Ingo Schwarz
Denkmal zu Ehren Alexander von Humboldts, 1882. Reinhold Begas (1831–1911). Höhe der Figur: ca. 5 Meter, Höhe des Sockels 3,20 Meter. Foto: Ingo Schwarz.
Das am 28. Mai 1883 enthüllte Denkmal Alexander von Humboldts vor der Berliner Universität erhielt 1939 die Widmung AL SEGUNDO DESCUBRIDOR DE CUBA – LA UNIVERSIDAD DE LA HABANA. Den Vorschlag, eine Tafel mit dieser Inschrift als „Huldigung am Denkmal des berühmten Kosmographen und Forschungsreisenden“ anzubringen, hatte der Rektor der Universität von Havanna, José Manuel Cadenas am 22. Juni 1939 seinem Berliner Kollegen in einem Brief unterbreitet. Dem schloss sich wenige Tage später die Geographische Gesellschaft Kubas in einem Schreiben ihres Präsidenten und Generalsekretärs an.1 Hier wurde auch eine Feier zu Ehren Humboldts angekündigt. Welche aktuellen politischen Erwägungen diese Schreiben veranlasst haben mögen, konnte bislang nicht geklärt werden. Ein äußerer Anlass war jedenfalls durch Humboldts 170. Geburtstag (14. September) und durch seinen 80. Todestag (6. Mai) gegeben. Kuba befand sich in einer politischen Situation, in der unter dem Druck einer erstarkenden Volksbewegung bürgerliche Freiheiten wiederhergestellt wurden. So trat die seit September 1938 legalisierte Kommunistische Partei2 für die Autonomie der Universität ein.
Der Historiker Willy Hoppe (1884–1960), ein langjähriges Mitglied der NSDAP und seit 1937 Rektor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, wollte sich offenbar den Prestigegewinn für seine Hochschule durch die Ehrung Alexander von Humboldts nicht entgehen lassen. Am 25. Juli 1939 suchte er bei Bernhard Rust (1883–1945), dem zuständigen Minister, um die Erlaubnis nach, die Widmungstafel anbringen zu lassen. Das Genehmigungsverfahren zog sich über den 1. September, den Tag des Überfalls auf Polen, hin. Erst am 9. September erhielt Hoppe die Nachricht, dass Rust mit einer Inschrift einverstanden sei. Offenbar hatte man sich gegen die von Cadenas vorgeschlagene Gedenktafel entschieden. So wurde eine Berliner Firma beauftragt, 49 feuervergoldete Buchstaben und vier Zahlen aus Bronze anzufertigen und anzubringen.
Die organisatorischen Vorbereitungen lassen sich aus den Unterlagen rekonstruieren, die im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin aufbewahrt werden. Man bemühte sich um die Freigabe von 35 Gramm Gold bei der zuständigen Überwachungsstelle, nutzte das Ibero-Amerikanische Institut der Universität und das Auswärtige Amt bei der Zusammenstellung von Einladungslisten für die Enthüllungsfeier. Diese fand am 1. November 1939 um 12:00 Uhr vor dem Denkmal statt. Dazu waren u. a. Mitarbeiter der lateinamerikanischen Botschaften in Berlin, Vertreter von verschiedenen Ministerien sowie des Außenpolitischen Amtes der NSDAP eingeladen. Außerdem nahmen zwei Urenkel von Caroline und Wilhelm von Humboldt, der Diplomat Hans Paul Freiherr von Humboldt-Dachroeden (1857–1940) und der General Alexander Freiherr von Humboldt-Dachroeden (1858–1942), teil.
Es ist nicht zu übersehen, dass die Veranstaltung der propagandistischen Aufwertung Hitlerdeutschlands mit Blick auf Lateinamerika kurz nach der Entfesselung des zweiten Weltkriegs dienen sollte. Hoppe begrüßte in seiner Ansprache die Ehrung Alexander von Humboldts als Zeichen der kulturellen Verbundenheit Deutschlands mit den iberoamerikanischen Ländern, „als Beweis dafür, dass die Wissenschaft auch während des Krieges nicht aufhört, Brücken zwischen den Völkern zu schlagen“. Kaum verschleiert wird nazistisches Vormachtstreben in der Formulierung des Rektors, dass „deutsche Wissenschaft jetzt und in Zukunft immer zum Wohle der gesamten Menschheit mitarbeiten werde“ 3. Ein Bericht mit der Zusammenfassung der Rede Hoppes wurde über den Auslandsrundfunk ausgestrahlt und konnte auch auf Kuba empfangen werden. In der deutschen Presse wurde die Humboldt-Ehrung allerdings mit keinem Wort erwähnt.
Das hier nur grob nachgezeichnete Geschehen4 illustriert den Umgang mit dem Erbe Alexander von Humboldts in Hitlerdeutschland. Er wurde bedenkenlos in die Reihe der „großen Deutschen“ gestellt, die die „deutsche Wissenschaft“ zu Ansehen in der Welt gebracht haben. Natürlich war man sich des guten Klanges bewusst, den der Name Humboldt vor allem in Lateinamerika genoss. In der offiziellen Humboldt-Literatur erschien er als Leitbild, als Mann der Tat, Wissenschaftler und Diplomat, der unermüdlich „in deutschen Sachen am Werk“ war. Der Jugend wurde er empfohlen als „gute[r] Geist, als starke[r] Begleiter, als unvergleichliche[r] Lehrer auf den Wegen in die Welt“.5 In Bezug auf Südamerika musste Humboldt als Alibi für deutschen Vormachtanspruch herhalten.
In seiner in vieler Hinsicht wohldokumentierten und kenntnisreichen Alexander-von-Humboldt-Biographie (Hamburg 1940; 21942; 31948) sah der Literaturhistoriker Walther Linden (1895–1943) Humboldts Größe „in der schöpferischen Verbindung der deutschen klassisch-romantischen Weltschau mit der europäischen Naturwissenschaft“ wodurch er „zu seinem weltbeherrschenden Ansehen als einer der geistigen Führer seines Jahrhunderts emporgestiegen“.6
Der tiefe Humanismus, welcher in Humboldts Achtung vor den kulturellen Leistungen anderer Völker und in seiner entschiedenen Ablehnung jeder Form von Rassismus seinen vielleicht deutlichsten Ausdruck fand, bleibt bei einem Autor wie Walther Linden nebelhaft:
Das Völkerleben in all seinen Teilen: Rasse, Volkstum, Sprache, Sitten, Geschichte, Wirtschaft und Technik, Kunst und Kultur, erregt in gleichem Maße seinen starken Anteil; seine kulturgeschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Studien umgreifen einen großen Ring unter den Völkern der Erde.7
Es bedarf kaum einer Erwähnung, dass man die vielfältigen persönlichen und wissenschaftlichen Beziehungen Humboldts zu Juden verschwieg. So wurde beispielsweise 1938 von der deutschen Schule in Mexiko eine kleine Schrift über Humboldt publiziert, die Texte des Geographen und Humboldt-Biographen Julius Löwenberg (1800–1893) enthielt, ohne den Verfasser zu erwähnen.8 Vor diesem Hintergrund ist der, 1942 ebenfalls in Mexiko publizierte, Essay „Humboldt, politisch und privat“ zu sehen, in dem sich Egon Erwin Kisch (1885–1948) speziell den Beziehungen Alexander von Humboldts zu Juden widmete.
Auch Humboldts Haltung zur Sklaverei, von ihm als „das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben“9 charakterisiert, konnte in Nazi-Deutschland nicht unverfälscht akzeptiert werden. Walther Linden drückte sich so aus:
Im Jahre 1856 wurde der Siebenundachtzigjährige selbst in die inneren Kämpfe Nordamerikas um die Sklavereipolitik hineinzogen, da eine Äußerung seines südamerikanischen Reisewerkes über die schlechte Lage der Negersklaven in Nordamerika als Beweisgrund im Parteienkampf dienen mußte.10
In Wirklichkeit hatte Humboldt 1856 entschieden gegen eine englische Ausgabe seines Werkes über Kuba in den USA protestiert, in der das Kapitel über die Sklaverei weggelassen worden war. Er unterstrich die Bedeutung, die er gerade diesem Kapitel beimaß und sprach sich gegen Pläne in den USA aus, Kuba für die Sklavenhalter zu annektieren.11 Und er förderte ganz bewusst die Verbreitung seiner Ansichten in den Vereinigten Staaten.12
Diese Haltung hat man auf Kuba nie vergessen – sie ist eine wesentliche Ursache für Humboldts Popularität in diesem Land. So hat die Ehrung Humboldts am Sockel seines Berliner Denkmals ihre Berechtigung. Die Würdigung als „zweiter Entdecker“ kann allerdings auf große Teile Lateinamerikas erweitert werden. Den Satz von Humboldt als „descubridor del Nuevo Mundo“ (Entdecker der Neuen Welt) prägte Simón Bolívar 1823; 1844 bezeichnete der Geograph Carl Ritter (1779–1859) die Amerikareise Humboldts als „die wissenschaftliche Wiederentdeckung der Neuen Welt“. Die Würdigung als „zweiter Entdecker Kubas“ geht vermutlich auf den kubanischen Philosophen und Humboldt-Korrespondenten José de la Luz y Caballero (1800–1862) zurück.
1 Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akten Rektor und Senat, Nr. 36, Bl. 59 und 61.
2 Vgl. Furtak, Robert K.: Kuba und der Weltkommunismus. Wiesbaden 1967, S. 62 und S. 69. Dankenswerter Hinweis von Dr. Thomas Schmuck, Weimar.
3 Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Akten Rektor und Senat, Nr. 36, Bl. 101.
4 Eine ausführliche Dokumentation der Reden, die anlässlich der Humboldt-Ehrung gehalten wurden in: Schwarz, Ingo: Acerca de la historia de la dedicatoria »Al Segundo Descubridor de Cuba. La Universidad de La Habana, 1939« en el monumento a Alejandro de Humboldt en Berlín. In: Alejandro de Humboldt en Cuba: [catálogo para la exposición en la Casa Humboldt, Habana Vieja, Octubre 1997-Enero 1998, Ed.: Frank Holl] Augsburg 1997, S. 103–109.
5 Fritsche, Herbert: Alexander von Humboldt, der Bahnbrecher ins Weltganze. In: Wille und Macht. Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend. Hrsg. von Baldur von Schirach. 9 (1941) H. 23, S. 27–32, hier S. 32.
6 Linden, Walther: Alexander von Humboldt. Hamburg 1948, S. 63. Siehe dazu auch: Wald, Martin: „Um Fragen des wirkenden und schaffenden Lebens“. Das nationalsozialistische Alexander-von-Humboldt-Bild in zwei biographischen Fallstudien: Walther Linden und Ewald Banse. Berlin 2001 (Berliner Manuskripte zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Heft 19).
7 Linden 1948, S. 71.
8 Hendrichs, Maria; Pferdekamp, Wilhelm: Alexander von Humboldt. Mexiko 1938 (Schriftenreihe der Deutschen Schule in Mexiko, 1), S. 7–9.
9 Humboldt, Alexander von: Cuba-Werk. Hrsg. und kommentiert von Hanno Beck in Verbindung mit Wolf-Dieter Grün et al. Darmstadt 1992 (Studienausgabe, Bd. 3), S. 156.
10 Linden 1948, S. 92.
11 Siehe dazu: Zeuske, Michael: Humboldt, Historismus, Humboldteanisierung: Der „Geschichtsschreiber von Amerika“, die Massensklaverei und die Globalisierung der Welt. In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien II, 3 (2001). DOI: 10.18443/22, URL: http://dx.doi.org/10.18443/22 (zuletzt geprüft am 21.11.2018). Zeuske, Michael: Humboldt, Historismus, Humboldteanisierung. Der „Geschichtsschreiber von Amerika“, die Massensklaverei und die Globalisierungen der Welt. (Fortsetzung von HiN 3). In: HiN – Alexander von Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien III, 4 (2002). DOI: 10.18443/23, URL: http://dx.doi.org/10.18443/23 (zuletzt geprüft am 21.11.2018).
12 Siehe dazu auch: Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten von Amerika. Briefwechsel. Hrsg. von Ingo Schwarz (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 19), S. 560–562.