisende unter diesen Umständen für Unterstützung? Und wie bahnte man für sich selbst – aus der Ferne – einen Karriereweg in die Berliner Forschungslandschaft, zumal die Idee von Forschung als Beruf noch gar nicht selbstverständlich war (vgl. Shapin 2008, S. 21–46)? Die Lösung, die Ehrenberg und Hemprich während ihrer Reise zur Bewältigung dieser Herausforderungen fanden, lag in der Inszenierung ihrer Gelehrsamkeit. Anders formuliert: Um die Reiseförderung zu sichern, die es ihnen ermöglichen würde, sich überhaupt als Gelehrte zu etablieren, mussten sie bereits von unterwegs ihre gelehrte Identität beweisen. Inszenierung ist hier keineswegs im Sinne von Täuschung oder Tarnung gemeint; vielmehr weist der Begriff auf die Manifestierung und performative Ausübung bestimmter Tugenden hin, durch die Ehrenberg und Hemprich sich gegenüber betreffenden Personen als förderungswürdige Gelehrte erkennbar machten.

Der Beitrag konzentriert sich auf zwei Medien, derer sich Ehrenberg und Hemprich auf der Reise bedienten, um gelehrte Tugenden zu inszenieren: zum einen die naturkundlichen Exemplare, die sie unterwegs sammelten, und zum anderen die Sammlungsverzeichnisse, die sie führten. Zur Verdeutlichung der Frage, warum gerade den Naturexemplaren und Verzeichnissen eine so grundlegende Bedeutung zukam, wird zuerst der Kontext von wissenschaftlichen Reisen und der preußischen Forschungslandschaft im frühen 19. Jahrhundert umrissen. Danach wird beschrieben, wie Ehrenberg und Hemprich mit ihren Sammlungsobjekten und -verzeichnissen umgegangen sind, so dass sie als Belege der Gelehrsamkeit gelten konnten. Der Schluss ordnet Ehrenbergs und Hemprichs Reise in die Geschichte eines sich wandelnden Wissenschaftsverständnisses ein.

Reisebedingungen, Reisemotivationen und die preußische Wissenschaftsinfrastruktur im frühen 19. Jahrhundert

Schon im Studium war Ehrenberg auf die Idee einer wissenschaftlichen Reise fixiert und erzählte etlichen Freunden und Verwandten von seiner Wanderlust (vgl. Laue 1895, S. 32–35). Insbesondere ein Brief aus dem Jahr 1819 verdeutlicht seine Beweggründe sowie die Dimensionen seiner Reisewünsche:

Mögte nur der Weg mir möglich werden, den ich als den allein bis ans Ende führenden erkenne. Anschauung des Lebendigen ist der Weg. Ein Zoolog aus dem Museum gebildet, ein Botaniker aus dem Herbarium entsprossen, ein Mineralog durch Steinpröbchen erweckt und genährt, sind […] zu betrauern, sie führen immer den Hemmschuh mit sich, welcher ihre Kraft schwächt und die Schwingen des Geistes lähmt. Nun giebt es zwar des Lebendigen noch genug bey uns, welches der Anschauung als Gegenstand dienen kann, vielleicht schon auf dem Weg von Stolpen nach Danzig, aber ich bin überzeugt, daß alles Gute aus raschem Eindruck entspringt. Wenigstens schafft so ein Tag was langes Brüten in Jahrzehnten findet. Abwechslung der Formen, schroffe Gegensätze dicht neben einander gedrängt bringen ein rasches und richtiges Urteil[,] wenn es durch Besonnenheit geleitet wird. Ich möchte reisen. Die Idee einer Reise ist mein Ideal.5

Ehrenberg grenzt sich hier von Forschern ab, die ihr Wissen über Natur vorwiegend aus der Sammlung beziehen, und besteht darauf, dass die Untersuchung lebender Natur der direkteste Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis sei. Damit reiht er sich in eine lang etablierte Debatte ein über die Vorzüge eines mutigen, die raue Umgebung durchquerenden Forschungsreisenden gegen die des kontemplativen Kabinettsgelehrten, der die Vielfalt der Natur im gezähmten Raum überblickt (vgl. Outram 1996). Ehrenberg grenzt sich aber auch von einem anderen Forschertyp ab, nämlich dem lokalen Reisenden, der die eigene Heimat bewandert und beforscht – beispielsweise auf der kurzen Landstrecke zwischen den pommerschen Städten Stolp und Danzig. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erweiterte sich der Begriff des wissenschaftlichen Reisens, so dass nicht nur mehrköpfige Expeditionen in fernen Weltgegenden gemeint waren, sondern zunehmend auch individuelle Wanderungen und die intensive Untersuchung der einheimischen Natur als legitime Formen der Forschungsreise verstanden wurden (vgl. Cooper 1998; Cooper 2007, S. 51–72; Rees 2008). Als Konsequenz dieser Ausweitung von Reisestilen konnte um 1800 eine viel größere Gruppe von Naturliebhabern als je zuvor an der Erforschung der Natur und der Zirkulation ihrer Reisebeobachtungen (etwa durch Korrespondenznetzwerke oder Veröffentlichungen) teilnehmen (vgl. Cooper 1998, S. 44; Phillips 2012, S. 60–85). Die Bereitschaft wiederum, sich den Risiken sowie den körperlichen und psychischen Belastungen einer Überseereise auszusetzen, diente in diesem Kontext als effektives Mittel, um sich gegenüber der Menge umherziehender Naturliebhaber zu profilieren und als selbstloser Diener der Wissenschaft zu inszenieren (vgl. Essner 1985, S. 99).

Doch Reise- und Risikobereitschaft allein konnten nicht den Weg in die Ferne bereiten. Für preußische Reisewillige zu Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Chancen auf staatliche Finanzierung noch sehr begrenzt, vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern: Frankreich etwa hatte schon seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts stark in die Förderung reisender Naturforscher investiert und sogar 1819 eine Schule zur Ausbildung von Forschungsreisenden gegründet; in England waren naturkundliche Reisen eng mit der königlichen Marine und ihren weitreichenden imperialen Netzwerken verzahnt (vgl. Burkhardt 2001; MacLeod 2009). Obwohl Preußen nicht über vergleichbare Mittel oder Infrastruktur verfügte, war es dennoch für junge Reisende keineswegs unmöglich, die Unterstützung des preußischen Staates zu gewinnen: Der Weg an die staatliche Geldbörse lief über die öffentlichen Museen und Sammlungen der Berliner Universität. Diese Anstalten waren am Anfang des Jahrhunderts bescheidene Institutionen, die sich vorwiegend aus älteren Sammlungsbeständen der Akademie und der Königlichen Kunstkammer zusammensetzten (vgl. Lichtenstein 1816; Brauer 1910). Federführend für den systematischen Ausbau der Berliner Sammlungslandschaft war der zoologische Museumsdirektor Lichtenstein, der sich für seine infrastrukturellen Ambitionen einer Schar von reisewilligen Universitätsstudenten bediente (vgl. Stresemann 1922). Versprachen die Reisenden, wertvolle ausländische Exemplare nach Berlin zu schicken, setzte sich Lichtenstein als Gegenleistung beim preußischen Staat für ihre Förderung ein.6 Indem Lichtenstein die Ministerien häufig an den kulturpolitischen Ruhm erinnerte, der Preußen durch eine reiche Sammlungslandschaft zuteil würde, war er in der Mittelbeschaffung meistens erfolgreich.

Die Bereitschaft, eine ferne, oft lebensgefährliche Reise zu unternehmen und die Berliner Sammlungen mit Exemplaren zu bereichern, war ein wichtiger Schritt, mit dem Ehrenberg und Hemprich die Aufmerksamkeit der Berliner Wissenschaftsgemeinde wecken konnten und mit deren Unterstützung sie im Jahr 1820 ihre Reise antraten. Damit sie allerdings nicht bloß als reisende Auftragssammler wahrgenommen wurden, sondern als gelehrte Forscher, die während und vor allem nach der Reise die weitere Unterstützung des Staats verdienten, bedurfte es weiterer Schritte. Diese entfalteten sich im besonderen Umgang mit den gesammelten Objekten und den dazu angefertigten Verzeichnissen, so dass sie als Zeugnisse spezifischer gelehrter Tugenden gelten konnten.

Sammlungsobjekte und das gelehrte Urteilsvermögen

Bislang war die Rede ausschließlich von den Reisenden Ehrenberg und Hemprich, die jedoch auf ihrer Reise keineswegs allein beim Sammeln und Forschen waren. Wie das für die meisten Sammlungs- und Forschungsreisen dieser Zeit zutrifft, wurden sie unterstützt und begleitet von einer wechselnden Gruppe von Offizieren, Gelehrten, Zeichnern, Sammlern, Präparatoren und Übersetzern aus Europa und Nordafrika (vgl. Ehrenberg 1828, S. i–xxviii; Schiebinger 2004; Thomas 2015; von Brescius 2019). Speziell mit Bezug auf ihre Sammelaktivitäten schrieben Ehrenberg und Hemprich in ihren Briefen, dass sie während der Reise durch drei „Deutsche“, einen „Sklave[n]“ und mehrere „Araber“ beim Jagen und Ausstopfen unterstützt wurden.7 An anderer Stelle berichteten sie, wie lokale Kinder Insekten, Schlangen und andere Tiere für die beiden Forschenden gegen „ein Bakschisch“ sammelten.8 Freilich verstanden Ehrenberg und Hemprich das Sammeln auch als Teil ihrer Aufgaben und wurden selten müde, in Briefen an Lichtenstein und andere Berliner Gelehrte von ihren Erlebnissen im Schießen, Angeln und Sammeln zu berichten.9 Dennoch war der physische Akt des Jagens und Sammelns nicht so eng mit ihrem gelehrten Selbstverständnis verbunden, dass sie diese Tätigkeiten für sich allein beanspruchten.

Ihre Gelehrsamkeit beruhte wiederum sehr stark auf der Auswahl von Objekten. Durch die Unterscheidung zwischen raren und für die Berliner Museen ‚brauchbaren‘ Exemplaren einerseits und schönen, aber letztendlich weitverbreiteten Exemplaren andererseits, konnten sie sich als scharfsichtige Kenner ausweisen. Dass Trennschärfe und das damit verbundene Urteilsvermögen als spezifisch gelehrte Tugenden galten, wird deutlich, wenn die Berliner Rezeption von Hemprichs und Ehrenbergs Sendungen mit der anderer zeitgenössischer Sammler verglichen wird: Beispielsweise kritisierte in einem Bericht über die brasilianischen Sendungen des Reisenden Georg Freyreiss (1789–1825) der zweite Direktor des Zoologischen Museums, Friedrich Klug (1775–1856), dass dieser „gewöhnliche Sammler“ sich zu sehr den großen, bunten und im Handel sehr lukrativen Schmetterlingsexemplaren widmete.10 Vernachlässigt habe Freyreiss dagegen die unscheinbareren Insektenarten, die, wie es in einem anderen Bericht heißt, zwar dem „gewöhnlichen Liebhaber“ uninteressant, für die Wissenschaft aber von großer Bedeutung seien.11 Hemprich und Ehrenberg wiederum ernteten in Berlin dafür Lob – und von keinem Geringeren als Alexander von Humboldt, der gemeinsam mit den führenden Sammlungsdirektoren Berlins einen Abschlussbericht zur Reise verfasste –, dass sie „nicht bloß die Käfer und Schmetterlinge, sondern vorzugsweise die Hymenopteren, Dipteren und bisher weniger berücksichtigten Abtheilungen im Auge gehalten haben“ (Humboldt 1826, S. 128).12 Ignaz von Olfers (1793–1871), der spätere Generaldirektor der Königlichen Museen in Berlin, spitzte diesen Gegensatz zu: Während „ganz gewöhnliche mechanische Sammler“ sich für „merkantilische Spekulation“ interessieren würden, zeichne sich „ein wahrer Naturforscher“ aus, indem er „die minima, in quibus rerum natura maxime tota ist, gehörig zu schätzen weiß“13. Neben der guten Auswahl der Exemplare kam es auch auf die sorgfältige Vorbereitung und Verpackung der Objekte für den Versand an. Wenn verfaulte, zerdrückte oder zerbrochene Objekte in Berlin ankamen – wie es bei dem bereits erwähnten Sammler Freyreiss häufig der Fall war – waren diese nicht nur für die Museumsregale unbrauchbar. Vielmehr wurden diese Fragmente als Evidenz der Nachlässigkeit eines sogenannten mechanischen Sammlers gedeutet.14 Die „sorgsam[e] Behandlung des Gesammelten“, wie sie mehrfach im Fall von Hemprich, Ehrenberg sowie anderen sammelnden ‚Gelehrten‘ gepriesen wurde, galt hingegen als Zeichen, dass die Sammler ihre Objekte als Gegenstände der Forschung verstanden (Humboldt 1826, S. 121). Oder, wie Olfers es formulierte – den Kontrast zwischen dem wissbegierigen gelehrten Reisenden und seiner Negativfolie, dem profitgierigen, mechanischen Sammler weiter verstärkend –, zeugten wohlverpackte Objekte davon, dass die gelehrten Naturforscher sie „nicht als Ware, sondern als Belege wissenschaftlicher Beobachtung“15 betrachteten.

Sammlungsverzeichnisse als gelehrte Arbeit

So wichtig das physische Objekt für die Vermittlung gelehrter Tugenden zwischen den Reisenden im Feld und den Vorgesetzten und Geldgebern in Berlin auch war, war seine Wirkmächtigkeit letztendlich dem Sammlungsverzeichnis untergeordnet. Wie alle anderen Reisenden, die für die Berliner Museen sammelten, erhielten auch Hemprich und Ehrenberg die Instruktion, jede Sendung mit einer „begleitenden Liste“ zu versehen (Lichtenstein 2010, S. 27). Ganz in der Tradition von Sammlungsinstruktionen stehend, die vermehrt seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert (vgl. Woodward 1696) erschienen und insbesondere ab Mitte des 18. Jahrhunderts genaue Vorschriften für das Dokumentieren gesammelter Gegenstände enthielten (vgl. Turgot 1758), setzte Lichtensteins Anleitung die Verzeichnung folgender Punkte für jedes gesammelte Exemplar fest: eine Nummer, den lateinischen Artnamen, das Alter, das Geschlecht, den Fundort sowie andere interessante Bemerkungen. Das Dokument war im Grunde nichts Anderes als eine Objektliste, die jeder Sammler im Sinne eines Rechenschaftsberichts anzufertigen hatte; doch gelang es Hemprich und Ehrenberg auf ihrer Reise das Verzeichnen zu einer regelrechten Kunstform zu erheben. Ihre Verzeichnisse sorgten in Berlin immer für große Begeisterung: Im Jahr 1821, bevor ein einziges Objekt aus Nordafrika in Berlin eingetroffen war, berichtete etwa Lichtenstein, dass ihre vorausgeschickten „genauen Verzeichnisse […] von der Sorgfalt zeugen, mit welcher sie über das Vorkommen jedes einzelnen Stücks Rechenschaft geben und welche ohne Zweifel den Werth ihrer Sammlung um Vieles erhöht“16. Einige Jahre später bemerkte Lichtenstein: „Man weiß in der That nicht, ob man mehr erstaunen soll über die Menge der gesammelten neuen und seltenen Gegenstände, oder über die Sorgfalt und Genauigkeit bei der Namen-Bestimmung derselben“.17 Das detaillierte Verzeichnis, so Lichtenstein, „macht an diesen Sendungen ohne Zweifel eine viel reichere Ausbeute wahrer Thatsachen als an viel größeren Sammlungen“18. Der Museumsdirektor bestand sogar darauf, dass ihre Verzeichnisse an sich schon „eine gelehrte Arbeit zu nennen“19 seien.

Warum eine solche Liste als Beleg von Fleiß, Sorgfalt und Genauigkeit gelesen und sogar mit einer gelehrten Arbeit gleichgesetzt werden konnte, lässt sich erst durch eine Untersuchung ihres Zustandekommens auf Reisen nachvollziehen. Der erste Dokumentationsschritt fand oft bereits im Moment des Sammelns im Feld oder spätestens am Tagesende statt. Notizhefte, Tagebücher oder lose Blätter waren die üblichen Trägermedien für vorläufige Beobachtungen (Bourguet 2010). Weil die Tagebücher von Ehrenbergs und Hemprichs Reise heute als verschollen gelten (Stresemann 1954, S. 3), wird zur Rekonstruktion des Notationsvorgangs das Reisematerial eines anderen Berliner Sammlers herangezogen: Karl Bergius (1790–1818), der wenige Jahre vor Hemprich und Ehrenberg nach Südafrika reiste und vergleichbare Dokumentationspraktiken pflegte. Ein typischer loser Zettel, in diesem Fall von einem Vogelexemplar, veranschaulicht einige der üblichen Daten, die zunächst beim Sammeln erfasst wurden (Abb. 1): Oben wird das Geschlecht und der Gattungsname dem Exemplar zugeschrieben (ein Weibchen aus der Gattung Dysporus, zuerst durch den Zoologen Karl Illiger beschrieben). Die Bemerkung, dass die bisher beschriebenen Arten innerhalb dieser Gattung „nicht auf diesen Vogel [passen]“, deutet darauf hin, dass die Objektuntersuchung und die Lektüre mitgebrachter Referenzwerke gleichzeitig stattfanden.20 Dass die handwerkliche Arbeit des Sezierens und die schriftliche Arbeit des Dokumentierens parallel liefen, lässt eine Notiz zum Gewicht des Vogelgehirns und zu den Läusen am Körper vermuten. Datum und Fundort werden festgehalten – 21. Oktober 1815 in Kapstadt – ebenso wie der lokale Fischer, der das Exemplar an den Sammler weitergab. Neben einer lateinischen Beschreibung der Form und Farbe wird auch der einheimische Name des Vogels und sein Verhaltensmuster notiert – Informationen, die wohl vom Geber stammten.21 Eine einzige Notiz enthält also bereits viele Schichten: von formalen Beschreibungen aus Büchern und eigenen Beobachtungen aufgrund von Objektuntersuchungen bis hin zu Berichten anderer Menschen, die mit dem lebenden Tier in seiner Umgebung vertraut waren.

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Abb. 1: Karl Bergius, Notiz zum Exemplar von Dysporus, [um 15. Oktober 1815], Tinte auf Papier (21 x 21 cm), MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Bergius, C. H. Capstadt, Bl. 46. Foto: Anne Greenwood MacKinney. Bildrechte: Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen.

 

Nachdem der Sammler diese vorläufigen Bemerkungen zusammengetragen hatte, überführte er sie in eine tabellarische Liste. Dabei wurden die notierten Daten fragmentiert, verdichtet und aggregiert, wie anhand eines Nagetierexemplars durch die verschiedenen Stadien der Dokumentation veranschaulicht werden kann. Ausgehend von einem Zettel, der die üblichen Angaben zum Fundort, Datum, Geschlecht und Gewicht von einem Georychus capensis-Exemplar enthält (Abb. 2), überführt der Sammler die Daten in eine Sendungsliste, die die Inhalte einer versandten Kiste in offenbar willkürlicher Reihenfolge wiedergibt; dabei wird das Exemplar auf eine Nummer und einen Namen reduziert (Abb. 3). In einer weiteren Liste taucht der G. capensis wieder auf, diesmal ohne Artikelnummer, aber mit ergänzenden Angaben zu Synonymen, Fundort, Präparation sowie Fragen und Kommentaren (Abb. 4). Im Unterschied zur vorigen Sendungsliste vereint dieses Verzeichnis Exemplare aus unterschiedlichen Sendungen und ordnet sie nach damaliger taxonomischer Reihenfolge. Beide Verzeichnistypen zeigen den Sammler beim Ausschneiden des für diese Abstraktionsebene ‚Überflüssigen‘ aus den vorläufigen Notizen – sprich, Formbeschreibung, Gewicht, Datum oder Berichte zur Lebensweise. Die verbleibenden Informationen verteilt er dann auf Spalten, so dass eine geordnete, leicht überschaubare und konsistente Darstellung seiner Arbeit im Feld entsteht.22

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Abb. 2: Karl Bergius, Auszug von einer Notiz zum Exemplar von Georychus capensis, 12. August 1816, Tinte auf Papier, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Bergius, C. H. Capstadt, Bl. 38. Foto: Anne Greenwood MacKinney. Bildrechte: Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen.

 

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Abb. 3: Der Eintrag zum Georychus capensis findet sich unter Nummer 17 der Liste. Karl Bergius, „Verzeichnis der Naturseltenheiten, welche ich im Jan. 1817 mit dem Dänischen Schiffe Gouverneur Bille (Capt. Charles Boyle) nach Kopenhagen abgesandt habe“, 16. Februar 1817, Tinte auf Papier (20 × 24 cm), MfN HBSB, S I, Bergius, C. H. Capstadt, Bl. 28. Foto: Anne Greenwood MacKinney. Bildrechte: Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen.

 

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Abb. 4: Der Eintrag zum Georychus capensis findet sich in der Mitte des Blatts. Karl Bergius, „Die capischen Säugethiere“, [um 1817], Tinte auf Papier (20 × 35 cm), MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Bergius, C. H. Capstadt, Bl. 6. Foto: Anne Greenwood MacKinney. Bildrechte: Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen.

 

An dieser Stelle kann zu Ehrenbergs und Hemprichs Dokumentationspraxis zurückgekehrt werden. Ihre Verzeichnisse sind Ergebnis einer noch drastischeren Praxis des Ausschneidens, Fragmentierens und Zusammengruppierens. Sie verschmelzen die beiden Verzeichnisformen, die Bergius nutzte: die zufällige Aufzählung des Sendungsinhalts und die systematische Darstellung der Exemplare. Ihre primäre Ordnungskategorie entlang der vertikalen Achse ist der Transportbehälter; unter dieser Kategorie ordnen sie die Einträge nach Tierklasse oder Präparationsart (Abb. 5).

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Abb. 5: Auszug von Hemprichs und Ehrenbergs Verzeichnis mit teilweiser Transkription. Wilhelm Hemprich und Christian Gottfried Ehrenberg, „Verzeichniß zur 8ten Sendung“, Tinte auf Papier, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg III, Bl. 146v. Foto und Transkription: Anne Greenwood MacKinney. Bildrechte: Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen.

 

Entlang der horizontalen Achse folgt jeder Eintrag dem Muster: Nummer, Name und Fundort, wobei für manche Tierkategorien das Alter und Geschlecht hinzukommt. Im Gegensatz zu Bergiusʼ systematischen Listen verzichten Ehrenberg und Hemprich in der Regel auf weitere Kommentare oder Fragen zu ihren gesammelten Exemplaren. Sie geben auch keine Synonyme aus der wissenschaftlichen Literatur oder den einheimischen Sprachen an. In graphischer Hinsicht lassen sie auch die Hilfslinien weg, die bei Bergius zu finden sind, was dazu führt, dass sie viel mehr Einträge auf einer Seite unterbringen können (auf der in Abb. 6 gezeigten Seite sind es nämlich 143 gegenüber den 20 Einträgen von Bergius in Abb. 4). Ohne einen Eintrag auf dieser Seite (die nur eine von insgesamt 29 Seiten eines einzigen Verzeichnisses bildet) überhaupt erst lesen zu müssen, ist allein schon dieser visuelle Effekt beeindruckend – die Liste erfasst mit einem Blick die immense Produktivität und Präzision der beiden Sammler (Abb. 6).23 Trotz beziehungsweise vielmehr wegen der Komprimierung und Auslassung von Details und Beobachtungen – Tilgungen, die zunächst im Widerspruch zu ihrem gelehrten Anspruch erscheinen mögen – gelingt es Hemprich und Ehrenberg in dieser Liste die Synthese aus der Menge des Einzelnen.

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Abb. 6: Eine Seite mit 143 Einträgen aus Wilhelm Hemprich und Christian Gottfried Ehrenberg: „Verzeichniß zur 8ten Sendung“, Tinte auf Papier (21,5 × 31 cm), MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg III, Bl. 154. Foto: Anne Greenwood MacKinney. Bildrechte: Museum für Naturkunde Berlin, Historische Bild- und Schriftgutsammlungen.

 

Hemprich und Ehrenberg in einer sich wandelnden Wissenschaftswelt

Worum ging es bei dieser Listenarbeit, so dass die Schriftstücke als gelehrte Arbeit und ihre Verfasser als gelehrte Forscher gelten konnten? Ferner noch: Was für ein Konzept von Wissenschaft und Forschertyp wird hier gewürdigt? Die Liste, so lässt sich festhalten, hat eine spezifische Wirkungsmacht in Bezug sowohl auf das, was niedergeschrieben wird als auch auf den Schreiber. Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston hat bereits vorgeschlagen, dass die Fragmentierung und Neuanordnung von Aufzeichnungen, Beobachtungen und experimentellen Ergebnissen in Form von Listen und Tabellen entscheidende Textoperationen waren, durch die Naturforscher seit der frühen Neuzeit die moderne wissenschaftliche Tatsache erzeugt haben – nach Dastons Definition heißt das, eine epistemische Einheit, die ein verdichtetes Fragment wissenschaftlicher Erfahrung enthält und scheinbar frei von Meinungen, Argumentation oder Interpretation ist (Daston 2002). Durch die Zerlegung von Feldbeobachtungen in getrennte, vereinheitlichte Informationskategorien generierten Sammler wie Ehrenberg und Hemprich jedoch nicht nur eine visuell überschaubare Faktensammlung auf Papier. Durch die Liste verwandelten sie selbst das dank ihrer Trennschärfe wohl gewählte physische Exemplar in eine Tatsache beziehungsweise ein Erfahrungsfragment – in ein Wissenschaftsobjekt, das erst so einen „wahren“, „rechten“ und „wissenschaftlichen Werth“ erhält, wie es Lichtenstein mehrfach in Bezug auf Hemprich und Ehrenbergs Sammlung formulierte.24

Die Liste schafft nicht nur wertvolle Tatsachen aus Objekten, sondern macht aus ordentlichen Schreibern tugendhafte Gelehrte. Die Kulturhistorikerin Mary Poovey, die sich auch der Geschichte der Tatsache widmet, konstatiert in ihrer Untersuchung zu kaufmännischen Buchführungspraktiken eine starke Verbindung zwischen konsistenten, formal präzisen Schreibsystemen einerseits und der Tugend der Aufrichtigkeit des Verfassers andererseits (vgl. Poovey 1998, S. 55–59). Diese Art von festgeregeltem Schreiben, so argumentiert sie, war essenziell in der Erhöhung der sozialen Glaubwürdigkeit und des Berufsprestiges des frühneuzeitlichen Kaufmanns (vgl. ebd., S. 30–32). Es handelt sich um eine ähnliche Assoziation zwischen geregelter Schreibpraxis und Tugend in den Listen von Ehrenberg, Hemprich und anderen reisenden Naturforschern im 19. Jahrhundert: Die Listen vermitteln nicht die gelehrte Genialität oder Kreativität. Vielmehr zeugen sie von der Gewissenhaftigkeit, mit der die Reisenden – selbst unter den schweren Bedingungen der Feldforschung – einem regelbasierten Schreibsystem zur Dokumentation ihrer Sammel-, Beobachtungs- und Lesetätigkeiten folgen. In der Tat sind es genau diese Tugenden des Fleißes, der Genauigkeit und Sorgfalt, die zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der preußischen Wissenschaftslandschaft immer mehr an Einfluss gewinnen: nämlich just in dem Moment, als eine ältere Idee von Wissenschaft als eine Berufung für Menschen außerordentlichen moralischen Kalibers, die bereit wären alles aufzuopfern, langsam einem neuen Ideal weicht: eines, in dem die Wissenschaft als eine intellektuell profane, nahezu bürokratische Tätigkeit aufgefasst wird, die besonders fleißige, präzise arbeitende, aber sonst gewöhnliche Menschen ausüben konnten und dafür auch einen Lebensunterhalt erwarten konnten (vgl. Shapin 2008, S. 34). Um sich im Umfeld einer sich wandelnden Wissenschaftslandschaft behaupten und ihre akademische Karriere beginnen zu können, mussten die jungen Reisenden Hemprich und Ehrenberg beiden Idealen nachkommen: Sie mussten ihr bürokratisches, buchhalterisches Können unter Beweis stellen. Sie mussten aber auch bereit sein, die Gefahren und Entbehrungen einer Forschungsreise auf sich zu nehmen, um als ‚wahre Naturforscher‘ zu gelten. Hemprichs und Ehrenbergs Reise, auf der ersterer sein Leben ‚im Dienst der Wissenschaft‘ verlor und die letzterem eine bezahlte Anstellung zur weiteren Bearbeitung der Reiseergebnisse sicherte, befindet sich genau am Anfang dieses Überganges.

Literatur

Bourguet, Marie-Noëlle (2010): A Portable World: The Notebooks of European Travellers (Eighteenth to Nineteenth Centuries). In: Intellectual History Review 20, 3, S. 377–400.

Brauer, Albrecht (1910): Das Zoologische Museum. In: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 3. Hg. von Max Lenz. Halle: Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, S. 372–389.

Brescius, Moritz von (2019): German Science in the Age of Empire: Enterprise, Opportunity and the Schlagintweit Brothers. Cambridge: Cambridge University Press.

Burkhardt, Richard W. (2001): Naturalistsʼ Practices and Nature’s Empire: Paris and the Platypus, 1815–1833. In: Pacific Science 55, 4, S. 327–341.

Cooper, Alix (1998): From the Alps to Egypt (and Back Again): Dolomieu, Scientific Voyaging, and the Construction of the Field in Eighteenth-Century Natural History. In: Making Space for Science. Territorial Themes in the Shaping of Knowledge. Hg. von Crosbie Smith und Jon Agar. New York: St. Martin’s Press, Inc., S. 39–63.

Cooper, Alix (2007): Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe. Cambridge: Cambridge University Press.

Daston, Lorraine (2002): Warum sind Tatsachen kurz? In: Cut & Paste um 1900. Der Zeitungsausschnitt in den Wissenschaften. Hg. von Barbara Büscher, Christoph Hoffmann, Anke te Heesen und Hans-Christian von Herrmann. Berlin: Diaphanes, S. 132–144.

Ehrenberg, Christian Gottfried (Hg.) (1828): Naturgeschichtliche Reisen durch Nord-Afrika und West-Asien in den Jahren 1820 bis 1825 von Dr. W. F. Hemprich und Dr. C. G. Ehrenberg. Berlin: bei Ernst Siegfried Mittler.

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1 Zu ihrer Reiseausrüstung und -finanzierung siehe die „Allgemeine Instruction für die zu einer Reise nach dem Orient bestimmten Doct. Medicinae Herren Ehrenberg und Hemprich“, enthalten in Erwin Stresemanns Edition der Briefe von der afrikanischen Reise (Stresemann 1954, S. 14).

2 Friedrich Klug (1775–1856), Professor für Entomologie an der Berliner Universität und zweiter Direktor des Königlichen Zoologischen Museums.

3 Hemprich an Lichtenstein, Cairo, 28. Mai 1821 (Stresemann 1954, S. 36f.).

4 Die Gründungen der Carl-Ritter-Stiftung durch die Berliner Gesellschaft für Erdkunde sowie der Alexander-von-Humboldt-Stiftung für Naturforschung und Reisen durch die Akademie der Wissenschaften im Jahr 1860 bilden die ersten Ansätze der Institutionalisierung von Finanzierungsinfrastrukturen, die speziell dem wissenschaftlichen Reisen gewidmet wurden. Vgl. Essner 1985, S. 20–24.

5 Ehrenberg an Nees von Esenbeck, Delitzsch, 5. September 1819 (Stresemann 1954, S. 11).

6 Wie dieser Tausch von Sammlungsobjekten gegen Reise- und Karriereunterstützung in der Praxis funktionierte, wurde exemplarisch für den Fall eines anderen preußischen Naturforschers und Vorbilds von Ehrenberg, Adelbert von Chamisso, ausgearbeitet. Siehe MacKinney/Glaubrecht 2017 und MacKinney 2017.

7 So schrieb Hemprich an Lichtenstein aus Sackhara am 23. April 1821: „Die Araber haben uns den Vultur cinereus gebracht. Von Percnopterus haben wir nun wohl genug, 13 Bälge und 1 Skelet“ (Stresemann 1954, S. 35). Am 18. Mai 1822 aus Chondek berichtete Hemprich: „Gegenwärtig haben wir […] 3 Deutsche, die jagen und ausstopfen […] 1 Sklave der ebenfalls ausstopft […] und 4 Araber, von denen einer bey den in Dongola zurückgelassenen Sachen als Wächter geblieben und 3 mit uns ziehn.“ (Stresemann 1954, S. 58).

8 Ehrenberg an Link, Luxor in Theben, 27. Oktober 1821 (Stresemann 1954, S. 46).

9 Siehe beispielsweise Ehrenberg an Lichtenstein, Wien, 2. Juli 1820 (Stresemann 1954, S. 14f.); Ehrenberg an Lichtenstein, Bir-el-Gohr, [um 26. Oktober 1820] (Stresemann 1954, S. 18f.); Hemprich an Lichtenstein, Alexandrien, 15. September 1822 (Stresemann 1954, S. 68–71).

10 Klug an das Ministerium der Geistlichen, Unterrichts und Medizinal-Angelegenheiten (hiernach Kultusministerium), Berlin, 12. Februar 1819, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (hiernach GStA PK), I. HA Rep. 76 Va Sekt 2 Tit. X Nr. 15 Bd. 4, Bl. 306–307.

11 Lichtenstein an das Kultusministerium, Berlin, 20. Oktober 1818, GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt 2, Tit. X Nr. 15 Bd. 4, Bl. 78–79.

12 Für die Darstellung des Berichts am 13. November 1826 in der Berliner Akademie der Wissenschaften war Alexander von Humboldt zuständig. Vorbereitet und unterzeichnet wurde der Bericht neben Humboldt auch von dem zoologischen Museumsdirektor Lichtenstein, dem Direktor des Königlichen Botanischen Gartens Heinrich Friedrich Link (1767–1851), dem Direktor des Anatomisch-Zootomischen Museums Karl Asmund Rudolphi (1771–1832) sowie dem Direktor des Mineralogischen Museums Christian Samuel Weiß (1780–1856) (vgl. Humboldt 1826, S. 134).

13 Olfers an Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein [Kopie], Lissabon, 2. März 1822, GStA PK, I. HA Rep. 76 Vc Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A Nr. 5 Bd. 3, Bl. 13v. Die lateinische Passage heißt übersetzt: „die kleinsten Dinge, in der die Natur in höchstem Maße als Ganzes vorliegt“. Für Unterstützung bei der Übersetzung danke ich Frau Julia Heideklang.

14 Zur Kritik am „schlechten Zustand“ von Freyreissʼ Sammlungsobjekten aufgrund „der ihm eignen Schnelligkeit“ im Präparieren siehe Lichtenstein an das Kultusministerium, Berlin, 7. März 1820, GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. X Nr. 15 Bd. 5, Bl. 265. Klug merkt an anderer Stelle an, dass die „Ursache der geringen Brauchbarkeit“ von Freyreissʼ Objekten in seiner unsorgfältigen Praxis des Verpackens liegt, vgl. Klug an das Kultusministerium, 12. Februar 1819, GStA PK, I. HA Rep. 76 Va Sekt. 2 Tit. X Nr. 15 Bd. 4, Bl. 307–308.

15 Olfers an Altenstein [Kopie], Lissabon, 2. März 1822, GStA PK, I. HA Rep. 76 Vc Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A Nr. 5 Bd. 3, Bl. 14.

16 Lichtenstein an Altenstein, Berlin, 4. Januar 1821, Museum für Naturkunde Berlin Historische Bild- und Schriftgutsammlungen (hiernach MfN HBSB), Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg IV, Bl. 23–23v.

17 Lichtenstein an Altenstein, Berlin, 12. Februar 1824, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg IV, Bl. 103–103v.

18 Ebd.

19 Lichtenstein an Altenstein, Berlin, 12. Oktober 1821, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg IV, Bl. 55v. Hervorhebung durch AGM.

20 Bergius, Notiz zum Exemplar von Dysporus, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Bergius, C. H. Capstadt, Bl. 46.

21 „Nahme Malagasenvogel. halte sich bey Madagascar auf und komme nur selten in die Gegend der Südspitze von Africa, wo er, wenn er erschiene[,] ein sicheres Anzeichen von Zügen des Snukfisches sey“. Ebd.

22 Dass ähnliche Dokumentationsroutinen bei sammelnden und reisenden Gelehrten des 18. Jahrhunderts wiedergefunden werden können, zeigt die Arbeit von Anke te Heesen zu Daniel Gottlieb Messerschmidt. Vgl. te Heesen 2000a, 2000b und 2005.

23 Hemprich und Ehrenberg sandten insgesamt 10 Sendungen mit entsprechenden Verzeichnissen nach Berlin (vgl. Stresemann 1954, S. 170–177).

24 Lichtenstein an Altenstein, Berlin, 22. März 1821, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg IV, Bl. 35; Lichtenstein an Altenstein, Berlin, 12. Oktober 1821, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg IV, Bl. 55v; Lichtenstein an Altenstein, Berlin, 12. März 1823, MfN HBSB, Zool. Mus., S I, Hemprich & Ehrenberg IV, Bl. 83v.

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