Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Ottmar Ette
Vom 11. bis zum 16. Februar 2019 führten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Frau Elke Büdenbender und eine sie begleitende Delegation eine Reise nach Lateinamerika durch. Ziel waren die beiden südamerikanischen Länder Kolumbien und Ecuador. Diese Reise führte den Bundespräsidenten unter anderem nach Cartagena de Indias, ins vorgelagerte karibische Archipel der Islas del Rosario und schließlich in die Hauptstadt Bogotá. Von der Hauptstadt Kolumbiens ging es in die Hauptstadt Ecuadors, auf das pazifische Archipel der Galapagos-Inseln, zum berühmten Vulkanriesen Antisana und schließlich nach Guayaquil, von wo aus die Rückreise nach Deutschland angetreten wurde.
Die Reise folgte den Spuren Alexander von Humboldts sowie auf den Galapagos-Inseln auch Charles Darwins. Die Hommage an den preußischen Gelehrten bildete einen wichtigen Bestandteil der Besuche, die thematisch auf die Bereiche Klima und Umwelt fokussierten. Den Höhepunkt des Lateinamerika-Aufenthalts des Bundespräsidenten aber bildete seine Rede in Quito am 13. Februar 2019, mit welcher er die „Humboldt-Saison“ aus Anlass des 250. Geburtstages Alexander von Humboldts feierlich eröffnete. Diese Tatsache ist von hoher symbolischer Bedeutung, fand diese Eröffnung doch nicht in Berlin, sondern in einer Hauptstadt Lateinamerikas statt, welcher der Jüngere der beiden Humboldt-Brüder in besonderem Maße verpflichtet war. Wir danken dem Bundespräsidenten wie dem Bundespräsidialamt für die freundliche Erlaubnis, den Text in seiner englischen und deutschen Fassung nachfolgend abzudrucken.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Unzählige Male bin ich in meinem politischen Leben gefragt worden: Wer sind Ihre Vorbilder? Wer sind Ihre Helden aus der Geschichte? Ich bin mir sicher, in meinen Antworten hat einer nie gefehlt: Alexander von Humboldt! Der andere Preuße! Der Entdecker! Der Aufklärer! Der, der die Welt in deutsche Lande trug und uns allen beibrachte, dass diese Welt uns etwas angeht.
Was diesen Mann wohl angetrieben hat, das habe ich mich oft gefragt. Was bringt einen gebildeten, wohlhabenden jungen Adligen aus der beschaulichen Landschaft Brandenburgs dazu, den Chimborazo besteigen zu wollen? Was bringt ihn dazu, auf 5000 Metern, an der Höhenkrankheit leidend, kaum noch seiner Sinne mächtig, über scharfkantige Felsen und vereisten Stein zu stolpern, und noch auf dem Gletscher seine Messungen durchzuführen?
Zweifellos sein Wille, die Welt zu erobern. Nicht auf die bekannte und gefürchtete Weise, nicht mit dem Gewehr oder der Machete, er kommt mit dem Barometer, dem Teleskop, dem Haarhygrometer und anderen Messinstrumenten. Er kommt, um zu beobachten und zu vermessen, zu entdecken und zu verstehen. Es waren Bücher, das in der Welt schon vorhandene Wissen, das er aufsaugte und das in ihm die Neugier auf das Unentdeckte, Unerforschte wachsen ließ. Und er las alles, was er in die Hände bekam.
Bücher über Botanik, Vulkanismus, Geologie – sie waren die Tür, durch die Alexander von Humboldt in eine neue Welt aufbrach. Man könnte auch sagen: eine Tür, durch die er stiften ging – Schloss „Langweil“, seiner Heimatstadt Berlin und seiner Familie entflieht er, um die Neue Welt kennenzulernen und schließlich auch hier in Ecuador ein wenig von dem zu finden, wonach er sein Leben lang rastlos gesucht hat.
Und dieses Land, dieser Kontinent, Lateinamerika hat es ihm gedankt. Er kam als reicher Mann zurück nach Europa. Nicht reich an Geld – im Gegenteil –, aber reich an Eindrücken und Erkenntnissen. Und er ließ auch die Region, die er bereiste, und die Menschen, denen er begegnete, bereichert zurück. Er zehrte von dieser Reise bis an sein Lebensende, und auch wir zehren bis heute von dem, was er damals sah, verstand und an andere weitergab.
Es ist mir eine große Freude, heute endlich selbst zu Gast in Ihrem wunderbaren Land zu sein. Meine Frau und ich haben uns lange auf diesen Besuch gefreut, denn es ist ein Besuch bei Freunden: in einem Land, das seinen eigenen Pfad in die Demokratie der Zukunft sucht, das sich mutig auf den Weg gemacht hat und das Ausgleich und Frieden mit seinen Partnern und Nachbarn will. Und dieser Besuch fällt in ein Jahr, in dem wir uns gemeinsam an ihn erinnern und seinen 250. Geburtstag feiern – hier, in Ecuador, wo sich so viele seiner Spuren finden – Spuren des Entdeckers, des Forschers und des Philosophen Alexander von Humboldt.
Was er an Erkenntnissen hinterlassen hat, hat er uns allen hinterlassen, der Welt. Und er ist, wenn ich das sagen darf, auch selbst eine Entdeckung, ein Wunder, ein universeller Mensch, eine Ausnahmeerscheinung. Seine Reisen in Lateinamerika, gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Aimé Bonpland, haben ihn erkennen lassen, was er schließlich uns gelehrt hat, dass der Mensch eine Bedeutung in der Natur hat und eine Verantwortung für die Natur. Und dass wir als politische Wesen auf eine humane Weise nur koexistieren können, wenn wir uns nicht über den Anderen oder über die Natur erheben. In Ecuador ist dieser Gedanke schon seit langem fest im kulturellen Erbe verankert. Auch in der Politik: Wer heute in die ecuadorianische Verfassung schaut, der findet als Ziel das „Sumak Kawsay“, das gute Leben in Harmonie mit der Natur – und der liest von den Rechten der Natur und von „Pachamama“, der Mutter Erde. Selbst der stets beredte Humboldt hätte da vermutlich nur nicken und zustimmen können!
Auf Humboldts Spuren sind wir also unterwegs, auf meiner ersten Südamerika-Reise als Bundespräsident: Von Cartagena, wo Humboldts Expedition 1801 wieder an Land ging, über Bogotá, damals ein großer, beschwerlicher Umweg über Land, wo er „sein Heu“, wie er selbstironisch schrieb, mit dem des großen Botanikers José Mutis „vergleichen“ wollte.
Und in den kommenden Tagen weiter zum Humboldtstrom, nach seinem Vermesser benannt, der bis heute die Sardinen bringt und Galapagos umspült, zum Vulkan Antisana, und nach Guayaquil, von wo aus Humboldt nach Mexiko weiterreiste und wo seit 60 Jahren eine deutsche Humboldtschule steht.
Die Orte, die Humboldt bereist hat, markieren noch heute eine eindrucksvolle Route. Für Reisende in Ecuador, so habe ich mir sagen lassen, gilt, was man vielleicht auch allgemeiner sagen kann: An Alexander von Humboldt führt kein Weg vorbei!
Humboldt selbst hat jedenfalls bis ins hohe Alter – fast 55 Jahre lang – von seiner Zeit in Lateinamerika gelernt und geschwärmt. Sie zählte zu den gedanklich produktivsten seines Lebens.
Er ließ sich von allem faszinieren, was er vorfand, und begeisterte sich für die Natur ebenso wie für die Menschen. Seine Neugier und seine unendliche Freude am Austausch des gerade erworbenen Wissens machten keinen Unterschied von Religion, Stand, Herkunft oder Hautfarbe. Ein sehr bekannter Ecuadorianer wurde hier in Quito zu Humboldts Gefährten: Carlos de Montúfar begleitete ihn einige Jahre – zunächst auf den Chimborazo, schließlich bis nach Paris, wo sie gemeinsam Napoleons Kaiserkrönung erlebten.
Südamerika blickt auf eine lange Tradition von Forscherinnen und Wissenschaftlern zurück, die sich mit Alexander von Humboldt befassen. Sie haben das Bild Alexander von Humboldts entscheidend mitgeprägt, das Bild vom „Zweiten Entdecker Amerikas“, vom unersättlichen Erkunder und Vermesser, vom Freund Simon Bolivars. Von einem Alexander von Humboldt also, der mit seinen Beschreibungen der atemberaubenden Schönheit und Einzigartigkeit der Region, mit seiner – jedenfalls für damalige Verhältnisse – vergleichsweise klaren Haltung gegen Sklaverei und gegen Kolonialherrschaft und mit seinem Respekt für die Kulturen der indigenen Bevölkerung gedankliche Vorarbeit für den Freiheitskampf geleistet hat – und der vielen Menschen hier bis heute als Ideal des „guten Europäers“ gilt. Ich finde, dass dieser egalitäre und antikoloniale Geist uns gerade heute, da die kulturelle Aufarbeitung des kolonialen Erbes in Europa ins Bewusstsein rückt, einen guten Weg der Partnerschaft weisen kann.
In Deutschland hingegen hatte Humboldt es nicht immer leicht. Keine zwölf Jahre nach seinem Tod hat man ihn, der immerhin schon jahrzehntelang ein internationaler Superstar gewesen war, weitgehend aus der nationalen Erinnerung verbannt. Als zu franzosenfreundlich, zu kosmopolitisch für das neue Deutsche Reich von 1871 galt vielen seine Haltung, als zu eklektisch, populär und romantisch seine Wissenschaft. Unerwünschte Eigenschaften waren das, Alexander von Humboldt passte nicht ins Bild. Erst nach 1945 durfte er wieder eine tragende Rolle spielen, in der damaligen DDR etwa wurde er als einer der gedanklichen Vorväter des Sozialismus stilisiert. Währenddessen man in Westdeutschland über Jahrzehnte die Geschichte vom wilden Abenteurer und Naturforscher Humboldt erzählt hat, im Kontrast zu seinem staatstragenden, kulturforschenden Bruder Wilhelm – eine Überzeichnung, mit der man beiden Unrecht tat.
Humboldt-Bilder gibt es also viele. Von einigen unserer Experten habe ich mir sagen lassen: Alexander von Humboldt hat so lange gelebt, an so vielen unterschiedlichen Orten gewirkt, dabei so viele unterschiedliche Gebiete bearbeitet, dass man eigentlich nur im Plural von ihm sprechen kann.
Mir scheint das ein naheliegender Gedanke zu sein. Ich bin mir jedenfalls sicher: Allzu bald wird uns das Material über ihn auch im Jubiläumsjahr nicht ausgehen. Denn all diese unterschiedlichen Sichtweisen auf Alexander von Humboldt haben eines gemeinsam: Keine ist falsch, und doch kann auch keine für sich in Anspruch nehmen, vollständig zu sein. Alexander von Humboldt entzieht sich einer absoluten Setzung. Ich bin überzeugt: Wenn wir uns diesem Menschen nähern wollen, dann müssen wir unseren eigenen Blickwinkel mitdenken – aber auch den anderen Blickwinkel unserer Gesprächspartner ernst nehmen und einbeziehen.
Vielleicht werden wir Humboldt auf diese Weise am besten gerecht. Es hätte ihm widerstrebt, unterschiedliche Meinungen und Ansichten nicht gleichermaßen Gehör zu schenken. Er sah uns als eine Einheit, als ein Menschengeschlecht, das „gleichmäßig zur Freiheit bestimmt“ ist. Unterschiede zwischen den Völkern ließ er gelten, aber er ließ nicht gelten, wenn manche Volksstämme sich für „edler“ hielten als andere. Respekt vor anderen Kulturen und Traditionen hat er uns gelehrt – eine Eigenschaft, die uns in der alltäglichen Anfechtung des Multilateralismus, des Miteinanders der Nationen, wieder wichtig werden sollte!
Humboldt ist so vielschichtig und facettenreich, dass selbst die Frage, welche tieferen Grundlinien und Umrisse hervortreten, wenn man all diese vielen unterschiedlichen Humboldt-Bilder übereinander projiziert, kompliziert ist. Ist es seine Humanität? Seine Neugier und sein Forscherdrang? Sein vernetztes Denken und seine unablässige Korrespondenz? Seine Grenzenlosigkeit im besten Sinne? Sein ewiges Vermessen und unaufhörliches Sammeln? Seine Rastlosigkeit? Seine Vielsprachigkeit? Seine Großzügigkeit und Freigiebigkeit? Seine scharfe Zunge, seine spitze Feder? Oder doch seine Freiheitsliebe?
Mich persönlich bewegt Humboldt seit vielen Jahren, in vielen seiner Facetten. Am eindrücklichsten aber finde ich seine schiere Fähigkeit zur Begeisterung: zum Staunen und Bewundern, vor allen Dingen aber auch zum packenden Erzählen von der Natur und von den Menschen. Alles, was ich von ihm gelesen habe, schwingt geradezu vor dieser Entdeckerlust und Erzählfreude. Alexander von Humboldt konnte sich für den kleinsten Grashalm ebenso begeistern wie für den höchsten Vulkan – und sein Talent, uns andere dabei mitzureißen, wirkt bis heute nach.
Sein Leben und sein Werk sind durchdrungen von einer tiefen Zuneigung zur Natur, zu den Menschen und zu allen lebenden Dingen um ihn herum. Selbst der nervtötenden Stechmücke, die dem Reisenden die Tage im Urwald zur Qual gemacht hat, gesteht Humboldt eine legitime und wichtige Rolle in der Natur zu – und mehr noch: Er will auch uns andere davon überzeugen!
Nicht in nüchterner Expertensprache, mit Zahlen, Statistiken und Tabellen. Sondern durch einen emotionalen, einen ästhetischen Zugang zur Wirklichkeit – wofür er später gerade in seiner Heimat Deutschland zu Unrecht verächtlich gemacht wurde. Begeisterung durch sinnliche Erfahrung und Anschauung mündet bei Humboldt in eine literarische, eine eminent lesbare Weltbeschreibung. Damit wurde er schon in jungen Jahren ein weltberühmter Bestsellerautor und gefragter Gesprächspartner.
Und mehr noch: Durch seine unzähligen Zeichnungen und Schaubilder hat er seine Wissenschaft auch in eine visuelle Ästhetik verpackt. Wir alle kennen sein berühmtes „Naturgemälde der Tropen“, das in einer Mischung aus Schönheit und Gelehrsamkeit den großen Chimborazo im Profil zeigt. Entlang der Höhe über Normalnull erklären Humboldt und Bonpland höchst anschaulich unterschiedliche Vegetationszonen, Pflanzenarten, geophysische Messdaten, geographische Vergleichspunkte auf der ganzen Welt und viele andere Daten.
Kurzum: Ja, Alexander von Humboldt war der erste, der erkannt hat, dass auf unserer Erde alles mit allem zusammenhängt. „Alles ist Wechselwirkung“, hat er geschrieben, und gilt damit heute zu Recht als Vater der Ökologie. Er ist, um es mit Andrea Wulf zu sagen, der „Erfinder der Natur“. Was für mich aber fast noch wichtiger ist: Er wollte, dass auch wirklich jeder diese Einsicht verstehen kann. Er zielte auf eine, „Popularisierung und Demokratisierung der Wissenschaft, […] darauf, Wissen für möglichst breite Bereiche der Bevölkerung […] zugänglich […] zu machen“, wie Ottmar Ette schreibt. Humboldt hat also beides geleistet: Einerseits hat er unser heutiges Konzept von Natur geprägt. Und andererseits war er einer der größten Naturvermittler überhaupt!
Dieser Drang, die eigene Begeisterung für seine Umwelt an uns, seine Leser und Nachgeborenen, weiterzugeben, war für Humboldt kein reiner Selbstzweck. Sehr hellsichtig hat er zum Beispiel die Eingriffe des Menschen in seine Umgebung mit all ihren Folgen beobachtet. Am Valenciasee im heutigen Venezuela etwa sah er, wie Waldrodungen der Plantagenbesitzer zu Bodenerosion und einem sinkenden Wasserspiegel führten – und warnte schon damals davor, dass Eingriffe des Menschen in die Natur das Klima verändern könnten.
Humboldts emotionaler Zugang zur Welt hat also auch ein beschützendes, ein bewahrendes Element. Darin tritt eine sehr einfache Erkenntnis zutage: Der Mensch schützt nur das, was er liebt. Wenn der Mensch also die Umwelt schützen soll, dann muss er sie zuallererst einmal verstehen – und lieben lernen! Hier in Ecuador haben Sie ein großartiges Beispiel für diese einfache Erkenntnis. Das Galapagosarchipel ist ein einmaliger Schatz, den Ihr Land für die gesamte Menschheit bewahrt. Charles Darwin hat auf den Inseln entscheidende Schritte hin zu seiner Erklärung für die Evolution getan – und Humboldt, der Galapagos selbst nie besucht hat, lobte Darwins Reisebericht von der „Voyage of the Beagle“ später als „ausgezeichnetes und bewundernswertes Buch“.
Auf Galapagos findet sich eine einmalige Biosphäre, mit einer einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt. An wohl kaum einem anderen Ort lässt sich besser beobachten, wie schon der kleinste Eingriff in die Natur zu großen Veränderungen führen kann. Deshalb haben Sie diese Inseln schon in den 1960ern unter Schutz gestellt, die Wirtschaft sukzessive auf sanften Tourismus umgestellt und diesen Schutz seit 2007 noch einmal deutlich erhöht. […]
Dennoch ist auch Galapagos nicht abgetrennt von der Welt. Wenn sich das Klima verändert, wenn Meer oder Luft verdrecken, wenn Mensch und Tier sich in Bewegung setzen, dann wirkt sich das auch auf diese Inseln aus. Ein Beispiel: Wie an vielen anderen Orten der Welt ist das Thema Plastikmüll auch auf Galapagos von akuter Bedeutung. […]
Plastik ist immer allgegenwärtiger geworden. Von der Lebensmittelverpackung bis zum Mobiltelefon, von der Zahnbürste bis zum Bürostuhl, vom Küchengerät bis zum Kleidungsstück – kaum ein Gegenstand, keine Lebenssituation mehr ohne Plastik. Kunststoffe sind immer dabei, und auch wenn sie unser Leben in vielem einfacher machen und gemacht haben: Zu viele Rechnungen, die der inflationäre Gebrauch von Plastik uns ausstellt, bleiben offen. Wenn wir weitermachen wie bislang, schwimmt bis 2050 womöglich mehr Plastik als Fisch in den Ozeanen. Der unachtsam in den Hamburger Hafen geworfene Plastikbeutel kann einige Monate später am Strand von Galapagos angespült werden. Mikroplastikpartikel aus der Kosmetik gelangen direkt in die Nahrungskette oder landen über die Flüsse im Meer. Dort verschmutzt all das Plastik – allein auf Galapagos dutzende Tonnen pro Jahr, aus allen Teilen der Welt! – nicht nur die Natur und schadet der Tier- und Pflanzenwelt. Es kann auch invasive Spezies als blinde Passagiere einschleppen, mit möglicherweise nicht mehr reparablen Folgen.
Besuch der Republik Ecuador – Rundgang durch die Galápagos-Ausstellung des Palastmuseums, © Bundesregierung/Guido Bergmann
Es ist spät, aber umso notwendiger, wenn sich Europa und viele Regierungen der Welt jetzt endlich intensiv mit dem Thema Plastikmüll befassen. Das Verbot von Wegwerfartikeln aus Plastik oder ihre Wiederverwertung, ist ein Schritt in die richtige Richtung – auch wenn Plastik, soviel sei hinzugefügt, nur ein Beispiel für das ist, worauf sich Humboldts elementare Erkenntnis „Alles ist Wechselwirkung“ in der Umweltpolitik beziehen sollte.
Die Umwelt endet nicht an Landesgrenzen – für Humboldt wäre das vor 200 Jahren schon eine triviale Erkenntnis gewesen. Und somit kann auch der Umweltschutz nicht an Landesgrenzen enden. Die Folgen der Umweltzerstörung, insbesondere des Klimawandels, sind auf der ganzen Welt spürbar.
Und sie bedrohen unsere Existenz. Ich spreche von Schäden durch extreme Wetterlagen, von Verelendung durch Dürre und von massenhaften Wanderungsbewegungen, die durch diese Katastrophen ausgelöst werden. Und schließlich spreche ich auch von einem Artensterben, das das gesamte Ökosystem der Erde und damit auch unsere menschliche Existenz berührt, sogar bedroht.
Für mich ist klar: Der künftige Weg der Menschheit kann nicht einfach eine Verlängerung dessen sein, was wir uns im 20. Jahrhundert geleistet haben. Wir haben nur einen Planeten. Deshalb können wir nicht so weiter machen wie bisher. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder auf dieser Welt eine Zukunft haben, dann müssen wir unsere Regeln, unser Wirtschaften, unsere Technologien weiterentwickeln und – vor allen Dingen – unser eigenes Verhalten ändern.
Für Alexander von Humboldt wäre das, so vermute ich, nur einleuchtend gewesen. Er hätte heute vermutlich ebenso wenig Verständnis für Politiker, die harte wissenschaftliche Fakten bestreiten, wie für Wissenschaftler, die nichts mit Politik am Hut haben wollen.
Denn: In Humboldts Gedankenwelt gab es keine Trennung von „Natur“ und „Kultur“. Er interessierte sich für Klimazonen ebenso wie für Kultobjekte, für Revolutionen ebenso wie für Raubtierarten. Er war nicht nur Vater der Ökologie, sondern auch Begründer der Altamerikanistik, und mit einem politischen Blick darf ich hinzufügen: Er war ein ausnehmend politischer, ein demokratischer Kopf! Ein Freigeist, der Freiheit nicht nur für sich selbst suchte, der in der Freiheit vielmehr das grundlegende Ordnungsprinzip jeder auf Offenheit angelegten Gesellschaft sah!
Alexander von Humboldt hat uns heute noch viel zu sagen. Wir brauchen ihn – einen, den seine Neugier und seine Liebe zu Natur und Mensch von Südamerika bis nach Sibirien trieben. Der als „Demokrat am Königshof“ immer wieder aufs Neue und bei allem Widerstand sanft auf Wandel drängte.
Ich freue mich deshalb sehr, heute Abend den Startschuss für ein ganz besonderes Projekt in diesem Jubiläumsjahr zu geben: Zur Alexander-von-Humboldt-Saison „Humboldt y Las Americas“, für die ich gern die Schirmherrschaft übernommen habe. An vielen Orten in ganz Lateinamerika werden deutsche Einrichtungen gemeinsam mit Partnern vor Ort das Erbe von Humboldt erlebbar machen. Ob im Humboldt-Mobil oder mit der Virtual-Reality-Brille, ob mit einer Graphic Novel oder Kulturveranstaltungen: Humboldt lebt!
Dass er auch den Ländern Südamerikas so viel gegeben hat und hier in guter Erinnerung und hohen Ehren gehalten wird, wollen wir nutzen, um der Partnerschaft Deutschlands mit Ecuador und der ganzen Region einen neuen, kräftigen Impuls zu geben. Denn die geographische Distanz zwischen unseren Kontinenten hat schon Humboldt eher angespornt als gehindert. Und wenn das damals so war, dann sollte sie uns heute erst recht kein Hindernis sein auf dem Weg zu einer intensiveren, engeren Partnerschaft unserer Länder und Regionen. Wir sind in vielem gleichgesinnt. Uns verbinden in dieser einen Welt viele gemeinsame Überzeugungen und Interessen. Nutzen wir sie in Zukunft noch stärker – für fruchtbare Ideen und gemeinsame Lösungen!
Zum Schluss habe ich deshalb nur einen Wunsch: Ich wünsche mir, dass wir uns alle ein wenig von der Neugier und der Begeisterung dieses großen Forschers leiten lassen. Gerade, wenn es um das Verständnis und den Schutz unserer Umwelt geht. Denn es ist an uns allen, an jedem einzelnen, immer wieder für den notwendigen Ausgleich von ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen zu sorgen.
Das muss uns in Zukunft besser gelingen, als in der Vergangenheit. Das ist die Verantwortung der Menschheit für sich selbst und gegenüber der Natur! Das ist Humboldts Botschaft für das 21. Jahrhundert!
Vielen Dank.