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Reinhard Andress

Eine Bitte an Thomas Jefferson um Tabaksamen und Tabak: ein unveröffentlichter Brief Alexander von Humboldts

Zusammenfassung

Dieser Beitrag behandelt einen bisher unveröffentlichten Brief Alexander von Humboldts an Thomas Jefferson. Der Brief bietet uns einen aufschlussreichen Einblick in die persönlichen, politischen und wissenschaftlichen Netzwerke Humboldts und schließt eine Lücke in der Humboldt-Jefferson-Korrespondenz.

Abstract

This contribution discusses an hitherto unpublished letter written by Alexander von Humboldt to Thomas Jefferson. The letter offers us an illuminating insight into Humboldt’s personal, political and scientific networks and closes a gap in the correspondence between Humboldt and Jefferson.

Resumen

Este artículo trata una carta escrita por Alexander von Humboldt a Thomas Jefferson y hasta ahora inédita. La carta nos ofrece una mirada reveladora de las redes personales, políticas y científicas de Humboldt y llena un vacío en la correspondencia entre Humboldt y Jefferson.

In den Beständen der Newberry Library (Chicago) befindet sich ein kurzer unveröffentlichter Brief Alexander von Humboldts vom 26. Dezember 1811, in Paris geschrieben, zwar ohne Adressat, doch an Thomas Jefferson gerichtet, wie hier noch zu zeigen sein wird. Der Brief ist Teil einer Sammlung, die der amerikanische Geschäfts- und Holzmagnat Edward E. Ayer (1841–1927) im Jahre 1911 der Bibliothek übergab und die hauptsächlich den Kontakt zwischen Europäern und Indianern dokumentiert (zu Ayers Leben vgl. Lockwood 1929, zur Sammlung http://www.newberry.org/westward-expansion). Wie der Brief, der nur sehr indirekt mit diesem Schwerpunkt zu tun hat, in die Ayer-Collection gelangte, ist nicht näher bekannt. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, den historischen Kontext des Briefes zu erarbeiten.

1.tif

Abb. 1: Digitalisat des Briefes von Alexander von Humboldt an Thomas Jefferson, Paris, 26. Dezember 1811. Ayer Collection, Newberry Library (Chicago)

Zunächst eine Transkription des Briefes (vgl. Abb. 1):

Pour ne pas ouvrir une longue lettre que j’ai
eu l’honneur de Vous adresser par l’entremise de
Mr Correa, j’ose Vous écrire une seconde fois, pour
Vous incommoder d’une prière. Auriez-Vous la
grâce, Monsieur, de m’envoyer par Monsieur
Barlow dix livres de graines de tabac de Virginie
et 4 livres de tabac de Maryland. C’est un
cadeau de la plus haute importance pour moi.
Daignez agréer l’assurance réitérée de mon
attachement respectueux et de ma vénération
profonde.

Humboldt.

Paris
à l’Observatoire
Rue St Jacques

ce 26 Dec
18111

Charakteristisch für Humboldt sind die schrägen Zeilen, die vermutlich auf seine Angewohnheit zurückzuführen sind, auf übergeschlagenen Knien zu schreiben. Später im Leben wurde das Schrägschreiben noch ausgeprägter (vgl. Andress 2012). Auf der Rückseite des Briefes, der Faltspuren aufweist, steht noch Folgendes in anderer Handschrift:

Humboldt Baron de. Paris. Dec. 26. 11.
recd [received] Jul. 31. 13.

Anscheinend waren die Zeilen etwa neunzehn Monate unterwegs.

Zeitlich fällt der Brief in jene Phase von Humboldts Leben, als er nach 1804 die wissenschaftlichen Ergebnisse der südamerikanischen Reise in einer Reihe von Publikationen auswertete, bevor er 1827 nach Berlin permanent übersiedelte. Die erwähnte „Observatoire“, damals unter der Leitung des Mathematikers und Astronomen Jean-Baptiste Joseph Delambre (1749–1822), war ein idealer Arbeitsplatz für Humboldt. Inhaltlich mag der Brief, eine in Sprachfloskeln eingebettete Bitte um Tabaksamen und Tabak, nicht weiter bedeutsam sein, wenn nicht der Empfänger Jefferson wäre, der Brief nicht die Namen Correa und Barlow enthielte und Forschungsinteressen nicht im Spiel gewesen wären.

Wie aus den Zeilen hervorgeht, können sie als Nachtrag zu einem längeren Brief gesehen werden, den Humboldt bereits geschrieben und durch Correa befördern lassen wollte. Es handelt sich hier um Abbé José Correia da Serra (Correa war die spanische Rechtschreibung), 1751 im südportugiesischen Serpa geboren (zum Leben und Wirken Correias vgl. Beale Davis 1955, Diogo 2001 und Medeiros Silva 2010). Ein Wanderleben führte ihn nach Italien, England, Frankreich und in die Vereinigten Staaten, bevor er gegen Lebensende nach Portugal zurückkehrte. Correia gehörte zu den sogenannten estrangeirados, die als Wissenschaftler und Intellektuelle zumeist aus religiösen oder politischen Gründen der portugiesischen Heimat entfliehen mussten, zwischen den Wissenschaften vermittelten und zum Teil auf die Heimat zurückwirken konnten. In dieser Hinsicht entwickelte sich der Freimaurer Correia nicht nur als angesehener Botaniker, sondern auch als Diplomat. Eine geistliche Ausbildung besaß er auch, doch übte er nie ein entsprechendes Amt aus.

Nach der Ausbildung in Italien und einer ersten Rückkehr nach Portugal etwa 1778, wo er zusammen mit dem Duque de Lafões (1719–1806) eine Akademie der Wissenschaften gründete, sah sich Correia wahrscheinlich aus politischen Gründen gezwungen, nach England ins Exil zu gehen, nicht aber, bevor er ein monumentales Werk in drei Bänden zur Geschichte Portugals herausgab, die Coleccção de Livros Ineditos de Historia Portugueza (1790–1793). In London ab 1795 wurde er vom Botaniker Sir Joseph Banks (1743–1820) in der Royal Society gefördert. Doch am produktivsten wurde die Pariser Zeit von 1802 bis 1812, als sich Correia im Kreise der Botaniker Augustin-Pyramus de Candolle (1778–1841) und Antoine-Laurent de Jussieu (1748–1836) bewegte. Auch Humboldt gehörte dazu. Einen Eindruck von Correias lebendiger und wissenschaftlich fundierter Persönlichkeit vermittelt eine Beschreibung von Candolle, der zugleich den Umgang beleuchtet, den Humboldt und Correia miteinander hatten:

Dans ce temps-là, Humboldt et Cuvier venaient souvent chez moi et il m’arrivait de temps en temps de les réunir avec Correa. Quoique la réputation des deux premiers soit, et à juste titre d’après leurs travaux, bien plus grande que celle du dernier, cependant Correa avait toujours de l’avantage sur eux et ce n’était pas l’une des parties les moins piquantes de ces petits dîners de causeries que l’espèce de déférence et de crainte que Cuvier et Humboldt paraissaient avoir en énonçant quelque opinion devant Correa qui, avec la grâce et quelquefois la malice d’un chat, savait en découvrir à l’instant les côtés faibles. Comme les deux autres, il savait à la fois toutes les sciences historiques et naturelles et employait ces vastes connaissances avec une logique sévère et une rare sagacité. Il venait souvent passer des heures dans mon herbier et les aperçus fins et ingénieux qu’il m’indiquait rapidement à la première vue de plantes étrangères que souvent il ne connaissait pas même ont beaucoup contribué à m’apprendre l’art d’observer et surtout de combiner mes observations en botanique. (Candolle 2004: 229–30)

Als Botaniker war Correia ein Anhänger von Jussieus natürlicher Klassifizierung der Pflanzenwelt, wobei er diese anhand von Parallelentwicklungen in der komparativen Anatomie systematisch verfeinerte. Statt von Differenzierungsmerkmalen als Klassifizierungskriterium auszugehen, arbeitete Correia mit Affinitäten und dem Konzept der Symmetrie, das die endlosen Varianten in der Natur typologisch auf eine begrenzte Anzahl von Grundmustern reduzieren wollte. Diese Klassifizierungsmethode wurde wiederum von Candolle weiterentwickelt.

Es scheint ein starkes Unbehagen mit Napoleons Invasionspolitik gewesen zu sein, das Correia dazu bewegte, nach Nordamerika weiterzuziehen, dessen liberale Politik ihn lockte. Vermutlich auf der USS Constitution und ausgestattet mit Empfehlungsbriefen unter anderem von Humboldt und dem amerikanischen Gesandten in Paris, Joel Barlow (vgl. Beale Davis 1955: 96 u. 99), auf den hier auch noch einzugehen sein wird, gewann er Zugang zu den höchsten wissenschaftlichen Kreisen in der American Philosophical Society. Er besuchte unter anderem den ehemaligen Präsidenten Jefferson (1743–1826) im Juli/August 1813, woraus sich jährliche Besuche auf dessen Anwesen Monticello und eine langjährige Korrespondenz bis 1820 entwickelten (vgl. Beale Davis 1955: 123ff.). In der jungen Republik wurde Correia dann zum Gesandten Portugals von 1816 bis 1820, eine Aufgabe, der er zwar gewissenhaft nachging, doch anscheinend mit nur bescheidenem Erfolg. Seine Verteidigung portugiesischer Interessen in Brasilien (zum Beispiel protestierte er gegen die Benutzung nordamerikanischer Häfen durch Freibeuter, die den kommerziellen Schiffsverkehr Portugals mit Brasilien empfindlich störten) stieß auf das wachsende Selbstbewusstsein der Vereinigten Staaten, das sich 1823 unter dem fünften amerikanischen Präsidenten James Monroe (1758–1831, Amtszeit: 1817–1825) zur Monroe Doctrine entwickeln sollte. Diese machte klar, dass europäische Einflussnahme auf Nord- oder Südamerika als Aggression auszulegen wäre, die zu einer Intervention der Vereinigten Staaten führen könnte. Frustriert kehrte Correia 1820 nach Portugal zurück, wo er 1823 in Caldas da Rainha in der Nähe von Lissabon starb.

Diesem Correia gab Humboldt nun auch einen Brief vom 20. Dezember 1811 (zu unterscheiden vom Brief hier vom 26. d. M.) an Thomas Jefferson mit, einen der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, der als Hauptautor der Declaration of Independence gilt, von 1801 bis 1809 der dritte Präsident der Republik war und den Humboldt am Ende seiner Amerika-Reise im Juni 1804 in Washington besucht hatte (allgemein zu Jefferson vgl. Peterson 1970). Verbunden waren die zwei durch eine Vielzahl von vor allem wissenschaftlichen, aber auch sozialen und politischen Interessen der Aufklärung. Während sich Humboldt mehr auf der theoretischen Ebene der Wissenschaften bewegte, politisch unabhängig zu bleiben versuchte und liberalen Idealen anhing, war Jefferson der glühende Patriot und Politiker, der neues Wissen für sein Land brauchbar machen wollte. Bei seinem Besuch wird Humboldt Jefferson zum Territorium der Louisiana Purchase 1803 von Frankreich beraten haben; zu Mexico konnte er ihm erhebliche geographische und statistische Information bereitstellen; sicher werden sie auch über die Zukunft Lateinamerikas und über ein Kanalprojekt zwischen Atlantik und Pazifik gesprochen haben (vgl. Schwarz 2004: 16–17). Nach dem Besuch korrespondierten Jefferson und Humboldt von 1808 bis 1825. In ihrer grundlegenden Studie zur fruchtbaren Beziehung zwischen Jefferson und Humboldt kommt Sandra Rebok zum folgenden Schluss:

An examination of the transatlantic contact and communication between Humboldt and Jefferson as the Enlightenment came to an end, as well as their respective views on the events of their time, offers insight into the development of political thought and the progress of science. The exchange of knowledge and ideas between these two global thinkers also serves as an early demonstration of the importance of transatlantic communication and scientific cooperation. (Rebok 2014: 141, vgl. auch Schwarz 2004: 14–20)

In dem erwähnten Brief vom 20. Dezember bedankt sich Humboldt z.B. für die Zusendung von Jeffersons Notes on the State of Virginia (1781–1783), seinem Hauptwerk, in dem er nicht nur viele Daten zu den Bodenschätzen und der Wirtschaft Virginias veröffentlichte, sondern auch den Idealen der jungen Republik, wie er sie in Virginia verkörpert sah, Ausdruck verlieh: der Trennung von Staat und Kirche, einer verfassungsmäßigen Regierung, individueller Freiheit, dem Zusammenleben von Schwarzen und Weißen. Für die Buchsendung revanchiert sich Humboldt mit den sechsten und siebten Teilen seines Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne (1811). Er berichtet dann kurz über den Fortschritt seiner Forschungsarbeit im Zusammenhang mit der Amerika-Reise und beschwert sich zurückhaltend über den amerikanischen General und Forschungsreisenden Zebulon M. Pike (1779–1813), der seine „Neu-Spanien-Karte“ in einer Veröffentlichung kopiert habe, was Humboldt offensichtlich als Plagiat sah. Des Weiteren bedaure er den Einfluss, den die politischen Ereignisse auf seine Arbeit gehabt hätten, doch finde er Trost in seiner Arbeit und in Erinnerungen. Sein Interesse an den Unabhängigkeitsbestrebungen Lateinamerikas bekundet er ebenfalls, deren blutiger Verlauf ihn aber nicht verwundere. Was Reisepläne betrifft, habe er nicht vor, Europa in Richtung Asien zu verlassen, bis er seine wissenschaftlichen Arbeiten zu Amerika abgeschlossen habe. Am Briefende lesen wir dann noch:

Je charge de cette lettre mon ami Monsieur Correa de Serra, membre de la Société Royale de Londres et Correspondant de l’Institut qui va s’établir à Philadelphie. C’est un homme d’une âme élevée, d’un esprit juste et fort et un des plus grands botanistes du siècle, quoique il n’ait que très peu publié. J’ose le recommander à Votre amitié et je Vous supplie de le recommander à Vos amis en Pensylvanie. (Schwarz 2004: 122–123)

Wie oben bereits erwähnt, gab er Correa selbst einen Empfehlungsbrief mit.

Am 6. Dezember 1813 antwortet Jefferson von Montpelier aus, wo er wahrscheinlich bei James Madison (1751–1836), dem vierten Präsidenten der Vereinigten Staaten von 1809–1817, zu Besuch war, um ihn beim Umbau seines Anwesens zu beraten. Während Humboldt auf Französisch schrieb, antwortete Jefferson auf Englisch:

My dear friend and Baron.

I have to acknolege your two letters of Dec[ember] 20. & 26. 1811. By mr Correa, and am first to thank you for making me acquainted with that most excellent character. he was so kind as to visit me at Monticello, and I found him one of the most learned and amiable of men. It was a subject of deep regret to separate from so much worth in the moment of its becoming known to us. (Schwarz 2004: 130)

Jefferson bedankt sich noch für die erhaltenen Bände des Essai und verleiht dann seiner Angst Ausdruck – damit auf Humboldts Brief vom 20. Dezember eingehend – dass die revolutionären Aufstände in Südamerika in militärischen Despotien enden könnten. Doch hätten sich die neugebildeten Staaten (die Vereinigten Staaten eingeschlossen) dadurch endgültig von Europa getrennt und könnten nun in ihrer eigenen Hemisphäre ungestört den eigenen Interessen nachgehen, womit die spätere Monroe Doctrine anklingt. Jefferson lässt sich dann über die aus seiner Sicht von den Engländern unterwanderte Friedenspolitik der jungen Republik den Indianern gegenüber aus, schiebt den Engländern die Schuld für die Brutalisierung der Lage aus wirtschaftlichen Interessen zu und nimmt die Ausrottung der Eingeborenen in Kauf. Hier wird besonders deutlich, wie Jefferson in der letzten Instanz als Politiker handelte, der zwar das Schicksal der Indianer bedauerte, dennoch ihre Unterwerfung entsprechend seinen agrarischen Vorstellungen für das Land forderte. Humboldt blieb seinem humanistischen Freiheitsideal treuer (vgl. Rebok 2014:120–132 und 138). Für Pikes Veröffentlichung von Humboldts Karte entschuldigt sich Jefferson, wenn auch dessen gute Absicht sicher in der Verbreitung von Wissen gelegen habe. Am Briefende bedauert er, dass sich die Publikation von Lewis und Clarks Expeditionsreise (1804–1806) von St. Louis bis an die Westküste und zurück so sehr verzögere:

I think however, from what I have heard, that the mere journal will be out within a few weeks in 2. Vol.s 8.vo these I will take care to send you with the tobacco seed you desired, if it be possible for them to escape the thousand ships of our enemies spread over the ocean. (Schwarz 2004: 132)

Die hier erwähnten Tabaksamen und Jeffersons oben zitierte Bestätigung eines zweiten Briefes vom 26. Dezember 1811 stellen nun die Verbindung zum Brief desselben Datums her, der hier im Vordergrund steht. Aller Anzeichen nach schließt dieser Brief eine Lücke in der Korrespondenz zwischen Humboldt und Jefferson, denn bisher fehlte er (vgl. den Abdruck der Korrespondenz in Schwarz 2004: 122ff. und Rebok 2014: 141ff.).2

Beale Davis legt Correias Abfahrt aus Paris auf den Zeitraum vom 11. bis 26. Dezember 1811 fest (vgl. Beale Davis: 1955: 95), was aber nun revidiert werden kann. Wohl im Voraus von Correias Plänen informiert, schrieb Humboldt den ersten Brief am 20. und schob dann den vom 26. in der letzten Minute nach. Correias Abfahrt wird dann eher auf den 26. oder danach zu legen sein, denn wie wir aus den Briefen wissen, beförderte er beide. Das wird insofern bestätigt, als Jefferson die Briefe zusammen am 31. Juli 1813 erhielt (vgl. oben und Schwarz: 2004: 123).

Humboldts Bitte war nun, dass Jefferson die Tabaksamen und den Tabak über Joel Barlow in Paris befördern lassen sollte. 1754 in Redding, Connecticut geboren, entwickelte sich dieser nach seinem Abschluss an Yale College zu einem Geschäftsmann, Journalisten, amerikanischen Patrioten, Diplomaten und Poeten, dessen episches Gedicht Vision of Columbus (1787), eine Lobeshymne auf die junge Republik, eine Zeitlang populär war (zu Barlows Lebenslauf vgl. Bernstein 1985, Buel 2011 und Hill 2012). Im Jahre 1807 erschien es wesentlich überarbeitet als The Columbiad, wobei die Anspielung auf Homer auffällig ist. Als leidenschaftlicher „Jeffersonian“ sah er die junge Republik als Modell. In den Worten von Steven Hill glaubte er, deren Ideale „would ultimately set the standard for political and economic freedoms, the likes of which the world could not help but admire and would surely emulate“ (Hill 2012: 209). Dieser Aufgabe widmete er sein Leben.

Ab 1788 war er geschäftlich in Frankreich und England, pflegte aber auch Kontakt zu den liberalen, republikanischen Kreisen der Zeit und wurde 1792 sogar französischer Staatsbürger. 1794 verhalf er Thomas Paine (1737–1809) zur Publikation seiner revolutionären Schrift The Age of Reason in London. Von 1795 bis 1797 diente Barlow als amerikanischer Konsul in Algerien, wobei er mit Lösegeldern etwa einhundert amerikanische Matrosen von Piraten befreien konnte und Verträge mit Algerien, Tripolis und Tunesien aushandelte, um die Beschlagnahme weiterer amerikanischer Schiffe zu verhindern.

Barlow kehrte 1805 in die Vereinigten Staaten zurück, wo er sich unter anderem für eine nationale Bildung stark machte: Eine Republik könne nur überleben, wenn ihre Bürger gebildet und gut informiert seien. In seinem „Prospectus of a National Institution“ schlug er vor, Lehrer und Wissenschaftler in einer einzelnen Institution mit Zweigstellen im ganzen Land zusammenzubringen, um so Wissen zu verbreiten. Obwohl der Plan die Unterstützung des vom damaligen Präsidenten Jefferson genoss, scheiterte er in einem durch Auslandspolitik abgelenkten Kongress (vgl. Hill 2012: 110–114). Der Plan lag auf einer ähnlichen Linie wie das spätere Humboldt‘sche Bildungsideal, das Wilhelm Humboldt (1767–1835) nach 1809 für Preußen einführen sollte.

Im Jahre 1811 kehrte Barlow nach Paris zurück, diesmal als amerikanischer Gesandter. Abgesehen von seinen politischen Aufgaben hatte Barlow schon immer weitgehende naturwissenschaftliche Interessen gehabt, z.B. auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Mineralogie. So nimmt es nicht wunder, dass er in Paris den Kontakt zu Humboldt suchte. Da beide Jefferson verehrten, wird auch Humboldt in Barlow einen interessierten Gesprächspartner gefunden haben. Die Verbindung kann eventuell von David Bailie Warden (1772–1845) hergestellt worden sein, einem in Irland geborenen, nach Nordamerika ausgewanderten und vielseitig interessierten Politiker. Humboldt hatte ihn nach 1804 in Paris kennen gelernt; sie korrespondierten, als Warden wieder in den Vereinigten Staaten war; als neu ernannter Konsul begleitete er Barlow 1811 nach Paris (vgl. Schwarz 2004: 23–24).

Barlows konkrete politische Aufgabe als Gesandter bestand jedenfalls darin, im Kontext der amerikanischen und französischen Konflikte mit Großbritannien ein Handelsabkommen mit Napoleon abzuschließen und Schadensersatz für amerikanische Schiffe zu regeln, die von Frankreich beschlagnahmt worden waren. Er wurde Ende 1812 nach Wilna zitiert, wo er sich mit Napoleon treffen sollte, der sich mit seinen Truppen gerade auf dem katastrophalen Rückzug vom Russlandfeldzug befand. Sie trafen sich nicht, und Barlow sah sich genötigt, selbst aus Wilna vor den heranrückenden Kosaken zu fliehen. Er erlebte die vielen Grausamkeiten des Krieges, die seine ohnehin schon lang bestehende Abneigung gegen Napoleon nur verstärkte und wütenden Ausdruck in einem letzten Gedicht mit dem Titel „Advice to a Raven in Russia“ fand. Über Warschau, Wien und München sollte es zurück nach Paris gehen, doch unterwegs ereilte Barlow eine Lungenentzündung, und er starb am 26. Dezember in Żarnowiec bei Krakau. Von Barlows Tod wusste Jefferson, als er Humboldt am 6. Dezember 1813 schrieb (vgl. Buel 2011: 366), und insofern hat er Humboldt die Tabaksamen nicht mehr über Barlow zukommen lassen können. Eventuell geschah dies über Barlows Nachfolger im Amt, William H. Crawford (1772–1834).

Der Kontakt zwischen Barlow und Correia wird vermutlich begrenzter gewesen sein. Vielleicht lernten sie sich schon vor 1805 kennen, als sich Barlow zum ersten Mal in Europa aufhielt, was aber nicht zu belegen ist. Als Barlow im September 1811 als Gesandter in Paris eintraf, blieben nur etwa drei Monate, bevor Correia nach Nordamerika ging. Ein Kontakt ist hier ebenfalls nicht zu belegen, obwohl er angesichts von Correias bevorstehender Reise und der Papiere, die er zweifelsohne dafür brauchte, naheliegend ist. Barlows wissenschaftliche Interessen werden ihn zu Correia hingezogen haben.

Anzumerken ist, dass Humboldt seine Bitte an Jefferson als „dix livres de graines de tabac de Virginie et 4 livres de tabac de Maryland“ (also Tabaksamen und Tabak) formulierte. Am selben Tag wiederholte er seine Bitte gegenüber dem amerikanischen Finanzminister Albert Gallatin (1761–1849), diesmal nur als Tabaksamen: „8 livres de graines de Tabac de Virginie, 4 livres de graines de Tabac de Maryland“ (vgl. Schwarz 2004: 124). Ob Humboldt bei Jefferson zwischen Tabaksamen und Tabak unterscheiden wollte oder sich eher verschrieb, ist nicht klar. Jedenfalls verstand Jefferson die Bitte im Sinne von Tabaksamen (vgl. oben und Schwarz 2004: 132). Was die Wiederholung der Bitten betrifft, wollte sich Humboldt bei der damaligen Unzuverlässigkeit der postalischen Verbindungen wahrscheinlich absichern, dass wenigstens eine seiner Bitten tatsächlich beim Adressaten in Nordamerika ankäme. Die wiederholte Bitte weist ebenfalls auf die bekannte Vielfalt von Humboldts politischen und wissenschaftlichen Kontakten zeit seines Lebens hin und lässt kurz aufleuchten, auf welcher hohen Ebene er sich mit einer solchen Bitte bemühen konnte.

Auf alle Fällte galt Humboldt als Experte in Sachen Tabak. So finden wir die folgende Anekdote in Joseph Feinhals’ Sammlung von Tabakgeschichten:

Alexander von Humboldt befand sich auf der Durchreise von Wien nach Paris gerade in Straßburg und wurde vom Präsidenten ersucht, an der am 8. Dezember 1811 stattfindenden Jury über Tabak teilzunehmen. Der Präsident Lejay Marmesia sagte auch in seiner Rede an die Tabaklandwirte: „Humboldt, dieser berühmte Reisende, der in allen höheren Wissenschaften den Gipfel erreichte, sowie er die Gipfel der anderen Gebirge erstieg, verweilte hier zwei Tage, um den Tabak zu prüfen und Mitglied der Preisjury zu sein!“ (Feinhals 1914: 143)

Auffallend ist, dass diese Jury am 8. Dezember 1811 stattfand, und Humboldt dann am 26. desselben Monats, wieder in Paris angekommen, seine Bitte sowohl an Jefferson als auch Gallatin richtete. Vielleicht erinnerte er sich durch seine Beteiligung an der Jury daran, dass er diese Tabaksamen aus Virginia und Maryland für seine botanischen Forschungen brauchte.

Das Interesse Humboldts an Tabak wenigstens aus Virginia lässt sich nachweisen. Einen Bezug auf die Tabakproduktion dort finden wir zum Beispiel in Humboldts 1811 erschienenem Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne, wenn er dort auf den Tabakertrag in Mexiko eingeht, den er in der Zeit vor 1794 auf 7 875 000 Pfund festlegt und vergleichsweise in einer Anmerkung die Tabakproduktion von Virginia anführt: „La Virginie produisoit, avant 1775, annuellement plus de 55,000 hogsheads, ou 35 millions de livres de tabac. Jefferson, p. 323“ (Humboldt 1811: Bd. 3, 224). Das hatte er aus Jeffersons Notes on the State of Virginia, die er, wie oben ausgeführt wurde, direkt vom Autor erhalten hatte.

Auch in seiner Relation Historique du Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent (1814–1825) ging Humboldt auf den Anbau von Tabak und dessen Gebrauch mit Bezug auf Virginia ein. Laut Humboldt hatte der Tabakanbau und –gebrauch seinen Ursprung in Nord- und Südamerika: „Le véritable tabac herbacé [...] est cultivé de temps immémorial par tous les peuples indigènes de l’Orénoque : aussi a-t-on trouvé, à l’époque de la conquête, l’usage de fumer également répandu dans les deux Amériques“ (Humboldt 1970: Bd. 2, 622). Dabei interessiert ihn auch die kulturelle Seite des Tabakrauchens, z.B. in den folgenden Zeilen:

Les pauvres Indiens des forêts de l’Orénoque savent aussi bien que les grands seigneurs de la cour de Montezuma que la fumée de tabac est un excellent narcotique; ils l’emploient non seulement pour dormir la sieste, mais aussi pour se mettre dans cet état de quiétisme qu’ils appellent assez naïvement rêve à yeux ouverts ou rêve de jour. (Humboldt 1970: Bd. 2, 622)

An anderer Stelle erwähnt er Walter Raleigh (1554–1618), den englischen Aristokraten, Poeten, Politiker und Forscher, der den Tabakgebrauch in Nordamerika und England verbreitet hat. Abgesehen von einigen weiteren Kommentaren zum Gebrauch des Tabaks, vergleicht und unterscheidet Humboldt dann auch die europäischen und südamerikanischen Arten voneinander und beschreibt kurz, auf welchen Höhen diese wachsen. Obwohl die Nicotiana loxensis und die Nicotiana andicola der europäischen Nicotiana tabacum und Nicotiana rustica nicht unähnlich seien, sieht sie Humboldt als eigene Arten. Dabei stellt er klar, dass die neue Art insgesamt „ni de la Virginie ni de l’Amérique méridionale“ (Humboldt 1970: Bd. 2, 623) sei, wie irrtümlicherweise berichtet worden war.

So kann es sein, dass Humboldt im Kontext seiner botanischen Forschungen noch genauer den Tabak aus Virginia (und Maryland) untersuchen wollte. Sein persönliches Interesse daran wird durch das „cadeau de la plus haute importance pour moi“ angedeutet. Dennoch wird Humboldt sicher auch bereit gewesen sein, die Samen zum Teil wenigstens an andere Forscher weiterzuleiten, wenn vielleicht nicht gerade an Bonpland. Dieser schied nämlich während der Pariser Zeit zunehmend aus der botanischen Mitarbeit aus, worüber sich Humboldt ihm gegenüber bitter beklagte (vgl. Botting 1973: 238). Der deutsche Botaniker Karl Sigismund Kunth (1788–1850), den Humboldt bereits in Berlin gefördert und der zwischen 1813 und 1819 Humboldt in Paris zur Seite stand (sie teilten dort auch eine Wohnung), gab dann auf der Grundlage von Humboldts und Bonplands Herbarium die Nova genera et species plantarum (1815–1825) als Teil der Voyage de Humboldt et Bonpland (ab 1807) heraus. Vielleicht bekam er eine Probe der Samen. Gleich zu Anfang des Werkes setzt sich Kunth auch mit dem Genus Nicotiana aus der Pflanzenfamilie Solanaceae auseinander. Allerdings konzentriert sich dieses grundlegende Werk zur botanischen Klassifizierung auf die Pflanzenwelt Zentralamerikas und des nördlichen Südamerikas, so dass der Tabak Virginias und Marylands nicht zur Sprache kommt (vgl. Kunth 1818: 1–4). Doch sicher hat Kunth die Samen in seine allgemeine Sammlung aufgenommen, sollte er sie bekommen haben.

Ob die Samen je angekommen sind, ist dann eben eine andere Frage. In seinem Brief hatte Jefferson versprochen, das Lewis- und Clark-Journal zusammen mit den Samen zu schicken, die Schwierigkeiten mit den Schiffsverbindungen jedoch auch angesprochen. Es war die Zeit der Napoleonischen Kriege, in denen die Vereinigten Staaten neutral den Handel sowohl mit England als auch Frankreich aufrecht erhalten wollten, diese Länder aber jeweils nicht bereit waren zuzulassen, dass die andere Seite amerikanische Güter empfinge, was sich in der Beschlagnahme von amerikanischen Schiffen auswirkte. Barlow war ja als Gesandter nach Paris geschickt worden, um unter anderem genau diesen Zustand mit Napoleon zu bereinigen (vgl. Buel 2011: 337ff.). Jedenfalls bestätigte Humboldt nie den Empfang der Tabaksamen (und der Lewis- und Clark-Bücher), wenigstens nicht in der noch erhaltenen Korrespondenz, die nur aus einem weiteren Brief an Jefferson vom 22. Februar 1825 besteht (vgl. Schwarz 2004: 170). Ebenfalls scheint er nie Gallatin diesbezüglich geschrieben zu haben (vgl. Schwarz 2004: 124ff.).

Es sei abschließend zusammengefasst, dass der hier behandelte Brief einen aufschlussreichen Einblick in die persönlichen, politischen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Humboldt, Jefferson, Correa und Barlow vermittelt, bzw. in ihre Netzwerke. Darüber hinaus ist noch bedeutsam, dass der Brief eine Lücke in der Humboldt-Jefferson-Korrespondenz schließt.

Literaturverzeichnis

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Schwarz, Ingo (Hrsg.) (2004): Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten. Briefwechsel. Beiträge zu Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 19. Berlin: Akademie Verlag.

1 Die diakritischen Zeichen, die entweder bei Humboldt fehlen oder inzwischen verblasst sind, wurden in der Transkription ergänzt. Für Hilfe bei der Transkription von Humboldts oft schwer leserlicher Handschrift bin ich Ingo Schwarz (Akademienvorhaben Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften) sehr dankbar.

2 Für den Hinweis auf diese Lücke bin ich ebenfalls Ingo Schwarz sehr dankbar.

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