Günter Hoppe
Neue Museumskunde 1/1983, S. 20
Dieser Wiederabdruck in neuer Rechtschreibung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verfassers. Einige notwendige Aktualisierungen wurden in den folgenden Fußnoten redaktionell ergänzt.
Das Mineralogische Museum der Universität Berlin wurde am Sonntag, dem 26. Mai 1839, von einem schweren Diebstahl betroffen. Dieses Museum, damals meist Königliches Mineralienkabinett genannt, war mit seinen schon sehr bedeutenden Beständen im Universitätsgebäude, dem heutigen Hauptgebäude der Humboldt-Universität an der Straße Unter den Linden, untergebracht und nahm in dessen Mittel- und Ostflügel zehn ansehnliche Räume des ersten Stocks ein. Anschließend daran befand sich die Wohnung des Direktors, des Professors der Mineralogie Christian Samuel Weiss (1780–1856). Aus dem Mineralienkabinett sind das Mineralogische Museum und das Paläontologische Museum, die beiden geowissenschaftlichen Bereiche des heutigen Museums für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin,1 hervorgegangen, die sich seit 1889 im Museumsgebäude Invalidenstraße 43 befinden.
Es war eine böse Überraschung für Professor Weiss, als der Aufseher Reichel ihm am Morgen des 27. Mai 1839 meldete, dass das Museum bestohlen worden war. Ohne erkennbare Gewaltanwendung waren eine Eingangstür und zwei Glasschränke geöffnet worden. Insgesamt fehlten 22 Exponate, z. T. aus mehreren Stücken bestehend. Höchst kostbare Edelmetallstufen (Gold, Silber, Platin) und Edelsteine (Smaragde, Topase, Turmaline, Zirkone) waren entwendet. Der Schaden betrug über 2000 Taler. Zum Glück waren die in wissenschaftlicher Hinsicht noch wertvolleren Meteorite, die in den gleichen Glasschränken lagen, unangetastet geblieben.
Über den Diebstahl und seine Aufklärung berichtet eine 94 Blatt umfassende Akte im Zentralen Staatsarchiv in Merseburg (Rep. 76 Va. Sect. 2 Tit. X Nr. 58)2. Daraus geht folgendes hervor: Am Vortage des Diebstahls, während der Öffnungszeit des Museums, hatte eine Gruppe von fünf Personen, die sich später als die Diebesbande – allesamt vorbestraft – herausstellte, die Ausstellung besucht. Aufseher Reichel führte sie und machte sie dabei, wie sie später übereinstimmend aussagten, auf die Stücke mit dem höchsten (Geld-)Wert aufmerksam. Als Dank für die Führung lud ihn die Gesellschaft zu einer Flasche Schnaps ein, die sie in seiner Wohnung im Universitätsgebäude gemeinsam austranken. Das übrige war dann offenbar kein schwieriges Unternehmen für die „geübten“ Leute, hatten sie sich doch hinreichende Orts- und Sachkenntnis verschafft.
Einige Monate später wurden die Diebe von Polizeikommissarius Valentini in Posen im Zusammenhang mit einem Kirchendiebstahl gefasst und, da man einen Teil der Beute aus dem Mineralogischen Museum bei ihnen fand, auch des Berliner Diebstahls überführt.
Als sehr günstig hatte sich erwiesen, dass Professor Weiss sogleich eine detaillierte Liste der gestohlenen Gegenstände liefern konnte. Grundlage dafür waren die Kataloge, die sein „Gehilfe“, d. h. der wissenschaftliche Assistent, Dr. Gustav Rose (1798–1873), etliche Jahre zuvor auf Weisung des Ministeriums der Geistlichen-, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten hatte anfertigen müssen. Ursprünglich hatte sich Professor Weiss heftig gegen die Inventarisierung gesträubt und sie als „allertrübseligste und nutzloseste Scheinarbeit“ bezeichnet. Er glaubte auch, dass Diebstahlsgefahren besonders durch zu großen Andrang während des Museumsbesuches entstehen würden, und hatte die Besucherzahlen durch Geheimhaltung der Öffnungszeiten und andere Maßnahmen möglichst zu vermindern gesucht. Verständlicherweise war er dadurch mit dem Ministerium in Konflikt geraten. Schließlich war ihm aber ein Gehilfe bewilligt worden, und er musste nachgeben (ZSTA Merseburg, Rep. 76 Va. Sect. 2 Tit. X Nr. 21, Bd. 3–5).3
Die Liste der gestohlenen Gegenstände erschien drei Tage nach dem Diebstahl in den Tageszeitungen. Auch die Gesandtschaften in London, Paris, Wien und Petersburg wurden informiert. Bald darauf wurde sogar eine Belohnung in Höhe von 200 Talern ausgesetzt, ein hoher Betrag, wenn man weiß, dass ein Gehilfe am Museum für das ganze Jahr 200 Taler Gehalt bekam. Polizeikommissar Valentini erhielt schließlich die Belohnung, da durch seine Bemühungen fast die gesamte Diebesbeute, die zum Teil in der Heide bei Berlin zwischen Treptow und Köpenick vergraben war, wiedererlangt wurde.
Eine direkte Beteiligung des Aufsehers Reichel konnte nicht nachgewiesen werden. Er wurde jedoch entlassen, weil er durch sein Verhalten den Diebstahl begünstigt hatte.
1 Seit dem 1. Januar 2009 ist das „Naturkundemuseum“ eine Stiftung des öffentlichen Rechts mit dem vollständigen Namen „Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung“.
2 Heute: GStA PK, I. HA Rep. 76 (Kultusministerium), Va Sekt. 2 Tit. X Nr. 58.
3 Heute: GStA PK, I. HA Rep. 76 (Kultusministerium), Va Sekt. 2 Tit. X Nr. 21, Bd. 3–5.