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Ingo Schwarz

Bernhard von Lepels Ode An Humboldt
Ein Beitrag zum Theodor-Fontane-Jahr 2019

Zusammenfassung

Der erste Band von Humboldts Kosmos regte den preußischen Offizier und Dichter Bernhard von Lepel zu der Ode An Humboldt (1847) an. Der Dichter sandte Humboldt eine handschriftliche Kopie seines Werkes zu dessen 78. Geburtstag. Humboldt reagierte auf dieses Geschenk mit einer Einladung Lepels, den das persönliche Treffen mit dem berühmten Gelehrten ehrte aber auch enttäuschte, denn Humboldt ging nur oberflächlich auf die Ode ein, stattdessen las er seinem Gast aus dem zweiten Band des Kosmos vor. Allerdings erhielt Lepel Empfehlungsbriefe für Ludwig Tieck. Die Begegnung des Dichters mit Humboldt hat ihren Niederschlag vor allem in der Korrespondenz zwischen Bernhard von Lepel und seinem engen Freund Theodor Fontane gefunden.

Abstract

The first volume of Humboldt’s Kosmos inspired the Prussian military officer and poet Bernhard von Lepel to write the ode An Humboldt (1847). The poet sent a handwritten copy of his work to Humboldt as a gift for his 78th birthday. Humboldt reacted by inviting Lepel to his apartment. Lepel was honoured to meet Humboldt, but was also disappointed, for Humboldt talked only briefly about the ode, reading to his guest from volume two of his Kosmos instead. However, Lepel received letters of introduction for Ludwig Tieck. The poet’s meeting with Humboldt is above all reflected in the correspondence between Bernhard von Lepel and his close friend Theodor Fontane.

Resumen

El primer volume de Kosmos de Humboldt inspiró al oficial y poeta prusiano Bernhard von Lepel a escribir la oda An Humboldt (1847). El poeta envió a Humboldt una copia manuscrita de su obra por su 78 cumpleaños. Humboldt reaccionó al regalo invitando a Lepel a su casa. Para Lepel el encuentro personal con el sabio célebre fue un honor pero también una decepción porque Humboldt habló solo de manera superficial sobre la oda y, en cambio, leyó a su invitado algo del segundo volumen de Kosmos. No obstante, Lepel recibió cartas de recomendación para Ludwig Tieck. La correspondencia entre Bernhard von Lepel y su amigo Theodor Fontane refleja el encuentro del poeta con Humboldt.

Am 27. Dezember 1864 schrieb Theodor Fontane an Mathilde von Rohr in Berlin:

„In dem vor kurzem erschienenen, von K. v. Holtei herausgegebenen ‚Briefwechsel Ludwig Tiecks‘ kommt auch unser alter Lepel vor, und zwar in 2 Briefen Humboldts an Tieck, wo Lepel durch H. an Tieck empfohlen wird. Das wird unsrem Freunde Spaß machen, wiewohl eine Malice gegen seinen Onkel [Friedrich Wilhelm von Lepel] (in Rom) mit drunter läuft.“1

Was verbarg sich hinter dieser Bemerkung? Der beiden freundschaftlich verbundene preußische Offizier und Dichter Bernhard von Lepel hatte, angeregt durch die Lektüre des ersten Bandes von Alexander von Humboldts Kosmos, die Ode An Humboldt geschrieben. Das noch nicht publizierte Gedicht las er der literarischen Gesellschaft „Tunnel über der Spree“ mehrfach vor2 und sandte dem Geehrten eine handschriftliche Kopie zu dessen 78. Geburtstag am 14. September 1847.3 Lepels Dichtung beeindruckte Humboldt. Am Donnerstag, dem 16. September 1847 schrieb er dem Dichter:

„Ich kann Ihnen nicht lebendig genug ausdrücken, wie sehr ich, wenn auch von Unwohlsein verstimmt, von den großen Formen Ihres Gedichtes, den erhabendsten Anschauungen des physischen Weltalls u der Geisterwelt, in der jenes sich spiegelt, ergriffen worden bin. Meine Natur spürenden Ahnungen haben mich über Ihre Natur auch keinen Augenblick getäuscht: ich habe gleich behauptet, mein tiefgefühlter Dank müßte dem werden, der schon ein anmuthiges (!) Bändchen Gedichte herausgegeben, der, wie ich jetzt weiß, glücklicher als ich, die theokritische Insel gesehen. […] Ich bin zu unwohl um Sie jetzt schon in ihrer militairischen Einöde aufzusuchen. Erfreuen Sie mich, theuerster Herr vLepel, mit Ihrem Besuche, womöglich morgen, Freitags um 1 Uhr. […] Der Gang der Ideen von der lachenden Sphynx zur Weisheit am Indus, zum Gegensatz zwischen Pythagoras u Plato, zu Galilei’s Schwur u. dem wolkenwiegenden Newton, bildet in Bildern die ganze Geschichte der Weltanschauung dar, die meine Muse (?) … in dem eben vollendeten 2.t Theil des Kosmos durchgearbeitet hat.“4

Am Sonnabend, dem 18. September 1847 schrieb Lepel an Fontane:

„Gestern war ich bei Humboldt; der Merkwürdigkeit halber schreib’ ich Dir den Brief ab mit welchem er mich einlud: das Original könntest Du auch nicht lesen: ich hab’ es mit Hilfe Anderer mühvoll heraus buchstabirt, so undeutlich schreibt er. – Als ich bei ihm war, hoffte ich einiges Bedeutende zu hören; aber er ging nicht tief auf das Gedicht ein. Ich mußte es ihm vorlesen u., da er mein Lesen lobte, kam er auf den Gedanken mich durch einen Brief bei Tieck einführen zu wollen, dem ich es auch vorlesen soll.“5

Der Besuch Lepels bei Humboldt fand also am Freitag, dem 17. September 1847 statt. Ort des Geschehens war gewiss Humboldts Wohnung in der ersten Etage des Hauses Oranienburger Straße 67.

Im Kommentarteil ihrer herausragenden Edition der Korrespondenz Fontane – Lepel hat die Fontane-Forscherin Gabriele Radecke die Humboldt-Ode nach einem Druck aus dem Jahr 1910 neu veröffentlicht. Die Handschrift ist der Forschung bisher nicht bekannt geworden.6

Wir geben hier den Text der Ode nach dem Druck von 1847 wieder und vermerken inhaltliche Abweichungen und Kürzungen in der Publikation aus dem Jahr 1910 in Fußnoten:

[Titelseite:]

An Humboldt.
Ode
von
Bernhard von Lepel.
Berlin.
Verlag von Alexander Duncker,
Königl. Buchhändler.
1847

| 3 |

Ins Zeichen der Waage tritt die Sonne7
Bei Deiner Geburt:
Gleichmaaſs und Gesetz

Zu finden, erschienst Du, sei’s im Weltraum,
Wo kreisender Stoff
An Stoffe gebannt,

Sei’s, wo in des Meergrunds tiefster Verborgenheit
Durch zelliges Moos der Trieb der Atome kreist –
Tief taucht die Forschung, bis die Seele
Taucht in die Seele des Makrokosmos.

| 4 |

Durch Flammengewölk scholl einst vom Berge
Die Stimme des Herrn;
Hin kniete der Mensch

Und bebte, verstummt beim Klang des Machtrufs;
Eingrub er in Erz
Das starre du sollst.

Doch lauerte vor den Thoren der Städte schon8
Die lachende Sphinx, hohnlachend ergriff sie ihn:
Stirb, Sohn der Freiheit, rief sie, oder
Löse das Räthsel der Welt: wer bist du?

Da wachte die Weisheit; bald am Indus
Bald sann sie am Nil;
Ihr Finger ergriff

Den Schleier am Haupt der finstren Gottheit –
Doch dichter9 umwob
Der Schleier den Gott.

Fern aber vernahm, stilllauschend und ahnungsvoll,
Harmonischen Klang der Sphären Pythagoras;
Ein groſses Leben, frei in Schönheit
Wallte die ruhige Welt des Plato.

| 5 |

Schon lichtete sich’s, und aus der Krippe
Sah liebend empor
Der lächelnde Gott;

Doch wieder verbarg der Rauch des Altars
Mit düstrer Gewalt
Die göttliche Stirn,

Und dunkle Nacht umgraute den Forscherblick.
Da rüttelten Geister wieder am Eisenstab –
Und kecken Rufs ausbrach die Wahrheit
Hinter dem Schwure des Galilei.

Mit freierem Schwung10 nun flog im Weltraum
Der sinnende Geist:
Planeten ergriff

Und wog die gewalt’ge Hand des Newton:
Aufdeckt’ er der Welt
Festhaltende Kraft

Den bindenden11 Trieb, der Welten gebiert und hält. –
Und sieh, es erklimmt heut wieder der Mensch den Berg;
Ein groſs Gesetz im Geist, besteigt er
Heute den Gipfel des Chimborazo12:

| 6 |

Aufwärts in die Luft geschleudert sieht er
Den glühenden Stein
Durch fremde Gewalt;

Bald aber zurück urkräftig reiſst ihn
Mit wachsendem Fall
Die Tiefe der Welt:

Die werdende Freiheit kürzt sie gebieterisch;
Wo immer es lebt, sie duldet das Freie nie;
Einheit gebietend, streng und grausam
Opfert sie Alles dem groſsen Altar!

Fern hinter dem fernsten Stern Orions
Da schimmert es weiſs
Wie Nebel der Nacht,

Da kreist es im Umschwung mächt’ger Wirbel,
Und ringt ein13 Gemisch
Nach fester Gestalt,

In ewigem14 Streit fortreiſst es die Kraft zur Kraft,
Chaotisch ergreift und wieder verliert es sich,
Bis einst im Stolz des Siegs daherrollt
Aus dem Getümmel die Macht der Einheit.

| 7 |

Hin schwebt in des Raums Freiheit der Weltball;
Doch gierig erreicht
Ihn neue Gewalt,15

Ausweichend dem jähen Tod,16 umkreist er
Sein feuriges Grab,
Die Quelle des Lichts;

Heut halten zurück ihn rettende Triebe noch,
Doch morgen erfaſst ihn schon der gewisse Sturz,
Und alle Lust klangvollen Wandels
Endet das schaurige Loos, Vernichtung17.

Nur aller Gewalten stilles Gleichmaaſs
Es fristet und hält
Dein flüchtiges Sein,

Hinrollende Welt im Bann der Sonne!
Die eigene Kraft
Ausspannend, ergreift

Dein riesiger Leib was irrenden Flugs ihm naht18:
Jäh reiſst du ins Grab das lodernde19 Meteor,
Und schwingst umher am Seil der Herrschaft
Deinen erglänzenden Satelliten.

| 8 |

Der wiegelt die Meerfluth auf zum Abfall,
Doch reiſst sie zurück
Die gröſsere Macht.

Ha, lauter ertönt der nahe Kampflärm:
Wehklagend entweicht
Die flüchtige Luft,

Und rettet in blaue, ruhige Ferne sich;
Doch wieder in Gier ansaugt sie der Erdenleib –
Geschmiegt an seinen warmen Busen
Zuckt sie im glühenden Krampf20 elektrisch.

Hin sinken der Wolke bange Tropfen;
Vom hohen Gebirg
In reiſsendem Sturz

Zum Grabe des Meers hin ziehn die Wasser,
Und über das Land
Auffluthet die See,

Am Flügel des Sturms festhält sie in wilder Hast,
Und schwingt sich empor in zornigem Wogenschwall –
Doch ihren Aufschwung immer nieder
Reiſst die unendliche, schwarze Tiefe.

| 9 |

Starr liegt in der Form Bann rings die Erde,
Vom Drucke der Wucht
Tief nieder gepreſst;

Und dichter und dichter21 wird und dunkler
Vom Grunde zu Grund
Ihr nächtiger22 Schooſs:

Dort liegt in des Todes tiefstes Verlieſs geschleppt,
Die früher gekämpft mit ihm, die begrabne Welt;
Still liegt in Nacht ihr Nichts begraben
Unter des Erzes erstarrter Ader.

Doch tief in des Erdreichs Schooſs gefangen
Und nimmer erstickt,
Zu neuer Gewalt

Aufraffend die Gluth stets, lebt das Feuer23;
Hohnlachend erwacht’s
Von lauernder Ruh’,

Hoch wölbt es den Plan zum ragenden Berg empor,
Die riesige Wand aufbricht die Gewalt der Gluth,
Und siegend ruft sie aus: ich lebe! –
Aber es stürzte die Welt in Trümmer.

| 10 |

Was schmückst du, umdräut vom ew’gen Unheil,
Mit duftigem Kleid,
O Lilie, dich!

Am ruhigen Hang, was wogst du, Grasflur,
In jeglichem Halm
Ein lebender Trieb!

Was trägst du die Krone, herrlicher Palmenstamm,
Was strebst du gen Himmel, trotziger Cedernwuchs, –
Auf euer zahllos wachsend Leben
Lauert im Grunde versteckt Zerstörung.

Ihr aber im ew’gen Durst nach Freiheit,
Ihr Geister im Druck
Hinfälligen Stoffs,

Was blicket empor Ihr noch in Hoffnung,
Was suchet den Steg
Ihr über das Grab,24

Indeſs in des Weltalls kreisendem Kampfgewühl
Ihr jegliches Dasein stürzen und sterben seht,
Und rings das groſse, düstre Gleichniſs
Euer umdunkeltes Ende weissagt!

| 11 |

Aufraffe der Mann zum höchsten Siege
Sein tiefes Gemüth,
Und geh’ in den Tod

Vom ewigen Hauch durchglüht der Liebe,
Hin werf’ er den Reiz
Des eigenen Traums

Und opfere gern sein flüchtiges, kleines Selbst,
Und, wie er des Heilands williges Opfer sieht,
So erst im Tode finde Freiheit
Finde der göttliche Sohn Versöhnung.

Einst – wann in der Einheit letztem Siege25
Vollendet der Kampf,
Und freudigen Rufs

Ein Leben im Siegesglanz der Allmacht
In voller Gestalt
Den Grüften entwuchs,

Dann wallet in Ruh ein ewiger, stiller Geist:
Ein ruhiges Meer, krystallen und nie getrübt –
Kein Tropfen sei verloren – alle
Wallen im seligen Reich des Friedens, –

| 12 |

Wo nimmer der Tag vom Tag verschlungen,
Wo nimmer getrennt
Vom Pole der Pol;

Wo ruhig im Anschaun sanften Lichtes
Die Liebe den Lohn
Der Liebe genieſst;

Wo unter der Wölbung ewigen Maiengrüns
Still rastet die Freundschaft, aber den Seelenbund
Kein Du und Ich trennt, wo die Sehnsucht
Nie in die Ferne gesandt den Seufzer.

Dir aber am Altar ernster Weisheit,
Wo ruhigen Klangs
Dein sicheres Wort

Das mächtige Bild aufrollt des Weltalls,
Dir nahn in des Ruhms
Vielstimmigem Zug

Die Tritte der Dichtkunst, feurig bewegt, o Greis;
Sie schweifen im Umkreis Deiner enthüllten Welt
Und ziehn empor, gleich Deiner Ahnung,
Ueber die Grenze der groſsen Räthsel.

| 13 |

Mag fliehen empor zum Glanz der Sonnen,
Mag nieder ins Meer
Sich senken der Geist –

Beruhigend träuft Dein Wort Erkenntniſs
Und vollen Genuſs
Dem Suchenden zu,

Das riesige Ganze sieht er erstehn gemach,
Sieht tief in des Ganzen spiegelnden26 Schein sich selbst,
Und wehen durch das ernste Schauspiel
Fühlt er den labenden Hauch der Schönheit.

Weshalb die Texte mitunter deutlich voneinander abweichen, ist nicht bekannt. Möglicherweise lagen den Drucken unterschiedliche Abschriften oder Überarbeitungen der Ode zugrunde.

Fontane erwähnte in dem eingangs zitierten Brief an Mathilde von Rohr zwei Briefe von Alexander von Humboldt an Ludwig Tieck. Die Lepel betreffenden Passagen aus den von Karl von Holtei edierten Schreiben an Ludwig Tieck werden in der Edition des Briefwechsels Fontane – Lepel zitiert.27 Holtei sah sich offenbar außerstande, das genaue Entstehungsdatum der Briefe zu ermitteln.28 Erst der Vergleich mit der Korrespondenz zwischen Fontane und Lepel machte die Datierung auf Sonnabend, den 18. September 1847 möglich.

Die Originale der Humboldt-Briefe galten lange Zeit als verschollen. Eine genaue Durchsicht der Autographensammlung von Arthur Runge, die in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt wird, förderte jedoch einen der Briefe zutage. Unter der Signatur Nachlass 480, 1 (Sammlung Runge), befindet sich in der Mappe 22 unter Briefen an unbekannte Empfänger als Nr. 3 das erste Empfehlungsschreiben Humboldts für Lepel. Hier der vollständige Brieftext:

„Sie müssen nicht glauben, mein alter Freund, dass ich Sie verrätherisch in Sanssouci verlassen habe: ich werde vor meiner, sehr ungewissen Abreise nach der grossen Babel, wo die ‚Herrenkammer‘ mordet und stiehlt, Sie gewiss noch umarmen. Eine plözliche sehr heftige Erkältung und der grosse Camin mit Flammfeuer in den ‚Neuen Kammern‘ hat mich plözlich hineingejagt, um mich hier besser zu pflegen und meinen lezten Bogen, der angekommen ist, selbst noch zu corrigiren – eine Tugend, die dem indüstriellen Weltgeiste sehr gleichgültig ist.

Diese Zeilen werden Ihnen von einem jungen Officier gebracht, den dieser Weltgeist so wenig ergriffen, dass er, bei einem gewiss viel Hofnung erregenden, dichterischen Talente, ganz würdig ist, Ihnen vorgestellt zu werden. Herr Bernard von Lepel29, verwandt mit dem langen unpoetischen Adjutanten des Pr[inzen] Heinrich in Rom, soll Ihnen | 2 | (darum flehe ich) eine Ode über das Weltall selbst vorlesen, die er mir zu meinem Geburtstag (14 Sept[ember]) geschenkt. Die grossen und einfachen Formen seiner Dichtung haben etwas sehr anziehendes. Ich hatte den jungen Mann, der schon in Sicilien an Platens Grabe stand, nie vorher gesehen und ich kann das Lob, das er mir gespendet ihm nicht schöner und wohlthuender remuneriren, als wenn ich ihm freundliche Aufnahme und Rath bei Ihnen verschaffe.

Empfangen Sie und die liebenswürdige Gräfinn, die erneuerte Versicherung meiner Verehrung und unverbrüchlichen Dankgefühle

Ihr
AlHumboldt
Sonnabend früh
Ich denke den König noch zu erwarten.“30

Soweit Humboldts auf den Morgen nach Lepels Besuch datierter Brief an Tieck. Humboldt spricht zunächst von seiner geplanten Abreise „nach der grossen Babel“. Am 4. Oktober 1847 trat er tatsächlich seine letzte Parisreise an, die bis zum 12. Januar 1848 dauern sollte. Humboldt erwähnt dann abschließende Korrekturen und nimmt damit auf die Vollendung des zweiten Bandes seines Kosmos Bezug. Die Korrekturfahnen sandte er am 20. September an seinen Verleger Johann Georg von Cotta in Stuttgart.31 Der von Humboldt erwähnte Verwandte Lepels war dessen Onkel Graf Friedrich Wilhelm von Lepel, preußischer Generalmajor und Adjutant des Prinzen Heinrich von Preußen32. Humboldt war als königlicher Kammerherr mit den preußischen Adelsgeschlechtern bestens vertraut. Mit der liebenswürdigen Gräfin ist Tiecks Lebensgefährtin Henriette Finck von Finckenstein gemeint.

Einem Brief Lepels an Fontane vom 21./23. September 1847 können wir entnehmen, dass der Besuch bei Tieck wohl tatsächlich am 21. September zustande kam:

„Heut will ich nach Potsdam um sie [die Ode] Tieck vorzulesen, an welchen Humboldt mir einen Brief gab.“33

Auch Briefe haben ihre Schicksale. Karl von Holtei hatte die Humboldt’schen Empfehlungsschreiben für Bernhard von Lepel noch in der von Tieck hinterlassenen Briefsammlung gefunden.34 Arthur Runge, der Sohn eines Berliner Apothekers und leidenschaftlicher Autographensammler, hat dann einen der Briefe vermutlich in den 1920er Jahren erworben. Über das Schicksal der Sammlung Runge während des Zweiten Weltkrieges schreibt Jutta Weber, die ehemalige stellvertretende Leiterin der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek:

„Von der Humboldt-Sammlung Runges ist nur wenig erhalten geblieben: Bei der Eroberung Frankfurts [an der Oder] durch die Rote Armee wurde auch das Bankgebäude mitsamt den in seinen Tresoren lagernden Schätzen vernichtet. Nur eine 232 Briefe umfassende Mappe aus der Sammlung der ‚1 000 Humboldt-Briefe‘ ist bisher gefunden worden, sie wurde 1971 der Deutschen Staatsbibliothek durch das Außenministerium der DDR übergeben und ist heute Eigentum der Staatsbibliothek zu Berlin.“35

Das Fundstück befindet sich unter den erwähnten 232 Briefen, die 2009 endgültig in das Eigentum der Staatsbibliothek zu Berlin übergingen.36

Es gibt aber noch eine weitere Spur zu Bernhard von Lepel in der Sammlung Runge. Im Jahr 2011 gelang es der Berliner Staatsbibliothek, einen bis dahin weitgehend unbekannten Schatz aus dieser Sammlung zu erwerben: Nämlich ein Notiz- und Adressbuch, das Alexander von Humboldt in den letzten Jahrzehnten seines Lebens geführt hat.37 Das Blatt 80recto enthält den folgenden Eintrag:

„Lepel (v[on]) Kaiser Franz Gren[adier] Reg[iment] Neue Friedr[ichs]str. 5–8.“38

Der „Allgemeine Wohnungsanzeiger für Berlin, Charlottenburg und Umgebung auf das Jahr 1847“ gibt auf der S. 272 eine ganz ähnliche Auskunft: „von Lepel, Sec. Lieut. im Kais. Franz-Gren. Rgt. c. z.39 Allgem. Kriegssch. N. Friedrichsstr. 5–8.“

286-1038-1-SP.tif

Adressbuch Alexander von Humboldts, Blatt 80r mit der Erwähnung Bernhard von Lepels. Handschrift: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Nachlass 480, 2 (Sammlung Runge).

Lepel hatte aus Bescheidenheit die Handschrift der Ode ohne seine Adresse an Humboldt gesandt. Dieser musste nun selbst herausfinden, wohin er seinen Dank senden sollte. Lepel erwähnte dies in einem Brief an Fontane, den er kurz nach Humboldts Geburtstag schrieb:

Humboldt muß den Addreßkalender vorgenommen haben. Er hat mir einen Abgesandten, den Professor Waagen, zugeschickt. Der fragte erst, ob ich der wäre, welcher … ich sagte ja. Dann machte er mir Lobeserhebungen u. sagte, Humb. würde Gelegenheit nehmen mich selbst zu sprechen, vorläufig solle er seinen Dank abstatten.“40

Der vielbeschäftigte Alexander von Humboldt bemühte sich also ernsthaft, Lepel persönlich kennenzulernen. Der Abgesandte war der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Gustav Friedrich Waagen.

Berhard von Lepels Ode An Humboldt hat, wie wir sahen, deutliche Spuren in der Korrespondenz Lepels, Fontanes und Humboldts hinterlassen. Den Druck von 1847 scheint Humboldt allerdings nicht besessen zu haben, wohl aber ein anderes Werk: Die Zauberin Kirke. Heitere Reime, erschienen in Berlin 1850. Der Katalog der Humboldt-Bibliothek verzeichnet das Widmungsexemplar für Humboldt mit diesen „Versen auf der Innenseite des Umschlags“41 von Lepels Hand:

„Ein Lied, erzeugt von einer Zeit
Durchdonnert von Karthaunen
Und doch ein Lied voll Heiterkeit,
Voll lachender Nymphen und Faunen.

O hör’s – und lächle mit, O Greis,
Ich darf von Dir es hoffen,
Der lange zu verkehren weiss
Mit bunten, streitenden Stoffen.“42

Bernhard von Lepel hat in seiner Ode An Humboldt versucht, die Gedankenwelt, die er im ersten Band von Humboldts Kosmos ausgebreitet fand, zumindest teilweise lyrisch zu erfassen. Der Gelehrte sah dies nicht ungern, fühlte er sich doch von dem Dichter verstanden. Die Bemühungen, Lepel persönlich kennenzulernen und ihn durch Vermittlung an den berühmten Ludwig Tieck zu fördern, waren nicht untypisch für das Streben des „networkers“ Alexander von Humboldt.43

Anhang

Rezension in: Blätter für literarische Unterhaltung, Leipzig, 1848, Nr. 125, S. 499–500.

A[n] Humboldt. Ode von Bernhard v. Lepel. Berlin, A. Duncker. 1847. Gr. 8. 7 ½ Rgr.

Zu derselben Zeit, wo der langersehnte zweite Band des „Kosmos“ unter uns erschienen ist, feiert ein jüngerer Dichter von edler Gesinnung den berühmten Namen Alexander v. Humboldt’s. Und es kann in der That nicht leicht einen würdigern Gegenstand für die Dichtkunst geben als diesen in ewiger Geistesfrische blühenden Greis, der mit der Glut der dichterischen Phantasie und mit einer hinreißenden Beredtsamkeit ausgestattet die Wahrheit unter allen Zonen aufgesucht und die Natur selbst bekämpft hat, um einige ihrer Geheimnisse zu erforschen. Wir freuen uns daher den Verfasser der „Lieder aus Rom“44 hier bei einer Beschäftigung zu finden in welcher er wiederum in gediegener, kräftiger Sprache die Tiefe des Gefühls darlegen konnte welche jene Lieder ausgezeichnet hat.

Unser Dichter erinnert sich am Anfange, daß an Humboldt’s Geburtstage die Sonne in das Zeichen der Wage getreten sei, also ein neuer Forscher in der gewaltigen Natur geboren. Denn Streben nach Wahrheit beschäftige stets den menschlichen Geist, er suche durch alle Umhüllungen zu dringen, Newton, Galilei und er, der „ein groß Gesetz im Geiste bestieg den Gipfel des Chimborasso“, sind unvergängliche Zeichen dieser Thatsache. Durch Kühnheit und Eigenheit der Bilder sind diese Strophen ausgezeichnet. Weiter entwickelt sich dem Dichter das Gesetz, daß alle Gewalt der Elemente der höhern Einsicht, welche durch das Ganze sich in stiller Ruhe bewegt, untergeordnet sei, daß in ihr alles Ringen und Weben der Himmelskörper seinen Mittelpunkt habe, und daß diese wieder alle der Erde dienen müssen. Diese Zustände sind eine dichterisch schöne Anwendung auf die vier Elemente. Es rettet zwar die Luft sich in „blaue Fernen“, aber „in Gier ansaugt sie der Erdenleib“; es versuchen die Wasser sich „an die Flügel des Sturms festzuklammern“, doch „ihren Aufschwung immer niederreißt die unendliche, schwarze Tiefe“; die Erde, die „früher mit dem Tode gekämpft“, liegt „eine begrabene Welt“ still in Nacht, „unter des Erzes erstarrter Ader“; das Feuer ruht in ihrem Schoose45 gefangen, aber „es schläft nimmer“ und will leben, wenn auch die Welt in Trümmer stürzt.

Aber trotz dieses Dranges zur Zerstörung gedeiht Alles auf der Oberfläche der Erde. Auch der Mensch „im Drucke hinfälligen Stoffes“ müsse befürchten in den Untergang alles Irdischen fortgerissen zu werden. Aber „der Mann soll für den höchsten Sieg“ in den Tod gehen und gern „sein flüchtiges, kleines Selbst“ opfern. Denn „vom ewigen Hauch der Liebe durchglüht hinwerf’ er den Reiz des eigenen Traums“. Dann wird das selige Reich des Friedens erscheinen, welches die folgenden Strophen sehr schön schildern.

Zum Schlusse wendet sich der Dichter wieder zu dem Helden seiner Ode zurück; ihm „am Altar ernster Weisheit, wo ruhigen Klangs sein sicheres Wort aufrollt das mächtige Bild des Weltalls“, nahen sich „in des Ruhmes vielstimmigem Zug“ die Tritte der Dichtkunst.

Mag fliehen empor zum Glanze der Sonne,
Mag nieder ins Meer
Sich senken der Geist –

Beruhigend träuft dein Wort Erkenntniß
Und vollen Genuß
Dem Suchenden zu,

Das riesige Ganze sieht er erstehen gemach,
Sieht tief in des Ganzen spiegelndem Schein sich selbst,
Und wehen durch das ernste Schauspiel
Fühlt er den lebenden Hauch der Schönheit.

Aus dieser Probe wird man ungefähr die metrische Eigenthümlichkeit der Ode erkennen, welche in ihren Grundzügen zwar die choriambische und alkäische Strophe festhält, aber doch mit manchen Aenderungen, die in ihrer gewandten und dabei doch strengen Weise jene leichte Handhabung dichterischer Formen beurkundet welche in den „Liedern aus Rom“ einen so angenehmen Eindruck auf die Leser gemacht hat.

Literatur

Fontane/Lepel: Theodor Fontane und Bernhard von Lepel. Der Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Gabriele Radecke. Bd. 1–2. Berlin, New York 2006.

Fontane/Rohr: Theodor Fontane. Sie hatte nur Liebe und Güte für mich. Briefe an Mathilde von Rohr. Hrsg. von Gotthard Erler. Berlin 2000.

Humboldt/Cotta: Alexander von Humboldt und Cotta. Briefwechsel. Hrsg. von Ulrike Leitner unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch. Berlin 2009 (Beiträge zu Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 29).

Lepel: Bernhard von Lepel: Lieder aus Rom. Berlin 1846.

Lepel/Fontane: Vierzig Jahre. Bernhard v. Lepel an Theodor Fontane. Briefe von 1843–1883. Hrsg. von Eva A[delheid] v. Arnim. Berlin 1910.

Tieck: Briefe an Ludwig Tieck. Ausgewählt und hrsg. von Karl von Holtei. Band 1–4. Breslau 1864.

Stevens: Stevens, Henry: The Humboldt Library. A catalogue of the Library of Alexander von Humboldt. London 1863. Reprint: Leipzig 1967.

Weber: Jutta Weber: Das Adressbuch Alexander von Humboldts. In: Bibliotheksmagazin. Mitteilungen aus den Staatsbibliotheken in Berlin und München Nr. 2/2012, S. 3–8.

Weber/Schwarz: Jutta Weber und Ingo Schwarz: Der Weltbürger und seine Kontakte. Das persönliche Adressbuch Alexander von Humboldts. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. XLVII. Berlin 2012, S. 354–363.

1 Fontane/Rohr 2000, S. 89–90.

2 Fontane/Lepel 2006, Bd. 2, S. 941–942.

3 Fontane/Lepel 2006, Bd. 1, S. 61.

4 Nach der Abschrift von Lepels Hand: Fontane/Lepel 2006, Bd. 2, S. 942–943. Auch gedruckt in: Lepel/Fontane 1910, S. 72–73.

5 Fontane/Lepel 2006, Bd. 1, S. 65–66; auch in Lepel/Fontane 1910, S. 71.

6 Fontane/Lepel 2006, Bd. 2, S. 937–941; vgl. Lepel/Fontane 1910, S. 63–69.

7 Alexander von Humboldt wurde am 14. September 1769, also im Sternzeichen Jungfrau geboren.

8 Druck von 1910: bald.

9 Druck von 1910: finster.

10 Druck von 1910: Flug.

11 Druck von 1910: ewigen.

12 Druck von 1910: Chimborasso.

13 Druck von 1910: im.

14 Druck von 1910: Im ewigen.

15 Druck von 1910: Doch wieder ergreift / Ihn stürmischer Drang.

16 Druck von 1910: Ruhesuchend und sehnsuchtsvoll.

17 Druck von 1910: Vernichtung [gesperrt].

18 Druck von 1910: nahe.

19 Druck von 1910: leuchtende.

20 Druck von 1910: Kampf.

21 Druck von 1910: Und düster und düster.

22 Druck von 1910: mächtiger.

23 Druck von 1910: Feuer [nicht gesperrt].

24 Druck von 1910: Und wähnt die Gewalt / Des Grabes gesprengt.

25 Diese und die folgenden Strophen bis „Nie in die Ferne gesandt den Seufzer.“ nicht im Druck von 1910.

26 Druck von 1910: spiegelndem.

27 Fontane/Lepel 2006, Bd. 2, S. 944.

29 In der von Holtei besorgten Edition des Briefes wurde der Name abgekürzt: „B. von L.“.

30 Der Abdruck des Briefes erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

31 Siehe Humboldt/Cotta 2009, S. 317–321.

32 Prinz Heinrich von Preußen war ein Sohn von Friedrich Wilhelm II.

33 Fontane/Lepel 2006, Bd. 1, S. 67.

34 Tieck 1864, Bd. 2, S. 18.

35 Weber 2012, S. 3.

36 Siehe Weber/Schwarz 2012, Anm. 5, S. 363.

37 Das Notiz- und Adressbuch hat die Singnatur: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Nachlass 480, 2 (Sammlung Runge). Eine Transkription ist hier zu finden: https://edoc.bbaw.de/frontdoor/index/index/docId/2740 (Zuletzt geöffnet am 23. 06. 2019).

38 Die Anschrift ist von Humboldt gestrichen.

39 Wohl zu lesen: commandirt zur.

40 Fontane/Lepel 2006, Bd. 1, S. 62.

41 Fontane/Lepel 2006, Bd. 1, S. 194.

42 Stevens 1967, S. 426, Nr. 5830; vgl. auch Fontane/Lepel 2006, Bd. 2, S. 1008.

43 Vgl. auch https://fontane-gesellschaft.de/2015/01/12/alexander-von-humboldt-und-bernhard-von-lepel/ (Zuletzt geöffnet am 23. 6. 2019).

45 Gemeint ist Schoße.

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ISSN 1617-5239 (online)

ISSN 2568-3543 (print)