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Ingo Schwarz

Opfer für die Wissenschaften „in dem Drange wichtiger öffentlicher Begebenheiten“. Briefe von Alexander von Humboldt an Friedrich Wilhelm III., 1806

Seit Mitte November 1805 lebte Alexander von Humboldt wieder in seiner Heimatstadt Berlin. Er bezog zunächst eine Wohnung in der Friedrichstraße Nr. 189.1 Noch vor Ende des Jahres ernannte König Friedrich Wilhelm III. ihn zu seinem Kammerherrn. Humboldt war ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, er verfügte über ein fantastisches Jahreseinkommen von 2500 Reichstalern und konnte sich seinen wissenschaftlichen Neigungen widmen. Ergebnisse seiner Forschungsreise in die Neue Welt machte er durch Vorträge bekannt, er arbeitete an seinem Reisewerk und konnte sich mit einem seiner Lieblingsthemen beschäftigen: der Erforschung des Erdmagnetismus. In einem eisenfreien Häuschen im Garten des Besitzers einer Branntweinbrennerei Benjamin George2 in der Gegend, wo sich heute der Bahnhof Berlin Friedrichstraße befindet, beobachtete er gemeinsam mit dem Astronomen Jabbo Oltmanns und anderen Freunden und Kollegen geomagnetische Phänomene.3

Dies alles geschah in politisch turbulenten Zeiten. Am 2. Dezember 1805 bereitete die Französische Armee den verbündeten Österreichisch-Russischen Truppen bei Austerlitz eine schwere Niederlage. Im Oktober 1806 besiegte Napoleon in der Schlacht von Jena und Auerstedt Preußen und besetzte Berlin mit seinen Truppen. König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise mussten nach Memel fliehen. Alexander von Humboldt blieb zunächst in Berlin. Erst Ende 1807 wurde er nach Paris zur Überstützung des Prinzen Wilhelm4 entsandt, der bei Napoleon eine Milderung der Preußen auferlegten Kriegslasten erreichen sollte, was allerdings nur sehr begrenzt gelang.

Aus dem preußischen Schicksalsjahr 1806 sind uns zwei Briefe Humboldts an den König überliefert, die hier erstmalig publiziert werden.

Nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr in die Geburtsstadt sandte Humboldt dem Monarchen die „Erstlinge“ seiner und Bonplands literarischen Früchte der Amerika-Expedition. Möglicherweise handelte es sich dabei um den „Essai sur la géographie des plantes accompagné d’un tableau physique“.5 Allerdings arbeitete Humboldt schon länger an einer deutschen Fassung dieses Werkes. So ist es wahrscheinlicher, dass Humboldt Tome 1 der „Plantes équinoxiales6 übersandte. Bemerkenswert ist die Andeutung, dass aus Geldmangel eine deutsche Ausgabe nicht möglich sein würde.

Abb.%201.tif

Abb. 1: Alexander von Humboldt an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Berlin, 1.1.1806. Blatt 69r

Abb.%202.tif

Abb. 2: Alexander von Humboldt an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Berlin, 1.1.1806. Blatt 69v

Abb.%203.tif

Abb. 3: Alexander von Humboldt an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Berlin, 1.1.1806. Blatt 70r

Alexander von Humboldt
an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen

Berlin, 1.1.1806

Handschrift: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. I. HA Rep. 96 A Nr. 1B, Bl. 69r–70r.

[Von unbekannter Hand:] 6. Januar 1806.

Ew. Königl[ichen] Majestät wage ich es, in meinem Namen und in dem meines Freundes, Bonpland zu Paris, die Erstlinge unserer litterärischen Arbeiten allerunterthänigst zu Füßen zu legen. Der Schuz, welchen Allerhöchstdieselben allen Wissenschaften angedeihen las-| 69v | sen, erfüllt mich mit der Hofnung daß Ew. Königliche Majestät auf dies weitaussehende botanische Unternehmen eines Ihrer Unterthanen mit Wohlgefallen herabsehen werden. Ueber siebenzig neue Pflanzenarten welche durch meine Reise in den Berliner botanischen Garten eingeführt sind u[nd] von denen mehrere schon 3 – 4 Fuß hohe Stämme sind, werden nach u[nd] nach in diesem Werke beschrieben werden. Es ist übrigens die einzige unserer Schriften, welche bloß in lateinischer u[nd] französischer Sprache hat erschei-| 70r | nen können, da die große Kostspieligkeit eines solchen Unternehmens uns nicht verstattet, zugleich eine deutsche Ausgabe zu veranstalten.

Ich ersterbe in allertiefster Ehrfurcht

Ew. Königlichen Majestät

Berlin, / den 1. Januar, / 1806.

Der folgende Brief ist zunächst ein Begleitschreiben zu einem Buchgeschenk. Humboldt spricht vom „ersten Band meiner Zoologie“. Eine auf einen Band berechnete Ausgabe des „Recueil d’Observations de Zoologie et d’Anatomie comparée“ war 1805 begonnen worden.7 Humboldt bezieht sich aber auf einen ersten Band, was auf den Plan einer mehrbändigen Ausgabe schließen lässt. Die deutsche Ausgabe begann ihr Erscheinen 1806 mit Heft 1: S. I-X und 1–48, dazu Tafeln I-VII. Es spricht einiges dafür, dass Humboldt im Mai 1806 demn Monarchen die erste Lieferung (Heft 1) der „Beobachtungen aus der Zoologie und vergleichenden Anatomie“ sandte. Die Staatsbibliothek besaß zwei Exemplare von Heft 1, davon ging eines während des Zweiten Weltkriegs verloren.8

Im zweiten Abschnitt des Briefes deutet Humboldt an, dass er und einige seiner Kollegen sich um den Ankauf von Manuskripten des 1805 verstorbenen französischen Altphilologen Jean-Baptiste Gaspard d’Ansse de Villoison9 für die königliche Bibliothek zu Berlin bemüht hatten. Die Manuskripte in 19 Bänden gelangen in die Bibliothèque Impériale (Kaiserliche Bibliothek) in Paris. Auszüge daraus erschienen in den von Conrad Malte-Brun herausgegebenen „Annales des voyages, de la géographie et de l’histoire“, T. 2, Paris 1808 unter dem Titel „Observations faites pendant un voyage dans la Grèce, et principalement dans les isles de l’Archipel“ (S. 136–183).10

Die von Humboldt schließlich erwähnten, von Friedrich Arnold gestochenen Blätter, waren für die „Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique“ bestimmt. Der noch junge Künstler11 war an der Herstellung der folgenden Tafeln als Zeichner bzw. Stecher beteiligt:12

Tafel Nr.

In Humboldt 2004 nach S.

In Humboldt 2012 auf S.

7

50

44

10

66

63

16

134

123

28

258

242

30

266

251

35

286

270

39

298

279

40

300

281

51

344

326

Abb.%204.tif

Abb. 4: Humboldt an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Berlin, 20.5.1806. Blatt 72r

Abb.%205.tif

Abb. 5: Humboldt an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Berlin, 20.5.1806. Blatt 72v

Abb.%206.tif

Abb. 6: Humboldt an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Berlin, 20.5.1806. Blatt 73r

Alexander von Humboldt
an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen

Berlin, 20.5.1806

Handschrift: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. I. HA Rep. 96 A Nr. 1B, Bl. 72r–73r.

[Von unbekannter Hand:] 27. Maÿ 1806

[Von unbekannter Hand:] Dank

Ew. Königl[ichen] Majestät wage ich es, den so eben erschienenen ersten Band meiner Zoologie13 als ein geringes Zeichen meiner tiefsten Ehrfurcht zu Füßen zu legen. Mögen Allerhöchstdieselben es mit eben der Huld empfangen, mit der Sie nur mir so schöne wissenschaftliche Muße mit Königlicher Großmuth geschenkt haben.

| 72v | Die außerordentliche Freigebigkeit mit welcher Ew. Kön[igliche] Majestät auf meine allerunterthänigste Bitte der Kön[iglichen] Bibliothek den Ankauf der Villoisonschen Manuscripte für 2000 Reichsthaler erlaubt haben, ist erst durch die Umstände begünstigt worden. Der Marquis von Luchesini14 hat mir zwar noch nicht unmittelbare Nachricht gegeben. Doch sah ich aus öffentlichen Blättern, daß die Kaiserliche Bibliothek auf jene kostbaren Reste eines großen Mannes eine Art Vorkaufsrecht ausgeübt u[nd] so das Ganze gleichsam zwangweise an sich gebracht hat. So schmerzhaft es mir u[nd] meinen philologischen Freunden auch ist, daß der Wunsch Ew. König[iglichen] Majestät nicht hat erfüllt werden können, so reicht uns doch die frohe Rükerinnerung an die Großmuth eines Königs auch[,] der mitten in dem Drange wichtiger öffentlicher Begebenheiten, den Wissenschaften so willig ein solches Opfer bringen wollte. Ich halte es für meine besondere Pflicht Ew. Königl[ichen] Majestät für diese große und edle Denkart die Empfindungen meiner ehrfurchtsvollsten Dankbarkeit auszudrükken.

| 73r | Zugleich wage ich es in den zoologischen Band die lavirten Blätter15 zu legen, welche meine Reise begleiten werden u[nd] von einem hiesigen jungen Künstler, Arnold, gestochen sind. Er ist Zögling der Berliner Kunstakademie u[nd] vielleicht sehen Ew. Königl[iche] Majestät mit Wohlgefallen, wie er so jung die Weiche u[nd] den sanften Ton englischer Werke erreicht.

Ich ersterbe in tiefster Devotion,

Ew. Königl[ichen] Majestät,

Berlin / den 20sten Mai / 1806

Mit diesem Schreiben schließt vorerst die Serie von Briefen, die Alexander von Humboldt in den ersten Jahren nach seiner berühmten Amerika-Expedition an den preußischen König richtete. Wir haben gesehen, dass sich der Forschungsreisende seinem Monarchen als patriotischer Untertan in der gebotenen Unterwürfigkeit näherte, gleichzeitig aber auch mit dem Selbstbewusstsein eines erfolgreichen, weithin anerkannten und produktiven Gelehrten auftrat. Friedrich Wilhelm III. schätzte Humboldts Weltruhm, der dem ansonsten in intellektueller Hinsicht wohl eher schlichten Hof Glanz verlieh. Die dem König für dessen Sammlungen übergebenen Stücke zeugten von Humboldts Fleiß bei der Auswertung seiner und Bonplands Reise; dies geschah jedoch nicht ohne Hinweise auf die Arbeiten anderer. Förderung junger Talente war stets Humboldts Bemühen. Die abgedruckten Briefe werfen nur ein schwaches Licht auf eine Periode, während der die königlichen Sammlungen allmählich zu Museen wurden. Eine gut dokumentierte Darstellung dieser Zeit finden wir in der Arbeit von Friedrich Stock zur Vorgeschichte der Berliner Museen.16 Die in HiN XVI, 30 (2015) und HiN XVI, 31 (2015) abgedruckten Briefe Humboldts an den König wurden in der Stock’schen Dokumentation erstmalig publiziert, was allerdings erst kürzlich wieder bekannt wurde.17 Stock war um eine breitere Darstellung bemüht, in der Humboldts Wirken nur schlaglichtartig beleuchtet werden konnte.

Im Rahmen einer sich gegenwärtig rasch weiterentwickelnden Alexander-von-Humboldt-Forschung könnten gewiss bisher unbekannte oder vergessene Tatsachen zum Wirken des Gelehrten in Preußen während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zum Vorschein kommen. Zu solchen Forschungen sollten die drei kommentierten Editionen der Briefe des preußischen Gelehrten an seinen König aus den Jahren 1804 bis 1806 anregen.

Literatur

Fiedler, Horst und Ulrike Leitner: Alexander von Humboldts Schriften. Bibliographie der selbständig erschienenen Werke. Berlin 2000. (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 20).

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Stuttgart und Tübingen 1845 (Bd. 1); 1847 (Bd. 2); 1850 (Bd. 3); 1858 (Bd. 4); 1862 (Bd. 5). [6.1.].

Humboldt, Alexander von: Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Ediert und mit einem Nachwort versehen von Oliver Lubrich und Ottmar Ette. Frankfurt am Main 2004.

Humboldt, Alexander von: Views of the Cordilleras and Monuments of the Indigenous Peoples of the Americas. A Critical Edition. Edited with an Introduction by Vera M. Kutzinski and Ottmar Ette. Translated by J. Ryan Poynter. With Annotations by Giorleny D. Altamirano Rayo and Tobias Kraft. Chicago and London 2012.

Humboldt, Al[exandre] de et Bonpland, A[imé]: Essai Sur La Géographie Des Plantes: Accompagné d’un Tableau Physique des Régions Équinoxiales, Fondé sur des mesures exécutées, depuis le dixième degré de latitude boréale jusqu’au dixième degré de latitude australe, pendant les années 1799, 1800, 1801, 1802 et 1803. Strasbourg, Paris 1805a.

Humboldt, Al[exandre] de et Bonpland, A[imé]: Voyage de Humboldt et Bonpland; Sixième Partie: Botanique; [Section 1]: Plantes Équinoxiales Tome Premier. Paris, Tübingen 1805b.

Reich, Karin; Knobloch, Eberhard; Roussanova, Elena: Alexander von Humboldts Geniestreich – Hintergründe und Folgen seines Briefes an den Herzog von Sussex für die Erforschung des Erdmagnetismus. Berlin, Heidelberg 2016.

Stock, Friedrich: Zur Vorgeschichte der Berliner Museen; Urkunden von 1786 bis 1807. In: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen, 49. Bd., Beiheft zum Neunundvierzigsten Band, II. Teil (1928), S. 65–174.

Weber, Bernd: Nach wem wurde die Georgenstraße in Berlin-Mitte benannt? Untersuchung einer strittigen Namensvergabe. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins. 101 (2005) H. 1, S. 158–165.

1 Auf der Westseite zwischen Mohren- und Kronenstraße.

2 Zur Geschichte der Georgenstraßen siehe: Weber 2005. Siehe auch: http://www.diegeschichteberlins.de/geschichteberlins/berlin-abc/stichworteag/539-georgenstrae.html

3 Vgl. dazu Humboldt 1845–1862, Bd. 4, S. 126, 196. Zur Würdigung der Humboldt’schen Verdienste um die Erforschung des Erdmagnetismus s. Reich/Knobloch/Roussanova 2016.

4 Prinz Friedrich Wilhelm Karl von Preußen (1783–1851), preußischer General; jüngster Bruder Friedrich Wilhelms III.

5 Humboldt/Bonpland 1805a. Vgl. Fiedler/Leitner 2000, S. 234–240. Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz verzeichnet in ihrem Katalog zwei Exemplare dieses Werkes. Der Band mit der Signatur 4“ Ux 1009 gilt als Kriegsverlust; ein zweites Exemplar (Signatur: 4“ Ux 1028) befindet sich im Haus Unter den Linden, Abteilung Historische Drucke.

6 Humboldt/Bonpland 1805b. Vgl. Fiedler/Leitner 2000, S. 252–262. Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz verzeichnet in ihrem Katalog drei Exemplare dieses Werkes. Der Band mit der Signatur gr.2“ Ux 1011–1 gilt als Kriegsverlust; ein zweites Exemplar (Signatur: gr.2“ Ux 1030–1) befindet sich im Haus Unter den Linden, Abteilung Historische Drucke; das dritte Exemplar (Signatur: 2“ Kart. GfE M 390–6,1,1) kann im Haus Unter den Linden im Karten-Lesesaal eingesehen werden.

7 Vgl. Fiedler/Leitner 2000, S. 178 (Nr. 4.5.2)

8 Das Exemplar mit der Signatur 4“ Ux 1110 gilt als Kriegsverlust; das zweite Exemplar (Signatur: 4“ Ux 1110<a>) befindet sich im Haus Unter den Linden, Abteilung Historische Drucke. Vgl. auch Fiedler/Leitner 2000, S. 180–181.

9 Geboren 1750. Villoison war Professor für Neugriechisch am Collège de France in Paris; er wurde insbesondere durch seine Entdeckung und Edition des Codex Venetus A der Ilias von Homer bekannt. Zu Leben und Werk von Villoison vgl.: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k6353234q/f5.image

10 Siehe: https://goo.gl/b6vAf4. Zur Ausgabe von 1809 desselben Textes, allerdings ohne die Ankündigung einer Fortsetzung: https://goo.gl/rCQrjZ.

11 Der Kupferstechers Friedrich Arnold wurde wahrscheinlich 1780 geboren und starb bereits 1809.

12 Siehe dazu Fiedler/Leitner 2000, S. 137–140.

14 Marquese Girolamo Lucchesini (1751 oder 1752–1825), aus Lucca stammender preußischer Diplomat und Staatsmann; ab 1802 außerordentlicher Gesandter in Paris.

15 Mit Wasserfarben kolorierte Stiche.

16 Stock 1928.

17 Ich bin Ulrich Päßler, Mitarbeiter des Forschungs- und Editionsprojektes „Alexander von Humboldt auf Reisen. Wissenschaft aus der Bewegung“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, für die Mitteilung dieser Arbeit zu besonderem Dank verpflichtet.

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